Schwarzer Schwan
11. Mai 2012

Bei Würstchen und Bier setzen Aktionäre Fat Cats auf Diät

Lesen Sie in dieser Ausgabe des Schwarzen Schwan der Woche, dass Aktionäre sich bei üppigen Steigerungen von Vorstandsgehältern nicht mehr durch Würstchen und Bier besänftigen lassen.

Der Besuch von Hauptversammlungen kann durchaus eine Reise wert sein. Mal abgesehen von der Verpflegung und dem Rahmenprogramm – Brauereikonzerne schenken ihr Bier aus, während Autobauer zur Probefahrt laden – bieten Aktionärstreffen dem womöglich weitgereisten Publikum die Möglichkeit, ihrem Ärger über schwache Aktienkurse und/oder Kapitalmaßnahmen Luft zu verschaffen. Oder dem Vorstand in aller Öffentlichkeit einmal kräftig auf die Finger zu klopfen. Mancher Büttenredner lässt während der Hauptversammlungssaison die Karnevalssaison ausklingen. Insofern ist die aufkommende Möglichkeit der Stimmabgabe per Internet keine echte Alternative. Man denke nur an den Unterhaltungswert einer solchen Veranstaltung.
Hierzulande gehört es inzwischen längst zum guten Ton, neben den typischen Tagesordnungspunkten, etwa der Entlastung der Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat, die Aktionäre über das Vergütungssystem abstimmen zu lassen. Der Gesetzgeber hat vor zwei Jahren die Möglichkeit im Aktiengesetz geschaffen, freiwillig das rechtlich nicht bindende Votum der Aktionäre, das sogenannte „Say on Pay“ einzuholen. Das setzt natürlich voraus, dass die Gesellschaften die Vergütung ihrer Vorstände individualisiert offen legen, was bis dato vor allem im Bereich der Nebenwerte noch nicht jedes Unternehmen von sich behaupten kann. Die Angelsachsen sind da viel fortschrittlicher.
Eine Hauptversammlung der besonderen Art musste jüngst Andrew Moss (Jahrgang 1958), Vorstandschef beim britischen Versicherungskonzern Aviva, hinnehmen. Zwar wurde er mit gut 90 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt. Gleichwohl haben sich fast 60 Prozent der Anleger im Rahmen der Abstimmung nicht hinter den Vergütungsbericht des Unternehmens gestellt. Der Aviva-Chef hatte schon im Vorfeld des Aktionärstreffens versucht, die absehbar hohen Wogen zu glätten und auf den geplanten Gehaltsanstieg seines Grundgehalts von 4,8 Prozent auf rund eine Million Pfund verzichtet.
Auch half es wenig, dass Scott Wheway, Chairman des Vergütungsausschusses, eingestehen musste, dass die Verständigung mit den Anteilseignern „nicht intensiv genug“ gewesen sei. Als ob das etwas gebracht hätte. Denn die Aktionäre hatten allen Grund, not amused zu sein. Seit dem Amtsantritt von Moss im Jahr 2007 als Group Chief Executive ist die Direktorenvergütung nach Berechnungen der Börsen-Zeitung um 90 Prozent gestiegen, während der Kurs der Aviva-Aktie um knapp zwei Drittel absackte. Zu dieser negativen Korrelation kommt hinzu, dass der Anstieg seines Jahressalärs durch die zweitgrößte Assekuranz Großbritanniens mit „Performance, Erfahrung und Beitrag seit seiner Berufung“ begründet wurde. Diese Darstellung dürfte das Fass zum Überlaufen gebracht haben, nachdem der Aktionärsberater PIRC die Empfehlung abgab, gegen den Vergütungsbericht zu stimmen. Interessanterweise hat damit ein solcher Bericht eines FTSE-100-Unternehmens erstmals seit 2009 keine mehrheitliche Zustimmung erhalten. 
In jüngster Zeit sorgen erstaunlich viele Beispiele von sogenanntem Investoren-Aktivismus für Aufsehen, auch wenn es sich hierbei meist um Minderheiten handelt. Beispiel Credit Suisse: Ende April haben weite Teile des Aktionariats die Zustimmung zum Vergütungsbericht verweigert. Obwohl das Kreditinstitut die Boni bereits im vergangenen Jahr kräftig gekürzt hatte, stimmten knapp 32 Prozent gegen den Vergütungsbericht. Der Unmut wächst, denn bereits 2011 sprachen sich immerhin 26 Prozent der Anleger dagegen aus. Eine Begründung dürfte in diesem Jahr in der schwachen Kursentwicklung der Aktie zu finden sein, die binnen Jahresfrist knapp 50 Prozent an Wert verlor. Aber auch bei Barclays und NYSE/Euronext haben erboste Aktionäre die Vergütungsberichte mit Ablehnung gestraft. Damit bekommt folgendes Bonmot eine ganz neue Aussagekraft. „Die Aktionäre sind dumm und frech. Dumm, weil sie anderen Leuten ohne ausreichende Kontrolle ihr Geld anvertrauen. Und frech, weil sie außerdem noch eine Dividende verlangen.“ Nun sind die Aktionäre obendrein noch so frech, den Vorständen ihre Selbstbedienung streitig zu machen.
Hierzulande ist derweil eine Deckelung der Vorstandsgehälter im Gespräch. Denn die üppige Vergütung von VW-Chef Martin Winterkorn von 16,5 Millionen Euro für 2011 hatte unter Führungskräften eine Debatte ausgelöst. So sahen sich Klaus-Peter Müller, Chefaufseher der Commerzbank, und Ex-Daimler-Finanzvorstand Manfred Gentz veranlasst, einen Brief an alle 30 Dax-Aufsichtsratschefs zu schreiben. Darin fordern sie eine Deckelung. Sie fürchten um die Akzeptanz der sozialen Marktwirtschaft. Ob es dazu kommen wird, bleibt abzuwarten. Die Selbstbedienungsmöglichkeiten sind ja schließlich für die Vorstände auch zu schön.
Alles in allem verspricht die gerade auf Touren kommende HV-Saison – nebst Würstchen und Bier – viel Spannung: Nun erfährt man nicht nur, wie viel Vorstand X kassiert hat, sondern auch, ob er seine künftigen Gehaltsvorstellungen realisieren kann.
Andrew Moss und portfolio wünschen Ihnen ein schönes Wochenende.
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