Recht, Steuer & IT
12. Dezember 2016

Herausforderung Product Governance

Die EU-Finanzmarktrichtlinie Mifid II steht in den Startlöchern. In einem Gastbeitrag erörtert Dr. Christian Waigel, Rechtsanwalt bei der Waigel Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft, welche Auswirkungen die sogenannte Product Governance mit sich bringt.

Das Thema Product Governance wird eine der größten Baustellen im Rahmen der Mifid-II-Umsetzung. Die Politik will eine sogenannte Produktbeobachtungspflicht für Finanzprodukte einführen. Emittenten von Wertpapieren sollen nach Auflage und Vertrieb nicht aus ihrer Verantwortung entlassen werden. Der Kunde soll mit seinem Investment nicht mehr gänzlich alleine stehen. Emittenten haben Produkte über ihre Laufzeit zu beobachten und notfalls Maßnahmen zu ergreifen, wenn sich ursprüngliche Einschätzungen deutlich verändern.

Zunächst will die Politik das sogenannte „Misselling“ von Finanzprodukten an die falschen Kunden vermeiden. Dazu haben die ­sogenannten „Konzepteure“ (Emittenten) von Finanzprodukten Zielmärkte zu definieren. In diesen Zielmärkten muss exakt beschrieben werden, für welche Kundengruppe das Wertpapier geeignet sein soll. Nach dem aktuellen Konsultationspapier der European Securities and Markets Authority (Esma) vom 5. Oktober 2016 bestehen die Zielmärkte aus folgenden Daten:

–    Kundenkategorie: Privatkunde, professioneller Kunde oder ­geeignete Gegenpartei.
–    Kenntnisse und Erfahrungen: Es soll angegeben werden, welche Kenntnisse und Erfahrungen der Kunde für das Wertpapier ­benötigt.
–    Anlageziel: entsprechend dem WpHG-Bogen (Wertpapierhandelsgesetz), zum Beispiel Vermögensbildung, Vorsorge, Liquidität und so weiter.
–    Anlagehorizont
–    Verlusttragfähigkeit: Das heißt die empfohlene Verlusttoleranz bei Erwerb des Produktes beziehungsweise Prozentanteil, den der Kunden von seinem Vermögen für das Wertpapier maximal investieren sollte.
–    Risikotoleranz: risikoaffin, spekulativ, ausgewogen, konservativ.
–    Kundenbedürfnisse: resultierend zum Beispiel aus Alter, ­Herkunftsland, Währungsabsicherung, grünes Investment, ­ethische Anlage und so weiter.

Zielmarkt ist deutlich zu formulieren
Der Zielmarkt eines Wertpapiers muss daher relativ deutlich ­dargestellt werden, allzu generelle und pauschale Zielmärkte sind entgegen der Hoffnung der Branche nicht zulässig. Das von den ­Emittenten begebene Wertpapier muss mit diesen Zielmärkten ­vereinbar sein. Daneben haben die Emittenten auch Vertriebs­strategien und geeignete Vertriebskanäle für die Wertpapiere festzu­legen. Sie sollen zum Beispiel entscheiden, ob ihr Wertpapier ohne Anlageberatung vertrieben werden kann und wenn das der Fall ist, welcher der geeignete Vertriebskanal ist, zum Beispiel Face-to-Face, am Telefon oder online.

Daneben sollen die Konzepteure und Emittenten sogenannte ­Szenarioanalysen durchführen, zum Beispiel für die Verschlechterung der Marktbedingungen des Wertpapiers, für die Fälle von ­finanziellen Schwierigkeiten der Emittenten oder anderer beteiligter Dritter (zum Beispiel von Garantiegebern) sowie im Falle der Verwirklichung­ anderer Gegenparteirisiken. Solche Art von Stresstests sollen regelmäßig durchgeführt werden. Stellt der Emittent fest, dass sich ganz wesentliche Kernelemente seines Wertpapiers verändern, muss er Maßnahmen prüfen, wie zum Beispiel Informationen an Kunden oder Vertreiber, die Einstellung des Vertriebs, die Vornahme von ­Produktänderungen oder Änderungen der Vertriebsstrategie.

Auswirkungen auf Vertrieb und Abwicklungshäuser
Die Pflichten treffen aber nicht nur die Emittenten und Konzepteure, sondern auch die sogenannten „Vertreiber“ von Wertpapieren. Vertreiber sind alle Anbieter, die Wertpapiere anbieten, vermitteln oder verkaufen. Auch der Vertrieb muss über einen angemessenen Product-Governance-Prozess verfügen. In der Anlageberatung und Vermögensverwaltung verlangt die Esma in ihrem jüngsten Konsul­tationspapier, dass Anlageberater und Vermögensverwalter die jeweiligen Zielmärkte mit ihrer Kundenstruktur abgleichen und ein ­Matching zwischen den Zielmärkten und den Kunden vornehmen. Verkäufer außerhalb der Zielmärkte sollen zwar zulässig sein, sind aber zu dokumentieren und zu begründen. Verkäufe innerhalb der negativen Zielmärkte sollen auf Einzelfälle beschränkt bleiben und sollen speziell zu begründen sein.

Daneben haben die Vertreiber Daten und Informationen über ­ihre Kunden, Verkäufe außerhalb der Zielmärkte und Verkäufe in den ­negativen Zielmärkten an die Manufacturer/Emittenten zu über­mitteln. Diese sollen dadurch in die Lage versetzt werden, die Sensibilität ihres Wertpapiers für die Kundenstruktur abzuschätzen.

Auch reine Abwicklungshäuser kommen nicht ungeschoren davon. Die ­Esma will auch die reine Orderabwicklung, das beratungsfreie ­Geschäft und sogar Execution-only-Dienstleistungen in die Pflicht nehmen. Auch reine Abwicklungshäuser sollen ihre Angebots­palette auf ihre Kundenstruktur hin überprüfen und entscheiden, ob wirklich jedes Wertpapier für die von ihnen angesprochene Kundengruppe ­geeignet ist. Zum Beispiel sollen die reinen Abwickler prüfen, ob sie nicht lieber für bestimmte Wertpapiere eine Anlageberatung ­vorschreiben oder wenigstens Kenntnisse und Erfahrungen prüfen oder ihre Kunden warnen.

Anforderungen auch für Vielzahl von Wertpapieren
Überraschenderweise werden die Anforderungen für eine ­Vielzahl von Wertpapieren formuliert. Nach Ansicht der Esma soll Product Governance für alle Wertpapiere gelten, die an einem Primär- oder ­Sekundärmarkt erworben werden können. Die Anforderungen gelten daher nicht nur für zusammengesetzte und synthetische Produkte oder Fonds, sie gelten auch für Aktien, Bonds sowie andere nicht komplexe Finanzinstrumente, zum Beispiel Ucits-Fonds.

Damit ist der Arbeitsaufwand durch Product Governance klar: ­Zunächst einmal müssen für eine Vielzahl von Wertpapieren Zielmärkte geschrieben und dann die Infrastruktur für einen Abgleich von Zielmärkten mit Kunden geschaffen werden.

portfolio institutionell, Ausgabe 11/2016

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