Versicherungen
9. Juli 2014

Eine Reform mit Langzeitwirkung

Wenn am Freitag der Bundesrat das Gesetz zur Absicherung stabiler und fairer Leistungen für Lebensversicherte (LVRG) durchwinkt, tritt es noch in diesem Monat in Kraft. Es hat grundlegende Auswirkungen auf die Vorsorge und wird das Geschäftsmodell der Lebensversicherer verändern.

Was wird das Lebensversicherungsreformgesetz (LVRG) bringen? Zunächst einmal das, was im Gesetz steht, und das konzentriert sich auf folgende Punkte:

  • Die Bewertungsreserven aus festverzinslichen Wertpapieren fließen nicht mehr in voller Höhe an ausscheidende Versicherungsnehmer. Zurückgehalten wird der Teil, der für die Finanzierung der an die verbleibenden Versicherten gegebenen Garantiezusagen notwendig ist.
  • Übersteigt der Bedarf zur Erfüllung der gegebenen Garantien die vorhandenen Mittel, werden nicht nur die Ausschüttungen der Bewertungsreserven reduziert, sondern auch die Dividendenzahlungen an Aktionäre.
  • Der Garantiezins für neu abgeschlossene Lebensversicherungen wird von 1,75 auf 1,25 Prozent abgesenkt.
  • Versicherte müssen zu 90 Prozent statt bisher 75 Prozent an Risikoüberschüssen beteiligt werden.
  • Die Kunden von Lebensversicherungen sollen über die Effektivkosten des Vertrages informiert werden.
  • Die Höchstgrenze für den Zillmersatz wird von 40 auf 25 Promille gesenkt. Damit darf nur noch ein kleinerer Anteil der im Geschäftsjahr angefallenen Abschlusskosten des Neugeschäfts auf die Folgejahre übertragen werden.

Die Auswirkungen auf das Geschäftsmodell „Lebensversicherung“ sind umstritten. Die Versicherer selbst sehen ihre Unternehmen durch die „Dividendensperre“ gefährdet, die Vertriebe klagen über die Absenkung des Zillmersatzes und sehen ihre Zukunft bedroht, und die Kunden werden sich an noch geringere Überschüsse gewöhnen müssen.
Frank Schepers, Geschäftsführer beim Beratungsunternehmen Towers Watson, hat die möglichen Konsequenzen der Reform untersucht:
Die Entscheidung, abgehende Versicherungsnehmer nur dann an den Bewertungsreserven zu beteiligen, wenn diese Mittel nicht zur Erfüllung der Garantien des Bestandes benötigt werden, stelle nach langer Zeit wieder die Interessen des Kollektivs über die Interessen des Einzelnen. Wenn in diesem Fall keine Dividenden an die Eigentümer gezahlt werden dürfen, erscheine das zwar auf den ersten Blick fair, erschwere aber gleichzeitig die externe Kapitalaufnahme, welche zur Deckung der neuen Kapitalanforderungen aus Solvency II für einige Gesellschaften notwendig werden könnte. Weil die Kapitalaufnahme erschwert werde, würden die Unternehmen gezwungen sein, noch vorsichtiger mit Kapitalanlage und Überschussdeklaration umzugehen. Im Resultat werden die Garantien sicherer, jedoch zu Lasten der Gesamtrendite.
Die ohne Zweifel berechtigte Senkung des Garantiezinses auf 1,25 Prozent verstärke die ohnehin schon deutliche Spreizung im Bestand: Ein substantieller Teil der Altverträge erhalte einen mehr als dreimal so hohen Garantiezins wie die Neuverträge. Bei den Kosten ergebe sich ein umgekehrtes Bild: Durch die notwendige Reduktion der eingerechneten Abschlusskosten für den Neuzugang wird der Bestand, sofern die Vertriebskosten nicht zeitnah in gleichem Maße gesenkt werden können, zusätzlich belastet. Insgesamt ergeben sich Unterschiede zwischen Geschäft „vor LVRG“ und „nach LVRG“. Als Konsequenz könnten Gesellschaften sogar dazu übergehen, Neugeschäft in neuen Risikoträgern zu schreiben – ein Vorgehen, welches zum Beispiel in England als „Old Company/New Company“-Konzept bereits geübte Praxis sei.
Durch die weitere Begrenzung der bilanziell anrechenbaren Abschlusskosten nehme der Druck signifikant zu, auch bei den Vergütungen Änderungsprozesse einzuläuten. Sowohl die Höhe als auch die Zahlungsweise bei Abschluss müssten angepasst werden, um ein für Kunden und Anbieter nachhaltig lohnenswertes Produkt anzubieten. Wie in vielen anderen europäischen Ländern stehe damit das Vertriebsmodell vor massiven Einschnitten.
Schepers betont, dass das Modell der traditionellen Lebensversicherung immer noch Vorzüge habe. Lebenslange verlässliche Garantien und die Glättung von Kapitalmarkteffekten durch den Ausgleich über die Zeit seien Pfunde, mit denen die Branche viel zu wenig gewuchert hat. Im Rückspiegel werde man erkennen, welchen Wert diese vermeintlich langweilige, aber stabile und auch einfache Vorsorge hat. Zukünftig werden sich die Kunden noch mehr zwischen verschiedenen, und selbst für Experten manchmal nur schwer zu verstehenden Garantiekonzepten entscheiden müssen, prognostiziert Towers Watson. Dazu könne man vermehrt Angebote ausländischer Anbieter erwarten, die aufgrund weniger stringenter Regularien andere, wenn auch nicht notwendigerweise bessere Angebote im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit auf den deutschen Markt bringen werden.
„Das Lebensversicherungs-Reformgesetz hat das Potenzial, den deutschen Lebensversicherungsmarkt von Grund auf zu ändern. Schon seit langem diskutierte Punkte wie die Vertriebs- und Provisionsmodelle und die Konzeption alternativer und sinnvoller Garantiekonzepte werden nun branchenweit in Gang kommen. Eine Chance für die Branche, die Lebensversicherung fit für das nächste Jahrhundert zu machen“, lautet das Fazit von Towers Watson.
portfolio institutionell newsflash 09.07.2014/Hans Pfeifer

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