Schwarzer Schwan
10. Januar 2013

Tiefer Blick in die Glaskugel

Das Börsenjahr 2012 neigt sich dem Ende entgegen. Was bleibt ist die Befürchtung, dass fundamentales Research ausgedient hat.

George Ross Goobey gilt als Ikone der britischen Pensionsfondslandschaft. Zwei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges heuerte der damals 36-jährige Zigarrenliebhaber als Pensionsfondsmanager bei Imperial Tobacco an. Und kaum im Amt sorgte der Freund dividendenbringender Strategien dafür, dass das Fixed-Income-lastige Portfolio kurzerhand zugunsten von Aktien umgebaut wurde. Es muss wohl eine Mischung aus gewaltigem Selbstvertrauen und unerschütterlicher Charakterstärke gewesen sein, die den Sohn eines Predigers Mitte der 1950er Jahre schließlich dazu veranlasste, die gesamten Gelder „seiner“ Pensionskasse in Dividendentitel zu investieren. Damals wie heute ein kaum vorstellbarer Akt. In der Branche war es schon damals üblich, freie Mittel bevorzugt in festverzinslichen Wertpapieren anzulegen.
Die Taktik für 2013
Glaubt man nun den mit einer Glaskugel bewaffneten Bankanalysten der Gegenwart, scheint Ross Goobeys bevorzugte Allokation heute treffender denn je zu sein. Dem Anlegermagazin „Börse Online“ zufolge sehen renommierte Volkswirte den Dax 2013 nämlich auf Rekordkurs. Das Blatt verweist auf Einschätzungen der Helaba und der Deutschen Bank, wonach die kräftige Erholung des Deutschen Aktienindex noch nicht zu Ende sei. Der Leitindex werde bis Ende nächsten Jahres auf ein Rekordhoch von 8.200 Punkten steigen, meint die Helaba.
Die Deutsche Bank sieht den deutschen Leitindex unterdessen bei 8.000 Zählern. Die Chance, dass die bisherige Bestmarke vom Juli 2007 (8.151,57 Zähler) erreicht wird, gilt damit so gut wie ausgemacht. Beim Dow Jones Stoxx 50 sind übrigens die Analysten der Weberbank besonders zuversichtlich und attestieren dem Index schon bis zum 29. März 2013 ein Plus von bis zu 9,6 Prozent. 
Wenn das Leben der institutionellen Investoren doch nur so einfach wäre. Rein mit dem Dax ins dahinvegetierende Portfolio und alle Sorgen mit dem Rechnungszins sind für eine Weile passé. Doch: „Was ist mit den Schwarzen Schwänen“, würde Nassim Taleb fragen. In seinem Bestseller weist er auf das Problem mit den Vorhersagen hin: Wir verknüpfen Fakten zu einem stimmigen Bild, nehmen die Vergangenheit als Modell für die Zukunft. Aber die Wirklichkeit ist anders: chaotisch, überraschend, unberechenbar. Die Folge: Analysten, die mit ihren Prognosen danebenliegen, und Risikomanager, die hilflos mit den Achseln zucken, wenn wirklich etwas Unvorhergesehenes passiert. Also doch lieber weiter mit Bundesanleihen herumdoktern?
Investoren, die im nächsten Jahr von volatilen Dividendentiteln und renditelosen Bonds lieber die Finger lassen möchten, können es halten wie einst der 17 Milliarden Pfund schwere Eisenbahner-Pensionsfonds Railpen, der in den 1970ern ein großer Anhänger von Kunstgegenständen war. Eines der Sahnestücke, eine 2.000 Jahre alte Statue Poseidons, wurde jedoch inzwischen wieder abgestoßen genauso wie zahlreiche andere der zu Spitzenzeiten rund 2.500 Kunstgegenstände. Schade eigentlich. Denn als Beimischung im Portfolio sorgen Kunstgegenständen regelmäßig für ein großes Hallo beim Anlageausschusstreffen, schließlich will nicht nur die Frage geklärt werden, welche Duration Poseidon hat, sondern auch wie die Mona Lisa eigentlich ins ALM-Konzept passt.
Was nun George Ross Goobey betrifft, der hatte in seinen jungen Jahren noch den Kopf frei für tiefgründiges Aktien-Research, vielleicht auch für Kunst. Eine Glaskugel brauchte er nicht, dank seiner Art der Wertpapieranalyse. Heute dagegen wird das Tagesgeschäft bestimmt durch ausufernde Regulierungsanforderungen, politische Börsen, ungemütliche Volatilitätssprünge, Risk on/Risk off, sowie niedrigste Zinsen, die die Verbindlichkeitsseite aufblähen und die Ausfinanzierung der Pensionsverpflichtungen utopisch erscheinen lassen. Da kommt man mit fundamentalem Aktien-Research nicht mehr über die Runden. Wichtiger wäre heutzutage ein fundamentales Regulierungs-Research. Doch auch da braucht es die Glaskugel. Kleiner Tipp zur fundamentalen Orientierung: die Zahl „II“ bei Solvency steht dafür, dass dieser Regulierungsstandard immer erst in zwei Jahren kommt. Und da behaupte jemand, er wisse, wohin die Märkte laufen.
Die Redaktion von portfolio institutionell wünscht Ihnen ein frohes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch ins neue Jahr.
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