Strategien
23. Februar 2017

Quartalsberichte, Integrated Reporting und Nachhaltigkeit: Papier ist geduldig, Investoren sind es nicht

Immer mehr Investoren haben sich dem verantwortlichen Investieren verschrieben. Dazu betrachten sie ESG-Einflüsse von Unternehmen aus verschiedenen Perspektiven. Und sie integrieren ESG-Faktoren in ihre Investmentprozesskette und in ihre Bewertungsmodelle. Doch was treibt eigentlich die Zielunternehmen um?

Der Umfang mancher Geschäfts­berichte hat inzwischen Ausmaße angenommen, dass sich nicht wenige Adressaten fragen, wer das ­eigentlich alles lesen soll. Und vor allem: wann? Dank einer EU-Richtlinie und dem daraus abgeleiteten Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz brauchen börsennotierte Unternehmen in der Bundes­republik seit 2016 zumindest nur noch abgespeckte Quartalsberichte publizieren – reduziert auf das Wesentliche; wobei jedes Unternehmen den so gewonnenen Freiraum anders interpretiert.
Wer nun ­geglaubt hätte, die Papier- beziehungsweise­ Datenflut habe ein Ende, muss enttäuscht werden. Denn Unternehmen mit mehr als 500 ­Mitarbeitern müssen an anderer Stelle in Zukunft mehr von sich preisgeben. Dazu später mehr. Beginnen wir diese Erörterung lieber mit einem Thema, das auf Freiwilligkeit basiert: Rund um den Globus machen sich die Unternehmen, die etwas auf sich halten, intensive Gedanken, wie sie nachhaltig wirtschaften können. Sie stufen den ­gesellschaftlichen und ökologischen Wandel als wirtschaftlich sinnvoll ein. Dazu analysieren sie umweltspezifische und soziale Aspekte und treiben so den Wandel voran.

Gleichzeitig rücken sie Risiken ins Blickfeld, die der eigenen Unternehmensentwicklung im Wege stehen könnten. Wie ist es dazu ­gekommen? Simone Fischer, Partner und Head of Sustainability Services­ Deutschland im Bereich Audit bei KPMG, blickt im Gespräch mit portfolio institutionell in die Vergangenheit und sagt, dass sich das gesellschaftliche Bild sowie die Ethikvorstellungen in Bezug auf die Rolle­ von Unternehmen in der Gesellschaft gewandelt haben: „Ein Unternehmen wird nach heutiger Auffassung eben nicht nur nach finanziellen­ Beiträgen beurteilt. Vielmehr wird auch sein Social ­Impact und sein ökologischer Impact gewürdigt. Die Auswirkungen können bei dem betreffenden Unternehmen entweder positiv oder negativ ausfallen.“
Viele Unternehmen seien sich bereits im Klaren, dass sie Teil der gesellschaftlichen Lösung sein müssen. „Wir müssen uns gemeinsam um die Zukunft bemühen. Und das setzt bei dem ­einen Berichterstatter früher ein und bei dem anderen eben später. Aber das Grundverständnis hat sich im Wertegefüge nach meiner ­Beobachtung in den vergangenen Jahren deutlich herausgearbeitet und es ist heute bereits weltweit ein Verständnis, das Unternehmen haben“, berichtet­ Fischer.

Der frühe Vogel fängt den Wurm
Viele, aber längst nicht alle Großunternehmen sind so auch zu der ­Erkenntnis gelangt, dass sich die aktive Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeit auf Unternehmensebene (Corporate Social Responsibility, CSR) positiv auf den Firmenwert auswirken kann, wenn daraus neue Geschäftsmodelle erwachsen. Fachleute sagen, es gibt lukrative Zukunftsmärkte, die auf nachhaltigen Produkten aufbauen oder auf nachhaltigeren Produktionsprozessen. Wenn man hier als Unternehmen frühzeitig agiert, kann man Wettbewerbsvorteile erringen. „Für immer mehr Investoren spielt die Corporate Social Responsibility in deren Investmententscheidungen eine Rolle“, sagt Lydia Sandner, Senior-­Analystin bei der Nachhaltigkeits-Rating-Agentur Oekom Research­ und im Finanzteam zuständig für den Versicherungs­bereich.
Im Dialog mit portfolio institutionell erläutert sie, dass eine wachsende Zahl von Investoren Daten von Oekom Research heranzieht, um ihre­ Anlageentscheidungen darauf zu gründen. „Sie ­entscheiden also nicht nur auf der Basis von Finanzinformationen, sondern sie berücksichtigen auch die Verantwortung von Unternehmen in ihrem Anlage­prozess“, sagt Sandner und wird konkreter: „Man sieht, dass nachhaltiges Investieren stetig wächst. Die Investor-Relations-Abteilungen sehen­ das natürlich auch und rüsten auf, nicht zuletzt weil sie mit einer steigenden Zahl von Investorenanfragen konfrontiert werden.“

