Strategien
23. Juni 2017

„Garantiert wenig“ versus „wahrscheinlich mehr“

Das Garantieverbot im Betriebsrentenstärkungsgesetz schafft dringend benötigte Renditepotenziale. Der Paradigmenwechsel führt – konsequent weitergedacht – unter Berücksichtigung des Anlagehorizonts zu einer 100-prozentigen Allokation in Aktien. Dies muss nicht problematisch für ­ältere Arbeitnehmer sein.

Versicherungsförmige Garantien führen bei niedrigen Zinsen und steigender Lebenserwartung zu sehr geringen Rentenleistungen. ­Davor verschließt auch der Gesetzgeber nicht mehr die Augen. ­Abhilfe schaffen soll das Betriebsrentenstärkungsgesetz. Dieses zielt nicht nur auf eine breitere bAV-Verbreitung bei kleinen und mittelgroßen Unternehmen und einen Abbau der Komplexität in der bAV ab, sondern sieht vor allem statt Garantien eine reine Beitragszusage vor.
Durch das Garantieverbot wäre der Arbeitgeber enthaftet und die ­Arbeitnehmer können mit höheren Renten rechnen. „Bei einem formalen Verzicht auf Garantien, insbesondere für die Rentenphase, könnten die Leistungen an die ehemaligen Mitarbeiter um mehr als das Doppelte höher ausfallen, als dies derzeit und künftig üblich sein wird, da man die Renten auf Basis vernünftiger langfristiger Erwartungen anstelle von extrem vorsichtigen Annahmen kalkulieren kann“, sagte Dr. Rafael Krönung, Aktuar bei Aon Hewitt dem Deutschen Institut für Altersvorsorge. „Daher sehe ich die Notwendigkeit, Versorgungskonzepte außerhalb der bislang obligatorischen ­Garantien zu ermöglichen.“
Die Kosten der Garantien seien mittlerweile zu hoch. Eine ähnlich kritische Sicht auf Garantien hat Michael Hennig, stellvertretender Leiter Investment- und Pensionslösungen bei Fide­lity: „Wir sind fest davon überzeugt, dass ein Defined-Ambition-Ansatz – also ein Zielrentensystem – wesentlich nachhaltiger ist, da ­Garantien den Ertrag drastisch schmälern würden. Die Rentenlücke muss aber aufgefüllt werden, und gerade aus der Langfristigkeit können hohe Renten erwirtschaftet werden. Garantien sind für die Altersvorsorge kontraproduktiv.“  Wie zu hören ist, arbeitet die Assekuranz hinter den Kulissen fleißig daran, das Garantieverbot auszuhebeln.

Zwei Zahlenbeispiele zu Garantiekosten gibt die Basler Leben anhand eines 30-jährigen Kunden, der bis zu seinem 67. Lebensjahr spart. Die Versicherung mit Sitz in Bad Homburg hat das Institut für Vorsorge und Finanzplanung (IVFP) mit einer Studie zur „Altersvorsorge im Niedrigzinsumfeld“ beauftragt. Laut dieser nimmt der Versicherer bei einem Zinssatz von drei Prozent von 100 Euro Beitrag 33,50 Euro für die Garantie. Die verbleibenden 66,50 Euro legt der Kunde frei im Rahmen des Fondsangebots an. Im zweiten Beispiel beträgt der Kapitalmarktzins nur noch ein Prozent. Dann benötigt der Versicherer schon mehr als das Doppelte des Beitrages für die Garantie (69,20 Euro).
Der Sparanteil, der chancenorientierter angelegt werden kann, verringert sich auf 30,80 Euro. Nach 37 Jahren Sparzeit bei Anlage des Einmalbeitrages in Höhe von 100 Euro würde der Kunde im ersten Beispiel eine Kapitalauszahlung von über 674 Euro bei einer Wertentwicklung von sechs Prozent für die frei angelegten Fonds und drei Prozent für die sichere Anlage erhalten. Im zweiten Beispiel, bei ­einem Kapitalmarktzinssatz von einem Prozent, sind es aber nur knapp 366 Euro. Hätte der Sparer ganz auf eine Garantie verzichtet, stünden ihm über 863 Euro zur Verfügung, so die IVFP-Kalkulation.

