Pension Management
24. Mai 2016

Wie es weitergeht

Der Balanceakt auf dem Niedrigzins wird immer herausfordernder. Welche Handlungs­möglichkeiten Versicherungen mit modifizierten Garantien und Altersvorsorgeeinrichtungen beim Asset-Liability-Management haben, diskutierten Experten auf dem Brennpunkt-Panel.

Herr Bamberg, kann denn eigentlich auch ein Diskontierungszins negativ werden?
Niclas Bamberg: Dieses Thema hat uns sehr bewegt. Mit der nun erfolgten Glättung durch eine Zehnjahres-Durchschnittsberechnung hat sich die Gefahr, dass wir größere Pen­sionsrückstellungen bilden müssen, als wir zum Eintritt des biometrischen Risikos ­benötigen, deutlich verringert. Wir haben nun drei gute Jahre dazubekommen und kommen nun zum Jahresende vermutlich auf ein Zins­niveau von 4,10 Prozent. Wir haben nun mehr Zeit, fallen langsamer und damit weniger schmerzhaft.

Welche Möglichkeiten hat ein Unternehmen und für welche entschied sich der TÜV Nord?
Bamberg: Wir haben tatsächlich mehrere Möglichkeiten. Oberstes Ziel ist, den Verzehr des Eigenkapitals zu verhindern. Bilanziell stellt sich die Situation durch die Berechnungsweise der Pensionen schwierig dar. Wenn – auch wenn rein durch Zinssatzänderungen – die Pensionsrückstellungen stark ansteigen, besteht die Gefahr, dass das Eigenkapital schrumpft. Tatsächlich sind wir aber ein sehr gesundes Unternehmen mit einer mehr als ausreichenden Liquidität, das nur wegen der Zinsberechnung bilanziell hohe Rückstellungen aufweist. Eine Möglichkeit, um das Eigenkapital zu erhöhen: Verbindlichkeiten kürzen. Das greift aber zu kurz, weil unsere Versorgungswerke mehrheitlich „auserdient“ sind. Es entspräche auch nicht unserem Verständnis zur Einhaltung von Pensionsversprechen. Eine andere Möglichkeit: Kapital zuzuführen. Dies erfolgt bei uns durch die Rückdeckung unseres CTAs. Indirekt versuchen wir, in der Kapitalanlage eine höhere Rendite zu erzielen. Früher setzten wir meist auf Versicherungsprodukte, heute wird das Portfolio stärker diversifiziert. Übrigens war ich früher bei Heubeck tätig. Dort berechneten wir, dass TÜV-Ingenieure nach evangelischen Pastoren die Gruppe mit der größten Langlebigkeit sind. ­Das Nachfinanzierungsrisiko ist daher zu berücksichtigen.

Für welche Besonderheiten sorgt der Unterschied zwischen Handels- und Steuerbilanz?
Bamberg: Während in der Handelsbilanz der erwähnte Referenzzinssatz der Bundesbank zum Einsatz kommt, kommt in der Steuerbilanz ein seit Jahren – obwohl sich die Welt verändert hat – festgeschriebener Zins von sechs Prozent zum Einsatz. Die Mitarbeiter geben uns mittels der Direktzusage quasi einen Kredit. Dieser wird aber im Vergleich zum Marktzins für uns immer schlechter, da wir diesen immer stärker abzinsen müssen. Das ist ein Liquiditätseffekt, der uns leider ver­loren geht.
Als Arbeitgeber wäre uns geholfen, wenn wir dem Marktzins auf irgendeine Weise wenigstens folgen könnten. Das hätte auch einen positiven volkswirtschaftlichen Effekt. Denn eine passendere Bewertung würde uns in der Unternehmensfinanzierung helfen und wir könnten auch mehr Vorsorgeleistungen aufbauen und den Sozialstaat entlasten.

Herr Dr. Schwark, wie antworten die Lebensversicherungen auf die Marktsituation?
Dr. Peter Schwark: Für das Neugeschäft und den Bestand müssen ­verschiedene ­Antworten gefunden werden. Zudem ­wurde Solvency II als nicht unmaßgebliche ­Nebenbedingung eingeführt. Der Niedrigzins und Solvency II zwingen zur Umsteuerung in Richtung neue Produktkonzepte, da die klassischen Lebensversicherungs­produkte mit ­laufenden Mindestverzinsungen unter Solvency II teuer sind und sich der Anlagespielraum einengt.
Um Kunden eine attraktive Verzinsung zu bieten und um mit dem eigenen Solvenzbudget auszukommen, entwickeln die Unternehmen neue Produkte. Auf Produkte mit modifizierten Garantien entfallen dieses Jahr bereits 37 Prozent des Neugeschäfts. Das ist eine breite Entwicklung im Markt, bei der die großen Unternehmen vorangehen.