Bei der Bewertung der von Oekom Research analysierten CSR-Performance greift sie mit ihren Kollegen auf die Nachhaltigkeitsbericht­erstattung der Unternehmen zurück. „Die dabei gewonnenen Informationen sind für uns sehr wichtig. Wir achten beispielsweise darauf, wie und in welchem Umfang die einzelnen Unternehmen hier Ein­blicke geben und zeigen, was sie im Bereich CSR überhaupt tun“, so Sandner. Nach ihrer Einschätzung kennen die Unternehmen die ­Bedeutung der CSR-Berichterstattung. „Und gerade die großen ­Unternehmen im Deutschen Aktienindex berichten schon seit geraumer Zeit über ihre Nachhaltigkeitsaktivitäten, wobei die inhaltliche Intensität bei vielen stetig wächst“, führt die Analystin aus.
Der Grund dafür ist, dass den Unternehmen bewusst wird, dass die Thematik in der Öffentlichkeit, bei Kunden und bei Investoren eine immer ­größere Rolle spielt. Das sei auch eine Frage der Wahrnehmung bei den Stakeholdern. „Die Unternehmen wissen das für gewöhnlich aus erster Hand, weil Investoren direkt mit ihnen in Kontakt treten, um die CSR-Performance zu besprechen. Und das tun die Investoren häufig auf Grundlage unserer Rating-Ergebnisse“, sagt Lydia­ Sandner.

Die Analystin vertritt die Auffassung, dass sich die Nachhaltigkeitsstrategie langfristig in der Bewertung der Unternehmen wider­spiegelt. „Unsere Bewertung basiert auf einer Fülle von Informationen. Wir schauen uns an, ob Unternehmen Chancen nutzen, um positive ­Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesellschaft zu erzeugen, und ob sie relevante soziale und ökologische Risiken managen. Beides hat Auswirkungen auf unser Rating“, sagt Sandner, deren Analystentätigkeit eigenen Angaben zufolge neutral und ohne eine Beeinflussung durch die Unternehmen erfolgt.
Denn das Oekom-­Rating sei kein Auftrags-Rating durch die Unternehmen. „Vielmehr zahlen unsere Kunden, hauptsächlich institutionelle Investoren und Asset Manager, dafür, unsere Informationen in aufbereiteter Form nutzen zu können. Dazu haben wir intern­ eine Art Chinese Wall gezogen, damit ­Research und Vertrieb voneinander abgeschottet sind.“ Inzwischen beziehen mehr als 160 Asset Manager und Asset Owner aus 13 Staaten die ­Informationen der Rating-Agentur regelmäßig in ihre Anlageentscheidungen ein. Die Analysen von Oekom beeinflussen dadurch rund 1,5 Billionen Euro Assets under Management.

Dass sich der Trend hin zu mehr Nachhaltigkeit nicht aufhalten lässt, zeigt sich an der wachsenden Nachhaltigkeitsberichterstattung weltweit. Sie ist laut dem Survey of Corporate Responsibility­ Report 2015 der Wirtschaftsprüfer von KPMG zum Standard geworden. Für diese Analyse wurden 4.500 Nachhaltigkeitsberichte aus 45 Ländern untersucht – darunter auch die CR-Reports der 250 größten Konzerne ­weltweit. Wie der Corporate Responsibility Report von KPMG ergab, ergänzen bereits drei von fünf Unternehmen weltweit ihren Jahres­finanzbericht um einen Nachhaltigkeitsreport.

