Schwarzer Schwan
12. Februar 2016

Von Gleichgewichten und Abschreibern

Was für ein Jahresauftakt: Ölpreis und Aktien fallen, Chinas Wirtschaft wächst nur (!) noch um 6,9 Prozent, das Rezessionsgespenst geht um. Und man fragt sich, ob die Deutsche Bank bald Griechische Bank heißt.

In einer solchen Phase suchen Anleger Halt und Orientierung. Glücklicherweise stehen Fondsmanager den Investoren zur Seite und raten diesen nicht nur, nun antizyklisch zu investieren beziehungsweise den Helden zu spielen. „Während es an den meisten Börsen seit Jahresanfang kracht und scheppert, scheinen gewisse Aktien den Gesetzen der Schwerkraft zu trotzen“, schreibt zum Beispiel Peter E. Huber, Fondsmanager und Vorstand von Star Capital in der aktuellen Star-Capital-Publikation „Starinvest“. Die Bewertungsunterschiede würden dadurch immer größer. Als Zauberwort für vermeintlich schnelle und sichere Börsengewinne nennt Huber das Stichwort „FANG“, das für die Aktien von Facebook, Amazon, Netflix und Google steht. Huber warnt, dass Aktionäre dabei dasselbe Schicksal erleiden könnten wie vor einigen Jahren die BRIC-Anhänger, die in die zuvor hochgelobten Wachstumsmärkte Brasilien, Russland, Indien und China investiert haben und einen mehrjährigen Kursabschwung hinnehmen mussten. 

Damit haben wir zumindest einen Hinweis bekommen, dass das Investieren nach Buchstaben auch zur aktuellen, misslichen Lage beigetragen hat. Doch wie in jedem soliden Actionfilm hat nun ein Satz zentrale Bedeutung: „Wir müssen hier raus!“ Aber wie? Fragen wir doch einmal Dr. Jochen Felsenheimer vom Asset Manager Xaia, der für diesen Schwarzen Schwan mit seinem Konterfei herhalten muss. Er beeindruckt allemal durch seine Analyseschärfe: „Die dramatischen Entwicklungen im Januar sind (…) auf zwei Märkte zurückzuführen, die sich jeglicher rationalen Analyse entziehen: China und Öl. Man könnte es den Fluch Maos nennen, dass der gesamte kapitalistisch organisierte Markt abhängig ist von einem kommunistischen Regime (mit einigen wenigen kapitalistischen Tendenzen). Die Märkte in China sind eigentlich nicht als solche zu charakterisieren, da die politische Einflussnahme auf die Preisfindung dominiert. Nur dann, wenn der Markt das politisch gewünschte Ergebnis erzielt, wird diesem stattgegeben, anderseits wird eingegriffen.“ Herrlich analysiert, blöd nur, dass es bitterer Ernst ist. 
Felsenheimer sieht übrigens Parallelen zu Europa (Short Selling Ban im CDS-Markt), aber die Einflussnahme Chinas auf die Märkte nehme dermaßen abstruse Ausmaße an, „dass die Annahme des homo oeconomicus die Verhaltensweise der Akteure nur unzureichend beschreibt. Es stellt sich eher die intellektuell herausfordernde Frage, welches Gleichgewicht ein Markt findet, auf dem inländische Akteure nur kaufen dürfen oder ansonsten mit einer Gefängnisstrafe zu rechnen haben.“ Ähnliches treffe auch auf den Ölmarkt zu. 
Relevant auch diese Erkenntnis von Felsenheimer: „Wie an dieser Stelle mehrmals besprochen, werden in der aktuellen Marktphase die Konzentrationsrisiken vor allem in den High-Yield-Märkten spürbar. Die dominante Stellung von ETF und Multi-Asset-Fonds führt technisch bedingt zu einer höheren Spread-Volatilität, als man aus fundamentaler Perspektive erwarten dürfte. Seit Mitte 2015 sind diese Risiken sehr viel spürbarer geworden, gerade zum Jahresende war ein Teil der hohen Spread-Volatilität auf die Allokationsbewegungen der Investoren zurückzuführen.“ 
Und dann noch das hier: „Angesichts der immensen Bedeutung des Rohstoffmarktes für die Weltwirtschaft und die Finanzmärkte in einem Umfeld hoher Marktkonzentration und der angesichts regulatorischer Einschränkungen nur bedingt funktionierenden Suche nach Gleichgewichten an den Finanzmärkten darf man aktuell durchaus vor einer systemischen Krise warnen.“ Vielen Dank für diese klaren Worte! 
 
