Traditionelle Anlagen
5. Juni 2015

Warum es sich lohnen kann, Altanleihen mit hohen Kupons und langen Restlaufzeiten zu verkaufen

Der Renditerutsch an den Anleihemärkten hat die Kurse von Langläufern in ungeahnte Höhen getrieben. Sollte man zur Abwechslung mal Gewinne mitnehmen, bevor sie durch den Pull-to-Par-Effekt oder aus anderen Gründen verschwinden, obwohl die Wiederanlage nur Magerkost verspricht? Wir haben den Taschenrechner gezückt!

Laut Kapitalmarktstatistik der Deutschen Bundesbank waren zum 31. Dezember 2014 öffentliche Anleihen im Gegenwert von 1.647 Milliarden Euro im Umlauf; davon waren rund elf Prozent noch mit ­einer Restlaufzeit zwischen zwölf und 31 Jahren und Kupons ­zwischen 2,5 und 6,5 Prozent ausgestattet. Hut ab vor denen, die vor einigen Jahren den Mut aufbrachten, zu den damaligen Zinssätzen in Langläufer ­anzulegen. Sie können heute recht entspannt der weiteren Entwicklung an den Zinsmärkten zuschauen: Sie vereinnahmen nicht nur ­eine attraktive laufende Verzinsung, sondern haben auch ­mittlerweile ein recht imposantes Polster an stillen Reserven in diesen Papieren angehäuft! Kurz: Wer solche Anleihen frühzeitig erworben hat, hat alles richtig gemacht – zumindest bislang!  
Sollten die Zinsen weiter fallen oder für sehr lange Zeit auf diesem­ extrem niedrigen Niveau verharren, dann gibt es keine bessere ­Anlagestrategie, als diese Papiere bis zu deren Endfälligkeit zu halten. Aber was passiert, wenn die Zinsen wieder ansteigen sollten? Sollte man dann immer noch die Anleihen bis Endfälligkeit halten? Oder wäre es dann nicht besser, die stillen Reserven frühzeitig beziehungsweise heute zu heben und den Verkaufserlös zunächst solange im Geldmarkt zu ­„parken“, bis die Zinsen wieder attraktiver sind? Wenn ja, wie lange darf dann das niedrige Zinsniveau noch andauern und welcher ­Wiederanlagezins ist erforderlich, um nicht schlechter ­abzuschneiden als mit einer Durchhaltestrategie? Nachfolgend nun eine Untersuchung,­ wie Alternativen zu einer Durchhaltestrategie zu ­beurteilen sind.

Ein erster Schritt, sich den Antworten auf diese Fragen zu nähern, ist, sich den Zahlungsstrom einer solchen Anleihe anzuschauen. Wir wählen eine am 4. Juli 2034 fällige Bundesanleihe, ­deren Kupon 4,75 Prozent beträgt und deren Kurs aufgrund des stark gefallenen Marktzinsniveaus Ende März bei 177,21 Euro stand. Bei der Durchhaltestrategie fließen dem Anleger bei einem Anlagevolumen von 100 Euro als Zahlungsstrom künftig bis zur Fälligkeit jährlich 4,75 Euro in Form von Zinserträgen sowie einmalig 100 Euro bei End­fälligkeit am 4. Juli­ 2034 zu. Zusammen sind das 195 Euro. Sofern diese Anleihe in einem Spezialfonds liegt, fallen diese Zinserträge unter die Klassifizierung „ordentliche Erträge“ und sind damit zum Geschäftsjahresende des Fonds ausschüttungspflichtig. Dieser Zahlungsstrom ist für den ­Anleger sicher und damit kalkulierbar, ­sofern er die ­Anleihe bis zur Endfälligkeit hält. Das einzige Risiko des Anlegers ist das Emittenten­risiko. Bei einem Schuldner wie der ­Bundesrepublik Deutschland lässt sich dieses (vermutlich) vernachlässigen.

Gibt es nun eine Anlagestrategie, mit der man zumindest einen Teil der bislang angehäuften Reserven realisieren kann und die jähr­liche Ausschüttung sichert? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir den künftigen Cashflow der Anlagealternative kennen und mit dem Cashflow der Durchhaltestrategie vergleichen. Mit 177,21 Euro lag der Kurs der Anleihe zum 31. März dieses Jahres 17,79 Euro unter dem Wert, den der Anleger aus der Altanleihe unter Berücksichtigung der noch ausstehenden Zinszahlungen bis zur Endfälligkeit beziehen würde. Berücksichtigt man noch den Umstand, dass die Durchhalte­strategie jährlich eine Ausschüttung in Höhe von 4,75 Euro vornimmt, ergibt sich für die alternative Anlagestrategie folgende Fragestellung: ­Welcher Wiederanlagezins ist erforderlich, um aus dem Anfangs­kapital (177,21 Euro) und einem Anlagehorizont von 19,27 Jahren (Zeitraum: 1. April 2015 bis 4. Juli 2034) ein Endvermögen in Höhe von 195 Euro zu erzielen, unter der Nebenbedingung, dass jährlich eine ­Ausschüttung in Höhe von 4,75 Euro vorzunehmen ist?

Ohne diese Nebenbedingung errechnet sich ein Wiederanlagezins von 0,498 Prozent per annum. Jede Anleihe mit einer Laufzeit von 19,27 Jahren und einer Mindestrendite von 0,498 Prozent per annum weist also ein Endvermögen auf, das mindestens dem der Durchhalte­strategie entspricht. Verschiedene zehnjährige europäische Staats­anleihen weisen über diesen 0,498 Prozent liegende Renditen auf. Auch bei deutschen Staatsanleihen mit einer Laufzeit von 20 Jahren  liegt die aktuelle Rendite auf diesem Niveau. Allerdings reichen die Kupons dieser Anleihen nicht aus, um die in der Nebenbedingung formulierte jährliche Auszahlung sicherzustellen.

Um mit der alternativen Anlagestrategie den bisherigen ­Zahlungsstrom auch künftig sicherzustellen, bietet es sich an, den Verkaufserlös in Höhe von 177,21 Euro in zwei Töpfe aufzuteilen. ­Dabei soll das Kapital im ersten Topf zur Bedienung der jährlichen ­Ausschüttung in Höhe von 4,75 Euro bis zum Jahre 2034 verwendet werden. Die ­Höhe des erforderlichen Dotierungskapitals für diesen Topf bestimmt sich aus der Summe der künftigen Auszahlungen (19,27 Jahre x 4,75 Euro = 91,55 Euro), vermindert um den Anlagezins auf das im ersten Topf ­befindliche Vermögen.

Die nebenstehende Tabelle gibt eine Übersicht über den Zusammenhang ­zwischen Anlagezins und erforderlichem Anfangskapital für den ersten Topf. Dabei ­gelten die Annahmen, dass eine jährliche Ausschüttung (bis 2034 ­insgesamt 19,27 mal) von 4,75 Euro erfolgt und der angenommene Anlagezins für das dotierte Kapital über die gesamte Laufzeit (Juni 2015 bis 4. Juli 2034) gilt.

Wie der Tabelle zu entnehmen ist, wird bei einem Zinssatz von null Prozent ein Dotierungskapital in Höhe von 91,55 Euro benötigt, um die jährlichen Ausschüttungen von 4,75 Euro bis zum Jahre 2034 sicherzustellen (19,27 Jahre x 4,75 Euro). Damit verbleibt aus dem Verkaufs­erlös ein Restbetrag von 85,66 Euro, der für eine Wieder­anlage in eine 2034 endfällige Anleihe zur Verfügung steht. Dieser Betrag wird in den zweiten Topf gelegt. Verallgemeinert gilt also, dass sich die Höhe des für eine Wiederanlage zur Verfügung stehenden Kapitals­ im zweiten Topf aus der Differenz zwischen Anfangskapital (177,21 Euro) und Dotierungskapital für den ersten Topf errechnet. Damit­ die alternative Strategie mindestens das gleiche Anlage­ergebnis wie die Durchhaltestrategie liefert, ist es nun also erforderlich, dass das im zweiten Topf angelegte Kapital bis zum 4. Juli 2034 einen Mehrwert in Höhe­ von 17,79 Euro erzielt (die Differenz aus dem Endvermögen der Durchhaltestrategie und dem Verkaufserlös zum 31. März 2015).

Unterstellt man für den ersten Topf einen Anlagezins von null Prozent, so ­würde dem zweiten Topf zum 1. April 2015 ein Betrag von 85,66 Euro zugeführt werden. Dieses Kapital müsste dann bis zum 4. Juli 2034 auf 103,45 Euro ansteigen, damit die alternative Anlagestrategie zum ­gleichen Ergebnis führt wie die Durchhaltestrategie. 

Mögliche alternative Strategien
Wer nun zum 31. März 2015 seine Anleihe veräußerte und das verfügbare Wiederanlagekapital mit Endfälligkeit 4. Juli 2034 anlegte, hätte dies zu einem Zinssatz in Höhe von 0,9839 Prozent tun müssen, um nicht schlechter als die Durchhaltestrategie abzuschneiden. Ein Blick auf die aktuellen Marktkonditionen zeigt jedoch, dass dieser Zinssatz gegenwärtig im Markt nicht zu erzielen ist: Derzeit liegt die ­Rendite für 20-jährige Staatsanleihen der Bundesrepublik Deutschland bei 0,50 Prozent per annum. Dies heißt aber nicht zwingend, dass der Verkauf der Anleihe zum 31. März 2015 eine Fehlentscheidung gewesen wäre. Denn der Investor muss nicht sofort eine Wiederanlage tätigen, sondern kann das Kapital solange im Geldmarkt an­legen, bis der Markt bereit ist, die zum Zeitpunkt der Anlage erforderliche Rendite für Anleihen mit Endfälligkeit Juli 2034 zu zahlen.

Da der Markt am 1. April 2015 diese erforderliche Rendite nicht hergab, legt der Investor zunächst sein Kapital bis zum 30. Juni 2015 zu Geldmarktzinsen an. Anschließend entscheidet er jeweils halbjährlich, ob er das Kapital endfällig oder für weitere sechs Monate im Geldmarkt ­anlegen möchte. Für die Verzinsung der zwischenzeit­lichen Geldmarktanlage werden drei Szenarien unterstellt:

Szenario 1:    Über den gesamten Anlagezeitraum wird eine ­Verzinsung von 0,00 Prozent per annum unterstellt
Szenario 2:    Über den gesamten Anlagezeitraum wird eine ­Verzinsung von -0,50 Prozent per annum unterstellt
Szenario 3:    Über den gesamten Anlagezeitraum wird eine ­Verzinsung von -1,00 Prozent per annum unterstellt

Bei einem Anfangskapital von 85,66 Euro (Zins für Topf Eins: null Prozent per annum) und unter der Annahme, dass sich das Niedrigzinsniveau bis Mitte 2020 fortsetzt und bis dahin der Zinssatz am Geldmarkt konstant bei Minus einem Prozent per annum (Szenario 3) verharrt, wäre die Verkaufsentscheidung zum 31. März 2015 richtig ­gewesen, wenn bis dahin die Renditen für Anleihen mit (dann) 14-jähriger Restlaufzeit auf mindestens 1,54 Prozent per annum angestiegen wären. Bei einer durchschnittlichen Verzinsung der Geldmarktanlage von null Prozent (Szenario 1) würde die Renditeanforderung 1,36 Prozent per ­annum betragen.

Ändert man nun die Prämisse, dass der durchschnittliche ­Zinssatz für die Anlagen im ersten Topf nicht bei null Prozent per annum liegt, sondern bei durchschnittlich einem Prozent per annum, erhöht sich das Kapital für den zweiten Topf von 85,66 auf 94,32 Euro. Aufgrund des ­höheren Anfangskapitals verstärkt sich der Zinseszinseffekt, was zur Folge hat, dass bei ansonsten gleichen Annahmen wie im ersten ­Beispiel die Renditeanforderung für 14-jährige Anleihen Mitte 2020 in Szenario 3 nur auf 1,42 statt auf 1,54 Prozent per annum ansteigen müsste, um mit der Durchhaltestrategie gleichzuziehen. Im Falle des Szenarios 1 liegt der erforderliche Zinssatz bei 1,24 statt 1,36 ­Prozent per annum. Das Zusammenspiel zwischen Restlaufzeit und Wiederanlagerendite wird in der nebenstehenden Grafik dargestellt.

Bisher wurde in der Untersuchung davon ausgegangen, dass die jährlichen Auszahlungen der alternativen Anlage identisch mit denen der Altanleihe sein sollen, also, dass die künftigen Zahlungsströme der beiden Anlagen identisch sind. Aufgrund des seit einigen Jahren ­anhaltenden Niedrigzinsumfelds sind die Lebensversicherungsunternehmen jedoch gezwungen, ihre Nettoverzinsung künftig deutlich zu reduzieren. Während für 2013 noch eine durchschnittliche Netto­rendite in Höhe von 4,68 Prozent erwirtschaftet wurde, wird diese in den kommenden Jahren in Richtung vier Prozent oder gar darunter tendieren. Unterstellt man nun, dass für die alternative Anlage anstatt 4,75 nur noch vier Euro bis 2034 ausgeschüttet werden sollen, würde sich dies erheblich auf die Höhe des zur Wiederanlage bereitstehenden Anlagekapitals (Topf Eins) und damit auf den erforderlichen Wieder­anlagezins auswirken. Bei einem Anfangskapital von 100,11 Euro und einem Zins für den ersten Topf von null Prozent per annum würde sich der erforderliche Wiederanlagezins bei ansonsten gleichen Bedingungen weiter reduzieren: in Szenario 3 auf 1,36 und in Szenario 1 auf 1,18 Prozent per annum.

Unterstellt man für den ersten Anlagetopf dagegen eine durchschnitt­liche Verzinsung von einem Prozent per annum, so ­errechnet sich ein notwendiger Wiederanlagezins von 1,28 (Szenario 3) respektive 1,10 Prozent per annum (Szenario 1). Damit genügt aus jetziger Sicht schon ein Zinsanstieg von weniger als 80 Basispunkten (Szenario 3) beziehungsweise 50 Basispunkten (Szenario 1), um mindestens die gleiche Rendite wie die Altanleihe zu erzielen.

Fazit: komfortable Ausgangslage, schwierige Entscheidung
Was bedeuten nun diese Ergebnisse für die Anlageentscheidung? Zunächst muss man konstatieren, dass man sich mit der Entscheidung, von einer hochverzinslichen Anleihe mit guter Bonität und einer­ ­langen Restlaufzeit zu einer Wiederanlage unter Unsicherheit zu wechseln, von einem sicheren und damit planbaren Zahlungsstrom „verabschiedet“.

Als Nutzen eröffnet sich jedoch die Möglichkeit, stille Reserven zu realisieren und – sofern es sich um eine ­Anleihe in einem Spezialfonds handelt – seine Flexibilität bei der ­Bilanzgestaltung zu erhöhen: Sowohl Höhe als auch Zeitpunkt einer Ausschüttung von ­Kursgewinnen entscheidet im Gegensatz zu ­Ausschüttungen von Zinserträgen allein der Investor. Im Falle, dass sich solche Anleihen im Direktbestand ­eines Unternehmens ­befinden, bietet sich für den Investor die ­Möglichkeit, diese zu Buchwerten in einen Spezialfonds einzu­bringen, um dort die stillen Reserven zu ­realisieren. Damit kann er über die Ausschüttung flexibel ­entscheiden. Des Weiteren verschafft sich der Investor die Möglichkeit, flexibel auf künftige Marktver­änderungen zu reagieren und damit die Rendite ­gegenüber der Durchhaltestrategie zu steigern.

Es wird aber auch deutlich, dass es keine eindeutige Lösung gibt. Auch wenn heute die erforderliche Wiederanlagerendite noch unter dem aktuellen Marktzins liegt, bedeutet das noch lange nicht, dass dies auch in Zukunft so sein muss. Schon ein Zinsanstieg um wenige Basispunkte kann im Einzelfall ausreichen, um durch den Verkauf der Altanleihe und der Wiederanlage die Gesamtrendite zu ver­bessern. Letztendlich liegt es jedoch in der Verantwortung des ­Anlegers zu beurteilen, wie hoch er die Eintrittswahrscheinlichkeit für die jeweilige Verhältniszahl „Renditeanforderung / verbleibende Anlagedauer“ einschätzt.

Es gibt sicherlich deutlich schlechtere Ausgangslagen für In­vestoren, als heute im Besitz solcher „Top-Anleihen“ zu sein. Die ­Untersuchung verdeutlicht aber, dass es sinnvoll ist, auch diese ­Anlagen im Hinblick auf künftige Rentabilität zu überprüfen. ­Gerade heute, wo die aktuellen Renditen ein Niveau erreicht haben, das man sich nie vorstellen konnte, ist es von großer Wichtigkeit, ­diese Situation­ zu reflektieren. Auch wenn man nicht weiß, wo es mit den Zinsmärkten hingehen wird, muss eines klar sein: ­Untenstehende Grafik zeigt deutlich, dass nur ein kleiner Zinsanstieg ausreicht, um mit einer Durchhaltestrategie ins Hintertreffen zu gelangen.

portfolio institutionell, Ausgabe 5/2015

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