Schärfere Regulierung in Teilen der Welt
Äußerst aktiv in der Berichterstattung hinsichtlich ­Corporate Social Responsibility sind Unternehmen in der Region ­Asien-Pazifik. Und besonders hoch ist der Anteil der auskunftsfreudigen Unternehmen laut KPMG in den vier Schwellenländern Indien, Indonesien, Malaysia und Südafrika, wofür nicht zuletzt eine ­straffere Regulierung verantwortlich sein dürfte. Das aus deutscher Sicht ­erfreuliche Ergebnis: Unternehmen aus der Bundesrepublik sind auf dem Gebiet des ­Klimaschutzes weltweit führend. So informieren alle 18 deutschen ­unter den 250 größten Konzernen über ihre CO2-Emissionen ­(weltweiter Durchschnitt: 82 Prozent). Und 94 Prozent der Konzerne hierzulande haben sich auch ein konkretes Ziel zur ­Senkung dieser Emissionen gesetzt – deutlich mehr als von den internationalen Wettbewerbern (Durchschnitt 52 Prozent).

Integrieren und handeln
Im Zuge der wachsenden Berichterstattung über Nachhaltigkeit ­findet auch das sogenannte Integrated Reporting immer mehr Befürworter. Hinter der integrierten Berichterstattung – mancher Finanzprofi lehnt sich weit aus dem Fester und behauptet, das sei ein Megatrend – steht der Gedanke, die Nachhaltigkeit im Unternehmen auf allen Ebenen zu verankern. Aber anders als es der Begriff vermuten lässt, ist Integrated Reporting mehr als die reine Berichterstattung darüber, es ist ein Managementthema. „Nur wenn Nachhaltigkeit auf allen Ebenen verankert ist, kann man integriert berichten“, sagt KPMG-Partnerin Simone Fischer, die sich auch im Arbeitskreis Integrated Reporting der Schmalenbach-Gesellschaft mit der Materie befasst. „Beim Integrated Reporting hinterfragt das Unternehmen zunächst einmal, ­welche Kapitalien es nutzt. Und hier hat man mit weit mehr zu tun als mit dem Finanzkapital.“
Man betrachtet die Kundenbeziehungen, die Beziehungen zu den Mitarbeitern oder das geistige Eigen­tum in ­immateriellen Vermögenswerten. Man betrachtet die vorhandene Sachkapitalausstattung und Infrastruktur und hinterfragt den ­Verbrauch von nicht nachwachsenden Rohstoffen oder den Abbau von anderen Naturkapitalien. Alles das aggregiert man mit dem Ziel, die Wechselwirkungen zwischen dem unternehmerischen Tun und den verschiedenen Kapitalien abzubilden, so Fischer. Deutsche ­Unternehmen sind bei der integrierten Berichterstattung mit von der Partie. „Aber sie sind nicht die Frontrunner“, merkt die KPMG-Frau an. Das gelte vielmehr für jene Nationen, in denen die integrierte ­Berichterstattung bereits gesetzlich verpflichtend ist. Das ist zum Beispiel in Südafrika der Fall. Dort gibt es entsprechende Börsenrichtlinien,­ wonach das Integrated Reporting notwendige Voraussetzung für die Teilnahme am Kapitalmarkt ist.

In Deutschland hat sich der Softwaregigant SAP als Vorreiter in der integrierten Berichterstattung einen Namen gemacht. Als erster Dax-Konzern haben die Walldorfer bereits 2013 ihre Interpretation eines integrierten Berichts der Öffentlichkeit vorgestellt, der die Inhalte des bisherigen Geschäftsberichts und des bisherigen Nachhaltigkeits­bericht zusammenführt. Mehr noch: Mit einem integrierten Bericht stellt das Anfang Februar mit 102 Milliarden Euro derzeit wertvollste börsennotierte Unternehmen des Landes nun holistisch dar, wie die Geschäftsergebnisse auf finanzieller und nicht-finanzieller Ebene ­zusammenhängen. SAP beurteilt seine Unternehmensleistung ­anhand von vier Zielen, die finanzielle und nicht-finanzielle Kenn­zahlen miteinander verknüpfen: Umsatzwachstum, Margener­höhung, Kundenzufriedenheit und Mitarbeiterengagement.

