Strategien
11. März 2014

Irrungen und Wirrungen – Einblick in die Gedankenwelt von Investoren

Die Psychologie bei der Kapitalanlage zu berücksichtigen, steht bei vielen Profianlegern im Pflichtenheft. Doch wie gehen institutionelle Investoren und deren Asset Manager in der Praxis mit Aspekten der Behavioral Finance um?

Seit mehr als einem halben Jahrhundert dominiert die neo­klassische Kapitalmarkttheorie das Verständnis der Akteure an den Kapitalmärkten. Sie folgt auf die klassische Nationalökonomie und hat eine Vielzahl von Konzepten und Modellen hervorgebracht. Dazu zählen die Portfoliotheorie von Harry Markowitz, das Capital Asset Pricing Model oder auch der Value at Risk, allesamt Modelle, die im institutionellen Asset Management weit verbreitet sind. Allerdings ­basiert die neoklassische Kapitalmarkttheorie – für Zwecke der ­Modellbildung – auf der Annahme eines Homo oeconomicus, der perfekt rationale Entscheidungen trifft, unlimitierte Analyse­­­kapa­zitäten für jegliche Informationsmenge bereithält und seine Präferenzen anhand der Erwartungsnutzentheorie ausrichtet. Gleichwohl ­divergieren die Modellannahmen und die Realität.

Nach Angaben von Allianz Global Investors (AGI) spricht schon der evolutionsbedingte Aufbau unseres Gehirns, in dem allerlei ­Emotionen auf kühle Überlegungen treffen, gegen die Grund­annahme der akademischen Lehre: „Wir sind Menschen, keine Vulkanier. Kein Mr. Spock vom Raumschiff Enterprise.“ Die jüngsten Krisen haben vielmehr eine ganze Serie an typischen Verhaltensmustern von ­Anlegern, sogenannte Anomalien, wieder zutage gefördert, die sich nur durch realitätsnahe Erklärungsansätze hinterfragen lassen. Sei es nun der Herdentrieb, die Selbstüberschätzung oder auch der Hindsight-Bias (die „Hinterher-sind-wir-alle-klüger-Haltung“), die uns im Nachhinein annehmen lässt, wir hätten eine Krise kommen sehen.

AGI will diese Verhaltensmuster analysieren. Eigens dafür wurde im Jahr 2010 in den USA das Center for Behavioral Finance gegründet. Das Ziel des Beratungsgremiums ist hochgesteckt: Es geht um nicht weniger als darum, Anlegern zu besseren Finanzentschei­dungen zu verhelfen. Nach Angaben von Tobias Pross, Managing ­Director und Leiter des institutionellen Geschäfts von AGI in Europa, überträgt das Forschungszentrum wissenschaftliche Erkenntnisse in ­Instrumente und Handlungsempfehlungen für Finanzberater, damit sie mit ihren Kunden die gewünschten Ziele ansteuern und erreichen können: „Zurzeit untersuchen die Kollegen zum Beispiel, inwieweit eine Software, mit der man sich selbst als älteren Menschen sehen kann, in der Praxis das Sparverhalten verändert.“

Auf die Frage, wie Profianleger sicherstellen können, dass ­Emotionen, aber auch persönliche Zwänge in der Kapitalanlage ­außen vor bleiben, antwortet Tobias Pross: „Institutionelle Anleger verfügen über vertiefte Finanzkenntnisse und haben meist ein breites Spek­trum an Instrumenten, um fundierte Entscheidungen zu treffen. Mit der Definition eines stringenten Investmentprozesses, der ­diszi­plinierten Umsetzung der Regeln, verbunden mit Risikomanagement und -Controlling ist jedenfalls ein sehr belastbarer Rahmen ­vorhanden, um professionell und gezielt Risikoprämien zu ­erwirtschaften und dabei Marktineffizienzen auszunutzen.“ Aber auch die Finanzprofis sollten sich vor Augen führen, dass sie ­Heuristiken, Framing-Effekten oder Selbstüberschätzung unterliegen können und dies entsprechend berücksichtigen.

Im Notfall sind schnelle Entscheidungen gefragt
Vorreiter der Behavioral-Finance-Forschung sind unter anderem die Psychologen Daniel Kahneman, Vernon Smith und Amos Tversky. Ihrer Arbeit ist es zu verdanken, dass die Behavioral Finance ­empirisch bestimmte Muster im Entscheidungsverhalten von Investoren belegt, die zu verzerrten Annahmen und damit zu Fehl­entscheidungen führen. Nach Angaben der Deutschen Bundesbank, die sich nach der jüngsten Finanz- und Staatsschuldenkrise mit der Materie beschäftigt hat, erklärt die Behavioral Finance die ­Preis­bildung auf den Finanzmärkten nicht ausschließlich über öko­nomische ­Faktoren, sondern über das Zusammenspiel von ökono­mischen, ­psychologischen und sozialen Faktoren.

Professor Rolf Daxhammer von der EBS Business School in ­Reutlingen hat sich mit der verhaltenswissenschaftlichen Sicht auf die Finanzmärkte – der Behavioral Finance – beschäftigt, in der ein ­realitätsnäherer Homo oeconomicus humanus an den Märkten agiert. Dieser setzt bei der Entscheidungsfindung die bereits von Tobias Pross erwähnten begrenzt rationalen Heuristiken und Faustregeln ein, um mit der Informationsfülle und der Komplexität an den ­Kapitalmärkten zurechtzukommen; und er lässt sich von emotionalen ­Gefühlen leiten. In der unten abgebildeten Grafik sind Heuristiken im Informations- und Entscheidungsprozess zusammengetragen. Wie sich zeigt, sind sie entweder kognitiven oder emotionalen ­Ursprungs. Die Kenntnis darüber ist insofern wichtig, weil nur mit diesem Wissen die risiko- und renditeschädliche Auswirkung ­während des Informations- und Entscheidungsprozesses abgeschwächt ­werden kann. Auch der Psychologe Gerd Gigerenzer hat sich mit ­Heuristiken, etwa im Bereich der Notfallmedizin und in der Luftfahrt, ­beschäftigt. Faustregeln ist er aber nicht abgeneigt. In seinem 2013 veröffentlichten Buch „Risiko“ analysiert er die evolutionären, ­psychologischen, sozialen und kulturellen Einflüsse beim Erlernen des ­Umgangs mit Risiken und schreibt: „Eine Heuristik ermöglicht uns, eine ­Entscheidung schnell zu treffen, ohne viel Informations­suche und doch mit einem hohen Maß an Genauigkeit.“ Aber auf ­keinen Fall könne eine Heuristik alle Probleme lösen. „Aus diesem Grund hat sich unser Verstand einen ‚Werkzeugkasten‘ mit Regeln zugelegt“, ­erläutert Gigerenzer, der seine Brötchen unter anderem ­damit ­verdient, dass er Mediziner und Richter in der hohen Kunst des ­Entsch­eidens trainiert.

Glück oder Können
Wissenschaftliche Untersuchungen im Rahmen der Verhaltensforschung haben beispielsweise gezeigt, dass Anleger typischerweise Outperformern der jüngsten Vergangenheit hinterherlaufen und dass das Ziel, neue Anleger zu gewinnen, Investmentmanager zur Übernahme höherer Risiken motiviert. Das bedeutet nach Ansicht von ­Simon Savage, Risikospezialist beim Asset Manager GLG, dass das Verhalten dieser beiden Gruppen einen unmittelbaren Einfluss darauf hat, ob eine gute Performance anhält oder nicht. „Wenn man die Fähigkeiten eines Portfoliomanagers beurteilt, darf man sich nicht zu sehr auf die vergangene Performance fokussieren“, rät Savage. Seiner Ansicht nach sollte man zunächst die Faktoren analysieren, die den Entscheidungen des Managers zugrunde liegen. Denn auch dessen rationales Denken könne durch Gefühle, Intuition und persönliche Eigenheiten beeinträchtigt werden. Die relative Performance eines Portfolios über einen bestimmten Zeitraum zeige nur, ob die Kurs­entwicklungen günstig waren. „Sie sagt aber wenig über die Fähig­keiten des Managers aus“, betont Savage, und er ergänzt: „schon gar nicht über die Fähigkeit, mit gekonnter Titelauswahl kontinuierlich Mehrwert zu generieren.“

