Versicherungen
20. Juni 2016

ZZR: Im Jahr 2018 sind stille Reserven abgebaut

Der Assekuranz droht laut Bankhaus Lampe und Dr. Carsten Zielke der baldige Abbau der stillen Reserven und eine milliardenschwere Deckungslücke. Gefordert werden eine offene Diskussion und eine höhere Infrastrukturquote.

Das Bankhaus Lampe hat in Kooperation mit dem unabhängigen Institut Zielke Research Consult den deutschen und österreichischen Versicherungsmarkt hinsichtlich der aktuellen Situation in der Versicherungswirtschaft untersucht. Der Financial Institutions Report ermittelt für die Versicherungsbranche kritische Zahlen, präsentiert unkonventionelle Lösungsvorschläge und beschäftigt sich mit der besseren Umsetzbarkeit von Infrastrukturlösungen.
Um die weitere Fähigkeit zur Leistung der Garantien sicherzustellen, hat der Gesetzgeber 2011 die Zinszusatzreserve (ZZR) eingeführt. „Der Rechenmechanismus hinter der ZZR führt dazu, dass der Gesamtbestand an stillen Reserven bei unveränderten Zinsen im Jahr 2018 verschwunden sein wird“, erklärt Analyst Dr. Carsten Zielke. Der Financial Institutions Report zeigt, dass der rechnerische Reservierungsbedarf für die Zinszusatzreserve 2018 bis auf 100 Milliarden Euro steigen könnte. Die Berechnung begründet sich unter anderem auf den notwendigen Abbau stiller Reserven als Folge der Veräußerung hoch rentierlicher Kapitalanlagen. Diese liegen jährlich bei voraussichtlich fünf bis zehn Prozent. Der Abbauprozess der stillen Reserven wird somit in den kommenden zwei Jahren signifikant beschleunigt. 
Ferner droht bei einer Fortschreibung des ZZR-Effekts bis ins Jahr 2018 eine Deckungslücke von bis zu 30 Milliarden Euro in der deutschen Lebensversicherungswirtschaft. Diese würde durch eine grundsätzliche Erweiterung der Anlagepolitik und zusätzlichen Risikokapitalbedarf noch größer. „Aufgrund des kaum vorhandenen Risikobudgets sind allen Versicherungen beim Ausbau der Asset-Allokation die Hände gebunden“, so Zielke. Die Kapitalisierung der Lebensversicherungsbranche liegt bei nur 1,4 Prozent. Für eine Vielzahl von Versicherern lägen die Eigenmittel bei sofortiger vollumfänglicher Anwendung von Solvency II ohne Übergangsmaßnahmen unter den künftigen Anforderungen. Die Deckungslücke sollte laut den Studienautoren im Interesse aller Beteiligten ganzheitlich und über alle Ebenen hinweg zielorientiert diskutiert werden. In diesem Zusammenhang stellte der Report neue Lösungen zur Diskussion:  
  • die Umwandlung der ZZR in Eigenkapital, die Senkung des Garantiezinssatzes auch für „Alt“-Verträge auf ein Prozent ab dem Geschäftsjahr 2016, eine möglich Kapitalerhöhung durch alle Lebensversicherer um insgesamt 30 Milliarden Euro
  • die Einführung eines Viability-Tests und eine Einrichtung zusätzlicher, beispielsweise staatlicher Sicherungsmechanismen
  • die Ergänzung der HGB-Berichterstattung durch IFRS zur Erhöhung der Transparenz für Kunden
  • die Diversifizierung der Asset-Allokation zur Erschließung neuer Renditequellen 
Kritik an Monokultur in der Kapitalanlage 
Den Hauptgrund für die momentane Schieflage der Versicherungsunternehmen sieht Zielke im aktuellen Niedrigzinsumfeld in der Monokultur mit festverzinslichen Wertpapieren in der Kapitalanlage. „Versicherer müssen ihre Asset-Allokation ausbauen und deutlich stärker in Richtung Sachwerte diversifizieren. Neben Aktien und Immobilien spielt die sich entwickelnde Anlageklasse Infrastruktur eine zunehmend wichtigere Rolle.“ Eine Vielzahl deutscher Versicherungen ist bereits in der Anlageklasse Infrastruktur über direkte oder indirekte Investitionsformen aktiv. Eine genaue Bestimmung der gesamten Kapitalanlagen im Bereich Infrastruktur ist aufgrund der heterogenen Datenmenge nicht möglich.
