Andere
3. Dezember 2014

Altersvorsorge auf wackeligen Säulen

Angesichts des sinkenden Niveaus der gesetzlichen Rente und des offensichtlichen Fehlens einer Ausgleichsfunktion der zweiten und dritten Säule der Altersvorsorge fordert das Institut der Deutschen Wirtschaft dazu auf, über Ziele und Ausrichtung des Systems wieder einen gesellschaftlichen Konsens herzustellen.

In zwei zeitgleich erscheinenden Vierteljahresheften zur Wirtschaftsforschung dokumentiert das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) einen Ausschnitt der aktuellen Diskussion um die Alterssicherungspolitik.
Die Spannbreite der Meinungen der Experte ist groß. Bei der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) wird unter anderem die von der Bundesregierung geplante „solidarischen Lebensleistungsrente“ einer Kritik unterzogen. Damit würde nur das Symptom – unzureichendes Alterseinkommen -, aber nicht die Ursachen – geringe Löhne und die Rentenreformen – in den Blick genommen werden. Es wird dafür plädiert, die Beitragssätze für die GRV wieder an dem Leistungsziel der Sicherung des Lebensstandards und nicht mehr an der Höhe des Beitragssatzes auszurichten. Damit könnte letztlich die private und betriebliche Altersvorsorge entfallen.
Die Einkünfte aus der betrieblichen und privaten Vorsorge seien unstet und böten bislang keinen verlässlichen Ausgleich zur Leistungsreduzierung in der GRV, heißt es in einem anderen Beitrag. Dort lautet das Fazit: Die Systemstrukturen und -anforderungen der drei Säulen sind völlig verschieden, eine Abstimmung zwischen den Säulen der Alterssicherung fehlt.
Auch die Forderung nach Umwandlung in eine Pflichtversicherung für alle Bürger („Bürgerversicherung“) fehlt in den Diskussionsbeiträgen nicht. Denn das üblicherweise ausgewiesene Rentenniveau sei „geschönt“. Würde man einen realitätsnahen Einkommensverlauf unterstellen und die Standardrente auf das letzte Erwerbseinkommen beziehen, so läge die Versorgung zwölf Prozentpunkte unter dem offiziell ausgewiesenen Rentenniveau. Altersarmut werde in Deutschland von den politisch Verantwortlichen nicht als gravierend wahrgenommen, sie werde vielmehr verdrängt oder verharmlost, lautet ein weiterer Vorwurf.
Dem Rentenpaket der Bundesregierung wird bescheinigt, dass es zum ersten Mal seit 1972 wieder spürbare Leistungsverbesserungen in der GRV bringe, dass diese Verbesserungen aber weder allen Rentenbeziehenden und Versicherten noch vorrangig den bedürftigsten Älteren zugute kämen. Einer sich ausbreitenden Altersarmut wirke das Rentenpaket nicht entgegen, da es den beschlossenen Maßnahmen an Zielgenauigkeit fehle.
In der sozial- und rentenpolitischen Diskussion in Deutschland werde Altersarmut nur anhand der Grundsicherung gemessen und diskutiert. Damit würde aber die heutige Altersarmut – gemessen an der gesamten Transferabhängigkeit – um die Hälfte unterschätzt werden. Ein regionalisiertes Prognosemodells kommt zu dem Ergebnis, dass die Altersarmut im Jahr 2021 vor allem in Ballungsräumen und Stadtstaaten sowie in einzelnen Landkreisen in Ostdeutschland zunehmen werde. Zur Vermeidung von Altersarmut sei eine bedarfsorientierte Altersgrundsicherung, eine Anhebung der monatlichen Regelleistungen sowie die Übernahme von Einmalleistungen und Stromkosten nötig, so eine Expertenmeinung.
So kontrovers wie die Meinung zur GRV, so auch der Diskurs über die private Altersvorsorge. Eine Untersuchung von 48 Anbietern klassischer, privater nichtgeförderter Rententarife ergab, dass diese Produkte mit hohen Kosten belastet sind. Zudem seien die Kosteninformationen oft so versteckt, dass es den Versicherten nicht möglich sei, einen einfachen Kostenvergleich durchzuführen. Eine echte Kostenkennziffer wie die „Reduction of Wealth“ könnte hier Abhilfe schaffen. Das Gesamturteil: Klassische Rententarife seien nur wenig geeignet, um der drohenden Altersarmut zu begegnen. Daher sollte über eine weitere Förderung der kapitalgedeckten Altersvorsorge nicht nachgedacht, sondern das Niveau der gesetzlichen Rentenversicherung wieder angehoben werden, so die Schlussfolgerung.
Drei Vorschläge in der Diskussion
Diskutiert werden drei Vorschläge zur Reform der privaten Altersvorsorge: Rückabwicklung der Riester-Reformen, Etablierung staatlicher Konkurrenz zu den Anbietern kapitalgedeckter Vorsorge durch freiwillige Zusatzbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung und staatlich administrierte, kapitalgedeckte Vorsorgekonten. Alle drei Reformwege weisen den Autoren zufolge gravierende verbraucher-, ordnungs-, wettbewerbs- und/oder sozialpolitische Nachteile auf. Die Autoren zweifeln daran, dass ein Altersvorsorgekonto für die Sparer Effizienzgewinne bringen könne. Sie halten eine Anpassung der Riester-Rente für erforderlich, der Kreis der förderfähigen Personen sollte erweitert, ein Freibetrag für Geringverdiener eingeführt und die Riester-Rente dynamisiert werden. Dies ist die Position der Versicherungswirtschaft.
Andere Autoren halten die ergänzende Altersvorsorge zwar für sinnvoll, betrachten das gegenwärtige System aber als „krank“. Deshalb ist aus ihrer Sicht ein Neustart mit einem Bündel an Maßnahmen erforderlich, dazu gehören unter anderem: die Regulierung des provisionsbasierten Finanzvertriebs unter Aufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen, Marktbeobachtung durch einen Finanzmarktwächter, verpflichtende Standards zur Mindestqualifikation von Finanzvermittlern, Etablierung einer Honorarberatung,  transparente Kalkulation der Sterblichkeit, höhere Beteiligung der Sparenden an den Kostenüberschüssen, säulenübergreifende standardisierte Vorsorgeinformationen, Negativ- und Positivkriterien sowie ein verlässliches Gütesiegel für nachhaltige Geldanlagen. Angelehnt an die schwedische Altersvorsorge unterstützen die Autoren zudem die Einführung eines riesterfähigen Basisproduktes.
Das Fazit von DIW-Vorstand Prof. Gert G. Wagner lautet: Eine lebensstandardsichernde Altersversorgung allein durch die GRV wieder zu erreichen, sei politisch unrealistisch und würde in einer unsicheren Welt zudem ein Klumpenrisiko bedeuten. Die betriebliche Altersvorsorge werde zu Recht an Bedeutung gewinnen, erreiche jedoch bei weitem nicht alle gesetzlich Pflichtversicherten.
portfolio institutionell newsflash 03.12.2014/Hans Pfeifer

Autoren:

In Verbindung stehende Artikel:

Schreiben Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert