Strategien
6. Oktober 2015

Risiko sucht Prämie

Der Begriff „Risikoprämie“ werde inflationär verwendet, ärgert sich ein Marktteilnehmer und präsentiert eine eng gesetzte Definition – portfolio institutionell ist der Sache nachgegangen und hat in alle Himmelsrichtungen recherchiert. Was uns kaum überrascht: Nicht ­jeder ­Investor oder Consultant will von Risikoprämien etwas wissen.

In der Finanzliteratur gibt es wohl kaum ein Thema, über das in der Vergangenheit mehr nachgedacht, geforscht, geschrieben und auch mit spitzer Feder nachgerechnet wurde: Die Rede ist von „Risiko­prämien“. Legionen von Forschern sind ihnen immer wieder aufs Neue auf den Grund gegangen, wie das beispielsweisedie Dokumentation „Rethinking the Equity Risk Premium“ des namhaften CFA ­Institute aus dem Jahre 2011 zeigt. Für das Mammutprojekt hat sich ein gutes Dutzend Akademiker und Praktiker versammelt. Heraus­gekommen ist bei ihren Überlegungen ein 164 Seiten starkes Werk, das Jahrzehnte der Forschung über die sagenumwobene Aktienrisikoprämie Revue passieren lässt und einen Blick in die Zukunft wirft. Zu Wort melden sich Fachleute wie Roger Ibbotson, Elroy Dimson, Paul Marsh, Mike Staunton oder Robert D. Arnott.

Roger Ibbotson, Professor an der Yale School of Management, beispielsweise führt in seinem für das CFA Institute ausgearbeiteten ­Essay die Möglichkeiten aus, wie sich die Aktienrisikoprämie schätzen lässt. Denn hier gibt es verschiedene Ansätze, was nicht gerade zur Praktikabilität beiträgt. Und am Beispiel der US-Aktien- und Rentenmärkte rechnet Ibbotson vor, dass Aktieninvestoren im Vergleich mit Fixed-Income-Verfechtern in der Dekade zwischen 2000 und 2010 unter dem Strich Geld verloren haben. Eine Risikoprämie? Nicht in dem Zeitraum! Aber auch wenn der Vergleichshorizont auf 20 oder sogar 30 Jahre ausgedehnt wird, kamen Aktionäre nur auf eine marginale Risikoprämie. Ein Schlag ins Gesicht für alle, die die Höhen und Tiefen des S&P 500 in dieser Zeit durchlebt haben und dafür praktisch nicht entschädigt wurden. Aber der Reihe nach.

Der Begriff der Risikoprämie bezeichnet nach Einschätzung von Dominique Ammann und Lukas Riesen, beide sind Partner bei PPCMetrics, „sehr treffsicher den Zielkonflikt zwischen dem Anlagerisiko und einer möglichen Prämie in Form einer Zusatzrendite gegenüber einer sogenannten risikolosen Anlage“. Ammann und Riesen haben eine Übersicht erstellt, in der die aus ihrer Sicht wichtigen Risiko­prämien und – ebenfalls wichtig – nicht entschädigte Risiken aufgelistet werden. Für den Einstieg in dieses hochkomplexe Thema ist ­ihre nebenstehend abgebildete Tabelle überaus hilfreich. Zu den wichtigsten nicht entschädigten Anlagerisiken an den Kapitalmärkten gehört demnach beispielsweise das Konzentrationsrisiko. Verständlich – das Risiko einer einzelnen Aktie ist wesentlich höher als das eines Portfolios mit vielen Aktien. Doch das nur am Rande.
 
In der akademischen Forschung wurde der Begriff „Risiko­prämie“ schon in den 1950er Jahren geprägt. Die allgemeine Risikoprämie ist demnach eine Anwendung des Erwartungsnutzenkonzepts von Neumann/Morgenstern (1947). Der Begriff bezeichnet in diesem grund­legenden Konzept die Differenz zwischen dem Erwartungswert eines unsicheren Vermögens und dem individuellen Sicherheitsäquivalent dieses Vermögens. Klingt nicht nur staubig, sondern ist es im Grunde genommen auch. Zur Einordnung in den finanzmathematischen Kontext erläutert Professor Dr. Martin Weber von der Universität Mannheim gegenüber portfolio institutionell: „Wenn ich in etwas ­Riskantes investiere, muss der risikofreie Zins dem Sicherheits­äquivalent entsprechen. Wenn ich im Durchschnitt mehr Rendite ­bekomme, dann ist das die Risikoprämie.“

Doch was hat es mit dem risikofreien Zins auf sich? Er ist kein pauschaler Wert, sagen Investoren. Vielmehr ergibt er sich aus dem jeweiligen Kontext, in dem man agiert. Es kann sich dabei sowohl um einen Geldmarktzins handeln, oder um die Rendite einer zehnjährigen Bundesanleihe. Grundsätzlich kann die risikolose Basisverzinsung auch aus Bargeld, dem Girokonto oder einer Termineinlage bei der örtlichen Sparkasse herrühren. Je nach Präferenz der Liquidität und dem Umfang der gemeinhin erforderlichen Transaktionskasse, wie Volkswirte sagen, wählen Investoren unterschiedliche Laufzeiten mit entsprechend unterschiedlichen „risikolosen“ Zinssätzen.

Nun gibt es den risikofreien Zins in der Praxis freilich nicht mehr, weil praktisch mit allen der eben genannten Anlagen spezifische Risiken mitschwingen, während die Verzinsung kaum noch messbar ist. Auf die Frage, wie Praktiker mit dieser Problematik umgehen, entgegnet Professor Weber: „Die meisten ignorieren das. Bundesanleihen würde ich für mich aber noch immer als risikofrei bezeichnen.“ Und auf die große Frage, welche Risiko­prämien es konkret gibt, antwortet Weber: „Das ist eine Ausdrucksweise, die wir als Forscher gar nicht so sehr in der Diskussion haben. Wir sagen, wenn Sie in den Aktienmarkt investieren, bekommen Sie dort eine erwartete Risikoprämie gegenüber dem risikofreien Zins. Das ist es!“ Investoren sollten sich in dem Zusammenhang vor Augen führen, dass sie nur für das nicht-diversifizierbare Risiko entschädigt werden. Weber hat hier folgende Daumenregel parat: „Wenn man in Aktien investiert, wird man für das Risiko bezahlt, weil es nicht weiter diversifizierbar ist. Wenn man aber in der Hoffnung auf eine Prämie auf Währungen setzt, bekommt man das Risiko nicht vergütet.“ Soll heißen: Der Begriff „Risiko­prämie“ ist dann nicht angebracht, wenn man als Investor ein Risiko wegdiversifizieren kann. „Als Investor muss ich mir überlegen, welche Risiken es neben dem im Capital Asset Pricing Model (CAPM) dargestellten systematischen Marktrisiko noch geben kann, die über dieses Beta hinausgehen“, erläutert Weber, der es in der Finanzbranche nicht zuletzt durch seinen „Arero-Weltfonds“ zu einiger Bekanntheit gebracht hat. „Es gibt“, sagt er, „Faktoren jenseits des Betas, für die Anleger – bezogen auf die vergangenen 30 oder 40 Jahre – noch eine zusätzliche Prämie bekommen haben. Ich würde diese aber nicht als Risikoprämie einstufen, sondern eher als Marktineffizienzprämie. Ob das Risiko ist, darüber wird diskutiert.“