Die Erhebungen des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) und der Bafin lassen allerdings eine Schätzung zu. Zielke: „Geht man nach den aktuellen Zahlen, entfallen zwei Prozent gemäß GDV auf alternative Anlageformen. Bei einer Gesamtkapitalanlage von 1.409 Milliarden Euro entspricht das gerade einmal 28 Milliarden Euro.“ Dabei finden insbesondere die Bereiche Energie, Erneuerbare Energien und Transport Beachtung. Der Großteil der Investitionen erfolgt laut GDV mit rund drei Milliarden Euro in Erneuerbare Energien. „Auch wenn ich davon ausgehe, dass die tatsächlichen Zahlen höher ausfallen und vermutlich auf umfangreichere Aktivitäten der Versicherer insbesondere im Bereich Infrastruktur schließen lassen: Die Anlageklasse ist in vielen Kapitalanlageportfolios weiterhin unterrepräsentiert“, sagt Carsten Zielke. 
Christian Moersch, Leiter der Financial Institutions Group beim Bankhaus Lampe, nennt Gründe für die Untergewichtung: „Der Markt ist hinsichtlich der Investitionsmöglichkeiten nicht standardisiert und je nach direktem oder indirektem Zugang erfordert dieser spezielles Know-how. Zudem ist die Verfügbarkeit von Assets nachfrageseitig überwiegend von Banken bestimmt.“ Carsten Zielke sieht in alternativen Anlageformen und insbesondere in der Anlageklasse Infrastruktur weitere Chancen und fordert eine höhere Allokation: „Angesichts der langen Duration der Lebensversicherungsverträge in Deutschland ist eine Sachwertquote von 20 Prozent für sinnvoll zu erachten. Fünf Prozent sollten in Infrastrukturinvestitionen fließen.“ Dem entgegen stehen die Anforderungen von Solvency II und die beschränkte Kapitalsituation. „Regulatorisch- und kapitaleffiziente Lösungen zur Investition in Infrastruktur sind ein entscheidender Faktor“, sagt Christian Moersch. Eine Beimischung der Anlageklasse Infrastruktur erfordert zusätzliche Kapazitäten für das Investitions- und Risikomanagement. Zum einen, um die regulatorischen Anforderungen durch die Kapitalunterlegungspflichten von Solvency II zu erfüllen und zum anderen, um der speziellen Analyse von infrastrukturbasierten Risiken, die über die klassische Risikobeurteilung von Unternehmensrisiken hinausgeht, Rechnung zu tragen. 
Bedarf an Investitionsstrukturen und -prozessen
Versicherer stehen vermehrt vor der Entscheidung „make or buy“, also alternative Anlageklassen eigenständig aufzubauen oder über bestehende Lösungen einzukaufen. „Ein Großteil der Versicherer, hauptsächlich mittelgroße bis kleine Versicherungen, nähert sich der Anlageklasse aufgrund der hohen Komplexität vorsichtig an“, fährt Christian Moersch fort. Er begründet dieses Vorgehen wie folgt: „Viele Versicherer haben das Thema auf der strategischen Agenda. Sie verschaffen sich über indirekte Investitionen wie beispielsweise Finanzierungsinstrumente mit Rating oder Fondslösungen einen Zugang zur Anlageklasse. Das Niedrigzinsumfeld und der Wettbewerb um Infrastrukturinvestitionen bringen die Renditen allerdings unter Druck. Es wird künftig immer schwerer, mit indirekten Investitionen ausreichende Renditen nach Kosten zu erzielen. Umso mehr rückt eine risikoadjustierte Renditebetrachtung in den Mittelpunkt. Einschätzung und Management von Risiken kommen eine zentrale Rolle zu.“ 
portfolio institutionell newsflash 20.06.2016/Patrick Eisele
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