Beim Bestand müssen wir die Garantien der Vergangenheit erfüllen. Eine Stellschraube sind hier die Kosten. Die Versicherer konnten in den vergangenen Jahren erhebliche Verbesserungen bei den Verwaltungskostenquoten realisieren, was von der Öffentlichkeit leider nicht wahrgenommen wird.
Bei den Kapitalanlagen wurde ebenfalls umgesteuert. Deshalb stimmt nicht, dass wir, wie gern gemutmaßt, die Hauptkäufer von Bundesanleihen sind. Staatsanleihen spielen zwar noch eine Rolle, es sind aber andere Adressen als früher und andere Laufzeiten. Erhöht hat sich die Quote an ­Unternehmensanleihen.
Das bestimmende Momentum sind aber die Zinsversprechen der Vergangenheit. Große ­Bedeutung hat entsprechend die Zinszusatzreserve, für die erhebliche Mittel zu mobilisieren sind. Uns bewegt heute die Frage, ob das im Grunde weiterhin richtige Instrument aus heutiger Sicht bei seiner Einführung 2011 falsch kalibriert wurde. So wie es bei der handelsrechtlichen Diskontierung von Pensionsrückstellungen nun eine Veränderung gab, so sehen wir vergleichbaren Bedarf, die Zinszusatzreserve neu zu kalibrieren.

Die Zinszusatzreserve ist doppelt so hoch wie das Eigenkapital der Lebensversicherer. Was ist die Sicht eines Wirtschaftsprüfers?
Prof. Dr. Jochen Axer:
Die Bewertungs­reserven müssen mobilisiert werden und das geschieht in der Praxis auch. Ansonsten wären die Durchschnittsverzinsungen nicht auf dem Niveau, wie sie immer noch ausgewiesen werden. Die Reservesituation der Unternehmen ist aber sehr unterschiedlich. Teilweise sind diese schon verbraucht. Eine zweite Möglichkeit ist zu versuchen, die Kostenschraube nochmals anzuziehen und Effizienzreserven zu heben. Das ­zentrale Thema bleibt aber die Belastung der Passivseite durch die Zinsentwicklung. Dabei ist die Zinszusatzreserve eine enorme Last. Man muss versuchen, eine Neukalibrierung durchzusetzen. Änderungen braucht es vor dem Hintergrund des Marktzinses auch bei den Zinssätzen in der Handels-, insbesondere aber der Steuerbilanz (Abzinsungssätze in den Paragrafen 6 und 6a EStG).
Was heute stattfindet, ist eindeutig eine ­Sub­stanzbesteuerung. Aus meiner Sicht wäre das BMF gut beraten, sich zu bewegen. Ansonsten dürfte es ­Verfassungsbeschwerden geben, um festzustellen, ob eine solche Substanzbesteuerung zulässig ist und wie weit die gesetzgeberische Eingriffskompetenz geht.

Was muss sich in der Kapitalanlage ändern?
Axer: Bei der Kapitalanlage werden sich ­Dinge ändern. Die Kapitalanlage wird das Zinsproblem aber mit großer Sicherheit nicht entscheidend lösen.

Wie bewegt man Mitarbeiter zur Vorsorge?
Bamberg:
Wenn man mehrere Garantiearten anbietet, besteht die Gefahr einer negativen Selektion durch die Mitarbeiter. Eine ­andere Gefahr ist, dass das Unternehmen nachschießen muss. Ich bin bezüglich der Garantien gespannt, ob die Zinsverwerfungen dazu führen, dass arbeitsrechtliche Grundpfeiler der bAV noch ganz neu diskutiert werden.

Kann die Subsidärhaftung des Arbeitgebers bei Versorgungszusagen begrenzt werden?
Axer:
Das ist schwierig. Jenseits der Rechts­ebene besteht zudem ein hohes Reputationsrisiko.
Bamberg: Stimmt. Wenn das Anlageergebnis nicht stimmt, ist die Außendarstellung belastet. Das schlägt auch auf die Mitarbeitergewinnung durch. Darum sind wir darauf angewiesen, dass wir Erfolge in der Kapitalanlage realisieren und diese transparent an die Mitarbeiter weitergeben.

