Asset Manager
26. Juli 2016

Das System krankt

Jim Rogers, einer der Granden aus der US-Hedgefondsbranche, gilt als ein Freund der klaren Worte. Er macht sich für eine strikte Systemreinigung stark – auch wenn dies wehtut. Im Interview mit portfolio und Lipper/Thomson Reuters zeigt er sich aber auch optimistisch, mit einem besonderen Faible für Nordkorea.

Herr Rogers, Warren Buffett hat bei der erstmalig über das Internet öffentlich zugänglichen Hauptversammlung von Berkshire Hathaway die Wertentwicklung eines börsennotierten Indexfonds auf den US-Aktienindex S&P 500 für die Jahre 2008 bis 2015 mit der aus einem Pool von Hedgefonds verglichen. Der passive Fonds hat in den meisten Einzeljahren besser abgeschnitten und insgesamt die Hedgefonds klar übertroffen. Welche Lehre ziehen Sie daraus für sich als ehemaligen Hedgefondsmanager und für die Branche?
Studien ergeben immer wieder, dass passive Investoren im Durchschnitt besser abschneiden als die meisten aktiven Fondsmanager. Das liegt zum Teil auch daran, dass inzwischen sehr viele Leute in die Hedgefondsbranche gegangen sind und es sehr viele Produkte am Markt gibt. Nach den ersten Erfolgsstories vor vielen Jahren hatte die Branche immer mehr Zulauf bekommen. Als ich angefangen habe, gab es nur sehr wenige, die sich mit Hedgefonds beschäftigt haben. Heute ist der Markt überlaufen. Ob es um Investments in Rohstoffe geht, in Aktien, Anleihen oder in welche Assets auch immer: Mittlerweile schneiden die meisten aktiven Manager weniger gut ab als ein Index. Es gibt aber auch einige sehr Gute.
Diese Ergebnisse dürften sich auch auf die Nachfrage auswirken.
Ja. In den USA zum Beispiel sagen vor allem immer mehr institutionelle Investoren, dass sie nicht mehr bereit sind, für das Management hohe jährliche Gebühren zu bezahlen und dazu 20 Prozent vom Gewinn eines Fonds. Auf der Kostenseite dürfte sich daher noch einiges tun.
Ein Internetblog namens „Jim Rogers Blog über Finanzmärkte, die Wirtschaft und die Welt“ zitiert Sie damit, dass die Notenbanker schlussendlich scheitern werden. An einem bestimmten Punkt würde der Markt das „Papier“, das massenhaft gedruckte Geld, nicht mehr annehmen. Dann könne auch die Politik das Finanzsystem nicht mehr stützen. 2017 komme es überall zu einem Desaster. Welche Entwicklung sehen Sie konkret? 
Die Zitate sind zwar korrekt, und ich wiederhole sie gern. Ich selbst führe aber weder einen Blog, noch einen Account bei Twitter, Facebook oder bei anderen sozialen Medien. Meine Anwälte prüfen laufend, dass bei solchen Webseiten die Inhalte korrekt sind und dass sie nicht als offizielle Quelle auftreten. Aber zurück zu den Aussagen: Die Zentralbanken drucken Berge von Geld, was es in dieser Form nie gegeben hat. Eines Tages muss das Ganze unweigerlich enden, es kann nicht ewig andauern. Aus meiner Sicht gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder kommen die Notenbanker wieder zur Vernunft, was allerdings sehr unwahrscheinlich ist. Oder der Markt sagt irgendwann: Wir wollen dieses Papier nicht mehr. An diesem Punkt werden die Zentralbanken die Kontrolle verlieren – sofern sie sie jetzt überhaupt noch haben. Die Zinsen werden steigen, und das System wird kollabieren. Wir werden wieder ausgeprägte Bärenmärkte bekommen.
Bärenmärkte bedeuten aber nicht gleich einen Kollaps.
Wenn Sie 2008 für Lehman Brothers gearbeitet haben, gab es aus Ihrer Sicht und für viele andere einen Kollaps. Oder nehmen Sie Bear Stearns, Fannie Mae und AIG. Diese großen Firmen sind kollabiert, und beim kommenden Bärenmarkt werden ebenfalls viele Unternehmen Bankrott gehen. Falls die Welt diesen Bärenmarkt übersteht, wird es nach einiger Zeit einen weiteren, noch gravierenderen Bärenmarkt geben. Ob eine Hyperinflation kommt, vermag niemand zu sagen. Einige Länder haben auch jetzt eine bedenkliche Inflation, etwa Brasilien.