Der Preis einer Garantie steigt umso höher, je niedriger das Zins­niveau für deren Absicherung ist. „Bei den aktuell extrem niedrigen Zinsen steht der Preis der Beitragsgarantie gemessen an dem ent­gangenen Vermögenszuwachs in keinem Verhältnis zu deren ­Nutzen“, kommentiert Maximilian Beck, Bereichsleiter Vertriebsförderung bei der Basler Leben.

Die beiden Basler-Beispiele machen das sich durch das Garantieverbot ergebende Renditepotenzial offensichtlich. Das sich durch das ­Garantieverbot ergebende Vertriebspotenzial ist aber weniger ­offensichtlich. Dem Medium „Leiter-bAV“ sagte Frank Oliver Paschen, Vorstandsvorsitzender der Dresdener Pensionskasse: „Entfallen ­Garantien, führt das nicht zu einer neuen Abschlusswelle, sondern zu noch mehr Zurückhaltung. Denn der Deutsche ist ein sicherheits­liebender Mensch.“ Statt Garantien sieht das Betriebsrenten­stärkungsgesetz lediglich Beitragszusagen der Arbeitgeber vor, dem Arbeitnehmer werden nur – abhängig vom angesparten Betrag und dessen Verzinsung – Zielrenten mitgeteilt.
Höhere Renditen gehen aber zwangsläufig mit höheren Risiken einher. Paschen sieht mit dem Gesetzesvorhaben auch keineswegs einen Abbau von Komplexität ­verbunden. Schließlich werde mit dem Vorhaben nicht nur quasi ein neuer Durchführungsweg – nämlich Nummer 6 (!) – geschaffen, ­sondern ein „kompletter Pardigmenwechsel“ eingeläutet, der neben das alte System gestellt werde. Dies führe nicht nur bei Kunden zu Zurückhaltung, sondern auch bei Anbietern zu Schwierigkeiten: „Als Kasse unseres Zuschnitts werden wir entweder von der neuen ‚Tarifrente‘ völlig abgeschnitten sein oder aber ein Paralleluniversum ­anbieten müssen, in welchem neben den bisherigen Rentengarantien auch Zielrenten angeboten werden. Angesichts dann gesonderter vorzuhaltender Kapitalanlage, Eigenmittelausstattung und Risiko­management ist dies praktikabel nicht durchführbar.“

Die Lösung für dieses Vertriebsdilemma: Der Vertrieb muss mit ­besseren Argumenten munitioniert werden. Dazu zählen die Erläuterung von Garantiekosten, aber auch die Renditechancen eines 30-jährigen Anlagezeitraums. „Die Kommunikation zum Mitarbeiter muss strategisch geplant sein und man muss von ­allen Seiten argumentieren“, so Fidelitys Michael Hennig. Aufklärungsarbeit ist vonnöten. Denn Garantien im aktuellen Zinsumfeld auszusprechen, schafft nur eine trügerische Sicherheit und ­garantiert oft eher Altersarmut. Statt garantiert wenig ­ergibt sich dagegen mit hoher Wahrscheinlichkeit mehr Rente, wenn der lange Anlagezeitraum genutzt wird, um Aktien­risiken abzu­federn. Warum also die Pensionsgelder nicht zu 100 Prozent in ­Aktien investieren? Mehr als ein bedingungs­loses Grundeinkommen braucht es schließlich die Teilhabe am Produktivkapital!

Für eine volle Aktienallokation sprechen die steigende Langlebigkeit der Anspruchsberechtigten, der Inflationsschutz von Real Assets und auch die Überlegung, dass gerade kleine und mittelgroße Unternehmen nicht das Volumen für Private Equity, Immobilien, Infrastruktur oder Private Debt aufbringen. Schließlich ist nicht sicher, ob KMUs an etwaige Branchenlösungen andocken wollen. Vor allem sprechen für eine Allokation mit 100 Prozent Aktien aber die Renditechancen. Gemäß Daten des Deutschen Aktieninstituts pendelten sich seit 1966 für Anlagezeiträume von 30 Jahren für Dax-Aktien jährliche Renditen von im Schnitt neun bis zehn Prozent ein. Einmal, nämlich von 1970 bis 2000, waren es elf Prozent, in den Zeiträumen 1985 bis 2015 und 1986 bis 2016 sieben Prozent. Leider scheinen solche Statistiken vor allem ausländischen Anlegern bekannt zu sein.

Die Dax-Performance ist aber auch mit Vorsicht zu genießen, denn Pensionsgelder sind ­kapitalgewichtet zu betrachten. Für einen 30-jährigen, der 3.000 Euro angespart hat, ist ein Aktienmarkteinbruch unbedeutend. Ein 65-Jähriger, der 300.000 Euro angespart hat und mangels künftig ausbleibendem Gehalt nicht mehr nachkaufen kann, wird aber von einem Aktienmarkteinbruch ganz kalt erwischt. Seine 300.000 Euro hätten sich bei einem reinen Beta-Investment 2008 auf 180.000 Euro ­reduziert. Mit Renteneintritt wird er auch nicht mehr von der Gewerkschaft vertreten.
Allerdings: Werden monatlich 100 Euro für die ­Altersvorsorge zurückgelegt und mit garantierten drei Prozent ­verzinst, ergeben sich in 30 Jahren – vor Kosten – knapp 58.000 Euro. 100 Euro monatlich in Aktien angelegt ergeben bei einer angenommenen Rendite von sieben Prozent 117.000 Euro. Würde der Aktienmarkt dann um 50 Prozent crashen, hätte der Aktionär immer noch so viel wie in der (optimistischen) Drei-Prozent-Garantie-Variante.

Trotzdem gilt gemeinhin, dass eine Aktienquote von 100 Prozent nur für junge Arbeitnehmer richtig ist. Wenn Garantien außen vor bleiben, werden für ältere Arbeitnehmer meist Lebenszykluskonzepte propagiert, bei denen man mit steigendem Alter von Aktien in Anleihen umschichtet. Nur: Historisch betrachtet spricht viel für Anleihen, derzeit sind bei den bestehenden Bewertungen aber mehr Risiken mit Anleihen als mit Aktien verbunden. Nicht eingepreist ist zudem ein Default eines gewichtigen, mit guten Ratings dekorierten Schuldners oder das Zerbrechen der Währungsunion. „Die Rentenmärkte der ­Eurozone sind für vernunftgeleitete Anleger nicht mehr interessant“, kommentiert die BLI, Banque de Luxembourg Investments, spitz.

Als weitere Alternative zu Garantien gelten Defined-Ambition-Ansätze, die mit Multi-Asset-Strategien auf eine Zielrente abzielen. Wird aber ein konkretes Ziel verfolgt, droht, dass man auch auf dieses Ziel hinwirtschaftet und somit Potenziale von haussierenden Kapitalmärkten liegen lässt, weil Risiken zu schnell reduziert werden. Für den Arbeitnehmer wird dann die Volatilität aber nicht die Rendite optimiert. Diese Gefahr sieht Hennig jedoch nicht: „Übertrifft die Performance die Erwartungen, können Risikopuffer aufgefüllt werden.“ Bezüglich der Anleihenproblematik argumentiert Hennig, dass es sich bei Fidelity um „lebende“ Modelle handelt, in die abhängig von der Kollektivgröße auch Asset-Klassen wie Immobilien und Infrastruktur oder auch Anleihen mit längeren Durationen eingepflegt werden. Fraglich jedoch, ob dies für KMUs dann auch die passenden Assets sind.