Auf Können basierendes Handeln ist laut GLG-Experte Savage ­dadurch gekennzeichnet, dass man besonnen vorgeht und trotzdem verlieren kann. Exemplarisch nennt er das Schachspiel. Umgekehrt kann man bei Glücksspielen trotz unbesonnenen Handelns, etwa die Wette auf ein unwahrscheinliches Ereignis, durchaus gewinnen. ­Unter analytischen Gesichtspunkten kann ein Performance-Coach Abhilfe schaffen. Im persönlichen Gespräch mit dem Coach muss der Portfoliomanager in der Lage sein, seine Transaktionsentscheidungen in einer Matrix in Abhängigkeit von der Richtigkeit der zugrunde­liegenden Argumentation und dem Transaktionsergebnis ein­zuordnen. Objektivität sei unabdingbar, so Savage. „Denn man kann sich nicht verbessern, wenn man alle erfolgreichen Transaktionen ­seinem Können zuschreibt und alle Misserfolge als Pech abtut.“

Bereits Mitte der 30er Jahre wurde ein bemerkenswerter Versuch der Einbindung psychologischer Einflüsse in die Entscheidungs­findung der Marktteilnehmer sichtbar. John Maynard Keynes vertrat in seinem Werk „Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“ von 1936 die Auffassung, dass die Wirtschaft nicht ­allein von rationalen Marktteilnehmern beherrscht wird. Er räumte zwar ein, dass das wirtschaftliche Handeln größtenteils von ­öko­no­mischen Motiven bestimmt wird, setzte dem aber entgegen, dass es häufig auch von Instinkten beeinflusst wird. Diese bezeich­nete er als „Animal Spirits“. Nichtökonomische Motive und irratio­nale Ver­haltensmuster des Menschen seien eine wichtige Ursache für ­Schwankungen der Konjunktur. Keynes vertrat die Auffassung, dass kapitalis­tische Volkswirtschaften, die sich selbst überlassen bleiben, zu Exzessen ­neigen. Es komme zu Manien, die wiederum in Aus­brüchen von ­Panik mündeten. Immobilienpreise, Aktienkurse und der Ölpreis schießen in die Höhe und stürzen dann wieder ab.

In der Historie gab es eine Reihe von Spekulationsblasen, etwa die niederländische Tulpenmanie, die sich zwischen 1633 und 1637 ent­faltete. Bemerkenswert ist auch die Spekulationsblase um den ­schottischen Ökonom John Law (zwischen 1716 und 1720) oder die Südsee-Spekulationsblase (1720). Ins Muster passt auch die US-Immo­bilienblase zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Nachdem sich die Preise für landwirtschaftliche Nutzflächen, Gewerbeimmobilien, Häuser und Eigentumswohnungen in der Vergangenheit bereits mehrfach enorm aufgebläht haben, um dann wieder einzubrechen, ver­breitete sich in den Vereinigten Staaten die Überzeugung, Wohn­immobilien seien eine ausgezeichnete Geldanlage. In ihrem im Jahr 2009 veröffentlichten Buch, das in Anlehnung an Keynes „Animal Spirits“ getauft wurde, betonen die Nobelpreisträger Robert J. Shiller und George A. Akerlof: „Die Preise für Häuser und Wohnungen ­stiegen, und eine regelrechte Euphorie erfasste die Immobilien­märkte. Die Wirkung der Animal Spirits war überall zu spüren.“ Der bislang größte Hauspreisboom in der Geschichte dauerte bis 2006, bevor der Abschwung mit den bekannten Folgen einsetzte.

Der Mensch und die Herde
Im Finanzmarktkontext bezeichnen Marktanomalien von den ­Erklärungsansätzen und Kapitalmarktmodellen der neoklassischen Kapitalmarkttheorie abweichende Marktentwicklungen. Wichtige ­Anomalien sind in der Grafik zusammengetragen. Sie werden durch das Verhalten begrenzt rationaler Marktteilnehmer ­hervorgerufen. Zu den Verhaltensformen, die die Behavioral Finance analysiert, gehört beispielsweise das bereits erwähnte Herden­verhalten der Investoren. Aber auch unter Fondsmanagern und ­Analysten ist eine Art Herdentrieb zu beobachten, der sich allerdings weniger auf die Renditejagd, als vielmehr auf die eigene Reputation bezieht.

Dabei kann es für diese Akteure rational sein, bei ihren ­Investitionen oder Vorhersagen lediglich der Masse zu folgen. In ­diesem Zusammenhang weist Professor Martin Weber, Inhaber des Lehrstuhls für Finanzwirtschaft an der Universität Mannheim, auf folgenden Sachverhalt hin: „Wenn Sie als Asset Manager von Ihrer Benchmark abweichen, sind Sie mit einer asymmetrischen ­Belohnung konfrontiert. Sind Sie ein paar Punkte besser als ihr Vergleichs­maßstab, kann es durchaus sein, dass Ihr Bonus etwas höher ausfällt. Liegen Sie im Gegensatz fünf Prozent unter der Benchmark, ist das mitunter schädlich für die Karriere. Also ist es rational, an der Benchmark stärker dranzubleiben.“ Weber, der neben seiner Lehrtätigkeit auch den von ihm konzipierten Arero-Fonds betreut, betont, dass es eine Aufgabe der Unternehmen sei, gegen dieses Verhalten vorzu­gehen. „Überspitzt gesagt müsste man denjenigen mit dem größten Verlust sogar belohnen, und zwar weil er sich Gedanken gemacht und etwas anderes überlegt hat.“ Man müsse die Entscheidung in den ­Vordergrund rücken und nicht das Ergebnis, so der Hochschul­professor. „Man kann doch nicht nur die Personen in der Organi­sation belohnen, die mit dem Strom schwimmen.“ (Das vollständige Interview mit Weber finden Sie unter dem Link.)

Vorhersagen, Sentiment und Antizyklik
Nach Angaben von Dr. Winfried Hallerbach, Senior Researcher bei Robeco, spielt die Behavioral Finance heutzutage in Investmentstrategien eine herausragende Rolle. „Man sieht, dass die ­Anleger ­systematisch Fehler machen, wenn es darum geht, Investment­entscheidungen zu treffen. Das Verhalten wird von den Kursen ­reflektiert. Und von diesen Mustern wiederum kann man als Anleger profitieren“, argumentiert Hallerbach, der sich schon vor seinem Amts­antritt bei Robeco im Jahr 2008 als Professor an der Erasmus-Universität in Rotterdam mit der Psychologie in der Kapitalanlage und mit Anomalien an den Finanzmärkten beschäftigt hat.

Wie er ausführt, werden Kauf- und Verkaufsentscheidungen von kognitiven Neigungen beeinflusst, die wiederum zu Kapitalmarkt­anomalien führen. Mit dieser Herausforderung konfrontiert, investiert Robeco anhand quantitativer Modelle Kundengelder. „Wenn wir exemplarisch die quantitativen Modelle für festverzinsliche Wert­papiere betrachten, bei denen es darum geht, Zinsen vorherzusagen, oder die Konstruktion von Credit-Portfolios, dann fällt unser Blick ­beispielsweise auf Low-Risk-Aspekte. Hier schauen wir uns die ­kognitiven Umstände genauer an und hinterfragen diese.“ Niedrige Volatilitäten spielen Hallerbach zufolge demnach nicht nur im ­Aktienbereich eine wichtige Rolle.

