Schwarzer Schwan
2. Juni 2017

Big Data? Alternative Data!

Um die Asset-Management-Branche und ihre Kniffe, schneller als der Wettbewerb an kursrelevante Daten zu kommen, ranken sich viele Anekdoten. Dabei lässt sich erst mit der vernetzten Datenanalyse ein richtig großes Rad drehen.

Eine Anekdote erinnert an Industriespionage und besagt, dass vor gar nicht mal so langer Zeit arme chinesische Bauern von westlichen Investment-Gesellschaften angeheuert wurden. Sie sollten sich, mit Stift und Papier bewaffnet, vor den Toren von Fabriken häuslich einrichten. Ihre Aufgabe: Einfach nur die LKWs zählen, die das Firmengelände verlassen.
Über die Zeit hinweg konnten die Investmenthäuser so recht schnell Rückschlüsse ziehen, ob das Unternehmen, das mit Öffentlichkeitsarbeit und Investor Relations so wenig am Hut hat wie der Teufel mit Weihwasser, brummt. Wobei China ein ganz spezieller Fall ist. Welcher Westeuropäer oder Amerikaner kann schon von sich behaupten, ernsthaft zu wissen, wie der Hase im Reich von Xi Jinping wirklich läuft. Der Generalsekretär der Kommunistischen Partei lässt sich ebenso wenig in die Karten blicken, wie seine unternehmerisch tätigen Schäfchen. 
Das Anheuern armer Bauern, die nach Belieben durch Bettelstudenten oder geschasste Parteifunktionäre ersetzt werden können, macht immer dann Sinn, wenn man auf anderen Wegen nicht an kursrelevante Informationen herankommt. Im Zeitalter von Social Media, Drohnen und privat betriebenen Satelliten ergeben sich nun aber völlig neue Wege der Informationsgewinnung. Heute ist es an der Tagesordnung, Twitter-Daten auszuwerten oder Satellitenbilder von Supermarktparkplätzen zu kaufen, um das Nutzerverhalten der Konsumenten schneller zu erfahren als andere Marktteilnehmer – und zu analysieren, ob der Laden goldene Geschäfte macht.
Sie wissen es ja selbst am besten: Wenn erst die Quartals- und Geschäftsberichte veröffentlicht sind, ist der „Kurszug“ längst abgefahren. Warum also nicht auf alternative Daten zurückgreifen? Sie gelten als die Fußabdrücke ökonomischer Aktivität. Manche sind der Meinung, dass in den alternativen Datasets auch sozioökonomische Prozesse drin stecken. Was man damit wohl alles machen könnte? 
Doch was sagt schon die LKW-Frequentierung einer einzelnen Fabrik irgendwo in den Weiten Chinas aus? Viel interessanter sind alternative Daten, wie zum Beispiel die Parkplatzfrequentierung von Supermärkten, wenn man ihnen mit Hilfe von Netzwerk- und Graph-Ansätzen beikommt und sie mit weiteren Informationen verknüpft. So lassen sich insbesondere jene Vernetzungseffekte aus den Daten herausziehen, die eine Volkswirtschaft und ihre Bevölkerung als Ganzes betreffen (Kredite, Konsumentenstimmung, Wut im Bauch) – Alpha, ick hör Dir trapsen!
Während Verbraucherschützer und Datenschutzbeauftragte das kalte Grauen bekommen, jauchzen Investoren: Denn es gibt immer mehr dieser alternative Datasets. Es wird immer mehr aufgezeichnet, es gibt immer mehr Sensorik. Smartphones, Autos, Maschinen. Sie alle haben Sensoren. 
Quartalsberichte sind so was von Old School 
Wenn Sie jetzt meinen, es sei ganz schön kompliziert, daraus Alpha zu ziehen, dann passen Sie mal auf: Künstliche Intelligenz ist im Stande, alternative Daten präzise auszuwerten, denn die aus den alternativen Daten hervorgehenden Effekte sind so etwas wie Schwarmbewegungen und meist exponentieller Natur. Wenn ein Unternehmen erst einmal einem Shitstorm ausgesetzt ist, kann das ungeahnte Folgen haben. Soll heißen: Da kommt kein menschliches Gehirn mehr mit.
Der Clou ist aber: Wer die Vernetzungsaspekte alternativer Daten im Griff hat, bekommt womöglich früher ein Phänomen mit, was sich gerade in der Welt entwickelt. Für Fachleute: In der Standardanalyse würden nur Einzelaspekte betrachtet. Aber anhand der Vernetzungsanalyse kann man gegebenenfalls eher erkennen, was Schwarmeffekte bewirken. 
Zum Schluss noch mal kurz zurück nach China, also eines jener Ländern, in dem derzeit reihenweise neue Städte aus dem Boden gestampft werden, um der landflüchtenden Bevölkerung eine Bleibe zu verschaffen. Städte, die so ganz anders sind als das, was wir von verwinkelten Altstädten her kennen: aalglatte Häuser, schnörkellos, mit totaler Videoüberwachung, Chipkarten statt Türschlüssel und Falschparker, die das Knöllchen nicht an die Windschutzscheibe, sondern direkt nach Hause geschickt bekommen – vom ausgefuchsten Rechenzentrum und nicht von der Politesse.
Fremdgehen dürfte dort keiner, man wird ja rund um die Uhr von Kameras verfolgt. In China und einigen anderen Nationen wird vermehrt alles aufgezeichnet und bewertet, was die Bevölkerung so treibt. Und da sind Twitter-Botschaften mit unfreundlichen Kommentaren noch der geringste Aufhänger. Auf dieser Grundlage erhält jeder im Volk einen sogenannten Citizen Score.
Und wenn es mal darum geht, Top-Arbeitsplätze zu verteilen, dann werden eben jene Einwohner bevorzugt, die bei dem Ranking eine in den Augen der Regierung saubere Weste haben. Hier helfen alternative Daten also nicht dem Investor, sondern Vater Staat – und der hatte in China schon immer den Anspruch, Insider zu sein.
Mit diesen Worten schicken wir Sie in das verlängerte Wochenende und rufen Sie dazu auf, neu zu denken. Und Ihren Horizont zu erweitern. 
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