Viele der nicht-finanziellen Kennzahlen wirkten sich auf diese Ziele aus, berichtet SAP und ergänzt: Die Wechselbeziehungen zwischen finanziellen und nicht-finanziellen Kennzahlen ließen sich durch eine­ integrierte Berichterstattung besser darstellen. Im integrierten Bericht 2015 ergänzt die Softwareschmiede. „Wir begnügen uns nicht mehr nur mit der Feststellung, dass gesellschaftlicher und ökologischer Wandel wirtschaftlich sinnvoll sind, sondern haben jetzt auch die Zahlen, um dies zu belegen“, heißt es aus Walldorf.
In seinen jüngsten Analysen rechnet SAP interessanterweise vor, dass sich eine Abweichung des hauseigenen Mitarbeiterengagements um einen ­Prozentpunkt mit 40 bis 50 Millionen Euro auf das Betriebsergebnis auswirken würde. Eine Abweichung des betrieblichen Gesundheitskulturindex um einen Prozentpunkt hätte mit 75 bis 85 Millionen ­Euro noch deutlich stärkere Auswirkungen.

Wie SAP publiziert auch der niederländische Chemiekonzern DSM einen integrierten Bericht. Das besondere hier: Er enthält das Kapitel „What still went wrong“. Hier werden die wichtigsten Vorfälle des vergangenen Geschäftsjahres in den Dimensionen „People“, „Planet“ und „Profit“ aufgelistet. Das Unternehmen analysiert sich also immer wieder selbstkritisch. Um es auf den Punkt zu bringen: Corporate ­Reporting, ob nun integriert oder nicht, umfasst wesentlich mehr Aspekte­ als das Financial Reporting im herkömmlichen Geschäfts­bericht.
Gleichzeitig lässt sich auch eine Konvergenz zwischen finanziellen und nicht-finanziellen Unternehmensdaten beobachten. Die erste Initiative für die Konvergenz finanzieller und nicht-finanzieller Unternehmensdaten fand im Oktober 2010 an der Harvard Business School statt. Im Jahr darauf wurde das International Integrated Reporting­ Council (IIRC) in London gegründet. Dort verfolgt man das Ziel, die Art und Weise zu verbessern, wie Unternehmen über ihr ­Geschäftsmodell denken, planen und darüber berichten.

Drum prüfe, was sich bindet
Nachhaltigkeitsstrategie und Nachhaltigkeitsberichte – kann man als Investor darauf vertrauen? Ja, denn Nachhaltigkeitsberichte unter­liegen der Prüfpflicht durch den Aufsichtsrat des betreffenden Unternehmens. Eine Testierung ist in der Bundesrepublik zwar nicht ­erforderlich. Dennoch steigt die Zahl der Unternehmen, die ihren Nachhaltigkeitsbericht von externer Seite, typischerweise durch ­Wirtschaftsprüfer, auf Herz und Nieren prüfen lassen. Eine solche ­Verifizierung kann sich nach Einschätzung von KPMG positiv auf die Glaubwürdigkeit auswirken.
Was die Nachhaltigkeit auf Unter­nehmensebene betrifft, ist KPMG nicht nur Prüfer, sondern auch selbst Vorreiter. Denn es ­gehe nicht bloß um Philanthropie und um menschenfreundliches Denken und Verhalten, sondern vielmehr ­darum, wie man die Mitarbeiter dazu animiert, „auf allen Unternehmensebenen nachhaltig zu arbeiten, um so den Unternehmenserfolg zu steigern“, heißt es erläuternd auf der Homepage der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft.