Auch im Bonds-Universum lässt sich mit dem Kauf schwankungs­armer Titel risikoadjustiert die Performance steigern. „Corporate Bonds mit niedrigem Risiko und kurzen Laufzeiten haben konsistent und risikoadjustiert eine höhere ­Performance als andere Bonds“, ­erläutert der Experte. Die Kapital­anlagestrategien von Robeco basieren auf einem sogenannten evidence-based Research. Das heißt, die Forscher betrachten Muster in den Kurs- und Renditeverläufen und hinterfragen einerseits, wo diese Muster herrühren, und andererseits, ob sie voraussichtlich bestehen bleiben. Beim Low-Volatility-Ansatz ist das der Fall. Auf die Frage, wo die Überschneidungen zwischen ­Behavioral Finance und quantitativem Management liegen, antwortet Hallerbach: „Menschen können an sich selbst zweifeln und in Panik ausbrechen. Unsere regelbasierten Modelle nehmen uns die ­Anlageentscheidung ab und investieren. Sie sind frei von Befangenheit. Sie sind diszipliniert.“

Die Psychologie bei der Kapitalanlage zu berücksichtigen, steht bei vielen Profianlegern im Pflichtenheft. Der Zugewinn an ­Markttransparenz schlägt sich spätestens dann in barer Münze ­nieder, wenn ein Teil der Kapitalanlagen taktisch gesteuert werden soll. Im Interview mit portfolio erläuterte Georg Geenen, Finanzvorstand der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) einst, wie er das Portfolio durch das Jahr 2012 gesteuert hat, als längst nicht ­absehbar war, dass Anleihen der Euro-Peripherie ein fulminantes Comeback ­erleben würden: „Wir sind zum richtigen Zeitpunkt in ­Peripherieanleihen eingestiegen. Insbesondere Italien war sehr ­attraktiv, bei Kursen um 60 Prozent war ein Hair Cut von 40 Prozent eingepreist. Dies erschien uns insbesondere im Vergleich zu anderen Kernländern mit deutlich ungünstigeren Primärsalden attraktiv.“ ­Taktisch investiert die VBL in Bandbreiten, wie Geenen ausführte. „Und wenn die Welt wieder einmal unterzugehen droht, gehen wir an die obere Grenze.“ Insofern macht sich die VBL die Anleger­psychologie zunutze.

Interessante Facetten brachte auch Dieter Schorr, Leiter Finanz­anlagen und Pensionsverpflichtungen der ZF Friedrichshafen AG, im Gespräch mit portfolio institutionell ins Spiel. Danach befragt, ­inwieweit die ­Erkenntnisse aus der Behavioral-Finance-Forschung im Kapitalanlageprozess berücksichtigt und Emotionen aus der ­Investmententscheidung herausgenommen werden, verwies er auf vereinbarte Prozesse mit quantitativen Methoden und dezidierten Auswertungsformularen. „Die für uns relevanten Anlageklassen ­sowie die korrespondierenden Investitionsbandbreiten ergeben sich für uns aus einer auf unsere Ziele maßgeschneiderten strategischen Asset-Allocation-Studie, die in regelmäßigen Abständen aktualisiert wird. Sämtliche Anlageentscheidungen werden bei uns immer in der Gruppe getroffen und niemals durch nur eine einzelne Person“, ­erläutert Schorr mit Blick auf den Anlageausschuss, der den ­Rahmen für Investitionen und Desinvestionen formuliert.

Auf diese Weise soll einerseits der kritische Diskurs gestärkt und andererseits ein Herdenverhalten eingegrenzt werden. „Es spielt bei uns keine ­Rolle, ob eine Anlageklasse gerade en vogue ist und ­möglicherweise ein Herdenverhalten einsetzt. Wenn durch diese ­Anlageklasse ­bestimmte Kriterien, zum Beispiel an Transparenz, ­Liquidität oder Compliance nicht erfüllt werden, investieren wir nicht.“ Dennoch sei es wichtig, den Verhaltensweisen anderer Marktteilnehmer auf den Grund zu gehen. Daher analysiert die Finanz­abteilung der ZF eine Reihe von Aspekten, wie Trendanalysen oder Kapitalverkehrsstatistiken, um auf diese Weise das Investoren­verhalten verifizieren zu können.

Diese Herangehensweise soll ­antizyklisches Handeln begün­stigen, was Schorr als ein wesentliches Ziel bezeichnet. „Dafür haben wir eine Cashquote definiert. Auf der anderen Seite bauen wir unsere Portfolios nicht monatlich um.“ ­Vielmehr sei die strategische Asset Allocation mittelfristig ausgerichtet, unterstreicht Schorr, der im Hinblick auf die künftige Markt­entwicklung in Szenarien denkt, statt sich auf Vorhersagen zu ver­lassen, weil diese gerade das Phänomen der Overconfidence in der Behavioral Finance befördern. Auf die Frage, wie er und sein Team die Rationalität bei der Investmententscheidung sicherstellen und wie Emotionen – sei es von ­mandatierten ­Fonds­managern, Abteilungsleitern oder Gremien, die gute Arbeit ­leisten wollen, aber auch persönlichen Zwängen unter­liegen – außen vor bleiben, antwortet er: „Um negative Emotionen erst gar nicht ­ent­stehen zu lassen, ist meines Erachtens eine zeitnahe und trans­parente Informationspolitik sinnvoll. Dadurch können ­Informationsasymmetrien zwischen den Beteiligten gemieden ­werden, aus denen häufig Emotionen erwachsen. Die Informationen müssen aber nachvollziehbar sein. Deshalb basieren unsere Investmententscheidungen auf transparenten Kriterien. Das bei der ­Auswahl zugrundegelegte Kriteriengerüst wird dann auch im Rahmen der ­laufenden Begleitung unserer Mandate beibehalten. Somit können wir die Beurteilung unserer Manager anhand objektiver Kriterien ­sicherstellen, dies mit dem Manager kommunizieren und dadurch die Emotionen minimieren.“ Mit Blick auf persönliche Zwänge schränkt er allerdings ein: „Dass aber beispielsweise ein externer ­Relationship Manager anderen persönlichen Zwängen unterliegt als wir auf Investorenseite, kann man nicht ändern.“

Professionelle Anleger schützen sich demnach vor der eigenen Behavioral Finance. Gleichwohl setzen sie die Psychologie im ­Umgang mit ihren Gremien auch gezielt ein. Beispiel Aktien: „Wenn insti­tutionelle Investoren ihre Aktienquote erhöhen wollen, kann es vorkommen, dass sie gegenüber ihren Gremien die Vorzüge von ­Dividendenstrategien betonen. So werden Aktien von Gremien oft eher akzeptiert“, berichtet Carsten Nerge, Country Manager Germany bei Oddo Asset Management. Regelmäßig Ausschüttungen ver­einnahmen zu können klingt eben attraktiver als „Aktienrisiken“. Praktisch niemand schlägt indessen seinen Aufsehern vor, in Hedgefonds zu investieren, weil es für eine gute Performance in dem Fall kein Lob gibt und bei einer schlechten Entwicklung es ohnehin jeder gewusst haben will. Der Investor hat also keine persönliche Upside. Aktuell scheint dies für Absolute-Return-Strategien zu gelten.