Haben die betreffenden Länder nicht seit jeher Probleme mit der Inflation?
Brasilien hat einige Inflationsphasen durchgemacht, das ist richtig. Seit Luiz Inácio „Lula“ da Silva vor gut zehn Jahren bis 2011 die Präsidentschaft übernommen hatte, hat die Notenbank die Dinge allerdings etwas besser unter Kontrolle. Was ich aber eigentlich meine, ist, dass es beim kommenden Bärenmarkt mehr Länder treffen wird als jene, um die sich die Leute seit jeher schon Gedanken machen. 
Die Schwierigkeiten, die als nächstes auf uns zukommen, werden größer sein als die 2008, ist eine weitere Aussage, die Ihnen zugeschrieben wird. Die Leute sollten deshalb immer informiert bleiben und vorbereitet sein. Was sollten Privatanleger aus Ihrer Sicht tun oder Berater ihnen raten?
Das Allerwichtigste ist, allein in das zu investieren, was jemand völlig versteht – egal, was das ist. Hören Sie nicht auf mich, hören Sie nicht auf das Fernsehen oder das Internet. Hören Sie allein auf sich selbst. Das gilt vor allem für die kommenden Zeiten. Es wird für viele sehr schwierig werden, den kommenden Einbruch zu überstehen, ähnlich wie es 2008 und 2009 für viele Leute war. Wenn Sie nicht wissen, was Sie tun, werden sie mit Sicherheit Geld verlieren. Ich kann Ihnen daher nur sagen, wie ich derzeit investiert bin.
Ja, gern!
Ich habe zum Beispiel einige Short-Positionen auf US-Aktien und auf US-Junk-Bonds verkauft. Derzeit halte ich dort vor allem die Währung. Ich halte diverse chinesische und seit Jahrzehnten einige europäische Aktien. Weitere Investments kommen zum Beispiel aus dem Bereich Agrikultur. Zu kleineren Teilen habe ich auch in nicht physisches Gold und Silber investiert. Falls eine weitere Korrektur kommt, werde ich dort zukaufen. Vor kurzem habe ich in Kasachstan ein Konto eröffnet, und in Nigeria zeigen sich seit den Präsidentschaftswahlen im vergangenen Jahr positive Entwicklungen. 
Investiert habe ich dort bislang nicht, es steht aber auf meiner Liste. 

Überall auf der Welt sind die Leute auf der Suche nach stabilen Kapitalanlagen mit wenig Risiko, bei der sie nicht noch Geld verlieren. Staatsanleihen mit guter Bonität zum Beispiel scheinen kaum mehr attraktiv, physisches Gold kostet Gebühren für den Banksafe, das Geld auf der Bank könnte bald mehr kosten als Geld bringen, und die meisten Investmentfonds mit Absolute-Return-Ansatz enttäuschen, um nur einiges zu nennen. Wohin sollten Privatanleger gehen?
Das, was Sie beschreiben, suche ich ebenfalls. Was bringt uns durch schlechte Zeiten und ist zugleich stabil? Steigende Märkte sind wunderbar, wir alle möchten sie. Es gibt sie allerdings nicht immer. Die meisten Investoren machen keine Short-Geschäfte; sie trachten also nicht danach, aus fallenden Märkten Rendite zu erzielen. Die meisten legen auch nicht außerhalb ihres Landes Geld an. Ich lege Anlegern daher immer nahe, sich über solche Möglichkeiten schlau zu machen. Denn wir werden in immer kompliziertere und volatilere Zeiten kommen.
Im Zuge der negativen Zinsen wird auch wieder die Diskussion laut, das Bargeld abzuschaffen.
Ja, einige Regierungen sprechen bereits über die bargeldlose Gesellschaft. Das würde ihnen mehr Kontrolle über alles ermöglichen. Ich bin sicherlich kein Verfechter davon, das Bargeld abzuschaffen. Mittlerweile nehmen mehr und mehr Leute ihr Geld von der Bank und verwahren es zu Hause wegen der negativen Zinsen. Sie können aber nicht auf Dauer ihr ganzes Geld zu Hause aufbewahren. Die Antwort auf Ihre Frage, was Privatanleger tun sollten, ist daher: Wir suchen alle dasselbe, und es wird immer schwieriger, es zu finden. Ich zum Beispiel halte unter anderem chinesische Aktien, was aber nicht bedeuten muss, dass ich damit Geld verdiene. Ich halte kurzlaufende russische Staatsanleihen. Deren Rendite ist vergleichsweise hoch, und der Rubel liegt darnieder; ich bin bullisch bei Russland und beim Rubel.
Wenn man sich die Märkte genauer anschaut, in denen zahlreiche passive Investoren unterwegs sind: Eröffnet das nicht sehr gute Möglichkeiten für aktive Investoren?
Das ist ein sehr guter Punkt! Es gibt zahlreiche Unternehmen oder Aktien, die nicht Indizes und in ETF enthalten sind. Diese Aktien werden derzeit sehr ignoriert, nur wenige Leute kaufen sie. Darunter könnten allerdings sehr gute Anlagemöglichkeiten sein und vergleichsweise leicht verdientes Geld bedeuten. Viele kaufen jedoch allein jene Werte, die in einem Index enthalten sind.
In verschiedenen Interviews werden Sie damit zitiert, dass der Euro eine gute Idee sei, aber schlecht verwirklicht. Was sollen der Währungsraum und die Europäische Union aus Ihrer Sicht tun, um den Euro wieder zu einer vertrauenswürdigen Währung zu machen?
Die Welt braucht etwas wie den Euro, was zum US-Dollar im Wettbewerb steht. Der Dollar ist eine sehr fehlerhafte Währung. Die Europäer sollten zurückgehen zu den ursprünglichen Euro-Mitgliedstaaten, vielleicht ohne Italien und mit Österreich und Finnland. Sie sollten die Länder zusammenbringen, die in der Historie und auch heute ernsthaft nach einer stabilen Währung streben und mit diesen Ländern neu beginnen. Bezüglich der Eurokriterien gab es in der Vergangenheit bekanntermaßen viel zu wenig Disziplin und Kontrolle. Keine Währungsunion in der Geschichte hat je so funktioniert, und es sieht sehr danach aus, als würde sie nicht mehr lange so existieren, wie wir sie kennen.
In einem Interview von 2015 mit der Wirtschaftswoche haben Sie von sozialen Unruhen gesprochen, sogar von Krieg, was ebenfalls kommen könnte. Wo sehen Sie diese Unruhen und sogar Krieg?
Im Nahen Osten zum Beispiel haben wir zuletzt Unruhen gesehen. Diese dürften sich auf andere Länder ausbreiten. In China kommt es immer häufiger zu Demonstrationen. In den USA haben wir, so wie es derzeit aussieht, einen republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump. Das ist auch eine Form sozialer Unruhe – die zudem noch viel schlimmer werden dürfte. In wirtschaftlich unsicheren Zeiten tendieren die Menschen dazu, nach einem vermeintlich starken Mann oder einer starken Frau zu rufen. Das sehen Sie in der Geschichte immer wieder. Der nächste Einbruch an den Märkten wird schlimmer werden als der 2008, und von daher sehe ich auch größere soziale Unruhen als vorher. Wir werden erleben, dass Regierungen versagen und dass ganze Länder versagen.

Wir alle beobachten das „Phänomen Trump“ und fragen uns, welches Signal die USA mit einem Präsidentschaftskandidaten Trump in die Welt sendet.

Trump verspricht den Leuten, die Probleme zu lösen, und viele Leute befürworten das. Er sagt dabei einige aberwitzige Dinge und widerspricht sich in vielen Punkten. Solche Phänomene hat es in der Geschichte aber immer wieder gegeben. Dieses Beispiel zeigt wie so viele andere, dass die größte Lektionen aus der Geschichte ist, dass die Menschen aus der Geschichte nichts lernen. Es heißt dann zwar immer: Diesmal ist es anders! Aber das ist es nicht.
Auch viele Republikaner sehen Trump sehr kritisch, dennoch ist er sehr erfolgreich …
Wenn Trump als gewählter Präsident umsetzt, was er ankündigt, wird dies zu Handelskriegen führen. Handelskriege haben in der Geschichte immer wieder zu Bankrott geführt und in der Folge zu Krieg. Trump scheint einfache Antworten zu haben auf schwierige Fragen und klingt sehr durchsetzungsfähig. So etwas ist immer ein Anreiz für die Leute. Oder nehmen Sie Putin. In den 1990er Jahren war die ehemalige Sowjetunion ein Chaos. Nach Jelzin kam Putin als starker Mann, und viele Russen liebten ihn dafür. Es gibt viele solcher Beispiele.
Bei der Kritik an der Niedrigzinspolitik der Notenbanken kommt immer wieder die Überlegung, was passiert wäre, wenn die Banken 2008 die Zinsen nicht gekappt und in den Folgejahren niedrig gehalten hätten? Ob die Folgen nicht schlimmer gewesen wären als die Situation heute? 
Das ist eine gute Frage. In den frühen 1990ern hatten Teile Skandinaviens ähnliche Probleme. Damals haben die Verantwortlichen unter anderem große Banken Bankrott gehen lassen. Für zwei, drei Jahre folgte eine schwierige Zeit, aber danach startete eine Boomphase von mehr als 20 Jahren. In den früher 1920er Jahren hatten die USA eine massive Wirtschaftskrise mit vielen Firmenpleiten. Damals hatte die Notenbank die Zinsen erhöht und den Staatshaushalt ausgeglichen! Es folgten einige sehr, sehr schwierige Jahre für viele Menschen. Aber danach verzeichnete das Land die wirtschaftlich erfolgreichsten Jahrzehnte seiner Geschichte! Ein System, das funktionieren soll, läuft folgendermaßen: Wenn Unternehmen große Schwierigkeiten bekommen, sollten sie auch Bankrott gehen. Andere treten an ihre Stelle, reorganisieren, was übrig geblieben ist und fangen neu an. Genau das ist damals in Teilen Skandinaviens und den USA geschehen.
Das würde heute allerdings den größten Teil der Welt betreffen.
Heute lassen die Amerikaner die Reinigung ihres Systems nicht mehr zu. Wären die Notenbanken 2008 nicht eingeschritten, wären viele Unternehmen kollabiert, ja. Aber das wäre besser gewesen als das, was wir heute haben. Acht Jahre später wählen die Leute einen Mann wie Donald Trump! Nur am Rande: Hillary Clinton als Präsidentin wäre ebenfalls desaströs. Das System wäre bereinigt worden, und wir hätten von vorne anfangen können. Eines Tages müssen wir den Preis für die Exzesse aus Schuldenmachen und Geldschwemme bezahlen.
Eine strikte Systemreinigung klingt allerdings sehr schmerzhaft.
Ja. Aber die Alternative ist, weiterhin Geld zu drucken und zu behaupten, sich um alles kümmern zu können. An einem bestimmten Punkt werden die Leute erkennen, dass dies krankt und nicht mehr funktioniert – und dann wird das ganze System zwangsläufig auseinanderbrechen. Durch den kommenden Bärenmarkt, der womöglich 2017, 2018 oder später kommt, kommen wir wahrscheinlich noch durch. In dieser Phase ist womöglich die Hälfte der Länder betroffen. Beim darauffolgenden Bärenmarkt aber – falls das System den Einbruch davor übersteht – wird das System nicht überleben. Dann wären alle Länder betroffen, zumal auch China in den vergangenen Jahren hohe Schulden angehäuft hat. Die negativen Folgen aus dem Aufrechterhalten des Systems aus anhaltendem Schuldenmachen und billigem Geld sind dann zu groß. Ich sage nicht, dass es schön ist, das System zu reinigen. Ich sage aber, dass die Alternative sehr viel schlimmer ist. Und ich hoffe, dass dies nicht passiert bis in die 2020er Jahre.
Vor einigen Jahren gab es die Investmentstory der „Next 11“ und auch der „Mist“ für Mexiko, Indonesien, Singapur und die Türkei. Wie sind Ihre Einschätzungen zu diesen Ansätzen?
Normalerweise kann man solche sehr unterschiedlichen Länder nicht auf diese Weise zusammenlegen, und diese Ansätze beobachte ich kaum. Für ein anderes Land, Nordkorea, bin ich allerdings sehr bullisch.
Dort kann es auch fast nur noch aufwärts gehen, nach dem was verschiedene Quellen berichten.
Kim Jong-Un ist in der Schweiz aufgewachsen, er kennt also das Ausland gut. In Nordkorea ist jetzt eine sehr spannende Zeit. Ich selbst habe das Land zwei Mal besucht; sie können heute zum Beispiel Fahrradtouren machen, was vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen wäre. Es ist ein Wandel im Gange, und ich würde vermuten, dass es innerhalb weniger Jahre zur Wiedervereinigung von Nord- und Südkorea kommt. Dann wird Korea eines der spannendsten Länder der Welt sei.
Das Gespräch führten Heike Gorres und Detlef Glow.
portfolio institutionell newsflash 27.07.2016/Heike Gorres
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