Strategien
12. Juli 2016

Wissenslücken über nachhaltige Kapitalanlage

Obwohl Europas institutionelle Investoren mehrheitlich Nachhaltigkeitskriterien in der Kapitalanlage berücksichtigen, kennen sich die wenigsten wirklich gut damit aus. Deutsche und Schweizer Großanleger kritisieren Transparenz entsprechender Anlagelösungen.

Skandinavier sind in Europa einsame Spitze, wenn es um Nachhaltigkeit in der Kapitalanlage geht. Dies ist eine der Erkenntnis aus der Nachhaltigkeitsstudie von Union Investment, für die im Frühjahr 803 institutionelle Investoren mit einem Gesamtvermögen von knapp acht Billionen Euro aus zehn ausgewählten Ländern Europas befragt wurden. Laut dieser berücksichtigen knapp zwei Drittel der Großanleger in Europa Nachhaltigkeitskriterien. In Skandinavien – Dänemark, Schweden, Finnland und Norwegen – sind es überdurchschnittliche 74 Prozent. Es folgen die Schweiz und Österreich mit 70 beziehungsweise 71 Prozent. 
Wie aus der Studie weiter hervorgeht, machen nachhaltige Investments bei den nachhaltig agierenden Investoren in Skandinavien 61 Prozent ihrer gesamten Kapitalanlage aus. Sie sind damit deutlich weiter als die anderen europäischen Länder. In den Niederlanden macht der Anteil 53 Prozent und bei den Briten 43 Prozent aus. Interessant ist hier ein Blick auf die Schweiz und Österreich, wo ein relativer hoher Prozentsatz der Investoren Nachhaltigkeit berücksichtigt, der Anteil in der gesamten Kapitalanlage jedoch lediglich 38 beziehungsweise 35 Prozent ausmacht. Schlechter sind nur Deutschland mit 33 Prozent und Italien mit 22 Prozent.          
Das Wissen über nachhaltige Kapitalanlagen ist in den europäischen Ländern unterschiedlich stark ausgeprägt. Im Durchschnitt bescheinigen sich 18 Prozent der Befragten einen sehr guten Kenntnisstand. Vorn liegen die Investoren aus Großbritannien, von denen 27 Prozent ihr Know-how als sehr gut einstufen. In den Niederlanden sind es 26 Prozent und in Skandinavien 23 Prozent. In Deutschland beurteilt dagegen nur jeder Zehnte seine Kenntnisse so positiv.
Als Anlageklasse mit der größten Nachhaltigkeitswirkung sehen die Studienteilnehmer länderübergreifend Aktien (55 Prozent), gefolgt von alternativen Investments (45 Prozent) und Immobilien (44 Prozent). Deutlichen Verbesserungsbedarf wird unterdessen auf der Angebotsseite gesehen. So halten nur 37 Prozent der Investoren die bestehenden nachhaltigen Anlagelösungen für hilfreich. Die meisten Befragten (44 Prozent) bewerten diese neutral, ein knappes Fünftel (19 Prozent) beurteilt sie als nicht hilfreich. Besonders kritisch sind die institutionellen Anleger in der Schweiz und Deutschland. Dort stößt das Produktangebot bei nur 25 beziehungsweise 30 Prozent der Befragten auf positive Resonanz. Bemängelt wird länderübergreifend vor allem eine ungenügende Transparenz der Produkte. Immerhin 42 Prozent aller Studienteilnehmer nannten diesen Punkt. Deutlich mehr sind es wiederum in der Schweiz mit 51 Prozent und in Deutschland mit 50 Prozent. 
„Die Nachhaltigkeitskenntnisse der Investoren variieren von Land zu Land erheblich. In Deutschland gibt es bei der nachhaltigen Kapitalanlage noch Luft nach oben, wie der Vergleich mit Skandinavien zeigt. Asset Manager sind gefordert, Wissenslücken gezielt zu schließen und individuelle Anlagekonzepte mit transparentem Reporting anzubieten“, sagt Alexander Schindler, Vorstand von Union Investment mit Zuständigkeit für institutionelle Kunden.
Dass Deutschland in puncto nachhaltige Kapitalanlage noch Aufholbedarf hat, stellte auch Fiona Reynolds, Chefin der UN PRI, kürzlich in einem Interview mit portfolio institutionell fest: „Es gibt einige sehr fortschrittliche Organisationen in Deutschland, die verantwortliches Investieren ernst nehmen. Ungeachtet dessen gibt es für uns noch viel zu tun, um weitere Asset Owner aus Deutschland davon zu überzeugen, mit verantwortlichen Investments zu beginnen.“ Dass die Zahl der deutschen PRI-Signatoren recht gering ist, macht sie an einer Eigenart der Deutschen fest: „Die Deutschen glauben, dass sie die Nummer eins sein müssen, bevor sie sich den PRI anschließen. Doch darum geht es nicht.“ Die PRI wollen beim Start mit nachhaltigen Investments helfen. „Viele Organisationen treten den PRI bei, weil sie sich dazu verpflichten, etwas in puncto Nachhaltigkeit zu unternehmen. Sie wollen mit anderen zusammenarbeiten und  voneinander lernen. Diese Message müssen wir in Deutschland noch stärker verbreiten“, so Reynolds. Das vollständige Interview mit der PRI-Chefin, in dem es um den neuen Zehnjahresplan, einen Review zu den Rechenschaftspflichten und die Überprüfung der sechs zugrundeliegenden Nachhaltigkeitsprinzipien geht, finden Siehier. 
Impulse aus Politik und Medien
Wesentlicher Impulsgeber für nachhaltige Kapitalanlagen ist aus Sicht der von Union Investment befragten Investoren die Regulierung (37 Prozent), gefolgt von der Medienberichterstattung (28 Prozent) und veränderten Risikobedingungen (25 Prozent). Mehr als zwei Drittel der Investoren sind der Meinung, dass sich die von der Politik angestrebte Reduktion von Treibhausgasen auf die Kapitalmärkte auswirken wird. Beim Weltklimagipfel in Paris hatte sich die internationale Staatengemeinschaft das Ziel gesetzt, die globale Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius zu begrenzen. Auswirkungen erwarten die institutionellen Anleger vor allem auf die Öl- und Gasindustrie (72 Prozent) sowie Energieversorger (53 Prozent) und Automobilhersteller (37 Prozent). 
Ein knappes Drittel der Befragten bezieht bereits Klimaverbesserungsstrategien in Anlageentscheidungen ein. Vorn liegen auch hier die Großanleger in Skandinavien mit 54 Prozent, gefolgt von denen in den Niederlanden (47 Prozent) und Großbritannien (35 Prozent). Am wenigsten verbreitet ist die Einbeziehung von Klimaaspekten in Italien und Deutschland, wo diese bislang nicht einmal jeder Fünfte berücksichtigt „Die meisten Investoren in Europa glauben zwar, dass sich die Reduktion von Treibhausgasen auf die Kapitalmärkte auswirken wird, doch nur eine Minderheit will Konsequenzen ziehen. Im Risikomanagement führt daran aber kein Weg vorbei“, stellt Schindler fest. Die Dekarbonisierung ihres Portfolios haben viele große Kapitalanleger in Europa bereits bekannt gegeben, darunter die Allianz, Axa und der Norwegische Ölfonds. 
portfolio institutionell newsflash 12.07.2016/Kerstin Bendix
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