Europas größte Anlegerbefragung
Nach Angaben von Sentix, einem in der Finanzszene sehr ­bekannten Forschungshaus, beeinflusst die Kraft der Emotionen die Kurse und die Trends an den Märkten. Im Gespräch ­erläutert Sentix-­Geschäftsführer Patrick Hussy, dass es zur Jahrtausendwende, als der Neue Markt noch existierte und vor allem florierte, in ganz Europa keine Echtzeitdaten gab, die diesen „Wahnsinn“ beschreiben konnten. Damit war die Idee geboren, Sentix zu gründen. „Unser Ziel besteht seit 2001 darin, das Anlegerverhalten umfassend zu begreifen, ­objektiv zu messen und standardisiert zu analysieren, um daraus ­Informationen über die einzelnen Asset-Klassen und die verschiedenen Anlagestile zu generieren. Für uns ist das Verhalten von Menschen die Größe, die dazu führt, dass viele Schwankungen an den Märkten auftreten“, ­erläutert Hussy. Sentix ist Spezialist auf dem Gebiet der Behavioral ­Finance und erstellt den sogenannten Sentix Global Investor Survey, der als bedeutendste Umfrage ihrer Art in Europa gilt. Am Ende jeder Handels­woche befragen die Frankfurter dafür rund 4.500 Kapitalmarkt­akteure, darunter mehr als 900 Institutionelle. Die Ver­arbeitung der gewonnenen Informationen erfolgt über das Wochenende und gestattet mit Beginn der neuen Handelswoche der dafür zahlenden Kundschaft Einblick in die Stimmung der ­Anleger. In der Sentix Asset Management GmbH werden die ­Research-Signale­ in Strategien überführt. Anleger können über ­Publikumsfonds als auch individuell über Spezialfonds von dem ­erfrischend anderen ­Investmentstil profitieren und sich so die ­Börsenpsychologie zunutze machen. Die Behavioral Finance fließt ins Research wie auch ins ­Portfoliomanagement ein.

Wie Hussy ­erläutert, ist die Stimmung der Anleger zyklisch und erlaubt dadurch die Identifikation von ­Wendepunkten. In diesem ­Zusammenhang ist es für Sentix von heraus­ragender Bedeutung, zu erfahren, ob ein Investor beispiels­weise ­gegenüber ­Aktien negativ ­gestimmt ist und ob er diese ­Einstellung auch bereits durch Verkäufe oder Short-Positionen ­umgesetzt hat. Wittern Anleger sozusagen die Gefahr schärferer ­Kurskorrekturen, trennen sich aber aus den unterschiedlichsten Gründen nicht von ­ihren Beständen, baut sich dadurch ein gewisser Druck am Markt auf. Laut Patrick ­Hussy gibt es neben Investitionszwängen und ­Benchmarks, Kundenwünschen oder der „Hausmeinung“ vielfältige Gründe, die dazu ­führen, in einem ­solchen Szenario die Aktien eben nicht zu ver­kaufen. Das heißt, die ­Handlungen der Investoren sind nicht ­kongruent zu ihren ­Erwartungen. Irgendwann brechen die ­Kurse schließlich auf breiter Front ein und der Abgabedruck entlädt sich; aus der kognitiven ­Dissonanz, das sagt die Wissenschaft, wird wieder Konsonanz. Was die Psychologie in der Kapitalanlage betrifft, rät ­Hussy, sich vor den Tücken der Kurzlebigkeit in Acht zu nehmen. „Das Entscheidende in unserem Geschäft ist oftmals, dass sich die Anleger vor Augen führen sollten, dass ihre Strategie womöglich nicht zu jeder Zeit immer ­erfolgreich ist. Das heißt, es gibt bei jedem ­Ansatz immer wieder Schwäche­phasen, bei denen man das große Ganze nicht gleich ­infrage stellen sollte.“

Abschließend bleibt festzuhalten, dass die Psychologie in der ­Investmentwelt eine zentrale Rolle spielt. Investoren sollten eigene Schwächen stets hinterfragen, Kapitalmarkt­anomalien dafür aber auch konsequent als Opportunitäten betrachten.

portfolio institutionell, Ausgabe 2/2014

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