Schwarzer Schwan
23. Januar 2015

Wege zu Wachstum und Weisheit

Chinesische Sprichwörter und Weisheiten von Konfuzius gibt es wie Sand am Meer. Ein besonders schönes Sprichwort, das ganz wunderbar zum aktuellen Zeitgeist passt, geht so: „Wenn du mich einmal betrügst, dann ist das deine Schande. Aber wenn du mich zweimal betrügst, dann ist es meine.“

Der Schwarze Schwan der Woche widmet sich diesmal den Fähigkeiten der chinesischen Statistiker im Umgang mit dem Taschenrechner. Der Grund: Auf die Zuverlässigkeit des Zahlenmaterials vertrauen immer weniger Menschen. Allen voran der eigene Regierungschef, Li Keqiang. In einem vertraulichen Gespräch mit dem damaligen US-Botschafter in Peking soll der amtierende Ministerpräsident der VR China bereits im Jahr 2007 gemutmaßt haben, dass die Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts „künstlich“ errechnet und zusammengeschustert sei. Dabei werden die Chinesen rund um den Globus doch für ihre Rechenkünste bewundert. 
Gerade im internationalen Vergleich macht den chinesischen Statistikern niemand etwas vor. Ihr Motto lautet: „Fege den Staub des letzten Jahres fort und mit ihm alle unguten Gefühle.“ Mit dem Slogan auf der Stirn vergehen nach der Silvesternacht gerade mal drei Wochen, bis sie ausgerechnet haben, was das Volk von fast 1,4 Milliarden Menschen binnen zwölf Monaten erwirtschaftet hat. Zum Vergleich: Das kleine Hongkong braucht für diese Übung doppelt so lange. Und in den USA gehen schon mal acht Wochen ins Land, bis die Statistiker die Zahlen aufaddiert und mit denen des Vorjahres verglichen haben. Gerade eben wurden die jüngsten Kalkulationen veröffentlicht. Demnach legte das offizielle Bruttoinlandsprodukt laut chinesischem Statistikamt binnen Jahresfrist um 7,4 Prozent zu. 
Aber: Im Eifer der Berechnungen scheint sich regelmäßig der Fehlerteufel einzuschleichen. Wie sonst lässt sich erklären, dass die Wirtschaftsleistung, die sich aus den summierten Angaben der lokalen Statistikämter ergibt, in der Vergangenheit um bis zu elf Prozent über der Summe lag, die Peking zentral ausweist? Vielleicht liegt das daran, dass die Provinzen die folgende Sichtweise einnehmen: „Was man haben will, soll man erst einmal laufen lassen“? Chinas Zahlen müssen also falsch sein! Dies bestätigt uns nicht nur Konfuzius, sondern auch Mark Twain: „Es gibt drei Arten von Lügen: Lügen, verdammte Lügen und Statistiken.“ 
Bevor wir nun darüber mutmaßen, wie weit die tatsächliche Wachstumsrate von der offiziellen Kennzahl abweicht, suchen wir lieber nach in Regimen bewährter Sitte einen Schuldigen. Laut der Frankfurter Allgemeinen Zeitung haben die lokalen Parteiführer in den Provinzregierungen allen Grund, die Zahlen zu frisieren, richtet sich ihr Karriereverlauf doch danach, ob die Ziele aus dem fernen Peking erreicht wurden oder nicht. Droht die regionale Wirtschaft den Anschluss an den Fünfjahresplan zu verpassen, heißt es erfinderisch sein. Die dazu passende Weisheit: „Verwandle große Schwierigkeiten in kleine und kleine in gar keine.“ 
Wer die Mentalität der Chinesen verstehen will, sollte sich das hier einbläuen: „Solange du dem andern sein Anderssein nicht verzeihen kannst, bist du noch weit ab vom Wege zur Weisheit.“ 
In diesem Sinne wünscht Ihnen die Redaktion von portfolio ein schönes Wochenende.
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