Andere
20. Dezember 2011

Geist und Geld kennen keine Grenze des Wachstums

Wirtschaftswachstum steht in der Kritik, da es zum Beispiel nicht den Ressourcenverbrauch und das Wohlbefinden abbildet.­ Andererseits wird ohne Wachstum die Rückzahlung aller Staatsschulden immer unwahrscheinlicher und Investition­ in Intelligenz schwierig. Eine Schrift wider den Wachstumspessimismus.

Das Wirtschaftswachstum ist in eine Wachstumskrise geraten. Viele meinen, wir könnten auch ohne Wirtschaftswachstum ganz gut leben. Bedeutet diese Diskussion ein Umdenken, oder stellt sie nur ­eine Variante des sattsam bekannten Phänomens dar, dass die ­Trauben, die zu hoch hängen, sauer sind? Müssen wir das Wachstumsziel ­verabschieden, oder reden wir uns die stagnierende Wirtschaft schön, weil wir Wirtschaftswachstum nicht mehr hinkriegen? Machen wir die schlechte Performance der EU-Wirtschaften zu dem, was ­eigentlich gewollt ist? Die westlichen Nationen der EU außer Deutschland ­stecken in der „EU disease“, in der EU-Krankheit, einer Wachstumsschwäche, die durch „Social Europe“ verbrämt wird. Der Stolz der EU ist, die einzige soziale Großmacht und die einzige Großmacht ohne große Macht zu sein. Dies ist peinlich angesichts der Zahlen zur ­Wirtschaftsleistung und der Bitten an Schwellenländer, uns reichen Ländern doch bei der Bewältigung unserer Überschuldung zu helfen, allerdings ohne politische Gegenleistungen zu erwarten, da ja die EU auch keinen politischen Ehrgeiz in der Welt hat.

Wie soll man Schulden ohne Einkommenszuwächse zurückzahlen, wenn man die Darlehen vor allem für überhöhten Konsum ­verwendet hat? Angesichts der gar nicht souveränen Staatsschuldenkrise der EU-Länder kommt ein Verzicht auf Wirtschaftswachstum der Erklärung gleich, man werde die Schulden nicht mehr bedienen. Viele Vertreter der Null-Wachstum-Forderung sind sich dessen ­bewusst, meinen jedoch, dass das nichts ausmache, weil die Gläubiger ja die Reichen seien, die man ruhig zu Ader lassen könne. Dass dem nicht so ist, weil nicht nur die Reichen, sondern (Lebens-)Versicherungen und Pensionsfonds, also auch die kleinen Leute, die bei diesen ­versichert sind, so zu Ader gelassen werden, ficht sie nicht an. Kapitalvernichtung trifft in ihrer Sicht nur die Kapitalisten, wie das Wort ja sagt, nicht aber die Allgemeinheit. Tatsächlich trifft die Kapital­vernichtung durch die Staatsschuldenkrise alle, weil das Kapital, das vernichtet wurde, der Gesamtwirtschaft für Investitionen fehlt. Auch die EU-Länder werden wie jedermann auf der Welt ihre Schulden ­bezahlen müssen und sich nicht auf „Social Europe“ berufen können, das eben anders ist. Hierzu wird Wirtschaftswachstum nötig sein. In einer Wirtschaft mit sinkendem Wachstum, sinkender Bevölkerung, aber mit dem Versprechen von konstanten Rentenansprüchen an das Umlageverfahren der Altersrenten verschuldet sich die gegenwärtig arbeitende Bevölkerung bei der künftig arbeitenden, aber ­schrumpfenden Bevölkerung. Auch diese indirekte Verschuldung ist nur zu begleichen, wenn das Einkommen der schrumpfenden ­Gruppe der Beitragszahler wächst. Schrumpft dieses Einkommen, werden die Beitragslasten noch schwerer und drückender, als sie es ohnehin schon aufgrund der schrumpfenden Bevölkerung sind.

