Schwarzer Schwan
28. August 2015

Das vermeintliche Gesicht des Marktes

Timing ist in der Kapitalanlage äußerst wichtig – wenn man es nicht gerade mit der katholischen Kirche zu tun hat, von der manche behaupten, sie habe einen Anlagehorizont von über hundert Jahren. Doch nicht jedem Investor können der Einstiegszeitpunkt und temporäre Kursverluste egal sein.

Wenn ein Unternehmen an die Börse geht, müssen nicht nur die Wachstumsaussichten und die „Equity Story“ ins rechte Licht gerückt werden. Auch das Timing spielt bei der Planung eines IPO eine große Rolle; schließlich will der Emittent als Anbieter neuer Aktien auf eine möglichst große Nachfrage treffen, um einen hohen Emissionserlös zu erzielen, der den Investoren aber noch Spielraum für Kurszuwächse lässt. Auch bei der Titelselektion für einen aktiv gemanagten Fonds oder bei der Lancierung eines neuen Anlageproduktes müssen sich die Verantwortlichen fragen, ob der Markt auf absehbare Zeit im Sinne aller Beteiligten notiert. So wäre es fahrlässig und überaus ungeschickt, ein Unternehmen auf dem Höhepunkt einer Hausse an den Markt zu bringen. Natürlich, solche Fälle hat es in der Vergangenheit – leider – immer wieder gegeben; man denke nur an die Hochzeiten des Neuen Marktes.
Zuletzt wurden Privatanleger mit einem neuen Fonds „beglückt“, bei dem es dem Management offenbar an Timing-Fähigkeiten mangelt. Gemeint ist der langjährige Börsenhändler Dirk Müller, manchen auch bekannt als das „Gesicht des Marktes“. Der „Börsenfachmann aus dem Fernsehen“, wie ihn die FAZ bezeichnet, hat im April einen Aktienfonds ins Leben gerufen, den sogenannten „Dirk-Müller-Premium-Aktien“. Das Vehikel, um das es geht, wird von der Focam AG gemanagt, Müller tritt als Berater auf. Sein Anspruch: „Premium für alle“. Bislang lief es allerdings nicht ganz so gut, als dass man von „Premium“ sprechen könnte.
Wer seit dem ersten Handelstag bei dem Fonds dabei ist und den vollen Ausgabeaufschlag von vier Prozent und damit 104 Euro je Anteilsschein hinblätterte, hat nicht „das Beste aus seinem Geld“ gemacht, wie Müller das gern postuliert. Vielmehr ist der Kurs seither um knapp zehn Prozent – gemessen am jüngsten Rücknahmepreis von 92,21 Euro (Stand: 24.08.2015) – in die Knie gegangen. Kein Trost: Die Benchmark (MSCI World) stand gerade in den vergangenen Tagen noch einen Tick stärker unter Druck. Nun ist man im Nachhinein immer schlauer und kann auf gestrauchelte Fonds eindreschen. Aber hier liegt der Fall etwas anders.
Ohne dem Management und schon gar nicht dem streitbaren Dirk Müller zu nahe treten zu wollen: Wäre es nicht sinnvoller gewesen, den Fonds in einer Zeit zu lancieren, als die Märkte erkennbar Potenzial nach oben hatten? Wie im Sommer 2012 zum Beispiel. Und wer kommt eigentlich auf die Schnapsidee, ausgerechnet in dem Monat, in dem der Dax den bislang höchsten Stand seiner Geschichte erreicht, einen Publikumsfonds zu lancieren?
Rat vom Experten
Dirk Müller hat übrigens nicht nur einen Faible für Aktien, er verdingt sich auch als Autor und erklärt Hinz und Kunz die Finanzwelt. In seinem Buch „Cashkurs: So machen Sie das Beste aus Ihrem Geld“ erklärt der laut Amazon-Produktbeschreibung „bekannteste und ehrlichste Finanzexperte“, Schritt für Schritt, „schlüssig, klar – und sogar unterhaltsam“, was es mit Finanzen, Versicherungen und Anlagen auf sich hat. Wer das wohl liest? Wenn man die Bestsellerlisten beim Versandhändler Amazon so betrachtet, stößt man auf Frappierendes: In der Bücherkategorie „Versicherung allgemein“ steht Müllers „Cashkurs“ allen Ernstes auf Platz eins –  noch vor Wälzern wie dem „Leitfaden Versicherungen“ vom Bund der Versicherten oder dem Werk „Risikomanagement in Versicherungsunternehmen“ von Professor Dr. Christian Möbius. Augenscheinlich ist die angeschlagene Versicherungsbranche inzwischen so verzweifelt, dass Sie es nötig hat, Müllers Bücher zu lesen. Autsch!
In diesem Sinne wünscht Ihnen die Redaktion von portfolio ein schönes Wochenende.

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