Einen konträren Blickwinkel auf das CAPM und den risikofreien Zins hat Philipp Vorndran, Investmentstratege beim Kölner Ver­mögensverwalter Flossbach von Storch. „Für uns hat es den risiko­freien Zins nie gegeben, denn es gibt in der Praxis keine Anlage ohne Verlustrisiko! Man braucht nur in die Vergangenheit zu blicken: Die alten Fugger haben vom Staat und von den Fürsten immer höhere Zinsen verlangt als vom guten Kaufmann. Das hatte völlig logische Gründe. Denn schon die Fugger wussten, dass der Staat der einzige ist, der mitten im Spiel die Regeln ändern kann.“ Vorndran verweist auf die andauernde Debatte um die Garantien für die Pleitebank ­Hypo Alpe Adria. „Wer hätte gedacht, dass ein Staat wie Österreich auf ­Garantien pfeift?“, so Vorndran. Und weiter: „Die Historie der ­Staaten, mit Ausnahme der USA und Großbritanniens, ist eine von immer wiederkehrenden Bankrotten.“ Deswegen sei es nicht überraschend, dass Ideen wie das CAPM, der risikofreie Zins und Ähnliches ausgerechnet in den USA entwickelt wurden, wo man in der jüngeren ­Geschichte keine klassischen Umschuldungen des Staates gesehen hat. „Dort vollzog sich das allerdings über eine Änderung der Deckung­ der Währung“, räumt der Stratege ein. „Kein deutscher Professor mit gesundem Menschenverstand wäre auf die Idee gekommen, eine Staatsanleihe sei ein risikofreies Investment. Wir haben in den vergangenen 100 Jahren mehrfach das Gegenteil bewiesen ­bekommen. Den risikolosen Zins gibt es nicht, allerdings das zinslose Risiko.“

Nicht nur beim risikolosen Zins scheiden sich die Geister, sondern auch bei der Vergütung von Risiken. In der Gegenwart spielen Risikoprämien, und was manche dafür halten, bei vielen Investoren und Anbietern eine tragende Rolle. Für die einen dient sie als R­enditekick, für die anderen als Marketingkeule. Manche Akteure ­haben daher den Eindruck, dass der Begriff „Risikoprämie“ inflationär verwendet wird. Zu ihnen zählt unter anderem Alexander Raviol. Raviol ist Partner beim Frankfurter Asset Manager Lupus Alpha und dort auch Chief Investment Officer im Bereich Absolute Return. Sein Standpunkt: Als Investor müsse man sich mit Blick auf mögliche ­Renditevorteile zunächst einmal fragen, wie die Quelle dafür im Einzelnen aussieht. Raviol formt seine Sichtweise zu einer Art Drei­gestirn: Handelt es sich um eine sogenannte Anomalie oder um das so überaus seltene Alpha oder – tatsächlich – um eine Risikoprämie, klassifiziert er. Als Investor müsse man nun mal genau wissen, ­wofür man eigentlich Risiken eingeht.

Auch Weber von der Uni Mannheim hat den Eindruck, dass der Begriff „Risikoprämie“ inflationär verwendet wird. „Was häufig unter den Tisch fällt“, sagt er, „ist die Sache mit der Diversifizierbarkeit. Wenn jemand argumentiert: ‚Ich habe eine Risikoprämie in Währungen‘, dann muss man sich schon fragen, warum man bei Währungen eine Risikoprämie bekommen soll.“ Er betont: „Nicht alles, was riskant ist, muss eine positive Risikoprämie haben. Manche Investments sind einfach nur riskant – und bringen im Durchschnitt weniger.“

Hype um vermeintliche Risikoprämien
Nach Einschätzung von Alexander Raviol sollten Risikoprämien in der Asset-Allokation eine zentrale Rolle spielen. „Wichtig ist aber zunächst, sich Klarheit über die verschiedenen Risikoprämien zu verschaffen“, wie er im Gespräch mit portfolio institutionell erläutert. „Ich finde hierbei eine Unterscheidung in traditionelles Beta und ­alternatives Beta hilfreich.“ Unter traditionellem Beta versteht er die Übernahme von unternehmerischem Risiko, etwa in Form von Eigenkapital, sprich: den Kauf einer Aktie. Auch der Erwerb von ­Unternehmensanleihen falle in diese Kategorie. „Es gibt auch andere Varianten in der Definition. Wenn man es so wie wir definiert, sind ­viele sogenannte Risikoprämien eigentlich keine“, fügt Raviol hinzu.