Was aber wird aus dem Wirtschaftswachstum, wenn die überhöhten Staatsschulden zurückgezahlt oder reduziert sind und die ­Bevölkerung wieder konstant ist? Ist Wirtschaftswachstum dann noch etwas, nach dem eine Volkswirtschaft streben sollte? Wir sind an Wachstum gewöhnt. Eine stationäre oder schrumpfende Wirtschaft wäre für uns eine enorme Veränderung und Frustration von gegebenen Erwartungen. Auch für das Glück eines Menschen ist eine Bewegung nach unten von einem hohen Niveau viel schlechter als eine ­Bewegung von einem niedrigen Niveau von unten auf ein höheres, ­obgleich das ­Integral beider Kurven vielleicht gleich ist. Aber hieran könnte man sich gewöhnen, wie man sich an das Altern gewöhnt, auch wenn man es nicht liebt. Wir würden die Schrumpfung der Wirtschaft hassen, aber vielleicht ist sie der einzige Weg, um zu ­überleben? Dem ist nicht so. Unsere Volkswirtschaften können auch mit ­Wachstum überleben, wenn auch nicht mit der gegenwärtigen ­Produktionsweise. Es ist klar, dass der Ressourcenverbrauch dem Wirtschaftswachstum physische Grenzen setzt, wenn der Ressourcenverbrauch pro 1.000 Euro Bruttoinlandsprodukt konstant ist. ­Allerdings wissen wir nicht, wo diese Grenze liegt, weil wir den ­Ressourcenbestand nicht kennen und es sich nicht lohnt, ihn herauszubekommen, so lange noch Ressourcen zugänglich sind. Wir wissen aber, dass wir die Grenze hinausschieben können, wenn wir die ­Ressourceneffizienz in der Produktion und das Recycling von ­Rohstoffen erhöhen. Wenn wir etwa den Energie- und Rohstoffeinsatz pro 1.000 Euro Bruttoinlandsprodukt halbieren, ­können wir mit ­demselben Verbrauch an Energie und Rohstoffen, wie er heute ­gegeben ist, das doppelte Bruttosozialprodukt produzieren. 

_Intelligenz gibt es nicht zum Nulltarif

Die Halbierung des Ressourcen-Inputs verlangt die Investition von und in Intelligenz in Form von Forschung und Entwicklung. Sie ist nicht zum Nulltarif zu bekommen und auch nicht durch politische Interventionen wie Exzellenzinitiativen­ der politischen Klasse. Noch nie wurde eine Entdeckung durch die vorherige Verleihung einer ­Exzellenzmedaille gemacht, wohl aber durch die Gewährung von ­Forschungsfreiraum, der mehr kostet, als man gewöhnlich vermutet, weil man große Entdecker wie gute Fußballer eben nicht zum Null­tarif bekommt. Die Substitution von Energie und Rohstoff durch ­Intelligenz kostet Ressourcen an Geist und Intelligenz, die keine ­materiellen Nebenwirkungen, aber materielle Voraussetzungen ­haben. Die mögliche Halbierung des Ressourcen-Inputs verlangt auch eine gewisse Disziplin des Verbrauchers. Wenn die seltenen Erden für die Computer-Notebooks immer seltener werden, wird man vielleicht ein Pfand für alte Notebooks einrichten und Anreize zum Recycling schaffen, die weit über das hinausgehen, was wir heute kennen. Man wird vielleicht sein I-Phone über mehrere Generationen des Modells behalten und nur die Software und Teile der Hardware bei Modellwechsel gegen Zahlung eines Preises erneuern.

