Banken
7. März 2016

Neues vom Bembelboy / Wall Street: einer der größten Rohrkrepierer der Filmgeschichte

Und der einflussreichste Film über die Finanzbranche. Doch statt Typen dominieren heute Digitalisierung und De-Regulierung. Der Markt verbessert sich dadurch nicht gerade.

„Bembelboy“ ist ehemaliger Sales-Trader einer großen Bank. Für portfolio institutionell blickt er als Undercover-Agent und Kommentator hinter die Kulissen.
Vorneweg: Ich liebe den Filmklassiker „Wall Street“ aus dem Jahr 1987 mit Michael Douglas in der Hauptrolle. Gordon Gekko war einer meiner Jugendidole und ein wesentlicher Faktor für mein Interesse an der Börse mit all ihren „schönen“ Begleiterscheinungen. Die Rechnung eines einschlägigen Etablissements konnte ich beim Management als Reisekostenabrechnung zum letzten Mal Ende 2011 absetzen. Und betrachtet man allein den Zuwachs der Börsen weltweit, bin ich wohl auch nicht der Einzige, den dieser Film beeinflusst hat. Der Streifen war hervorragend recherchiert, was unter anderem daran liegt, dass der Vater von Regisseur und Drehbuchautor Oliver Stone selbst als Broker an der Wall Street gearbeitet hat. 
Warum schreibe ich dann Rohrkrepierer? Oliver Stones Absicht war es keineswegs, aus Gordon Gekko ein Vorbild zu machen. Gekko sollte als Krimineller dargestellt werden. Das kam beim Publikum bis heute aber noch nicht wirklich an. Er ist für viele insgeheim ein Held. Wenn man Oliver Stone Böses wollte, könnte man ihn indirekt für die jüngsten Finanzkrisen verantwortlich machen. Denn sein Film war leider sehr einflussreich für die Berufswahl vieler Glücksritter, die daraufhin scharenweise in den „Markt“ drängten.
Dadurch wurde in den 80er und 90er Jahren ein Typus von Investmentbankern gezüchtet, der keine gesellschaftliche Verantwortung kannte, sondern nur ein Ziel: Geld (für sich und andere) zu verdienen. Von den neueren Spielfilmen, die sich mit der Börse beschäftigen, kommt meiner Meinung nach nur „The Wolf of Wall Street“ – zumindest die ersten 90 der insgesamt 179 Minuten – auf das Niveau von Wall Street. Und zwar, wenn es darum geht zu zeigen, was so toll an den Jobs an der Wall Street war.
Durch die zunehmende Digitalisierung, für die gerade die Finanzbranche wie geschaffen ist, wurde es in dem Geschäft in die Gegenward hinein geradezu seelenlos – echte Typen mit Ecken und Kanten sind immer weniger gefragt. Heute predigt man uns zwar immer noch die Leistungsgesellschaft – die VIP-Bonus-Party feiert das Management aber allein. So kommt es, dass heute diejenigen, die die Drecksarbeit machen, im Gegensatz zu früher nichts mehr bekommen. 
Digitalisierung fördert High Frequency Trading 
Im Film erklärte Hauptdarsteller Gordon Gekko, dass die „Information“ das wertvollste Gut an der Wall Street ist. Heute ist es die Geschwindigkeit der Information! Eine weitere Begleiterscheinung der Digitalisierung ist vor allem das High Frequency Trading (HFT), bei dem diese Händlerzunft Orders schneller an diverse Börsen abgeben kann als andere Marktteilnehmer. Dadurch verändert sie die Preise – und das auch noch, nachdem sie Orders von anderen gesehen hat. Noch schöner ist der Umstand, dass die betreffenden Akteure ihre Positionen wieder glatt stellen können – mit den ursprünglichen Orders anderer. Immerhin wird seitens der Gesetzgebung über Regulierung nachgedacht. Meiner Ansicht nach wird sich aber nicht viel tun.
Die Financial Times Deutschland schrieb im Januar 2010, dass der über Großrechner gesteuerte Hochfrequenzhandel bereits über 50 Prozent des US-Aktiengeschäfts ausmacht. „Echte Händler“ schimpfen zu Recht, das es doch gar nicht mehr um News geht. „Wir haben hier doch kaum noch Volumen. Diese Algorithmen machen doch bereits eher rund 70 Prozent des Handels aus", sagt einer, der es wissen muss. Das Finanzdaten-UnternehmenNanex zeigte 2014 in einer Studie, dass die Hochgeschwindigkeitshändler Marktliquidität vortäuschen, indem das Angebot einer Aktie oder Anleihe zu einem bestimmten Kurs künstlich hoch angezeigt wird. Kommt es irgendwo zu einer Teil-Ausführung, werden die Orders an anderen Börsen weggezogen. 
Zu guter Letzt gibt es im HFT noch die Blitz-Orders, die 2004 von der SEC genehmigt wurden. Bei diesen Orders werden die Computer Millisekunden vor den anderen Marktteilnehmern über einen anstehenden Kauf-/Verkaufsauftrag informiert. Damit haben sie und ihre Hintermänner die Möglichkeit, diesen Auftrag anzunehmen und sofort durch minimale Preisaufschläge weiterzuverkaufen. Das Problem ist hier die Ungleichbehandlung der Marktteilnehmer, durch die es einzelnen Händlern (hier den Algo-Tradern) quasi möglich gemacht wird, Gewinne auf Kosten der anderen Marktteilnehmer zu realisieren. 
Kritikern von Blitz-Orders ist insbesondere ein Dorn im Auge, dass ein ausgewählter Teilnehmerkreis Informationen und Chancen vor allen anderen Marktteilnehmern erhält. Dagegen verweisen Befürworter auf die ansteigende Liquidität und die Verringerung der Handelsspanne. Durch den rückläufigen Spread sei es am Ende für alle Marktteilnehmer sicherer und günstiger zu handeln, was die „kleinen“ Gewinne der Liquiditäts-Provider rechtfertige. Und genau das stimmt eben nicht, wie wir bei der elektronischen Handelsplattform „360T“ gesehen haben. Die sogenannte Transparenz führt nicht zu mehr Liquidität, auch wenn der Spread enger geworden ist. Genau darum gab es früher Kursmakler. Abgesehen davon ist der Hochfrequenzhandel kein Handel für mich, sondern nichts anderes als Cyber War. 
Durch die Digitalisierung, zum Beispiel in Form von HFT, ist Liquidität im wahrsten Sinne des Wortes auf Knopfdruck zu leiten. Ein wesentlicher Effekt dieser Liquiditätssteuerung ist bei der Volatilität zu sehen. Für Day-Trader wird es immer schwieriger, Geld zu verdienen, da die Tagesvolatilität (beispielsweise im S&P 500) in der jüngeren Vergangenheit stark gesunken ist. Das sieht auf den ersten Blick eigentlich gut aus, doch das Bild ist trügerisch. Denn gerade in den vergangenen zehn bis 15 Jahren kam es zu großen Volatilitätssprüngen über alle Asset-Klassen hinweg (2001 und 2008 bei Aktien, 2005 bis 2007 waren es die Rohstoffe, seit 2009 nun auch Währungen). Seit gut zwei Jahren sehe ich im Euro/US-Dollar-Wechselkurs oft Vier-Cents-Sprünge. Zwar beruhigt sich der Markt wieder, holt zwei bis drei Cents auf, das aber nur, um anschließend wieder volatile Sprünge zu machen. Denn vor allem mit „Vola“ läßt sich für die großen Haie im Markt wirklich noch „gutes“ Geld verdienen. 
Der Markt verkommt