Wenn man sich die eng gesetzte Definition vor Augen führt, kann man verstehen, weshalb Alexander Raviol der Meinung ist, der Begriff werde heute in der Investmentbranche nicht nur inflationär verwendet, sondern geradezu überstrapaziert. Fragen zu möglichen traditionellen oder alternativen Risikoprämien, wie der Volatilitätsrisiko­prämie, beschäftigen Raviol im Tagesgeschäft immer wieder. „Wir ­haben uns die Frage gestellt, welche alternativen Risikoprämien es gibt und welche für uns und unsere Kunden interessant sein könnten“, sagt er mit Blick auf die eigene Produktpalette. „Langfristig ­erwartet man natürlich eine Entschädigung dafür, dass man Aktien- oder andere Risiken auf sich nimmt.“

Butter bei die Fische: Was sind nach Auffassung Raviols keine ­Risikoprämien? Momentum! Dieses Beispiel will der Lupus-Alpha-Partner partout nicht als Risikoprämie verstanden wissen. Dabei ist Momentum in Mehrfaktormodellen ein typischer Risikofaktor und werde oft als Risikoprämie formuliert. „In der strengen Definition ­sehen wir das aber nicht so. Denn ich kann nicht sagen, wo das ökonomische Risiko ist, das man als Investor übernimmt. Wenn ich mich streng an unsere Definition halte, dann ist die Risikoprämie eben nur die Entschädigung für die Übernahme eines Risikos.“ Momentum klassifiziert Raviol dagegen als Anomalie. Also einen „Preiseffekt ­ohne Übertragung eines Risikos“, wie er sagt, und „der oft zeitlich ­befristet ist.“ „Diese Effekte gibt es, weil Kapitalmärkte in vielerlei Hinsicht nicht immer effizient sind.“ Aus Nachhaltigkeitssicht seien Anomalien weniger interessant als die Risikoprämie. Als Zwischen­fazit ruft Raviol seine bereits angesprochene Trennung der Renditequellen in Risikoprämien, Anomalien und Alpha in Erinnerung. „Das ist ­unsere Sicht, welche Renditequellen es ganz konkret gibt. Die ­Liste ­erhebt zwar nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, gleichwohl ­haben wir anhand der Definition keine weiteren Punkte identifizieren ­können.“  

Auf der Suche nach der verlorenen Risikoprämie

Mit Blick auf die von Alexander Raviol herangezogene Definition der Risikoprämie pocht auch John Rekenthaler, Vizepräsident der ­Forschungsabteilung bei Morningstar, auf Klarheit – auch wenn seine Ansichten nicht immer ganz bündig mit denen Raviols sind. Die ­Liquidität habe sich über die Zeit als eine der zuverlässigsten Renditequellen entpuppt, sagt er. „Schwer handelbare Wertpapiere liefern eine­ Prämie, denn Investoren gehen das reale Risiko ein, ein Wert­papier zu kaufen, das sie im Zweifel nicht, oder wenn, dann nur zu ­einem hohen Preis loswerden“, schreibt er im Oktober 2013 in einem seiner gewohnt gepfefferten Kommentare. Der Verzicht auf schnelle und damit günstige Handelbarkeit werde oft durch höhere Renditen vergolten. Rekenthaler erwartet nicht, dass sich daran etwas ändern wird und erinnert an die Erfahrungen der Finanzkrise, als weite Teile des Marktes austrockneten und sich für viele Titel partout keine ­Käufer fanden.

Ein weiterer Aspekt, der zum Kern der Geschichte passt, ist das sogenannte fundamentale Investieren: „Die Gelehrten streiten darüber, ob der Aufbau eines Index oder Portfolios anhand von öko­nomischen Gewichtungen statt nach Marktkapitalisierung in sich schon eine Risikoprämie verbirgt oder nur eine weitere Facette des ­Value Investing darstellt. „Ich neige zu letzterer Interpretation“, schreibt Rekenthaler. Die Unternehmensgröße („Size“) ist für ihn ebenso wenig eine Risikoquelle wie Momentum. „Ich sehe keine ­großen Gefahren bei einem Investment in einen diversifizierten Korb von Nebenwerten im Vergleich zu einem Investment von Standardwerten. In Wahrheit geht der Erfolg von Nebenwerten auf deren Illiquidität zurück“, argumentiert er. Und: „Momentum ist für mich ­weder aus ökonomischer noch aus verhaltenspsychologischer Sicht hinreichend erklärt, und ich kann mir nicht vorstellen, dass es sich um eine Quelle nachhaltiger Risikoprämien handelt.“

Alter Wein in neuen Schläuchen
„Ich habe den Eindruck, dass jetzt alle möglichen Anbieter mit dem Thema hochkommen. Das ist uralter Wein in neuen Schläuchen“, antwortet Dr. Heinz Kasten vom Beratungshaus Mercer auf die Frage, welche Rolle Renditefaktoren und Risikoprämien heute im ­Gespräch mit institutionellen Investoren spielen. Der Grund, warum das Thema gerade jetzt von Anbietern durch‘s Dorf gejagt wird, besteht­ seines Erachtens darin, dass einerseits vielen nichts Neues einfällt, andererseits Risikoprämienstrategien auch von Investmentbanken und Vermögensverwaltern mit wenig personellen Ressourcen einfach dargestellt werden können.

„Der Investor verlangt zunächst einmal nichts weiter als Markt­beta und im Idealfall noch Alpha obendrauf. Ein Teil von dem, was Manager als Alpha verkaufen, ist in Wirklichkeit ein systematisches Exposure, mit dem sie Faktorerträge generieren“, meint er. Das wäre dann aber Beta. Die Frage sei nun, ob die Manager das ehrlich ausweisen oder nicht. „Jeder gute globale Aktienmanager analysiert sein Portfolio dahingehend, ob darin bestimmte Style-Tilts enthalten sind, also ob bestimmte Risikoprämien gegenüber der Benchmark über­betont werden.“ Es gibt Manager, die bewusst und dauerhaft einen Schwerpunkt auf Value- oder Small-Cap-Werte legen. „Schlecht ­finden wir, wenn ein Manager einen solchen Style Bias hat und diesen einerseits nicht realisiert und andererseits auch ignoriert. Ein ehrlicher Manager sagt: ‚Im vergangenen Jahr habe ich meine Benchmark übertroffen, aber ehrlicherweise kommen vier Prozent der Outperformance daher, dass ich in kleinere, illiquidere Titel als die Benchmark investiert habe‘“, so Kasten.

Dr. Johannes Maier, Senior Investment Consultant bei Aon ­Hewitt, hat eine ganz eigene Sichtweise auf Risikoprämien. Im Dialog mit portfolio institutionell weist auch er darauf hin, dass der Begriff ­inflationär verwendet werde. Das beginne schon bei der Bezeichnung: „Sie suchen ein Synonym für die Risikoprämie und erhalten wahrscheinlich 32 verschiedene Antworten“, flachst der studierte Volkswirt und rückt das Bild gerade: „Der Begriff stammt aus dem Capital Asset Pricing Model. Die meisten Leute haben sich das CAPM sicher mal für zwei Stunden angeschaut, bis es dann mathematisch wurde. Dann wird über den risikolosen Zinssatz diskutiert und Risiken ohne Zins. Dann werden alternative Lösungsstrategien betrachtet. Dabei vergisst man aber die Wurzel, wo man herkommt.“ Und das wäre? „Wir kommen aus dem CAPM, und da sollten wir auch bleiben.“

Nun ist das CAPM mit seinen restriktiven Annahmen umstritten, wie auch der Kommentar von Philipp Vorndran gezeigt hat: Es ­postuliert, dass eine risikofreie Anlage existiert und alle Investoren dasselbe riskante Marktportfolio halten. Kritikern des CAPM hält Maier­ entgegen: Man müsse nicht mit dem Modell arbeiten, nur mit der Idee. „Alles, was im Moment passiert, ist, dass man diese Grundlagen einfach ignoriert. Man stürzt sich auf neue Begriffe, die einfach schick sind“, sprudelt es aus ihm heraus. Maier, nun voll und ganz in seinem Element, verweist auf das viel diskutierte Konzept namens Smart ­Beta. „Aber das ist kein smartes Beta“, sagt er provokativ und legt nach: „Die Basics sind ganz einfach. Das ist das Capital Asset Pricing­ Model. Und die Entwicklung, die es in den vergangenen Jahren gegeben hat bis hin zu Growth, Value – das sind alles Prämien.“ Das ­Thema sei uralt, sagt Maier und verweist auf einen namhaften japanischen­ Anbieter, der sich der Materie seit 1970 widmet. „Seit neuestem heißt es Faktorprämien oder sonst wie. Es wurde nichts Neues ent­wickelt; man ist bloß ein bisschen cleverer und smarter geworden.“ Raviol habe Recht, „es ist überbordend, ausufernd.“

Übrigens: Würde man Risikoprämien und Renditefaktoren ­tatsächlich synonym verwenden, wäre das Inflation in Rein­kultur. Warum? In der Vergangenheit wurden 315 Faktoren in der akademischen Literatur vorgeschlagen und getestet, wie Unter­suchungen des US-Wissenschaftlers Campbell R. Harvey zeigen. Im Interview mit portfolio institutionell (August-Ausgabe 2015) äußerte er die Vermutung, dass mehr als die Hälfte der Faktoren nicht als wahr erklärt worden wären, wenn man die statistischen Methoden bei der Evaluierung der Performance korrekt angewendet hätte. Das aber nur am Rande. 

Die Zahl der Signale und Faktoren, mit denen sich Aktien selektieren lassen, ist damit aber noch nicht auf ihrem Höhepunkt angelangt. Der US-Dienstleister S&P Capital IQ hat sage und schreibe mehr als 400 Signale ausgemacht, mit denen, wie es heißt, neue oder bestehende Anlageprodukte „dramatisch“ verbessert werden könnten. Wenn sich die Anzahl der Renditefaktoren der Anzahl der an einer Börse notierten Aktien nähert, wie in diesem Fall, ist das Ende der Fahnenstange nicht mehr weit.

Zurück zum Gespräch mit Dr. Johannes Maier. Aus seiner Sicht lautet die Grundfrage für Anbieter heute so: Schaffen Sie zumindest ein Beta von eins, wie die meisten ­Investoren das von ­ihnen verlangten? „Nein! 95 bis 98 Prozent der Manager liegen hinter ihrer Benchmark zurück“, weiß Maier aus ­seiner Erfahrung im Manager Research zu berichten. Wenn man es als Anbieter mit traditionellen Produkten nicht schaffe, zumindest Beta zu erzielen, dann müsse man eine Tochter­firma gründen, die dann Indexfonds anbietet, um wenigstens das ­Beta darstellen zu können, kokettiert Maier. Und der Berater legt den Finger tiefer in die Wunde: „Wenn Sie auch das nicht schaffen, müssen Sie clever sein und etwas erfinden, wobei man aber nicht von vornherein weiß, wer die so entstehenden Produkte braucht. Dann sind wir irgendwann bei Smart Beta, dann sind wir bei Risiko­prämien und Faktormodellen. Das sind Begriffe, die alle das Gleiche beschreiben. Aber es ist immer alter Wein in neuen Schläuchen.“

Risikoprämien und Anleihen
Wenn es um Investoren geht, die sich auf das Einsammeln von ­Risikoprämien versteifen, ist Dr. Harald Preißler in seinem Element. Der Chefvolkswirt und Leiter des Anlagemanagements bei Bantleon moniert, dass man die Risikoprämien im Anleihensegment, die hier Credit Spreads genannt werden, missverstehen könnte: „Die ­durchschnittliche Unternehmensanleihe bot Ende August wieder ­einen Spread von 105 Basispunkten. Das klingt bei einer korrespondierenden Rendite zehnjähriger Bundesanleihen von nahe null nach relativ viel. Denn es ist der höchste Wert seit Jahren“, wie Preißler beobachtet hat. „Aber es ist eine Scheinattraktivität. Denn das Zinsänderungsrisiko ist bei den heute so niedrigen Zinsen derart groß, dass selbst ­eine Risikoprämie auf Rekordniveau nichts bringt.“

Will ­heißen: ­Bereits ein kurzer, heftiger Zinsanstieg, wie wir ihn am 24. und 25. August gesehen haben, genügt, und die Risikoprämie ist perdu. „Wenn die Zinsen vom heutigen Niveau aus nur um wenige Basispunkte steigen, ist womöglich das gesamte Risikobudget ­verloren“, so Preißler. Während institutionelle Investoren in der Vergangenheit anhand ihrer gut verzinsten Rentenbestände ein gewisses Risikobudget freischaufeln konnten, das für Investitionen in Aktien und andere Assets herhalten konnte, müssten sie heute umdenken. „Ich habe als Anleger keine sicheren Einnahmen mehr, denn der ­Kupon, den man auf Staatsanleihen verdienen kann, tendiert gegen null. Das heißt, man hat es ausschließlich mit Risikoprämien zu tun“, erklärt der Bantleon-Chefvolkswirt.

Es helfe nicht, so Preißler, nur die Risikoprämie einer Anleihe zu betrachten. „Sie drückt zwar die relative Attraktivität gegenüber einer sicheren Anlage aus, gleichwohl lässt sie völlig außer Acht, dass das Verlustrisiko ungleich höher ist als bei der selben Risikoprämie noch vor ein paar Jahren, als die Basisverzinsung deutlich größer war. Wenn Sie ein Zinsniveau von fünf Prozent haben und zusätzlich eine Risikoprämie von 100 Basispunkten obendrauf, dann müssten die Zinsen um einen ganzen Prozentpunkt steigen, damit Ihr Ertrag auf Sicht eines Jahres auf null sinkt. Denn erst dann ist der Kursverlust groß genug, um die Zinserträge aufzuzehren.“ Preißlers Fazit: „Die Risikoprämie ist für sich genommen viel zu niedrig, um die Attrak­tivität oder auch das Risiko einer Anlageform im Anleihebereich auszudrücken.“ Viele Investoren ließen sich vom Mehrertrag, dem Spread, blenden. Und sie glauben, sie würden damit den Risiken der ­Niedrigzinsphase entkommen. „Sie blenden damit aber aus, dass das Zinsänderungsrisiko das viel größere Problem darstellt“, warnt der Bantleon-Chefvolkswirt. Sein Tipp: „In Phasen guter Konjunktur ist die Risikoprämie von Nutzen für die Anleihenselektion. „Das ist aber nur ein Spiel auf Zeit, weil wir wissen, wie gefährlich das Ganze im Niedrigzinsumfeld ist. Sollte sich das Konjunkturumfeld verschlechtern, wovon Bantleon mit Blick auf 2016 ausgeht, dürfe man sich nicht auf Risikoprämien berufen. Dann seien sichere Anlagen ­gefragt, allen voran Bundesanleihen. „Bei sicheren Assets fahren Sie dann Kursgewinne ein ohne jegliche Risikoprämie, während der Rest des Rentenmarktes leidet.“

Investoren melden sich zu Wort
Der durchschnittliche Investor mag hohe Schwankungen nicht und zieht deshalb laut Theorie die sichere Rendite der ungewissen vor. Er ist also risikoavers. Damit er zu Investitionen in riskantere ­Anlagen überhaupt bereit ist, fordert er für die Übernahme des zusätzlichen Risikos eine Entschädigung. Neben der risikofreien ­Rendite verlangt er eine Risikoentschädigung. Doch so einfach ist es dann doch nicht. Für Olaf Keese, Vorstand der Sparkassen-Pensionskasse AG und der Sparkassen-Pensionsfonds AG, muss die Frage zunächst einmal lauten: „Was ist risikofrei?“ Für die Kölner ist die Definition äußerst wichtig, schließlich haben sie sich in der Domstadt die Vor­gabe gesetzt, die Verpflichtungsseite mit ihren milliardenschweren Garantiezusagen mit größtmöglicher Sicherheit auf der Aktivseite ­abzudecken. Der Grund dafür ist die regulatorische Verpflichtung, die Beiträge der Versicherten in jedem Fall zu erhalten. „Daher haben wir einen Direktbestand an festverzinslichen Wertpapieren als kongruentes Portfolio“, wie Keese im Gespräch mit portfolio institutionell ­ausführt. Dessen Risikoqualität ist hervorragend: 98 Prozent der ­Anleihen sind mit einem AAA- oder AA-Rating versehen. „Von daher ist die Frage nach Risikoprämien für uns im kongruenten Portfolio nachrangig. Uns geht es hier allein um das Ausfallrisiko“, sagt der Fachmann.

Deswegen gehen Keese und seine Mannen beim vergleichsweise kleinen Sparkassen-Pensionsfonds (Bilanzsumme rund 50 Millionen Euro) und der mit fast vier Milliarden Euro Bilanzsumme hantierenden Sparkassen-Pensionskasse auch nicht opportunistisch vor. „Wir gehen beispielsweise keine Zinsspekulationen ein, sondern wir ­nehmen nur Papiere auf, die unseren passivseitigen Verpflichtungen entsprechen.“

Gleichzeitig will Keese innerhalb des ihm gegebenen Risiko­budgets zusätzliche Rendite erzielen. Dafür greift er auf einen ­Masterfonds zurück, in dem sich die Asset-Klassen wiederfinden, „welche die für uns relevanten Risikoprämien enthalten. Wir haben darin Kreditrisiken, Zinsrisiken, Immobilienrisiken und Aktien­risiken versammelt.“ Rohstoffe und Währungen schließt man aufgrund des fehlenden inneren Ertragswertes konsequent aus. Immo­bilien und Aktien deckt sein Team in diesem Konzept ausschließlich über Indexfonds/ETF ab. Ihm sind die Steuerbarkeit des Portfolios und liquide, „kostengünstige“ Wertpapiere heute wichtiger als die mit Unsicherheiten behaftete Aussicht auf Illiquiditätsprämien, wie sie beispielsweise physisch gehaltenen Immobilien nachgesagt wird. Die Risikoprämien, derer sich Keese bedient, werden historisch abgeleitet. Er unterstellt in der gewählten Strategie die Annahme, dass sie sich grundsätzlich auch in Zukunft vereinnahmen lassen.

Das Thema „Risikoprämien“ treibt auch Dr. Peter-Henrik Blum-Barth um. Im Interview mit portfolio institutionell erläutert der Abteilungsleiter für Unternehmensplanung und Controlling bei den Versorgungskassen KZVK und VKPB in Dortmund, wieso er auf Risikoprämien kein Geschäftsmodell aufbauen würde. Und er erläutert, wo er als Controller die Grenzen im Portfolio­management sieht.

Schlussendlich bleibt festzuhalten, dass der Analyse von ­Risikoprämien eine Definition vorangehen sollte. Sonst verirrt man sich über kurz oder lang in einem Dickicht der Begrifflichkeiten. Wer will das schon? Und wer sich von der inflationären Verwendung von Fachbegriffen wie eben der Risikoprämie nicht aus dem Konzept ­bringen lässt, ist klar im Vorteil.

Von Tobias Bürger

portfolio institutionell, Ausgabe 09/2015

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