Die Palette der Nachhaltigkeitsaspekte, die heute eine Rolle spielen, ist groß und von Sektor zu Sektor unterschiedlich. Aber etwas eint die deutschen Nachhaltigkeitsmitstreiter. Sie geben aus eigenem Antrieb eine Entsprechenserklärung zum Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK) ab, der 2011 vom Rat für Nachhaltige Entwicklung in einem Stakeholder-Prozess entwickelt wurde. Der Deutsche Nachhaltigkeitskodex kann von Unternehmen und Organisationen jeder Größe und Rechtsform genutzt werden. Und er trifft auf reges Interesse.
172 ­Firmen berichten inzwischen nach dem branchenübergreifenden Transparenzstandard für unternehmerische Nachhaltigkeitsleistungen. Zum Vergleich: Ende 2015 waren es erst 113. „Kleine und mittlere Unternehmen, die von der Berichtspflicht eigentlich nicht betroffen sind, haben großes Interesse am DNK. Sie nutzen ihn trotzdem, um ihre Geschäftsmodelle im Wettbewerb sichtbar zu machen“, sagt Yvonne Zwick, wissenschaftliche Referentin in der Geschäftsstelle des Rates für Nachhaltige Entwicklung. Der Rat erarbeitet im Auftrag der Bundesregierung Beiträge für eine nationale Strategie und schlägt Umsetzungsstrategien vor.

Neben dem deutschen Nachhaltigkeitskodex sind insbesondere auf globaler Ebene die freiwilligen Standards der Global Reporting Initiative (GRI) in der Nachhaltigkeitsberichterstattung verbreitet. Die ­Standards sind regelbasiert und gelten als sehr strukturiert. Und sie gehen sehr ins Detail. „Wenn ein Unternehmen GRI-konform berichtet, kann man davon ausgehen, dass darin viele wichtige Themen ­abgedeckt sind“, weiß Lydia Sandner von Oekom Research. Über wie viele und welche Themen genau berichtet wird, entscheiden die ­Unternehmen durch eine Materialitätsanalyse. „Die Breite und Tiefe zwischen den einzelnen Unternehmen ist zwar bisweilen recht unterschiedlich. Die Qualität hat damit aber schon bestimmte Standards erreicht. Und durch den GRI-Index weiß man als Leser, wo man ­bestimmte Informationen findet. Das hilft auch den Unternehmen, diese Berichte zu erstellen.“

Doch es gibt offenbar immer noch eine ganze Reihe von Unternehmen, die partout nicht auf den Nachhaltigkeitszug aufspringen ­wollen und von daher auch nichts über etwaige Nachhaltigkeitsvorhaben ­berichten können. Ihnen hilft der Gesetzgeber nun auf die Sprünge: Seit 2017 sind große Unternehmen in der Europäischen Union ­verpflichtet, über die sozialen und ökologischen Aspekte ihres Wirtschaftens zu berichten. Hintergrund ist die EU-Richtlinie zur nicht-­finanziellen Berichtspflicht vom 22. Oktober 2014.

Die EU zielt mit der Richtlinie 2014/95/EU zur Corporate Social ­Responsibility auf die Stärkung des Verantwortungsbewusstseins der großen Unternehmen für die Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit auf die Gesellschaft ab. Firmen von öffentlichem Interesse, zu denen auch die meisten Ver­sicherer gehören, sollen unter anderem eine jährliche Erklärung zu Umwelt-, Arbeitnehmer- und Sozialbelangen, zur Achtung der ­Menschenrechte und Bekämpfung von Korruption und Bestechung abgeben. Die Realisierung steht aber noch aus. ­Eigentlich hätten die Mitgliedsstaaten der EU diese Richtlinie bis ­spätestens 6. Dezember 2016 in nationales Recht umsetzen müssen. Der Bundestag hat es aber bis dato nicht geschafft, das entsprechende CSR-Gesetz zu verabschieden, dabei liegt seit September 2016 ein Entwurf auf dem Tisch.

Ohne dem Gesetzgebungsverfahren vorzugreifen: Die künftigen nicht-finanziellen Berichtspflichten sind auf Lage- und Konzernanlage­berichte für nach dem 31. Dezember 2016 beginnende Geschäftsjahre anzuwenden. Analysten gehen heute davon aus, dass rund 540 Unternehmen in der Bundesrepublik unter die EU-Richtlinie fallen. Für sie wird die CSR-Berichterstattung verbindlich. Der Gesetzentwurf sieht nach Angaben der Wirtschaftsprüfer von PWC vor, dass kapital­marktorientierte Unternehmen sowie Kreditinstitute und Versicherungen jeweils mit mehr als 500 Mitarbeitern das Gesetz anwenden und eine sogenannte nicht-finanzielle Erklärung abgeben müssen.

