Statement
30. Oktober 2019

ESG-Daten: Das letzte Hindernis

Bei den Daten zur Nachhaltigkeit eines Unternehmens – konkret zur Entwicklung unter Umwelt-, Gesellschafts- und Governance-Aspekten (ESG) – gibt es erhebliche Herausforderungen und Unterschiede.

Die umfassende Offenlegung von ESG-­Daten ist für Unternehmen derzeit nicht verpflichtend. Vielmehr entscheiden sie selbst, welche Informationen sie offenlegen. Eine regulierte Prüfung, ob diese für das jeweilige ­Unternehmen materiell sind, findet in der Regel nicht statt. Doch für immer mehr Investoren sind eben diese materiellen ESG-Faktoren auch zentrale Treiber der langfristigen Unternehmensentwicklung, sodass Kapitaleigner und deren Vermögensverwalter für die Herausforderungen bei der Datengewinnung und -analyse Lösungen finden müssen.

Zu den größten Herausforderungen für Investoren zählen der Mangel an Standardisierung und Transparenz in der Datensammlung und der Ratingmethodik der Anbieter. Denn diese arbeiten mit ­ihren jeweils eigenen Methoden zur Datengewinnung, zum ­Research und beim Rating. In der Folge kann das Rating desselben Unternehmens je nach Anbieter sehr unterschiedlich ausfallen.

Mittlerweile gibt es eine dreistellige Anzahl an ­ESG-Daten­anbietern, die Informationen über die ESG-Praktiken von Unternehmen ­sammeln, analysieren und diese Unternehmen dann entsprechend bewerten. Ungeachtet der wichtigen Beiträge, die diese Daten­anbieter zur Förderung von ESG-Investitionen auf globaler ­Ebene geleistet ­haben, ist es für Investoren und Asset Manager wichtig, die inhärenten Einschränkungen der Daten sowie die ­damit ­verbundenden Herausforderungen zu verstehen, sollten sie sich nur auf einen Anbieter verlassen.

ESG-Datenanbieter entwickeln im Allgemeinen ihre eigenen ­Beschaffungs-, Forschungs- und Bewertungsmethoden. Infolgedessen kann das Rating für ein einzelnes Unternehmen zwischen ­verschiedenen Anbietern sehr stark variieren. Im Rahmen eines 18-monatigen Prozesses, in dem wir mehr als 30 Datenanbieter geprüft haben, untersuchten wir die Querschnittskorrelationen ­(Grafik 1) für die ESG-Scores von vier führenden ­Datenanbietern, wobei wir den MSCI World Index als Erfassungsuniversum ­verwandt haben.

Darunter sind MSCI und Sustainalytics, die zu den am häufigsten verwendeten ESG-Datenanbietern gehören. Unsere ­Untersuchungen ergaben jedoch eine Korrelation von nur 0,53 unter ihren Bewertungen, was bedeutet, dass ihre Bewertungen von Unternehmen nur für etwa die Hälfte des Abdeckungsuniversums konsistent sind.

Die Folgen in der Praxis

Die Unterschiede in der Methodik haben ernstzunehmende Auswirkungen, denn Investoren übernehmen praktisch die Anlagephilosophie des Datenanbieters im Hinblick auf Datenerhebung, Wesentlichkeit, Aggregierung und Gewichtung. Anleger sollten sich deshalb bewusst sein: Wenn sie sich auf das vom Anbieter ­ermittelte Rating verlassen, übernehmen sie auch dessen Einschätzung zur Wesentlichkeit – ohne zu durchdringen, wie sie ermittelt wurde.

