Schwarzer Schwan
12. Dezember 2014

Besinnliches zu Weihnachten

Wer besinnlich sein will, muss erst zur Besinnung kommen. Das gilt für gierige Chinesen ebenso wie für deutsche Steuerhinterzieher.

Außerhalb des Rheinlands ist für viele die Weihnachtszeit die einzige Zeit, in der gesungen wird. Wer jedoch nur einmal im Jahr dazu kommt, sein Gesangsrepertoire zum Besten zu geben, der lässt es oft an der nötigen Sicherheit und damit Gesangskraft vermissen. Der Redaktionstipp: Orientieren Sie sich je nach Liedgut an bestimmten Persönlichkeiten, die diese Rubrik das ganze Jahr lang begleitet haben – und das Singen fällt gleich viel leichter:
Denken Sie bei „Vom Himmel hoch, da komm ich her“ an Thomas „Big T“ Middelhoff,
bei „Alle Jahre wieder“ daran, dass Bundesanleihen Aktien schlagen,
bei „Herbei, o ihr Gläub´gen“ an Cristina de Kirchner und ihre Geierfonds,
bei „Morgen, Kinder, wird´s was geben“ an Carsten Maschmeyer und seine Geschäftsfreunde vom Bankhaus Sarasin
und bei „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit“ natürlich an Uli Hoeneß.
Tiger und Fliegen leben in China in Symbiose 
Nicht nur fürs Singen, sondern für das ganze Leben wird man jedoch durch andere Geschichten gestärkt. Weihnachtlich warm ums Herz wird einem zum Beispiel bei der Geschichte von Tang Shuiyan – für die Süddeutsche Zeitung eine „Parabel auf das moderne China“. Tatsächlich handelt es sich um eine chinesische Verquickung der eigentlich uramerikanischen vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Story mit dem deutschen Märchen vom Sterntaler. Sie kündet vom harmonischen Miteinander großer und kleiner Sünder, die in China prosaisch „Tiger und Fliegen“ genannt werden und geht so: Tang Shuiyan, ein armes Bauernmädchen aus der Provinz, schuftete am Fließband einer Schuhfabrik. Dann spezialisierte sie sich jedoch auf ein lukrativeres Geschäft.
Mit einer großen Tasche und einem Fotoapparat bewaffnet, suchte sie in den Mittagspausen und nach Feierabend verwaiste Büros von Parteisekretären auf. Und auch bei Bankdirektoren, Amtsleitern und sonstigen staatstragenden Funktionären war sie unterwegs. Diesen fehlte es an nichts. In den Büros fanden sich schnell meterweise Bargeld und Zigarettenstangen, kiloweise Schweizer Uhren, literweise edle Spirituosen und natürlich Gold bis zum Abwinken. Denn wer in der sozialistischen Marktwirtschaft die Genehmigungsstempel in der Hand hält, wird von Antragsstellern für seine Gunst materiell reich entlohnt. Tang Shuiyan stapelte geschwind vor dem Einpacken alle Reichtümer auf den sich biegenden Schreibtischen, legte eine Visitenkarte des Büroinhabers daneben und machte schöne Fotos von ihrem Kampf gegen die Korruption. 
Diese Fotos halfen Tang bei ihrem großen Marsch durch die Büros der Eliten Chinas, um im Fall des Erwischtwerdens die Tiger weihnachtlich milde zu stimmen. Denn aus Sorge vor einer Anklage wegen Korruption tut ein Tiger einer Fliege lieber nichts zuleide. Die Fliege könnte ja singen – und zwar nicht nur Weihnachtslieder. 
Am Ende war die Symbiose zwischen Tigern und Fliege so stark, dass – nachdem alles doch herauskam – beide zusammen verurteilt wurden. Doch das arme Bauernmädchen hatte eh nichts zu verlieren gehabt und konnte wenigstens ihre Familie unterstützen. Und die Tiger waren auch eine große Sorge los: Da die Partei in ihrer großen Weisheit für die größte Yuan-Note nur einen Gegenwert von wenigen Euros beschlossen hat, ist es schließlich fast unmöglich, die ganzen Papierstapel zu verstecken.
In diesem Sinne wünscht Ihnen die Redaktion von portfolio ein besinnliches Weihnachtsfest und einen guten Rutsch in ein amüsantes Jahr 2015. Der Schwarze Schwan taucht am 16. Januar wieder auf. 
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