Strategien
16. März 2015

Matratzen sind zum Schlafen da

Bonitätsstarke Anleihen werfen kaum noch Rendite ab, bei anderen muss man sogar Geld mitbringen. Banken wiederum verlangen Zinsen für das Halten von Liquidität. Bleibt nur die Matratze als Geldspeicher. Oder kann man negative Renditen doch hinnehmen?

Die Anleihewelt steht Kopf. Seit Jahren warnen Anlagestrategen davor, Bundesanleihen zu kaufen. Grund: Die Verzinsung sei zu mager. Verzinsung? Wer im vergangenen Jahr Bundesanleihen gekauft hat, kann sich über enorme Kursgewinne freuen. So legte beispielsweise eine 2007 aufgelegte Bundesanleihen mit Laufzeit bis 2039 seit Januar 2014 um sage und schreibe 54 Prozentpunkte auf zuletzt 180,97 Prozent zu. Das Langfristpapier rentiert heute mit 0,68 Prozent. Was heute zählt ist also der Kurszuwachs. Noch ein Beispiel gefällig? Die im Jahr 2012 begebene Bundesobligation der Republik Österreich mit 50 Jahren Laufzeit vor der Brust zog seit Januar vergangenen Jahres von 120 auf zuletzt 211,86 Prozent an! Die Rendite des Papiers mit einem Nominalzinssatz von 3,8 Prozent liegt heute bei 0,97 Prozent. Beide Kursverläufe erinnern weniger an Staatsanleihen als an Aktien des (seeligen) Neuen Marktes.
Investoren, die heute öffentliche Anleihen mit Spitzenbonität kaufen, nehmen nicht selten negative Renditen hin. Doch was geht im Kopf von Anlegern vor, die öffentliche Anleihen kaufen, die nicht nur keine Zinsen erbringen, sondern bei denen sie dem Emittenten noch etwas zuzahlen müssen? Diese Frage stellte Dr. Martin Hüfner, Chefvolkswirt bei Assenagon, schon im Januar in den Raum. 
In seiner Analyse zeigt er, wie sich die jüngste Entwicklung zunächst zögerlich, dann aber fulminant vollzog. Ursprünglich ging die Zinssenkung in den vergangenen Jahren asymmetrisch vonstatten. Das heißt, erst sanken die Renditen für lange Laufzeiten kräftig. Die für kurze Laufzeiten jedoch schienen an der Nullgrenze „festzukleben“, wie Hüfner es formuliert. Die Renditekurve wurde also immer flacher. Erst in der zweiten Jahreshälfte 2014 wurden die kurzfristigen Zinsen negativ. „Damit war ein Bann gebrochen“, sagt Hüfner und ruft in Erinnerung, dass anschließend auch die Renditen bei längeren Restlaufzeiten unter null sanken. Im Januar 2015 gab es in Deutschland nur noch für öffentliche Anleihen mit über fünf Jahren Restlaufzeit eine positive Rendite. Hüfner meint, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis es auch dort negative Zinsen gibt. 
Eine solche Konstellation sei kein Zufall oder eine vorübergehende Verwirrung des Marktes. Inzwischen gebe es das nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Schweiz, in Japan und in Finnland. Frankreich sei nicht mehr weit davon entfernt. „So viele Märkte können nicht irren“, so der Experte. 
Doch warum werden Bonds mit einer Rendite unter null gekauft? Hüfner erklärt das folgendermaßen: „Zunächst passiert das nur in Zeiten mit sehr niedriger Inflation und außerordentlich hoher Liquidität, so wie das heute gegeben ist. Es ist also kein Normalfall, sondern die Ausnahme.“ Hüfner hat vier Gründe identifiziert, die zu negativen Zinsen bei Wertpapieren führen: Bargeldhaltung ist teuer und unbequem. Punkt zwei: Bankeinlagen sind keine Alternative in dieser Situation, denn auch hier drohen negative Zinsen. Drittens: Wenn die Preise sinken, kann der Investor auch bei negativen Zinsen einen positiven Realzins bekommen. Die Inflation müsse nur geringer sein als der Zins. Und viertens: Wer könne ausschließen, dass die Zinsen im negativen Bereich noch weiter sinken? Der Anleger kann sich über steigende Kurse freuen. 
Rege Nachfrage