Händler aus echtem Schrot und Korn, die meist nicht mehr gefragt sind, haben häufig das Gefühl, dass der Markt verkommt. Sie wissen noch, warum gewisse Regeln eingeführt wurden, wie zum Beispiel die Limit-Up-&-Down-Regel (LUD) im Agrarhandel von Rohstoffen. So gesehen wäre ein simpler Ansatz, einfach die Regeln, die de-reguliert wurden, wieder zu re-regulieren. Im Falle von „LUD“ sieht die Sache so aus: Der Weizenpreis darf pro Tag maximal plus/minus drei Prozent schwanken, danach wird er an der oberen beziehungsweise unteren Grenze für diesen Tag fixiert. Am nächsten Tag kann der Preis dann ebenfalls wieder um drei Prozent steigen oder fallen, so dass in der betreffenden Handelswoche 15 Prozent und auf den Monat eine Preisveränderung von 60 Prozent möglich ist. Diese Regel führt keinesfalls in die Planwirtschaft, sondern verhindert exzessive Volatilität. Immerhin waren hohe Weizenpreise ein Grund, weshalb es in Algerien zum Arabischen Frühling gekommen ist. Der Markt hat mal wieder ein gutes Werk getan, denn so wurde später Libyen von Machthaber Muammar al-Gaddafi befreit. 
In der Regel ist eine exzessive Volatilität, insbesondere bei jenen Rohstoffen, die unseren Alltag betreffen, nicht gut. Im März 2008 kam es zu einer extremen Volatilität bei Baumwolle, wobei der Preis nach dem Anstieg zwei bis drei Tage später wieder da notierte, wo er zuvor stand. Nur in der Zwischenzeit hat sich einer der größten Baumwollhändler der Welt „verabschieden“ müssen. Er konnte schlichtweg die Margin Calls nicht bedienen, die durch die Marktpreisschwankungen fällig wurden. Hätte man den Markt mit Hilfe von LUD-Regeln temporär vom Handel ausgesetzt, würde es diesen Händler heute wohl noch geben. Denn große Marktteilnehmer hätten genug Zeit gehabt, die erforderliche Liquidität für die Nachschusszahlungen zu besorgen. Ein anderer großer Baumwollhändler, im Geschäft seit 1788, einer der konservativsten und der wahrscheinlich seriöseste aller Baumwollhändler in diesem Geschäft, wurde glücklicherweise von den Banken gerettet. Gerade Baumwollhändler erbringen wichtige Funktionen sowohl in der Allokation als auch in der Distribution von Baumwolle und damit Kleidung, was ihre Marge rechtfertigt. 
Wenn der Markt also verkommt, warum wird dann nur von „Bankentrennung“ geredet und nicht vom Sherman-Anti-Trust-Gesetz, das von beiden Roosevelts (Teddy und Franklin D.) erfolgreich angewendet wurde? Denn auch Kommunisten brauchen Banken. Die Chinesen sind dafür ein schlagendes Beispiel. Und Ché Guevara wurde von Fidel Castro zum Chef der kubanischen Zentralbank gemacht. 
Hintergrund und auslösendes Moment für die Zerschlagung/Entflechtung von Monopolen ist natürlich deren marktbeherrschende Stellung. Die letzte große Zerschlagung war 1982 die von AT&T. Daneben verfügen solche Konglomerate über einen erheblichen Einfluss auf die Gesellschaft und damit weitestgehend auf Regierungen, insbesondere Demokratien. Der Globalisierung sei Dank lautet nun die Frage, wann hier der Begriff „marktbeherrschend“ zu greifen beginnt. Der Druck ist inzwischen viel größer, so dass Giganten wie der Telekomkonzern AT&T, der im Kern heute wahrscheinlich größer ist als im Jahr seiner Entflechtung (1982), nicht noch einmal unter diesem „Act“ zu leiden haben.
Die Freiheiten, die Computer dem Menschen ermöglichen, rechtfertigen nicht, dass wir auf Regeln verzichten beziehungsweise sinnvolle Regeln de-regulieren. Außerdem würde es uns gut tun, wenn wir nicht alles dem Computer überlassen, sondern noch vieles selbst erledigen – und das ganz bewusst. Nicht, dass die Hörigkeit zum Computer, der aufgrund seiner „Natur“ natürlich zur Seelenlosigkeit beiträgt, für uns alle ein Rohrkrepierer wird. 
portfolio institutionell newsflash 07.03.2016
Autoren:

In Verbindung stehende Artikel:

Schreiben Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert