Schwarzer Schwan
2. Oktober 2015

Wallstreet meets Pharmaindustrie

Von der Hedgefonds-„Heuschrecke“ zum Pharma-Hai: Martin Shkreli, Hauptinvestor bei Turing Pharmaceuticals, macht mit einer rekordverdächtigen Preiserhöhung auf sich aufmerksam. Etwas quer gedacht, kommt einem noch ein anderes Tier in den Sinn: der Gekko. Dieser war Namensgeber für den wohl berühmtesten Wallstreet-Mann der 80er Jahre: Gordon Gekko.

Seit August dieses Jahres hat Shkrelis Firma Turing Pharmaceuticals die Rechte an dem Medikament Daraprim. Dieses kostet in der Produktion knapp einen Dollar. Bisher war es für die Patienten für 13,50 Dollar pro Pille erhältlich, nun soll es für sage und schreibe 750 Dollar pro Tablette, ergo das 55-fache des Ursprungspreises, verkauft werden. Das bedeutet einen saftigen Gewinn – ein Traum nicht nur für Hardcore-Kapitalisten. Nur handelt es sich hier eben nicht um Designerware, die für ein Vielfaches des Herstellungspreises angeboten wird, sondern ein Medikament, das gegen Toxoplasmose eingesetzt wird. Unbehandelt ist diese Infektionskrankheit für Schwangere und Menschen mit einem geschwächten Immunsystem, etwa Krebskranke und HIV-Infizierte, im schlimmsten Fall tödlich. Aber natürlich hat Investor Shkreli einen guten Grund, wie er in einem Interview mit dem amerikanischem Fernsehsender CNBC erläuterte: „Turing ist eine sehr kleine und neue Firma, und bringt noch keinen Profit. Also halte ich es für vernünftig, dass wir versuchen, überhaupt zu existieren und einen Profit zu erzielen.“ Aha. Und was ist mit den Erkrankten, die Gesundheit und Leben erhalten wollen? Die können sich im besten Fall damit trösten, dass der Gewinn auch in die Erforschung neuer, besserer Medikamente gegen Toxoplasmose investiert wird und sie ja bisher das Medikament angeblich geschenkt bekommen hätten. Ach nein, doch nicht, denn ob es die wirklich braucht, stellen Ärzte infrage. 
Bevor wir es vergessen: Bei den Kosten für die Tabletten gilt es natürlich zu berücksichtigen, dass da noch die anderen Kosten, wie etwa für den Vertrieb oder „patient relations“, also Patientenbetreuung, hinzukommen. Patient Relations? Meint Shkreli nicht eher Public Relations? Denn die wird er brauchen, wenn er den Ruf seiner Firma wieder hinbiegen will. Für sich selbst engagiert er am besten gleich Imageberater – und zwar verdammt gute, denn die Masche mit der Preiserhöhung hat er schon mal abgezogen. Konsequenz: Er wurde von seiner damaligen, von ihm gegründeten Firma Retrophin gefeuert.
Wer ist jetzt der Idiot?
Der talentierte Mr. Shkreli mag sich zwar mit Finanzen und Investments auskennen, allerdings ist er genauso wenig kreativ wie gutherzig. Denn die Idee, die Rechte an älteren Medikamenten mit begrenztem Einsatzbereich aufzukaufen, um sich dann mittels „kreativer“ Auslegung von Marktgesetzen eine Monopolstellung zu sichern, ist beim besten Willen ein alter Hut, wie Lea Wolz auf stern.de schreibt. Die Biotech-Firma Rodelis Therapeutics hat es mit der saftigen Preiserhöhung für das Tuberkulosemittel Cycloserine vorgemacht. Im Kindergarten und in der Grundschule kassierte man dafür immer die Beschimpfung „Nachmacher!“. Heute würde Shkreli wohl einfach Copycat genannt werden – oder, zumindest in sozialen Netzwerken etwa als „Monster“, „Drecksack“ oder „Soziopath“. Laut einem n-tv-Bericht sind das noch die freundlichsten Beleidigungen. 
Am Anfang gab sich der 32-Jährige noch großspurig und beantwortete kritische Tweets mit einem Stinkefinger-Zitat aus dem Song „The Way I am“ von Eminem oder mit Beschimpfungen wie „Idiot“, wie unter anderem das Manager Magazin online berichtet. Das nachträgliche Verbergen seiner Tweets hat ihm auch nichts mehr gebracht, denn die US-Medien haben die Social-Media-Eskapaden Shkrelis bereits dokumentiert. Und beim Preis von Daraprim hat er jetzt auch eingelenkt und will die Preiserhöhung rückgängig machen. Was die Pille nun kosten soll, hat er aber noch nicht bekannt gegeben. Das hilft ihm ohnehin nichts, denn seinen Ruf hat er weg. 
In diesem Sinne wünscht die Redaktion von portfolio ein schönes und vor allem gesundes Wochenende.
P.S.:  Dieses Kapitalismus-Zitat von Martin Shrekli wollen wir Ihnen nicht vorenthalten: „I think profits are a great thing to stay in your corporate existence.” Noch großartiger wäre es allerdings, ein Gewissen zu haben und nicht aus Geldgier den Preis für ein lebensrettendes Medikament so immens zu erhöhen, dass es eine neue Definition für Wucher und Raubtierkapitalismus braucht. 
Autoren:

In Verbindung stehende Artikel:

Schreiben Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert