Strategien
4. Juli 2016

Die Macht der großen Zahlen

Fiona Reynolds, Chairman der UN PRI, im Gespräch mit Kerstin Bendix

In den ersten zehn Jahren haben die sechs Nachhaltigkeitsprinzipien der Vereinten Nationen (UN PRI) großen Zulauf erfahren. Auf diesen Erfolgen will sich Fiona Reynolds, Chefin der PRI, aber nicht ausruhen. Große Veränderungen werfen ihre Schatten voraus. Ein neuer Zehnjahresplan ist in Arbeit. Alles steht auf dem Prüfstand – auch die sechs Prinzipien selbst.

Herzlichen Glückwunsch, Frau Reynolds! Am 27. April 2016 feierten die UN PRI ihren zehnten Geburtstag. Mehr als 1.500 Asset Owner, Investment­manager und Service­ Provider­, die zusammen ein Vermögen­ von mehr als 59 Billionen US-Dollar repräsentieren, haben die Nachhaltigkeitsprinzipien bislang unterzeichnet. Wie zufrieden sind Sie mit dem derzeitigen Stand der Dinge?
Meiner Ansicht nach waren die PRI in ihren ersten zehn Jahren extrem erfolgreich. Die Wahrnehmung und das Verständnis für verantwortungsvolle Investments haben stark zugenommen. Viele Investoren haben begonnen,­ ökonomische, soziale und Governance-Faktoren in ihren Kapital­anlagen zu berücksichtigen. Die Berücksichtigung dieser­ Faktoren ist wichtig, weil sie am Ende des Tages die finanzielle Performance eines Unter­nehmens beeinflussen. Zehn Jahre sind keine­ allzu lange Zeit. Deshalb sind wir sehr happy mit dem derzeitigen Stand der Dinge. Ungeachtet dessen glaube ich, dass wir noch einen weiten Weg vor uns haben, bis wir eine wirklich tiefgehende ESG-Integration­ bei ­einer Vielzahl von Organisationen sehen.

Die ursprüngliche Intention der UN-PRI-Initiative­ war es, große Asset Owner an Bord zu holen. Im Moment haben jedoch vorwiegend Asset Manager die PRI unterzeichnet.
Viele unserer Mitglieder sind Asset Owner.­ Aber natürlich haben­ deutlich mehr Investmentmanager die Prinzipien unterzeichnet – das hat einen einfachen Grund: Es gibt mehr Investmentmanager als Asset Owner. Es ist aber völlig richtig, dass wir mehr Asset Owner­ für unsere Prinzipien gewinnen wollen, weil sie der Schlüssel sind, um verantwortungsvolles Investieren noch weiter voranzubringen. Sie sind nun einmal diejenigen, die Mandate an Manager vergeben. Wenn sie verantwortliche Investments fordern, wird sich das entlang der gesamten Wertschöpfungskette durchsetzen. Asset Owner sind also ­äußerst wichtig und wir wollen noch mehr von ihnen für die UN PRI gewinnen – auch in Deutschland.

Wo steht Deutschland aus Ihrer Sicht?
Es gibt einige sehr fortschrittliche Organisationen in Deutschland, die verantwortliches Investieren ernst nehmen. Ungeachtet dessen gibt es für uns noch viel zu tun, um weitere­ Asset Owner aus Deutschland davon zu überzeugen, mit verantwortlichen Investments zu beginnen. Ich denke, ein Hauptproblem ist, dass die deutschen Investoren glauben, schon eine ganze Weile nachhaltig investiert sein zu müssen und bereits über sämt­liche Prozesse und Richtlinien verfügen zu müssen, bevor sie den PRI beitreten. Das ist aber nicht der Fall. Wir sind hier, um beim Start mit nachhaltigen Investments zu helfen. Viele­ Organisationen treten den PRI bei, weil sie sich dazu verpflichten, etwas in puncto­ Nachhaltigkeit zu unternehmen. Sie wollen mit anderen zusammenarbeiten und  von einander lernen. Diese Message müssen wir in Deutschland noch stärker verbreiten. Die Deutschen glauben, dass sie die Nummer eins sein müssen, bevor sie sich den PRI anschließen. Doch darum geht es nicht.

In Deutschland gibt es einige Investoren, zum Beispiel aus dem kirchlichen Sektor, die Nachhaltigkeit in ihren Kapitalanlagen ­berücksichtigen, aber nicht die PRI ­unterzeichnet haben.
Ich bin nicht 100 Prozent sicher, warum das so ist. Ich denke aber, dass es gut wäre, wenn  mehr Asset Owner unserer Initiative beitreten – egal ob sie einen religiösen oder anderen Hintergrund haben. Nur so entsteht die Macht der großen Zahlen. Man braucht eine große Anzahl von Unterstützern, um Dinge­ in Bewegung zu setzen und Regierungen auf der ganzen Welt zum Zuhören zu bringen. Organisationen wie die PRI haben beispielsweise beim Pariser­ Klimaabkommen eine sehr große Rolle gespielt. Das hätte ein einzelner Investor nicht gekonnt. Jeder Investor hat pro Tag nur eine begrenzte Stundenzahl zur Verfügung. Die Arbeit über eine Organisation­ wie unsere ist effizienter, nicht nur für den Investor und seine Ressourcen, sondern auch für die Unternehmen.

Es gibt für Sie noch viel Potenzial zu heben.­ Was sind Ihre mittel- bis langfristigen Ziele?
Im Moment arbeiten wir an einem neuen Zehnjahresplan. Wir führen verschiedene Konsultationen durch, um heraus­zufinden, in welche Richtung sich verantwortliche Investments in den nächsten Jahren entwickeln müssen. Dazu gehört unter anderem ein Review der Rechenschaftspflicht.­ Jeder Unterzeichner der PRI muss jährlich über seine Aktivitäten berichten. Diese Informationen werden veröffentlicht. Wir schauen uns nun an, ob diese Rechenschaftspflicht ausreichend ist. Von einigen unserer Signatoren wissen wir, dass sie über einen längeren Zeitraum nur sehr kleine Fortschritte gemacht haben. Wenn keine Fortschritte gemacht werden, wie gehen wir damit um? Das ist eine Frage, mit der wir uns im Moment befassen. Um eine­ robuste Organisation zu sein, der sich Leute anschließen wollen, braucht man eine starke Rechenschaftspflicht. Das ist meiner Ansicht nach ein Punkt, den die UN PRI von anderen Mitgliedsorganisationen unterscheidet. Bei uns muss man reporten. Ich weiß: Nicht jeder mag und will das.

Die jährlichen Reports könnte so manchen Anleger abschrecken.­
Sie haben Recht, die Idee eines Reportings wird nicht gemocht. Aber bedenken Sie: Investoren fordern von Unternehmen Transparenz und Reportings. Es ist schwer, so etwas zu verlangen, wenn man selbst nicht bereit ist, über seine Aktivitäten zu berichten. Man muss seinen Worten Taten folgen lassen. ­Natürlich könnte man Angst vor dem ­Reporting haben. Aber wenn sie den Prozess einmal durchlaufen haben, werden sie feststellen, dass es auch ein gutes Werkzeug sein kann, um sich über seine etablierten ­Prozesse klar zu werden. Außerdem verrät es Bereiche, in denen man sich verbessern kann. Und viele unserer Mitglieder sehen das Reporting genau als das: ein Lernwerkzeug.

Die Auswertung der Reports Ihrer Mitglieder macht sicher viel Arbeit, oder?
Das stimmt. Aber nochmals: Ich denke, dass dies für die Glaubwürdigkeit einer Organisation sehr wichtig ist. Außerdem schauen wir uns derzeit die Prinzipien selbst an. Müssen sie aktualisiert oder zusätzliche Prinzipien eingeführt werden? Die sechs Prinzipien,­ die wir derzeit haben, wurden vor der globalen Finanz­krise geschrieben. Damals wurde noch nicht wirklich über systemische Risiken in den Finanzmärkten und die gesellschaft­liche Verantwortung des Investmentmarktes gesprochen. Deshalb beraten wir derzeit, ob die Prinzipien nach zehn Jahren aktualisiert werden sollten oder sogar ein neues Prinzip hinzugenommen werden muss.

Es könnte also bald mehr als sechs Prinzipien für verantwortliches Investieren geben?
Ja, vielleicht werden es sieben oder acht. Vielleicht reicht es aber auch, die sechs be­stehenden Prinzipien zu aktualisieren. Die Beratungen dazu laufen derzeit. Außerdem schauen wir uns die neuen Nachhaltigkeitsentwicklungsziele an, die von den Vereinten Nationen lanciert wurden und von den Regierungen und Unternehmen rund um den Globus unter­schrieben wurden. Es geht darum, wie wir diese auf eine sinnvolle Weise in die Arbeit der PRI aufnehmen.
Ein weiterer Aspekt, mit dem wir uns im Moment befassen, dreht sich um eine stärkere Einflussnahme. In den ersten zehn Jahren ging es bei den PRI darum, die Finanzbranche­ überhaupt dazu zu bringen, mit verantwort­lichen Investments zu beginnen. Doch das ist nur ein erster Schritt. Nun geht es um die Frage, wie wir mit unserer Arbeit noch mehr Einfluss erzielen. Wie gelingt es uns, noch mehr Gelder in eine nachhaltige und ins­besondere grüne Wirtschaft zu bewegen? Es gibt das Pariser Klimaabkommen aus dem Dezember 2015, das im April dieses Jahres von den Weltführern formal unterzeichnet wurde. Ich war bei der Unterzeichnung dabei, das war aufregend. Aber was unternehmen die Investoren? Was machen die Unternehmen, um dem Pariser Abkommen Leben einzuhauchen? Ohne entsprechende Investments wird das Abkommen scheitern. Die Regierungen werden nicht in der Lage sein, alle erforderlichen Verpflichtungen allein zu leisten. Es braucht auch den privaten Sektor. Ich glaube, dass eine Umstellung von einer kohlenstoffreichen auf eine kohlenstoffarme Wirtschaft stattfinden wird. Für Anleger gibt es viele Opportunitäten, sich in entsprechende­ Investments einzubringen und eine kohlenstoffarme Wirtschaft voranzutreiben.

Dekarbonisierung der Portfolios hat zuletzt an Bedeutung gewonnen: Große Kapital­anleger, wie die Allianz,­ Axa und der norwegische Ölfonds, haben sich dieser Bewegung angeschlossen. Was halten Sie davon?
Wir unterstützten diese sehr. Im Vorfeld des Pariser Abkommens haben die PRI den Montreal Carbon Pledge lanciert. Dabei geht es in erster Linie darum, dass Investoren den Kohlenstofffußabdruck ihres Portfolios messen, um zu verstehen, wie groß ihr Exposure in Kohlenstoff überhaupt ist. Man kann keine Entscheidung über das weitere Vorgehen treffen, wenn man nicht weiß, wo man steht. Es haben 120 Investoren mit mehr als zehn Billion US-Dollar an Assets under Management unter­zeichnet. Das ist fantastisch.

Das war aber nur ein erster Schritt.
Genau, der zweite Schritt war die Initiative „Portfolio Decarbonization Coalition“, an der sich eine Reihe unserer Mitglieder beteiligen. Rund 600 Milliarden US-Dollar haben sich zur Dekarbonisierung verpflichtet und darüber hinaus weitere Commitments für kohlenstoffarme Investments abgegeben.

Gibt es nicht auch Zeiten, in denen Engagement besser ist als De-Investments?
Absolut! Engagement muss ein Teil der Dekar­bonisierung sein. Viele unserer Signatoren sind derzeit mit den großen Energie­konzernen der Welt in einem Engagement-Prozess. Es geht dabei um Themen wie: Was unternehmen die Energiekonzerne, damit das Zwei-Grad-Ziel erreicht wird? Wie sehen ihre Szenarioplanungen und Umstellungspläne aus? Wie stehen sie dazu, ihre Energiequellen von fossilen Brennstoffen auf Alternativen umzustellen? Ohne Engagement­ würden wir keine Dekarbonisierung sehen. Es geht somit Hand in Hand mit De-Investments. Einige unserer Mitglieder ziehen sich vollständig aus reinen Kohleunternehmen zurück, was verständlich ist. Sie glauben nicht, dass Kohle langfristig ein gutes Investment darstellt. Bei Unternehmen, die nicht nur mit Kohle Gewinne erzielen, sondern vielfältig aufgestellt sind, bleiben einige ­unserer Signatoren investiert. Es ist eine komplexe Aufgabe. Engagement, De-Investments und Dekarbonisierung sind allesamt berechtigte und wichtige Werkzeuge, die ­unsere Investoren nutzen.

Funktioniert Engagement überhaupt? Im Frühjahr dieses Jahres ist der Report „Corporate Responsibility Review 2016“ von Oekom Research erschienen, laut dem Unternehmen weltweit in puncto Nachhaltigkeit noch sehr viel Luft nach oben haben.
Ich glaube, dass Engagement funktioniert. Bei uns in der Initiative findet viel gemeinsames Engagement statt. Wir haben Koalitionen­ von Investoren, die zusammen an bestimmten­ Themen arbeiten. Normal­erweise geht es dabei um eine bessere Offen­legung. Denn ohne Offenlegung und Transparenz würden die Investoren nicht wissen, was die Unternehmen eigentlich machen.­
Nachdem wir ein Engagement durchgeführt haben, messen wir, ob wir Erfolg hatten. Zugegeben: Nicht bei jedem Unternehmen sind wir erfolgreich, aber in der Mehrzahl. Ich denke also, Engagement funktioniert.
Am Ende des Tages ist es jedoch so: Wenn man ein Unternehmen wiederholt anspricht und es sich dennoch weigert, etwas zu ver­ändern, muss man eine Entscheidung treffen. Was ist der nächste Schritt? Ich glaube nicht, dass Engagement die ganze Story ist. Es hängt auch davon ab, worum es bei der Ansprache geht. Es nützt zum Beispiel nichts, mit einem­ Tabak­unternehmen über eine ­Änderung der Produkte zu sprechen.

Dann wäre es keine Tabakfirmen mehr.
Richtig. Es hängt also davon ab, worauf sich das Engagement bezieht. Ein Kohleunternehmen kann sich nicht aus der Kohle verabschieden. Aber es könnte mehr tun, um die Zeichen der Zeit in Bezug auf die Bindung und Speicherung von Kohlenstoff zu erkennen. Und ich glaube, dass Investoren diese Themen noch früher ansprechen sollten. Das passiert meiner Ansicht nach bisher nicht – zumindest nicht in der Weise, wie es sollte.

Es gibt verschiedene Ansätze, um Nachhaltigkeit in die Kapitalanlage zu integrieren: Ausschluss, Best-in- und Best-of-Class sowie besagtes­ Engagement: Welcher Ansatz ist denn eigentlich der beste?
Ich denke nicht, dass es einen­ besten Ansatz gibt. Wir als PRI verfolgen die Integration von ESG-Faktoren­ über alle Investments ­hinweg. Aller­dings bewegen sich unsere Mitglieder in verschiedenen regulatorischen Umfeldern. In einigen Ländern darf rein rechtlich in bestimmte Sektoren nicht investiert werden. Deshalb ist Ausschluss ein berechtigter Ansatz, den einige unserer Investoren nutzen. Wenn man an einen bestimmten Sektor nicht glaubt, schließt man ihn aus. Best of Class ist natürlich ein anderer Ansatz. Hier geht es darum, nur in die besten Unternehmen bestimmter Sektoren zu investieren. Das ermutigt hoffentlich andere Unternehmen dieses Sektors, sich zu verbessern.

Gibt es regionale Unterschiede bei der Wahl des Ansatzes?
Ja, in einigen skandinavischen Ländern sieht man beispielsweise verstärkt Negative Screening. Ich bin aus Australien. Dort ist ESG-­Integration der am meisten akzeptierte Nachhaltigkeitsweg, Negative Screening sieht man hingegen selten. In den USA ist der Best-in-Class-Ansatz verbreitet, inzwischen gewinnt aber auch ESG-Integration an Bedeutung. Es gibt also definitiv Unterschiede. Darum ­sage ich auch: Es gibt keinen Universalansatz oder den besten Weg für Nachhaltigkeit.

Was ist mit den Emerging Markets? Muss man diese anderes betrachten als Industrieländer – eher relativ statt absolut?
Ich glaube nicht, dass man von den Emerging Markets das Gleiche erwarten kann wie von den entwickelten Ländern. Wir haben ­gerade ein Büro in Hongkong eröffnet. In den meisten Teilen Asiens versuchen wir derzeit, zunächst ein Verständnis für verantwort­liches Investieren aufzubauen. Das ist bisher zumeist nicht vorhanden. In Asien herrscht der Gedanke vor, dass es nur um Ausschluss geht und weniger um Engagement. Die meiste Zeit geht es also darum, die Menschen in Asien, aber auch in den entwickelten Ländern,­ über verantwortliches Investieren aufzu­klären. Sie sehen nicht, dass es ein Werkzeug zur Risikobegrenzung ist. Alle ökologischen, sozialen und Governance-Themen sind Invest­mentrisiken, die sich auf die Finanz-Performance auswirken.

Es gibt keine Mindestanforderungen, um den PRI beizutreten. Wieso? Wäre das nicht für die Qualität Ihrer Mitglieder besser?
Das ist ein Aspekt, den wir uns anschauen. Allerdings sind wir auf Mindestanforderungen nicht erpicht. Jeder, der sich für verantwortliches Investieren entscheidet, aber nicht sicher ist, wie er dies umsetzen kann, soll den PRI beitreten können. Wir helfen ihm dann dabei, mit anderen zu arbeiten, zu lernen und Fortschritte zu erzielen. Ich möchte niemanden davon abhalten, zu uns zu ­kommen. Wohin sollten sie sonst gehen, um verantwortliches Investieren­ zu lernen, wenn sie nicht zu uns kommen?

Ein Investor, der bislang überhaupt nicht nachhaltig investiert und die sechs Nachhaltig­keitsprinzipien der UN unterzeichnet,­ hat es einfacher, Fortschritte zu erzielen, als ein bereits nachhaltig agierender Investor. Wird dies berücksichtigt?
Aus diesem Grund gibt es die Reportings und deren Beurteilung. Wir stufen jedes Mitglied über alle Asset-Klassen hinweg ein. Das ist keine öffentlich zugängliche Information. Es ist völlig in Ordnung, dass sich Mitglieder auf verschiedenen Levels befinden, solange sie Fortschritte­ machen.

Nichtsdestotrotz: Für Asset Owner, die schon sehr nachhaltig sind, ist es sehr viel schwerer, Fortschritte zu erzielen.
Das ist richtig. Für sie ist es schwerer, sich zu verbessern. Aber davon gibt es nicht viele. Nochmals: Verantwortliches Investieren ist noch nicht sehr alt. Nach wie vor wird daran gearbeitet, Nachhaltigkeit über alle Investments umzusetzen. Man ist vielleicht in einer­ Asset-Klasse oder einem Sektor sehr gut, aber es gibt wahrscheinlich niemanden, der bereits in allen Asset-Klassen großartig ist. Es gibt immer Potenzial, sich zu verbessern.

Wie stellen Sie sicher, dass Asset Manager die PRI nicht als Marketing-Tool missbrauchen?
Das ist eine sehr wichtige Aufgabe, mit der wir uns in der derzeit laufenden Überprüfung der Rechenschaftspflicht befassen. Wir nutzen das zehnjährige Jubiläum, um das bisher Erreichte anzuschauen und daraus die Ziele für die nächsten zehn Jahre abzuleiten.

Bislang gibt es bei Verstößen keine Strafen, Verwarnungen oder ähnliches.
In den ersten zehn Jahren ging es vor allem darum, die Menschen dazu zu bringen, mit nachhaltigen Investments zu beginnen. Jetzt, wo es uns schon etwas länger gibt, ist es an der Zeit zu sagen: Wer macht keinerlei Fortschritte und ist aus den falschen Gründen dabei? Wie gehen wir damit um? Im Moment­ haben wir keine Regeln in dieser Hinsicht.

Haben Sie den Eindruck, dass es Mitglieder gibt, die die PRI bloß als Marketing-Tool nutzen und Nachhaltigkeit nicht wirklich leben?

Absolut, die gibt es. Sie sind nicht in der Überzahl, aber es gibt sie. Das ist einer der Gründe, warum Reportings­ so wichtig sind. Wenn ich als Asset­ Owner einen Manager mandatieren will, habe ich sämtliche Berichte­ zu Verfügung, um zu überprüfen, was dieser tatsächlich macht. Asset­ Owner müssen also­ selbst ein Stück der Verantwortung übernehmen. Wenn jemand sagt, dass er nachhaltige Investments tätigt, ist das nicht genug. Man muss es nachprüfen.
Deshalb bin ich der Auffassung, dass der Umgang mit der Rechenschaftspflicht in den nächsten zehn Jahren­ sehr wichtig wird. Wir haben diesbezüglich gerade eine Konsultation­ mit unseren Mitgliedern beendet. Außerdem haben wir von unseren Mitgliedern rund 500 formelle schriftliche Vorschläge zur Rechenschaftspflicht erhalten. Daran merkt man, dass unseren­ Signatoren dieses Thema sehr am Herzen liegt. Wenn man sich zu den PRI bekennt, möchte man keine Manager, die sich nicht dazu verpflichten und die PRI nur als Marketing-Instrument nutzen.

Ist es ein Problem, dass es keine klare Definition von Nachhaltigkeit gibt? Es gibt verschiedene Begrifflichkeiten wie ESG und SRI.
Das ist ein Problem. Es verursacht viel Konfusion und hält sicherlich einige vom Thema Nachhaltigkeit ab. Wir sprechen bei den PRI von verantwort­lichen Investments. Und wir nutzen den Begriff ESG-Integration. Den Begriff SRI nutzen wir eigentlich nicht, wenngleich es einige unserer Mitglieder tun. Meiner Ansicht nach hat verantwortliches Investieren mit SRI angefangen. Es ging um Ausschluss, was zweifellos seine Berechtigung hat. Das mag beispielsweise für religiöse­ Organisationen der passende Weg sein. Wir versuchen jedoch, die großen Mainstream-­Investoren dazu zu bringen, ESG-Faktoren zu berücksichtigen. Ihnen liegen womöglich andere Themen am Herzen als religiösen Einrichtungen. Wir sind überzeugt, dass eine echte Veränderung nur möglich ist, wenn die Mainstream-Investoren mit an Bord sind.

Welcher Faktor ist der wichtigste: Umwelt, Soziales oder Governance?
Am Ende des Tages dreht sich für mich alles um Governance. Denn es geht darum, wie ein Unternehmen und deren Führung sein Geschäft betreibt. Wenn sie nicht über ökologische und soziale Themen, über ihre Mitarbeiter und deren Sicherheit am Arbeitsplatz nachdenken, kann es kein gutes Unternehmen sein. Indem wir versuchen, Investoren dazu zu bringen, etwas mehr in die Breite und über die ESG-Terminologie hinaus zu denken, erhoffe ich mir, dass wir eines Tages nur noch über Investments sprechen, weil Nachhaltigkeit selbstverständlich ist. Dann braucht es die verschiedenen Begrifflich­keiten wie ESG oder SRI nicht mehr. Es wäre schön, wenn alle Investments nachhaltig und verantwortlich sind. Aus meiner Sicht ist es absurd, dass es nicht so ist. Ich vermute aber, dass wir die Terminologie noch eine ganze Weile nutzen werden.

Deutsche Anleger investieren nach dem Grundsatz des magischen Dreiecks aus Rendite, Risiko und Liquidität. Seit einer Weile kursiert jedoch die Idee, dieses Dreieck zum Viereck auszubauen – mit Nachhaltigkeit als vierten Faktor. Was halten Sie davon?
Das wäre toll. Ich mag diese Idee. Denn wenn man an Risiken denkt, muss man auch über ESG-Faktoren nachdenken, weil es nun einmal Risiken sind. Aber vielleicht ist es besser, Nachhaltigkeit extra zu benennen. Die Deutschen sollten diese Idee vorantreiben.

Von Kerstin Bendix

portfolio institutionell, Ausgabe 06/2016

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