Auch beim Asset Manager Unigestion hat man sich zuletzt mit negativen Zinsen beschäftigt. Einem aktuellen Strategiepapier zufolge wurden schon in der Vergangenheit vereinzelt Phasen verzeichnet, in denen die Zinsen in den negativen Bereich fielen. Diese waren bisher allerdings sehr selten. „Derartige Perioden waren meistens von der Angst oder Verunsicherung der Investoren geprägt, die auf sicherere Anlagen umschichteten.“ Exemplarisch verweisen die Autoren um Guilhem Savry, er ist Investment Manager im Cross Asset Solutions Team, auf das Jahr 2008. Damals spiegelten die negativen Renditen von dreimonatigen US-Schatzanweisungen extreme Risikoaversion wider. Im Rückblick sei jedoch festzustellen, dass diese Perioden außergewöhnlich und von vorübergehender Natur waren. 
Immer wieder hätten bestimmte Länder negative Zinsen genutzt, um die Kapitalflüsse zu steuern, wie beispielsweise die Schweiz in den 1970er Jahren. Die Federal Reserve Bank von St. Louis schrieb 2013 dazu: „…die Existenz negativer Renditen liefert jedoch keinerlei Rechtfertigung für das Argument, dass Zentralbanken negative Zinsen als geldpolitisches Instrument betrachten sollten.“ Grund für die derzeitige Situation sei die außergewöhnliche Nachfrage der Zentralbanken. Hinzu komme die strukturelle Nachfrage nach festverzinslichen Anlagen infolge der neuen Regulierung des Finanzsektors, das heißt Basel III und Solvency II, wobei die Nachfrage der Unternehmen und Privatanleger noch immer schwach sei. 
Die Frage „Warum investieren Anleger noch immer in Anlagen mit negativen Renditen” beantwortet man bei Unigestion so: „Wie sich bei den letzten Auktionen zeigte, erfreuten sich Anleihen mit negativen Renditen einer regen Nachfrage seitens der Anleger. Abgesehen von Investoren mit einer passiven Benchmark-orientierten Allokation finden Anleger, die weniger an Benchmark-Vorgaben gebunden sind, möglicherweise rationale Gründe für den Kauf von negativ rentierenden Bonds.“ 
Grundsätzlich müsse zwischen der Nominal- und der Realrendite unterschieden werden. Für Investoren in Ländern mit hohem Deflationsrisiko seien negative Renditen immer so lange attraktiv, wie sie über der Inflationsrate liegen. Damit argumentiert man bei Unigestion ähnlich wie Assenagon-Chef-Volkswirt Hüfner. Darüber hinaus zeige das Beispiel Japans, dass in einer deflationären Volkswirtschaft selbst Staatsanleihen mit niedrigen Renditen die beste Anlage sein können, heißt es bei Unigestion. In diesem Zusammenhang sei die erzielte Carry ein wichtiges Argument. „Die Zentralbanken nutzen negative Einlagenzinsen als geldpolitisches Instrument zur Belebung der Risikobereitschaft und Kreditschöpfung in der Eurozone, in Japan und Schweden oder zur Abwertung ihrer Währung, wie dies in Dänemark und der Schweiz der Fall war.“ Unter diesen Rahmenbedingungen bleibe die Zinskurve steil, so dass Investoren Langläufer anstelle von kurzfristigen Allokationen mit niedrigerer Rendite bevorzugen. Die Renditekurve hat sich in negatives Terrain verlagert, doch der Carry-Mechanismus hat nach wie vor Bestand. 
Wenn die Zentralbanken ihre Einlagenzinsen aber zu stark in den negativen Bereich senken, könnten sie damit nach Einschätzung von Unigestion einen Bank Run auslösen. In diesem Falle würden die Sparer lieber Bargeld halten als Einlagen mit negativen Renditen. Für Zentralbanker sei ein Bank Run das Worst-Case-Szenario. Das limitiert die Möglichkeiten der Zentralbank. 
Vor einigen Jahren argumentierte Fischer Black, dass die kurzfristigen Nominalzinsen nie negativ sein können, da „die Leute ihr Geld lieber in ihre Matratze stecken würden, als Anlagen mit Negativrenditen zu halten“. Die Untergrenze für negative Zinsen entspräche somit praktisch den geschätzten Kosten für das Horten von Bargeld. Ausgehend von den Kosten der Goldreserve oder den für Zahlungstransaktionen anfallenden Gebühren liegt die Untergrenze für Negativzinsen wahrscheinlich noch unterhalb der minus 75 Basispunkte, die derzeit in der Schweiz geboten werden. Ausgehend von dieser Überlegung seien Renditen von minus zwei Prozent oder sogar minus drei Prozent zumindest vorübergehend durchaus möglich. 
portfolio institutionell newsflash 16.03.2015/Tobias Bürger
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