Die Abneigung vieler Menschen gegen ein beständiges Wirtschaftswachstum rührt von einer falschen und emotionalen Analogie. Ein Mensch, der auch nach der Volljährigkeit immer noch weiter wächst, würde zu einem Monster. Bei der Volkswirtschaft ist es nicht so, weil nicht die Menschen wachsen, sondern der monetär bewertete Wohlstand, und weil der Geist und das Geld unendlich sind. Es gibt außer dem Lebensalter keine Grenze für das Wissen und Geld. Das Wirtschaftswachstum ist keine physische oder materielle Größe, ­sondern eine Wertgröße, die in Geld ausgedrückt wird und ­tendenziell unendlich – und zwar auch wertstabil – vermehrt werden kann. Die Unendlichkeit des Geldes, die neben Marx bereits Aristoteles zu ­Unrecht kritisiert hat, beruht auf dem Vermögen des Geistes, das ­Wissen und den geldlichen Nutzen aus ihm unbeschränkt zu vermehren und zu verwerten. Vielleicht wird unser Wissen nicht mehr so schnell wachsen wie in den vergangenen 200 Jahren. Es gibt aber ­keine ­immanente Grenze des Wissens. Wenn wir immer mehr ­wissen, ­können wir auch immer besser produzieren und daher mit unserer Produktion wachsen, so lange wir die Nebenwirkungen oder externen Effekte der Produktion reduzieren können. Es gibt nur eine absolute Grenze des Wachstums: jene des Kältetodes des Universums. Wenn nach dem Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik Energie nicht ohne Nebenwirkungen auf die Umwelt umgewandelt werden kann und alle Temperaturunterschiede in der Welt dem Ausgleich zustreben, wird am Ende ein totaler Ausgleich der Temperaturunterschiede und damit der Kältetod des Universums stehen. Da die Sonne nach Auskunft der Physiker noch einige Milliarden Jahre Energie senden wird, steht der Wärmetod nicht gerade kurz bevor und man kann hier mit Recht und Keynes sagen: „In the very long run we are all dead.“ Der Stoff ist nicht vollständig substituierbar, jedenfalls nicht ohne hohen Kosten. Wenn die seltenen Erden so selten sein werden, dass man sie ­synthetisieren muss, wird das Geld kosten. Diese Substitutionskosten werden die Produkte verteuern, was wiederum Wachstum generiert. Wer den Preis nicht bezahlen will, wird ihn nicht bezahlen müssen und statt ­E-Mail wieder die Briefpost benutzen.

Dass das Wirtschaftswachstum nichts wert ist, ist eine Politikeridee, die ihnen kommt, wenn die Wirtschaft wegen ihrer ­verfehlten Wirtschaftspolitik nicht mehr wächst. Dann müssen ­Rating-Agenturen her, die den überraschten Wählern ­mitteilen, dass sie trotz stagnierender Wirtschaft viel glücklicher sind, als sie bisher annahmen. Vor ­allem die Franzosen scheinen von dieser Idee ­bestimmt zu sein. „­Habe ich auch keine Mittel, so habe ich doch einen Titel“, hieß es früher. Heute heißt es: „Habe ich auch keine ­Mittel, so bin ich doch glücklich.“ Sarkozy berief die Stiglitz-Sen-­Fitoussi-Kommission, um die Wohlstandsmessung auf eine breitere Basis als jene des quantitativen Wirtschaftswachstums zu stellen. ­Daran ist an sich nichts zu kritisieren, außer dass man bei allem, was von den ­Absolventen der „grandes écoles“ kommt, ­vorsichtig sein muss und nicht sicher sein kann, dass sie nicht auch noch das Glück des ­Menschen an den „terroir“ binden, ihm die „­appellation d’origine ­contrôlée“ verleihen und es als Erbe der „­grande nation“ bei der Unesco als Weltkulturerbe anmelden.

Jeder Mensch hat ein Recht auf die Verfolgung seines Glücks, aber leider kein Recht auf Glück. Wenn die Wirtschaft wächst, hat man ­eine größere Chance, sein Glück zu finden, als wenn sie stagniert oder schrumpft. Diese Chance darf man niemandem aufzwingen, aber auch niemanden daran hindern zu wachsen. Der beste Maßstab ist für die marktgängigen Güter der Markt – und nicht die Politik. Auch wenn sich die EU selbst gratuliert, den Markt durch „Social Europe“ zu ­ersetzen, sollten wir daran festhalten, dass in der Konsumenten­nachfrage und Marktpreisbildung die besten Verfahren liegen, um zu bestimmen, was die Menschen wirtschaftlich wollen, weil sie für ihre wirtschaftlichen Voten zahlen müssen und bereit sind zu zahlen. Wenn sich aus dieser Nachfrage Wachstum ergibt, ist dies genauso zu akzeptieren, wie wenn sich aus ihr eine stationäre ­Wirtschaft ergibt. Die Politik hat diese Entscheidung nicht aus den Händen der ­Konsumenten zu nehmen.

portfolio institutionell, 16.12.2011

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