Strategien
27. November 2017

Netzwerke sind mehr als Vitamin B

Die Asset-Management-Branche beschäftigt sich immer häufiger mit der Analyse gigantischer Datenmengen und versucht, mit dem Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) und durch Netzwerktechniken noch bessere Anlageentscheidungen zu treffen. Doch was ist dran an dem von monetären Verlockungen getriebenem Hype?

Ein breit diversifiziertes Fachpublikum traf sich Ende Oktober im Casino der Goethe-Universität Frankfurt am Main zur Premiere des „Frankfurt Summit on Network Analysis“, um den Möglichkeiten der Netzwerkanalyse auf den Grund zu gehen. Mit von der Partie waren das Center für Financial Studies, ein an der Goethe-Universität angegliedertes Forschungsinstitut, das Fintech Firamis sowie zahlreiche Forscher und Praktiker. Das Interesse der Gäste war enorm –, das bestätigte auch Dr. Thomas Funke, Co-Director vom Tech-Quartier, dem Incubator für die Fintech-Szene in Frankfurt. Stolz wies er in seiner Moderation darauf hin, dass es in der Main-Metropole unzählige Start-up-Unternehmen gebe, die sich etwa mit auf die Finanzbranche zugeschnittenen Anwendungsmöglichkeiten befassten. 
Eine dieser aufstrebenden Firmen ist das 2012 in Frankfurt ins Leben gerufene Start-up Firamis. Die Hessen erarbeiten Lösungen im Bereich des sogenannten Digital Asset & Wealth Management. Gründer Dr. Jochen Papenbrock gilt als Pionier im Bereich graphenbasierter Software. Seiner Einschätzung nach gelten die sogenannte Graph Theory und das Machine Learning als Zukunftsansätze im Asset Management. Graph-basiertes Machine Learning ist Papenbrocks Steckenpferd. Bei Firamis hat er sich deshalb auf Machine Learning konzentriert, das mit Vernetzungsmustern von Assets („Graphen“) in Zusammenhang steht. 
Die Netzwerkanalyse bildet nun schon seit etwa 20 Jahren einen Zweig in der Finanzmarktforschung. Im Grunde genommen geht es darum, Verbindungen zwischen Finanzmarktteilnehmern, sogenannte Interrelationen, besser zu verstehen. Den praktischen Nutzen ­schätzen beispielsweise Banken: Kreditsachbearbeiter wollen Vernetzungen innerhalb ihres Kundenkreises hinterfragen und anhand dieser Interrelationen das Risikomanagement, etwa in der Darlehensvergabe, optimieren. Die Netzwerkanalyse macht dabei Kausalitäten sichtbar und kann in Zusammenarbeit mit künstlicher Intelligenz für Prognosen herangezogen werden. Portfoliomanager wiederum ­können sich mit Hilfe von Netzwerkanalysen buchstäblich vor Augen führen, wie ihre Beteiligungen auf betriebswirtschaftlicher und personeller Ebene miteinander verknüpft sind. Institutionelle Investoren wiederum interessieren sich für Bilanzkennzahlen, Finanzdatenreihen und sie analysieren Nachhaltigkeitskriterien, um daraus Rückschlüsse für Anlageentscheidungen ziehen zu können. Was so einfach klingt, ist in der Praxis für viele eine Herausforderung. „Man muss tiefer einsteigen und sich die Vernetzung der Marktteilnehmer vor Augen führen“, erklärt Dr. Murat Ünal vom Beratungshaus Sonean. Tue man das nicht, entgehe einem das „Big Picture“, erläutert der Fachmann. 
Auf den Filter kommt es an
Unmengen an Daten zusammenzutragen und darauf blitzschnell zugreifen zu können, ist für Mensch und Maschine keine Kunst. Aber erst, wenn es gelingt, sie zu filtern, Unwichtiges zu entfernen, Zusammenhänge zu erkennen und Rückschlüsse daraus zu ziehen, kommt man als „Data Scientist“ und Endanwender voran, der sich von der Analyse – beispielsweise im Portfolio – höhere Sharpe-Ratios verspricht. Doch an dem Vorhaben lässt sich die Schwierigkeit erkennen, „Big Data“ und darauf aufbauende Analyse-Tools in der Finanzwirtschaft zu installieren: Sie betrifft unter anderem die Frage nach den sozialen Verbindungen der Marktakteure untereinander. Und sie birgt auch die Kopfnuss, wie Investoren und Asset Manager (auf persönlicher Ebene) miteinander vernetzt sind. Wo wir schon mal ­dabei sind, Fragen aufzuwerfen, dürfen auch diese nicht fehlen: Warum vertraut ein Investor einem Asset Manager Geld an? Spielen persönliche Beziehungen eine Rolle? Kennt und vertraut man sich womöglich, seit man gemeinsam die Schulbank gedrückt hat? 
Die Antworten darauf finden sich häufig in Netzwerken, die mit Hilfe moderner Technologien fein ziseliert werden können. „Die Menschen sind miteinander vernetzt. Man kennt sich vielleicht noch von der Schule oder der Universität“, so Murat Ünal, „und trifft sich als Co-Investoren wieder.“ Nach seiner Einschätzung lässt sich heute eine Art Konvergenzprozess beobachten: Big Data, der Einsatz künstlicher Intelligenz im Kapitalanlageprozess und das akademische Feld der Network Science konvergieren. Die Folge: „Wenn man die Netzwerke versteht, die sich hinter Asset Managern und Investoren verbergen, hilft uns das weiter. Wir bewegen uns dann in der Meta-Netzwerk-Analyse, dort geht es darum, sämtliche Vernetzungen zu verstehen.“ Ünals Einschätzung nach könne man mit Hilfe professioneller Analyse-Tools „die Beziehungen von Investoren“ verfolgen. 