Andererseits darf aber bei allen Bond-Risiken natürlich gerade aus Sicht eines frischgebackenen Pensionärs die Volatilität von Aktien nicht unterschätzt werden. Zu beachten ist aber, dass dessen ­Zielrente mit ihrer Bekanntgabe nicht bis zu seinem Lebensende festgeschrieben ist. Mit sich erholenden Aktienmärkten steigt auch wieder die Zielrente und ein 65-Jähriger hat trotz des Aktienschocks zu Rentenbeginn noch etwa 20 Jahre zu leben. Außerdem bleibt ihm noch die staatliche Rente. Trotzdem bleibt es natürlich keine befriedigende ­Lösung, mit Renteneintritt bei einem Marktcrash die Hälfte des ­Ersparten zu verlieren, dann die schnelle Selbstheilung des Aktienmarkts zu erwarten und sich derweil mit dem staatlichen Umlageverfahren zu trösten. Es kann mithin lange dauern, bis der Aktienmarkt wieder seine Verluste aufgeholt hat. Nach den Tiefs 2002 und 2008 dauerte es vier, fünf Jahre bis der Dax wieder auf 8.000 Punkten war. Es könnte künftig aber auch einmal viel länger dauern.
Marktein­brüche auszusitzen, ist also eine schlechte Option. Die noch aus­stehende Gestaltung der Auszahlungsphase dürfte im Interesse der Sozialpartner auch dergestalt sein, dass die Schwankungsbreiten nur gering sind. In jedem Fall ist für solche Extremfälle statt eines reinen sehr individualisierten Beitragszusagensystems ein Risikopuffer sinnvoll, mit dem das Kollektiv die Risiken älterer Alterskohorten ­abfedert. Gespeist wird der Puffer in guten Zeiten aus Beitragszahlungen und Kapitalanlageerfolgen, Investments müssen in Papiere mit möglichst hoher Sicherheit, Out-of-the-Money-Puts oder sonstige typische ­Krisen-Assets wie Treasurys oder Gold investiert werden. Mit Blick auf die Renditepotenziale darf der Puffer nicht zu groß sein.

Unternehmen in der freiwilligen Pflicht
Neben einem Puffer ist in Extremfällen aber auch der Arbeitgeber in der Pflicht – schon allein um Reputationsschäden zu vermeiden. Zwar sind Garantien verboten, nicht aber freiwillige Leistungen. Einwenden lässt sich hier, dass, wer freiwillige Leitungen machen möchte, auch gleich in der Welt der klassischen Zusageformen ­bleiben kann und Bürokratie nicht Sinn des Betriebsrentenstärkungsgesetzes ist. Es muss aber auch nichts formuliert werden. Wichtiger ist zu handeln.
Das Vermeiden eines Reputationsschadens muss auch nicht durch ­einen finanziellen Schaden in Kauf genommen werden: vorausgesetzt, die nötige Liquidität ist vorhanden, spricht nach Experten­ansicht in der jetzigen Fassung des Gesetzes nichts dagegen, dass das Unternehmen nach dem Aktienmarkteinbruch billig nachkauft und diesen Nachschuss nach einer Markterholung – mit dem Placet der Gewerkschaft – wieder rauszieht! Dies klingt in der Regel weltfremd. Aber im Sinne der bAV sollte es erlaubt sein, auch einmal neu zu ­denken und nicht nur Alter, Lebenserwartung und Geschlecht sowie alternative Risikoreduzierer zu berücksichtigen, sondern auch fundamentale Marktbetrachtungen. Hier sei erinnert, dass man 2002 und 2008 ­Aktien auch unter dem Buchwert kaufen konnte, womit die ­Gefahr gering ist, sich zu Tode zu verbilligen.
Beim Kauf von negativ ­verzinsten Anleihen sind die Kosten dagegen klar. Zu fundamentalen Betrachtungen zählt auch die Gewichtung von Aktienstilen. Über ­lange Zeiträume sollte sich Growth mit qualitativer Komponente ­gegenüber Value mehr auszahlen. Für die Auszahlungsphase erscheinen Dividendenaktien mit geringer Volatilität attraktiv.

Für eine 100-prozentige Aktienallokation muss noch um viel Akzeptanz geworben werden. Wichtig ist die Erläuterung von Chancen und Risiken, und wie sich diese meistern lassen. Die Mitarbeiter und die Pensionäre müssen auch in entsprechenden Gremien vertreten sein.

Von Patrick Eisele

portfolio institutionell, Ausgabe 05/2017

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