Gründe für das Investitionsverhalten
Wenn Investoren der Papier- und Datenflut aus Quartals-, Geschäfts-, Nachhaltigkeits- und integrierten Berichten, ob nun testiert oder nicht, Herr geworden sind und Unternehmen für das Portfolio selektiert haben, wird es erst richtig spannend. Das weiß auch Professor Dr. Markus Arnold vom Institut für Unter­nehmensrechnung und Controlling an der Universität Bern. Arnold analysiert in seiner Arbeit immer wieder interne Steuerungsprozesse in Unternehmen. Daneben erforscht er die Corporate Social Responsibility und hinterfragt, wie Investoren diese Nachhaltigkeitsangaben verarbeiten.
Dabei inter­essiert ihn vor allem, warum Investoren Entscheidungen auf einer solchen Basis treffen. Gemeinsam­ mit Forscherkollegen aus den USA ist Markus Arnold im vergangenen Jahr im Rahmen einer experimentellen Studie dazu der Frage nachgegangen, welche Motivation Investmentprofis haben, wenn sie in CSR-High-Performer investieren, sprich: Unternehmen, die besonders vorbildlich sind. Und er wollte wissen, welche Gründe und Erwartungen sie hegen. Rückblickend sagt er: „Wir hinterfragen, warum sich Unternehmen für Gesellschaft und ­Umwelt überhaupt engagieren. Und wir interessieren uns dafür, warum ­Investoren das gut oder nicht gut finden.“

Ziel der Studie war es, herauszufinden, wie die persönlichen ­Präferenzen von Marktteilnehmern aussehen und wie sie den Zusammenhang zwischen finanzieller und nicht-finanzieller Performance einschätzen. Teilnehmer waren 81 Investment Professionals mit durchschnittlich mehr als 18 Jahren Berufserfahrung. „Wir haben ­untersucht, welchen Effekt positive CSR-Informationen auf die ­Bereitschaft ­haben, in ein Unternehmen zu investieren, über welche Kanäle diese Informationen wirken und wie stark diese Investments von grund­legenden persönlichen, sozialen und ökologischen Einstellungen beeinflusst werden“, so der Wissenschaftler.
Es sei auch ­darum gegangen, zu schauen, inwieweit persönliche Vorurteile über CSR beim Investieren eine Rolle spielen. „Wir nennen das ­motiviertes Denken: Wenn ich bereits vor der Analyse ein bestimmtes ­Urteil im Blick ­habe, dann suche ich vermehrt nach Informationen, die dieses Urteil bestätigen“, so Arnold und erweitert den Blick auf Anleger: „Wenn Sie der Auffassung sind, dass die Corporate Social Responsibility aus ­einer gesellschaftlichen Sicht Geldverschwendung ist, dann werden Sie auch bei konkreten Unternehmen nach Anhaltspunkten suchen. Und damit werden Sie sich selbst immer wieder ­bestätigen.“

Ein zentrales Ergebnis besteht darin, dass Informationen über eine positive CSR-Performance bei den Studienteilnehmern zu einer um 16 Prozent höheren Einschätzung der finanziellen Performance ­führten und zu einer um 29 Prozent höheren Investitionsbereitschaft. Nach Einschätzung der Studienautoren heißt das, dass aus Sicht des durchschnittlichen Investors tatsächlich eine positive Beziehung ­zwischen einer guten Performance in den Bereichen ­Mitarbeiter und Umwelt und der finanziellen Performance besteht. „Das ist aus meiner Sicht nicht selbstverständlich und wurde in der Vergangenheit oft bezweifelt“, so Arnold. „Viele sind der Meinung, ­alles, was über die ­gesetzlichen Forderungen hinausgeht, sei Geldverschwendung. Aber anhand unserer Studie sieht man etwas ganz ­anderes, nämlich dass Fachleute die herausragenden Unternehmen durchaus positiv einschätzen: Wenn die CSR-Performance positiv ist, kommen sie zu ­einer besseren Einschätzung der finanziellen Performance der Unternehmen.“
Die höhere Investitions­bereitschaft rühre aber nicht alleine daher, dass die finanzielle Performance besser ­eingeschätzt wird, ­sondern dass auch Faktoren jenseits davon zum Tragen kommen. „Es besteht offensichtlich eine Präferenz von Investoren hier zu investieren, weil man jenseits der finanziellen Aspekte das Engagement ­solcher Unternehmen gut findet“, konstatiert Arnold.