Beziehungen sind das A und O
Dass es überaus sinnvoll sein kann, Daten über Unternehmen und deren Führungsriege zu sammeln, meint Tilo Walter vom Datenanbieter Kantwert. „Wir sammeln Daten aus unzähligen Quellen“, erläuterte er beim Frankfurt Summit. „Damit geben wir unseren Kunden die Möglichkeit, ihre Kunden besser zu verstehen, und so die kritische Frage zu beantworten: Ist das ein Kunde, den ich haben möchte?“ Kantwert wurde vor knapp dreieinhalb Jahren gegründet und will vor allem eins: Transparenz schaffen. Nach Einschätzung von Tilo Walter macht es „viel Sinn“, zum Beispiel „Verlinkungen“ in den Reihen der eigenen Kunden zu identifizieren. Tauchen Muster auf? Besteht der Verdacht, dass betrügerische Gruppen im Spiel sind? Ein praktisches Beispiel: Banken fragen sich, ob Kunden auf den schwarzen Listen der US-Behörden stehen? Nach dem Grundsatz „Kenne Deinen Kunden!“ könne man bestehende und potenzielle Kunden visualisieren und dabei auch prüfen, in welchen Unternehmen sie investiert sind und so die eigene Organisation schützen. 
Kantwert nutzt unter anderem die Daten aus dem Handelsregister und stellt sie den Anwendern seiner Software zur Verfügung. Die Informationen werden im Rhythmus von 15 Minuten aktualisiert, und man erfährt zeitnah, wer wo Prokura erhalten hat oder als Geschäftsführer geschasst wurde. Angereichert werden die Informationen mit öffentlich verfügbaren Daten von Golf Clubs oder den Rotariern und – natürlich – mit Informationen aus ­Geschäftsberichten; komplexeste Firmenstrukturen, wie sie etwa für Dax-Konzerne und ihren unzähligen Tochtergesellschaften üblich sind, werden so ­überschaubarer. Wer ist Aufsichtsrat, Investor, Kunde? Und das über mehrere Ebenen hinweg.
Für Murat Ünal geht es in Zukunft vor allem um dynamischere Daten. Ziel der Anbieterseite müsse es sein, Modelle zu entwickeln, die die Komplexität von Unternehmen und ganzen Sektoren vereinfachen, „damit ein Mensch sie versteht“. Exemplarisch verwies der Fachmann auf den Sektor der Landmaschinenbauer, von dem wohl nur Eingeweihte wissen, welche Start-up-Unternehmen von Kon­zernen wie John Deere und Monsanto gerade gemeinsam gepäppelt werden. Wäre es da nicht sinnvoll, exakt zu wissen, wer bei wem im Board sitzt, welcher Traktorfabrikant in den Weiten Russlands mit lokalen Behörden über persönliche Bande vernetzt ist, wer die Lobbyarbeit leistet und wer mit wem und vor allem wie paktiert? 
Mit Hilfe von Netzwerkanalysen kann sich ein Interessent/Investor sämtliche strategische Allianzen vor Augen führen und sich so einen Eindruck verschaffen, wohin die Reise geht. „Jeder, der in der Landmaschinenindustrie tätig ist, wird in einer einzigen Übersicht sichtbar“, so Ünal; wobei auch hier der Schlüssel zum Erfolg in der Filterung der Datenmassen liegt. Wofür das alles? Mit dem Mehr an Transparenz sollen Investoren in die Lage versetzt werden, schneller auf positive wie negative Ereignisse zu reagieren. Es reiche nicht aus, so Ünal, statisch auf Netze zu blicken, sondern, man müsse ­verstehen, welche Bedrohungen daraus erwachsen können. Wenn man das langfristig mache, könne man mitunter Muster erkennen und daraus ein besseres Bild der Lage einzelner Unternehmen ableiten. Daran ändert auch der Hinweise von Dr. Eduard Baitinger von Feri Trust nichts, dass es keine Blaupause dafür gibt, wie man Erkenntnisse aus Netzwerk-Analysen im Portfolio abbildet. „Die Investment Intelligence des Portfolio Managers wird verbessert“, so das Fazit von Firamis-Gründer Jochen Papenbrock. 
Ein Spielplatz für Investoren
In der von künstlicher Intelligenz und leistungsstarken Rechnern geprägten Welt gibt es offenbar nichts, was nicht auch in einem gut sortierten Jugendzimmer mit Spielekonsole und superschnellem Computer vorhanden wäre. Dass man als Investor heute selbst eine sperrige 3D-Brille aufsetzen und mit einem Sprach-Computer die Asset-Allokation diskutieren kann, überrascht da kaum. „Speech-driven Interfaces“ lautet das Zauberwort: Als Anleger erfährt man von der Maschine, wie es um die Diversifikation im Portfolio bestellt ist. Und man wird dahingehend aufgeklärt, welche Assets sich momentan negativ auf die Diversifikation auswirken. Wozu die 3D-Brille? Sie macht selbst komplexe Zusammenhänge im Portfolio sichtbar. Das Fazit nach dem Parforceritt: Man muss nicht zwingend „Big ­Data“ bemühen und schon gar nicht Prognosen auf Basis maschineller Intelligenz anstellen, sondern einfach mal wieder den gesunden Menschenverstand einschalten, um sich ausmalen zu können, dass der Netzwerkkonferenz weitere folgen werden. Das Casino der Goethe-Uni dürfte dafür aber zu klein sein. 
portfolio institutionell, Ausgabe 11/2017

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