Schwarzer Schwan
5. Dezember 2014

Social Trading statt Sparbuch: Wenn die Gier das Handeln bestimmt

Im Internet kursieren Erfolgsgeschichten von Anlegern, die auf Social-Media-Plattformen sagenhafte Renditen erzielt haben wollen. Wer kann dem Kleinanleger da verübeln, beim Hype „Social Trading“ mitzumischen?

Wie sieht das klassische Geschäftsmodell im Asset Management aus? Es werden Gelder eingesammelt, um Gebühren zu vereinnahmen. Angeheizt durch schlechte Erfahrungen privater Anleger mit klassischen Investmentfonds nimmt die Weiterentwicklung dieses Geschäftsmodells skurrile Formen an. Im Internet wollen Finanzplattformen die Kapitalanlage revolutionieren und Asset Managern das Wasser abgraben. Selbsternannte „Finanztechnologie-Unternehmen“ verbinden „Portfoliomanagement mit den Prinzipien sozialer Netzwerke“. Die Börsen-Zeitung ließ sich dazu hinreißen, das Ganze als „Megatrend“ zu bezeichnen. Aber ist das die treffende Bezeichnung für einen Hype, bei dem Privatanleger in schweres Fahrwasser geraten können? 
Unbedarfte, bitte folgen! 
Auf Finanznetzwerken wie Wikifolio.com legen Glücksritter – seltener auch Finanzprofis – ihre Handelsideen in einem Musterdepot offen und lassen ihre, nennen wir es mal wohlwollend „Strategie“, von Hinz und Kunz kopieren. Die Einrichtung eines wie auch immer strukturierten Musterdepots kostet im Idealfall nur wenige Minuten Zeit – Zeit, die sich für die Strategen aber durchaus lohnen kann. Denn die „Trader“, wie die Glücksritter offiziell bezeichnet werden, bekommen von den Plattformbetreibern eine Vergütung auf ihre Handelsidee. Populäre Trader erzielen nach einem Bericht des „Manager Magazins“ so mehrere Tausend Euro im Monat.  Die „Performancegebühr“ liegt beispielsweise bei Wikifolio zwischen fünf und 30 Prozent. Sie wird täglich berechnet. Die daran anknüpfende Erfolgsprämie für die Initiatoren eines Musterportfolios kann bis zu 50 Prozent ausmachen.
Die Betreiber wiederum kassieren Gebühren von den Anlegern oder verdienen als Broker beim Handel mit. Der Mechanismus im Hintergrund ist so einfach wie genial: Trifft das Musterdepot in der Community auf Interesse, wird daraus ein eigenes Index-Zertifikat erstellt. Dadurch lassen sich selbst umfangreichere Musterdepots kostengünstig nachahmen. Eigens dafür wurde das Emissionshaus Lang & Schwarz eingebunden. Dessen Wikifolio-Zertifikate sind über die Börse Stuttgart handelbar. 
Im Internet kursieren Geschichten von Anlegern, die mit der Nachahmung florierender Anlagestrategien sagenhafte Renditen erwirtschaftet haben wollen. Wer kann dem Kleinanleger, der seine mickrigen Tagesgeldzinsen nicht mehr sehen kann, da verübeln, beim „Megatrend Social Trading“ mitzumischen? Wikifolio brüstet sich damit, dass seit dem Start im Jahr 2012 rund 260 Millionen Euro in über 1.750 Wikifolio-Zertifikate investiert wurden. Bis Ende nächsten Jahres wird ein Zuwachs auf schlappe 700 Millionen Euro angepeilt. In seinem Wachstumsdrang sucht das Unternehmen nach weiteren Mitstreitern, die ein Portfolio ins Leben rufen, mit den Worten: „Lassen Sie einfach andere an Ihrer Handelsidee teilhaben. Je besser Ihre Performance ist und je mehr Anleger in das Wikifolio-Zertifikat investieren, welches der Entwicklung Ihres Musterportfolios folgt, desto höher ist Ihre Erfolgsprämie.“ Das Kalkül von Wikifolio: „Jeden Morgen steht ein Dummer auf – man muss ihn nur finden.“
Zertifikate auf windige Ideen 
Das in Wien residierende Start-up zählt mittlerweile 25 Mitarbeiter rund um Gründer und CEO Andreas Kern, der diesen Schwarzen Schwan mit einem sympathischen Lächeln ziert. Die Wikifolio AG beschreibt sich als führenden Anbieter für „moderne Kapitalanlage in Internet und Social Web“. Geht es nach der Geschäftsleitung, stecken Privatanleger ihr Geld nicht in traditionelle Fonds, sondern setzen – vergleichbar mit der Pferderennbahn, wo man versucht, aufs richtige Pferd zu setzen – auf „populäre Trader“. Auf der Homepage heißt es: „Es ist unser Ziel, Wikifolios als die bevorzugte Alternative für europäische Privatanleger gegenüber herkömmlichen Anlageprodukten zu etablieren und frischen Wind in die Branche der Finanzdienstleister zu bringen.“ Das Manager Magazin zitiert Wikifolio-Entwicklungschef Stefan Greunz mit den Worten: „Muss man immer zur Hausbank? Kann man das in Zeiten von Facebook nicht schlauer machen? Gibt es da draußen nicht Leute, die das besser können?“ 75 Prozent seiner Trader schlügen den Markt, behauptet der Marketingmann. Allerdings gilt diese Angabe nur für den statistisch wenig aussagekräftigen Zweiwochenzeitraum vom 15. Juli bis zum 1. August 2014, wie das Manager Magazin herausgefunden hat. 
Dass „Social Trading“ nicht der heilige Gral ist, sondern die Anleger über einen längeren Zeitraum Verluste erleiden, haben mehrere Studien gezeigt. Gewaltige Kursschwankungen bis hin zum Totalverlust sind je nach Strategie an der Tagesordnung. Nach Einschätzung des Manager Magazins ist Social Trading weit davon entfernt, eine überlegene Alternative zu Banken, Fondsmanagern und Indexfonds zu sein. Denn es ist für Anleger nicht möglich, vorher zu wissen, welche Trader in Zukunft die besten sein werden. Und weil aber jeder mit einem Internetanschluss einfach loslegen und ein Musterdepot anlegen könne, seien auf den Portalen relativ viele Scharlatane, vermuten Kenner der Szene. 
Als Initiator eines Musterdepots muss man lediglich 5.000 Euro in das Wikifolio-Zertifikat des eigenen Portfolios zu stecken und bekommt dafür das vermeintliche Gütesiegel „Real Money“. Laut Firmenangaben  kann man also für wenig Geld „das Vertrauen in die eigene Anlage“ erhöhen. Für den Tippgeber – und nur für ihn – ist das reale Verlustrisiko überschaubar. 
Ein Seitenhieb sei noch erlaubt. Und zwar auf die unter dem KAGB frisch regulierte Fondsbranche: Nachdem nun die geschlossene Fondswelt zum Wohle des Verbrauchers „sicher“ gemacht wurde, spielt sich das Thema Geldanlage nun außerhalb der überregulierten Welt ab. Ob das der Sinn der Finanzaufsicht war? 
In diesem Sinne wünscht Ihnen die Redaktion von portfolio ein schönes Wochenende. 
(aktualisierte Fassung vom 10. Dezember 2014) 
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