Stiftungen
22. Dezember 2017

Vermögen und Unvermögen

Der reale Vermögenserhalt ist für Stiftungen eine Herausforderung. Wer die Stellschrauben Konzept, Vermögen, Maßstab, Mischung, Zeitraum und Darstellung justiert, ist im Vorteil. Gastbeitrag von Dr. Stefan Fritz und Jörg Seifart.

Dr. Stefan Fritz ist Geschäftsführer der Bischof-Arbeo-, St. Antonius- und St. Korbinian-Stiftung und betreut das neue Stiftungszentrum der Erzdiözese München und Freising. Jörg Seifart ist geschäftsführender Gesellschafter eines Multi Foundation Office.
„Du bist ein schlechter und fauler Diener!“ Dieses vernichtende Urteil beendet das biblische Gleichnis vom anvertrauten Geld mit einem ­Asset-Management-Thema als Allegorie für das Verhältnis zwischen Gott und den Menschen. Ein vermögender Mann hatte während einer längeren Abwesenheit sein liquides Vermögen drei Mitarbeitern anvertraut. Zwei von Ihnen investierten es unternehmerisch. Ihnen gelang, den anvertrauten Betrag bis zur Rückkehr jeweils zu verdoppeln. Dafür wurden sie mit Verantwortung über mehr Vermögen belohnt. Der dritte hingegen vergrub das Geld, weil er Angst hatte, es bei Geschäften zu verlieren.
Der Eigentümer verlieh seiner Enttäuschung mit den eingangs zitierten Worten Ausdruck. Er hätte zumindest erwartet, das Geld verzinst und nicht nur nominal zurück zu erhalten. Vermögensverwaltung und -erhaltung ist offensichtlich kein neues Thema. Dafür, dass man sich bereits vor 2000 Jahren damit auseinandersetzte, sind aber noch viele Fragen offen – gerade bei Stiftungen. Die reale Vermögenserhaltung ist für Stiftungen nicht das einzig mögliche Vermögenserhaltungskonzept. Von der Verbrauchsstiftung über Mischmodelle und die nur nominale Vermögenserhaltung ist alles möglich. 
Das richtige Konzept 
Zwar enthalten 14 von 16 Landesstiftungsgesetzen eine Vorschrift, die mehrheitlich als Pflicht zur realen Vermögenserhaltung unter ­Ausgleich des Geldwertschwunds verstanden wird. Weitgehend anerkannt ist aber auch, dass man Stiftungen bei der Gründung ein anderes Vermögenserhaltungskonzept vorgeben kann. Da die meisten Stifterinnen und Stifter von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht haben und machen, hat de facto die Mehrheit der deutschen Stiftungen das Anlageziel der realen Vermögenserhaltung zu verfolgen, ohne dass es ihnen bewusst sein mag. 
Das richtige Vermögen 
Die Missverständnisse fangen oft schon beim Vermögen an, denn Stiftungsmanager müssen beide Seiten der Bilanz im Auge behalten. Nach den gesetzlichen Vorgaben ist nicht das gesamte Anlagevermögen in seinem Wert zu erhalten, sondern nur die ursprüngliche Vermögensausstattung, soweit sie nicht zu verbrauchen ist, und die sogenannten Zustiftungen. Häufig lässt sich das jeweils aktuelle Grundstockvermögen nur mit Hilfe der Rechnungslegung sowie der entsprechenden volkswirtschaftlichen Zeitreihen bestimmen. Der aktuelle Sollwert entspricht den genannten Vermögensteilen, die ab dem Zeitpunkt ihres jeweiligen Zuflusses inflationiert werden. Erst im Vergleich zwischen dem so hochgerechneten Grundstock mit den tatsächlich vorhandenen (Verkehrs-)Werten im Anlagevermögen lässt sich beurteilen, ob die Stiftung ihr Vermögen zu einem bestimmten Zeitpunkt real erhalten hat. Dabei ist zu beachten, dass Stiftungen eine Cash-Reserve nicht angelegten Vermögens halten können oder einen Teil der zeitnah zu verwendenden Mittel ebenfalls allokiert haben, was beides unter gewissen Umständen erlaubt ist.
Der richtige Maßstab 
Die meisten Stiftungsmanager orientieren sich am Verbraucherpreisindex (VPI) als Anlageziel für den realen Vermögenserhalt. Dieser hat den großen Vorteil, dass seine Vergangenheitswerte und Prognosen gut verfügbar sind. Nicht für jede Stiftung gibt er jedoch adäquat Auskunft über ihre finanzielle Leistungsfähigkeit im Zeitverlauf. Für die Vergabe von Stipendien an Studierende mögen die Preisentwicklungen von Spaghetti und öffentlichem Nahverkehr Aussagekraft ­besitzen. Für die Finanzierung von Infrastrukturprojekten in Afrika sind sie hingegen irrelevant. Dabei ist die Verwendung des VPI nicht vorgeschrieben. Stattdessen kann eine Stiftung auch Maßstäbe verwenden, die die Ausgabenstruktur besser repräsentieren, etwa Mietpreise in bestimmten Regionen oder Wissenschaftlergehälter.
Die richtige Mischung und der richtige Zeitraum 
Früher war alles besser! – Diese Annahme hat sich häufig als unzutreffend erwiesen. Jedenfalls gilt sie nicht für die reale Vermögenserhaltung bei Stiftungen. Selbst in den zurückliegenden Hochzinsphasen, an die sich altgediente Stiftungsvorstände gerne erinnern, konnte der reale Vermögenserhalt bei reinen Zinsanlagen nur selten gelingen. Steuerbegünstigte Stiftungen dürfen maximal ein Drittel der Ertragsüberschüsse als Rücklage hierfür verwenden. In den ­meisten Jahren, in denen die klassischen Stiftungsanlagen noch sieben oder acht Prozent Zinsen abwarfen, lag die Inflationsrate (VPI) über der höchstmöglichen freien Rücklage. Auch wenn die Stiftungen seinerzeit weniger Probleme hatten, ihre finanziellen Verpflichtungen aus Zinserträgen zu finanzieren: Ihr Vermögen verlor mit diesen Anlagen schon damals an Kaufkraft.
Seit sich die Schere zwischen Inflation und Zinsen weiter öffnet, rückt das Ziel der realen Vermögenserhaltung jedoch in noch weitere Ferne. Stiftungen, die ausschließlich in ertragbringende Werte investieren, geben das Anlageziel der realen Vermögenserhaltung faktisch auf. Dies könnte irgendwann auch unter Haftungsgesichtspunkten relevant werden. Die einzige Chance, die Stiftungen bleibt, ist die Beimischung wertsteigernder Vermögensanteile wie Aktien oder thesaurierende Fonds. Das Vermögen muss die Inflation auch durch die eigene Wertentwicklung zumindest teilweise ausgleichen können, denn die Möglichkeiten zur Bildung der freien Rücklage aus Ertragsüberschüssen gingen in den vergangenen Jahren mit den Zinsen ­stetig zurück. Dass die Beimischung von Anlagen, die ihre Rendite auch durch Kursveränderungen bewirken, die Wertschwankungen des Anlagevermögens im Zeitverlauf erhöhen, muss der Vermögenserhaltungspflicht nicht zuwiderlaufen. Wirtschaftsprüfer und Stiftungsaufsicht messen die Vermögenserhaltung in Geschäfts- oder Kalenderjahresabschnitten. Dies entspricht ihrer Aufgabenstellung.
Allerdings entspricht es nicht dem zeitlich unbegrenzten Anlage­horizont einer Ewigkeitsstiftung. Diese zeitliche Komponente ist der entscheidende Vorteil einer Stiftung im Vergleich zu nahezu allen anderen Anlegern. Denn ihre Fähigkeit, schwierige Marktphasen „auszusitzen“ und Erholungszeiträume mitzunehmen, ohne auf die Anlagen zugreifen zu müssen, reduziert die Bedeutung von Wertverlusten im Vermögen – solange diese nicht realisiert werden. Die Landesstiftungsgesetze, die die Vermögenserhaltung anordnen, enthalten keine Angaben zur zeitlichen Komponente. So können Stiftungsgründer in der Satzung festlegen, dass die reale Vermögenserhaltung nicht jährlich, sondern langfristig innerhalb eines gleitenden Mehrjahreszeitraums gewährleistet sein soll. Selbst ohne eine Satzungsregelung sollte sich der Stiftungsvorstand eine Meinung darüber bilden, in welchem Zeitraum er sich die reale Vermögenserhaltung zutraut, aber auch ein gemeinsames Verständnis mit der Aufsicht herstellen. So lassen sich Inflationseffekte glätten. Auch Krisen in der Vermögensentwicklung werden mit Erholungsphasen verrechnet. Eine mehrjährige Finanzplanung empfiehlt sich in diesem Fall besonders. Nur so kann eine Stiftung ihre Stärken als Langfrist-Investor ausspielen. Wer sich als Stiftungsmanager hingegen vornimmt, in jedem Jahresabschnitt das Vermögen real zu erhalten, macht sich die Zielerreichung ohne Not schwer bis unmöglich.
Die richtige Darstellung 
Stiftungen sind frei in der Wahl ihrer Rechnungslegung. Auch auf Druck der Aufsichtsbehörden verwenden die meisten mittleren und großen Stiftungen mittlerweile die doppelte Buchführung. Die Bilanzierungsgrundsätze orientieren sich jedoch nicht am stiftungs­typischen Interesse der Vermögenserhaltung, sondern im Interesse des Gläubigerschutzes an der niedrigst möglichen Bewertung. Dies ist vor allem für Stiftungen mit Immobilienbesitz schmerzhaft: Über die Abschreibungen für Abnutzung reduziert sich deren Bestandswert Jahr für Jahr automatisch. Auf dem Papier nimmt das Vermögen ab. Mittlerweile haben Stiftungen die Möglichkeit, diese Buchverluste durch die Bildung einer speziellen Rücklage zu kompensieren. Da Zuschreibungen über die Anschaffungskosten hinaus nicht zulässig sind, können Stiftungen Wertzuwächse einzelner Vermögensgegenstände in ihrer Finanzbuchhaltung gar nicht abbilden. Als alleiniger Nachweis der Vermögenserhaltung ist diese daher nicht geeignet. Wer als Stiftungsmanager unnötige Diskussionen über den Stand der realen Vermögenserhaltung vermeiden möchte, sollte sich Gedanken zu einen speziellen Reporting des Vermögenserhalts machen.
Die Pflicht zur realen Vermögenserhaltung, der die meisten Stiftungen unterliegen, ist eine Herausforderung. Jeder Stiftungsmanager sollte sich daher die Hürden nicht höher legen als erforderlich und das Thema mit ökonomischem Sachverstand ohne Angst angehen. Denn alles ist besser, als das Geld in der Erde zu vergraben. 
portfolio institutionell, Ausgabe 12/2017
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