Passt Riester zum Transparenzziel?
Bamberg: Von unseren Mitarbeitern wird Riester selten nachgefragt. Dies liegt auch daran, dass unsere Mitarbeiter hochqualifiziert sind und altersmäßig relativ spät bei uns einsteigen. An dieses Klientel muss auch die Altersvorsorge angepasst werden.
Schwark: In der bAV lohnt sich die Riester-Rente ­wegen der zweifachen Krankenversicherungsbeitragslast in der Regel nicht. In der ­Privatvorsorge rechnet sich Riester immer. Diejenigen, die heute die ­Riesterkonzepte zerreden, stützen sich auf verzerrende Betrachtungen. Tatsächlich ist es so, dass der Gesetzgeber alle Eventualitäten bereits geregelt hat. So sorgt eine noch einmal verbesserte Beteiligung an den Risikoüberschüssen zum Beispiel dafür, dass die Vorsichtsmarge bei der Kalkulation der Lebenserwartung für die Rendite von Rentenverträgen im Prinzip keine Rolle spielt. Ich freu mich, dass nun in der Politik versucht wird, die ausgeuferte Diskussion zur Riester-Reform ein Stück weit wieder einzufangen. Ich bin gespannt, welche Vorschläge eventuell im Herbst von Bundesministerin Andrea Nahles kommen.

Zurück zu Solvency II: Kommt das Prudent Person Principle im aktuellen Zinsumfeld überhaupt zum Tragen?
Schwark:
Bislang bestanden quantitative Anlagerestriktionen. Diese Grenzen spielten praktisch aber kaum noch eine Rolle und waren zusätzliche Vorsichtsvorschriften. Das Prudent Person Principle fordert, nur beherrschbare Risiken einzugehen. Solche Prinzipien sind in der Lebensversicherung – Stichwort Stresstest – längst etabliert. Die Verantwortung der Gesellschaften im ­Rahmen des Risikobudgets vernünftig zu handeln, bestand schon zuvor und ist nun nochmal regulatorisch festgehalten worden. Die Anlagequoten haben sich durch Solvency II nicht fundamental geändert.

Sind Staatsanleihen wirklich SCR-adäquat?
Schwark:
Der Solvenzbedarf bei Lebensver­sicherungen ist sehr verschieden und die ­Frage des Adressrisikos ist nur eine von ­vielen Fragen. Es war nie so, dass deutsche und griechische Staatsanleihen unterschiedslos behandelt wurden. Jedes Papier wird im Risikomanagement angemessen und ökonomisch bewertet. Die Unternehmen stellen sich laufend die Frage, wo nennenswerte ­Risiken liegen und wie diese zu kontrollieren sind.
Axer: Das kann ich bestätigen. Es ist aber schon ein interessantes Dilemma, dass wir einerseits einen politischen Zins haben und andererseits mit Solvabilitätsthemen neu ­umzugehen haben. Dieses Spannungsfeld kann Unternehmen dazu animieren, risikoreicher zu investieren, um dann zu einem späteren Zeitpunkt gezwungen zu werden, angemessene Eigenmittel darzustellen.
Es ist aber für mich nicht erkennbar, dass Versicherer oder Pensionskassen nun risikoreicher agieren. Tatsächlich besteht ein ausgeprägtes Risikobewusstsein.

Was hat Solvency II denn nun bei Versicher­ungsunternehmen verändert?
Axer:
Solvency II ist ein richtiger Ansatz. Es stellt sich aber die Frage, ob dieser mit so viel Bürokratie und Papier belastet sein muss. Stand heute sind unmittelbare Auswirkungen tendenziell nicht gegeben. Wir sind aber noch in der Übergangszeit und die Reak­tionsgeschwindigkeit kommt mit Verzögerungen. Viel drückender und entscheidender ist die Zinszusatzreserve.
Schwark: Solvency II ist schon lange in den Köpfen drin. Es mag aktuell zu Änderungen bei den Berichtspflichten kommen, aber nicht zu disruptiven Veränderungen. Alles war im Vorfeld bekannt.
Dies gilt allerdings nicht für den starken Zinsrückgang. Da wirkt Solvency II ein Stück weit wie ein Fernglas: Probleme der Zukunft werden nah herangeholt und man muss ­heute schon die Antworten für die künftigen Herausforderungen finden.

Von Patrick Eisele

portfolio institutionell, Ausgabe 05/2016

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