Verdacht auf Greenwashing
Die Analystin Lydia Sandner hat ein probates Mittel in petto, um ­Unternehmen zu identifizieren, die es mit der Corporate Social ­Responsibility nur auf den ersten Blick ernst meinen, indem sie ­sogenanntes Greenwashing betreiben: „Wir versuchen, auch an dieser Stelle­ sehr genau hinzuschauen. Deswegen verlangen wir von den Unternehmen viele Details. Um eine gute Bewertung in unserem mehrstufigen Rating-Prozess zu erhalten, reicht es eben nicht, ­Themen einfach nur aufzulisten, ohne zu zeigen, dass tatsächlich ­etwas Handfestes dahinter steht. Das allein führt nicht zu guten ­Noten.“
Die Rating-Kandidaten müssen darlegen, was sie in den ­verschiedenen Bereichen planen und wie sie es umsetzen. Sandner: ­„Gleichzeitig führen wir immer auch eine umfassende Recherche ­abseits der von den Unternehmen zur Verfügung gestellten Informationen durch. Dabei suchen­ wir beispielsweise nach Informationen von Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften. Nur so ­können wir eine 360-Grad-Sicht auf das Unternehmen erzeugen und vermeiden, dass wir nur die ­positiven Aspekte bewerten, während die negativen Aspekte­ unter den Tisch fallen.“ Kontroversen, Anschuldigungen, Strafzahlungen und sonstige negative Aspekte führten zu ­einer ­Abwertung der Note und wirken negativ auf das Rating.

Professor Arnold hält Greenwashing für sehr problematisch und gibt zu bedenken, dass man nicht sagen könne, wie groß der Anteil der Firmen ist, die eine solche Strategie verfolgen. „Ein weiteres bislang noch ungelöstes Problem ist das der verschiedenen Berichts-Standards. Es gibt zum einen sehr viele unterschiedliche Frameworks, nach denen berichtet wird und die alle unterschiedliche Dinge abfragen. Aus meiner Sicht bleibt häufig unklar, wie gut Unternehmen hier abschneiden. Und wie stark das mit der finanziellen Performance ­zusammenhängt. Das ist eines der Hauptprobleme. Die ­Unternehmen geben meiner Einschätzung nach noch zu wenig preis, inwieweit das mit der finanziellen Performance zu tun hat.“
Aus Gesprächen mit Analysten und ganz allgemein mit Investment Professionals weiß der Berner Wissenschaftler, dass sich diese Gruppe eine deutlich stärkere Standardisierung der Berichte und der berichteten Daten wünscht. Oft mangele es an Key-Performance-Indikatoren und deren guter Vergleichbarkeit­ über Unternehmen hinweg. „Das ist viel weniger standardisiert als wir das aus der Finanzberichterstattung kennen. Dort ist klar geregelt, aus welchen Bilanzposten Kennziffern abgeleitet werden“, so Arnold.

Den Schlusspunkt der Erörterung setzt Simone Fischer von KPMG. Denn zum Abschluss des Gesprächs mit ­portfolio institutionell sagte sie, dass sich derzeit alle deutschen ­Unternehmen mit der Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben im ­Zuge der CSR-Berichterstattung befassen. Sehr häufig tauche hier die Frage auf, wer eigentlich die ­Adressaten der CSR-Berichte seien? Eine weitere Ungewissheit, die die meisten Unternehmen im ­Hinblick auf ihre ­Geschäftsberichte umtreibt, ob die nun integriert sind oder nicht, sei: Wer liest das und in welchem Umfang? „Das herauszubekommen, sei eine Herausforderung, die wir ausnahmsweise nicht meistern können.“ Sicher ist: Papier ist geduldig, Investoren sind es nicht.

Von Tobias Bürger

portfolio institutionell, Ausgabe 02/2017

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