Suche nach dem Ausgang
Aber was tun? Wo ist der Notausgang? Real Assets! Die Real-Asset-Strategie von Wolfgang Bauer, stellvertretender Fondsmanager des M&G Global Corporate Bond Fund und des M&G European Corporate Bond Fund, weist ein besonders großes Maß an Pragmatismus auf, welcher den Unzulänglichkeiten des Anleihekaufprogramms der EZB begegnet. Bauer bringt als Überlegung ins Spiel, dass die EZB dem Ölpreis etwas auf die Sprünge helfen sollte. Finanziell wäre ein Öl-Aufkaufprogramm kein Problem, wie Bauer vorrechnet: „Aktuell kauft die EZB jeden Monat Anleihen im Wert von 60 Milliarden Euro, also für rund zwei Milliarden Euro jeden Tag. Sagen wir, ein einziges Prozent dieser Summe, also gerade einmal 20 Millionen Euro, würde für Öl ausgegeben, dann käme die EZB beim aktuellen Preisniveau auf etwa 630.000 Barrel Rohöl – pro Tag. Das sind mehr als die erwarteten 550.000 Barrel, mit denen Iran dem Markt Angst macht.“ Interessant.
Aber wohin mit all dem Öl? Auch hierzu hat Bauer sich Gedanken gemacht: „In Notzeiten müssen wir alle Opfer bringen, oder? Warum lagert die EZB das Öl nicht in ihrem neuen Hochhaus im Frankfurter Osten ein? Das Gebäude dürfte eine Füllmenge von etwa 350.000 Kubikmetern haben – das entspricht dem Volumen von immerhin 2,2 Millionen Barrel Öl. Nicht schlecht, oder?“ Allerdings sei dies keine langfristige Lösung, so Bauer: Nach dreieinhalb Tagen wäre das Gebäude nämlich bereits voll. Viele Sparer würden auch, anstatt das Gebäude mit Öl zu füllen, lieber die EZBler selbst teeren und federn.
Wie gut, dass wenigstens in anderen Frankfurter Hochhäusern, nämlich in den Doppeltürmen der Deutschen Bank – im Volksmund „Soll und Haben“ genannt – alles in Ordnung ist. Schließlich gab die Deutsche Bank am vergangenen Montag bekannt, dass man dieses und nächstes Jahr alle anfallenden Zinsen bedienen könne. Die FAZ stellt daraufhin auf Seite 1 im ersten Satz pikiert die Frage, was man von einer Bank halten soll, die Kunden und Investoren versprechen muss, dass sie sich in der Lage sieht, Kredite zurückzuzahlen? Im übernächsten Satz des Leitartikels wird die Deutsche Bank dann mit der ein oder anderen griechischen Bank verglichen. Heißen die Doppeltürme nun korrekterweise θα πρέπει και να έχουν?
Nach diesen Analysen und Ratschlägen liegt der Ball wieder bei den Investoren. Welcher Fondsmanager zeigt denn auch in der Praxis den Ausweg aus dem Elend, aus Rezessionsangst, Volatilität und Abschreibern? Der smarte, zigarrenrauchende, hosenträgertragende Hedgefondsmanager? Der noch smartere kapuzenpullovertragende Robo-Advisor-start-up-Gründer? Zumindest für Yngve Slyngstad vom norwegischen Ölfonds sind es die wirklich smarten, die Fackel der Weisheit tragenden deutschen Philosophen! In einem Interview mit der Sonntags-FAZ erklärte Slyngstad, dass sich der Ölfonds von Hegels Idealismus zu Kants Rationalität entwickelt habe. Hegel spielt aber immer noch eine Rolle. „Für den Fonds sind Hegel und sein Universalismus von Bedeutung: Wir glauben, dass alle Unternehmen sich in Sachen ‚Good Governance‘ in dieselbe Richtung bewegen sollten, von guten Beispielen angeleitet“, so Slyngstad. Wichtig sei aber auch Habermas: „Wir brauchen den öffentlichen Diskurs, den er beschreibt, um uns als Volk darüber zu verständigen, wie wir so viel Geld für unsere Enkelkinder investieren wollen.“ 
Und wem das alles zu kompliziert ist, bleibt immer noch der Alkohol: Ein guter Cocktail muss zunächst ordentlich durchgeschüttelt werden, damit er schmeckt. Bei Aktien ist es ähnlich. Schließlich liegt der Gewinn im Einkauf. 
In diesem Sinne wünscht Ihnen die Redaktion von portfolio ein schönes Wochenende. 
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