Vier Best-in-Class-Anbieter und offizielle Governance-Codes

Um diese Probleme anzugehen, empfiehlt sich ein Konzept, welches verschiedene ESG-Rohdaten zusammenführt und mit einem transparenten Rahmenwerk verknüpft. Unsere Methodik bezieht die Wesentlichkeitsmatrix des Sustainability Accounting Standards Board (SASB), Corporate-Governance-Kodizes sowie Beiträge von vier Best-in-Class-Datenanbietern ein: Sustainalytics, ISS-Oekom, Vigeo-EIRIS und ISS-Governance. Dadurch vergrößern wir die Gesamtabdeckung unseres Datenbestands und füllen die Lücken einzelner Anbieter. Zudem verringert die Nutzung von Eingangsdaten mehrerer Anbieter potenzielle Neigungen und Verzerrungen in der Methodik des jeweiligen Anbieters. Neben Transparenzvorteilen stärkt die Zusammenführung verschiedener Datenquellen die treuhänderische Verantwortung und schafft Anreize für eine ­umfassendere Offenlegung von ESG-Informationen, die für Investoren relevant sind.

Der so ermittelte Wert ermöglicht einen globalen Vergleich der ESG-Leistung von Unternehmen innerhalb eines Sektors ­beziehungsweise innerhalb einer Branche. Unternehmen, die ­ihren Score verbessern möchten, können ihr Handeln im ­Bereich ­branchenspezifischer SASB-Themen – und die diesbezügliche ­Transparenz – positiv verändern und sich stärker am jeweils anwend­baren ­Corporate-Governance-Kodex orientieren. Der ­ermittelte Wert bietet ihnen dabei klare Anhaltspunkte, auf welche ESG-­Themen sie sich konkret konzentrieren und wo sie die Offenlegung verstärken sollten. Somit haben Unternehmen die Chance, gezielt aktiv zu werden: Sie können selbst Maßnahmen ergreifen, um ihre Scores zu verbessern und Investoren tiefere Einblicke in ihre ESG-Leistung ermöglichen.

Das Konzept ist auch voll in unser Asset-Stewardship-­Programm ­integriert. Anhand der Scores identifizieren wir ­Unternehmen, die für ein Engagement – auch durch Abstimmungsver­halten – infrage kommen. Im Rahmen unseres Engagements mit ­Portfoliounternehmen kommunizieren wir diesen ihre Werte sowie die Grundlagen für den Score.

Letztendlich führt die Anlage im Rahmen einer ESG-Scoring-­Methodik, die Unternehmen klare Vorgaben zur Offenlegung vermittelt, zu qualitativ hochwertigeren Daten, was wiederum eine genauere Abbildung von ESG-Faktoren bei der Preisbildung an den Finanzmärkten ermöglicht – und letztlich bessere nachhaltige ­Anlageentscheidungen.

 

Modelle und Taxonomie fördern Transparenz

Interview mit Carlo M. Funk, ESG Investment Strategist für EMEA, State Street Global Advisors

Wie messen Sie Nachhaltigkeit?

Um Nachhaltigkeit messbar zu machen, ist die Datenqualität essenziell. Wir haben eine offene ESG-Datenplattform und arbeiten mit insgesamt zwölf ESG-Datenprovidern zusammen. Diese sind in unseren Augen in den jeweiligen Bereichen führend. Weiter haben wir ein eigenes proprietäres ­Rating-Modell entwickelt, um Nachhaltigkeit transparent und messbar zu machen.

Ist es besser, mit einem oder mit mehreren ESG-Datenlieferanten zu kooperieren?

Wir sind absolut davon überzeugt, dass man sich im Allgemeinen nicht nur auf ­einen einzigen Datenanbieter verlassen sollte. ­Genau aus diesem Grund beziehen wir wie eben ­erwähnt eine offene Architektur. Auch ­unser eigenes Modell speist sich nicht aus einer Datenquelle, sondern den Rohdaten verschiedener Datenanbieter, und verknüpft dies dann mit allgemein und im Markt anerkannten Frameworks, um volle Transparenz zu schaffen.

Nutzen denn Ihre Portfoliomanager diese Daten überhaupt?

Absolut. Die Daten sind in unsere Systeme integriert und die Portfolio Manager haben Zugriff. Natürlich hängt der Grad der Nutzung auch von der jeweiligen Strategie ab.

Welche Daten werden für ESG-Reportings eingesetzt?

Wir sind nun bereit, Reportings mit ­unserem Responsibility-Factor-Modell zu generieren, welche auch sehr robuste Daten im Hinblick auf Carbon Footprint enthalten – ein wichtiger Schritt für uns. Auf Grund ­unserer ­offenen Architektur sind wir jedoch auch hier flexibel.

Dominiert in der Regulierung und in der öffentlichen Diskussion Ökologie gegenüber Ethik sowie Governance und schadet dies dem Risiko-Rendite-Profil?

Unter Institutionellen hat sich mittlerweile die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Einbeziehung von ESG-Kriterien dem Risiko-Rendite-Profil nicht zwangsläufig schadet.

Sind heutige Portfolios für den Klimawandel gerüstet?

Der überwiegende Teil der Portfolios ­bezieht Klimarisiken noch nicht explizit in den ­Investmentprozess ein. Wir haben ­jedoch die Möglichkeit, Portfoliostrukturen so anzupassen, dass sie sowohl den Carbon Footprint reduzieren, als sich auch robust im Hinblick auf eine unausweichliche Energiewende aufzustellen. Denn wir nehmen den Klimawandel absolut als sehr tangibles Risiko für Portfolien wahr und sehen es als unsere Pflicht als Treuhänder an, auf diese sowohl hinzuweisen als auch ­entsprechende Lösungen anzubieten. Es ist für uns also ­absolut kein Politikum, sondern sehr real.

Sind nachhaltige Strategien zu teuer?

Nein. Natürlich gibt es schwarze Schafe die der gesamten Branche schaden. Jedoch kommt die Einbeziehung von ESG-Aspekten bei der Lösungsauswahl nicht zwangsläufig zu einem erhöhten Preis.

Die Forschung tendiert zu einem positiven Verhältnis von Nachhaltigkeit und Performance. In welchen Fällen kostet Nachhaltigkeit Performance?

Die Frage kann man schwer pauschal beantworten und ist abhängig von der jeweiligen Strategie und mittels einer Attributions-Analyse ermittelbar.

Droht mit einer zu konsequenten Implementierung von nachhaltigen Assets, dass Portfolios instabil werden?

Mitnichten. Die konsequente Einbeziehung von ESG-Aspekten können die Robustheit von Portfolios erhöhen.

Welche Implikationen wird die EU-­Taxonomie auf Investoren, Asset Manager, die Marktstabilität und den Nachhaltigkeitsgedanken haben?

Der „Action Plan Sustainable Finance“ der EU-Kommission ist sehr begrüßenswert und führt dazu, dass sich nun auch Marktteilnehmer mit dem Thema beschäftigen, ­welche vorher wenig Interesse gezeigt ­haben. Konsultationen sind noch im Gange, jedoch wird die Taxonomie eine Chance sein, mehr Transparenz zu schaffen. Dies wird dann zu einer erhöhten Adaption des ­Nachhaltigkeitsgedankens in Bezug auf Finanz­lösungen führen.

Viele Staaten werden heute von ­autokratisch angehauchten Populisten geführt. Hat dies Auswirkungen auf Ihre Governance-Analysen?

Governance-Analysen sollten immer ­politisch neutral sein und sind sehr marktspezifisch. Hier schauen wir uns die jeweiligen ­regionalen Governance Codes und mögliche Verstöße an.

Welche Herausforderungen bestehen bei der Umsetzung der 17 SDGs?

Die UN SDGs wurden ursprünglich nicht mit der Intension veröffentlich, ein Framework für Finanzprodukte zu sein. Daher ­besteht die Herausforderung, die richtigen Daten und die richtige Methodik im Hinblick auf die Portfoliokonstruktion zu finden.

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