Alternative Anlagen
18. Juli 2014

Wertvoll oder Muster ohne Wert: Value at Risk für Windparks

Über die Risikokennzahl Value at Risk und ihre Berechnungsmethoden, Stärken und vor allem Schwächen wurde schon viel geschrieben – allerdings wenig im Zusammenhang mit ­illiquiden Asset-Klassen. Zum Nutzen von Value-at-Risk-­Berechnungen für Renewables und Private Equity gibt es für Investoren verschiedene Pro- und Kontra-Argumente.

Vom „Report 4.15“ bis heute hat der Value at Risk einen weiten Weg mit Höhen und Tiefen, mit verschiedenen Methoden, Anwendungsmöglichkeiten und Nutzern zurückgelegt. Die Väter des Value at Risk sind der damalige Vorsitzende von JP Morgan, Dennis ­Weatherstone, und der Crash von 1987. Die für Weatherstone – für den zuvor die Marktrisiken der verschiedenen Finanzinstrumente mit unterschiedlichen Methoden ermittelt wurden – relevante Frage: „How much can we lose on our trading portfolio by tomorrow’s close?” Die Antwort wurde ihm daraufhin täglich Punkt 16.15 Uhr risikoübergreifend in der Form eines einheitlichen Value at Risks beziehungsweise eines Dollarbetrags präsentiert. Ironischerweise war es dann ­eine weitere Krise, nämlich die von 2008, die erhebliche Zweifel an dieser Risikokennzahl schürte und deren weitere Verbreitung erheblich dämpfte. Negativ fiel vor allem auf, dass sich das Risiko öfter als erwartet außerhalb des Konfidenzniveaus manifestierte und somit der Verlust viel höher als gedacht ausfiel. Trotzdem hat diese Kennzahl in unserem Risikomanagement-Zeitalter als Standardrisikomaß weiter ihren Platz.
Heute wird der Value at Risk beispielsweise auch von der auf Privatanleger ausgerichtete Börse Stuttgart für das Mittelstandsanleihen-Segment „Bond-M“ gemessen. So wird – Stand Mitte Juni – für den Air-Berlin-Bond mit Laufzeit bis 2018 ein adjusted Value at Risk von 1.391,42 Euro angegeben. Dies bedeutet, dass der mögliche Verlust bei einem Investment von 10.000 Euro in den nächsten zehn Tagen mit einer 99-prozentigen Wahrscheinlichkeit den Betrag von 1.391,42 Euro nicht übersteigen wird. Die Berechnung des adjustierten Value at Risk, so die Börse Stuttgart, basiert auf den drei Risikokomponenten Zins-, Spread- und Ausfallrisiko, die sich wie oben beschrieben ebenfalls alleine aus den in den Anleihekursen beziehungsweise deren­ Verläufen eingepreisten Markterwartungen ergeben.

Ein weiteres neues Anwendungsfeld: Wind- und Solarparks! Wind- und Solarparks? Der Value at Risk ist zwar ein Downside-Risiko­maß, und bei regulierter Infrastruktur ist ähnlich wie bei ­Anleihen in der Regel primär die Downside relevant. Aber wie ergibt eine Kennzahl, die auf einer Vielzahl von Marktdaten basiert und zur Messung von eher kurzfristigen Schwankungen in Handelsbeständen konzipiert ist, für illiquide und langfristig ausgerichtete Investments Sinn, denen im Portfolio der Charakter eines Stabilitätsankers zukommt? „Tatsächlich sollte man den Wert einer solchen Kennziffer im Bereich der Erneuerbaren Energien nicht allzu hoch ansetzen“, antwortet Peter Heidecker, Gründer und Geschäftsführer der Chorus-Gruppe. „Wir sehen aber bei Investoren durchaus den Wunsch, sich mit Erneuerbaren Energien nicht nur emotional, sondern auch finanz­mathematisch auseinanderzusetzen. Diesem Wunsch kommen wir natürlich gerne nach. Wichtig ist unseren Investoren der Aspekt, mit welcher Wahrscheinlichkeit nach zehn Jahren die Renditeziele ­erreicht werden. Darum wünschen sie sich für diese Asset-Klasse Value-at-Risk-Berechnungen.“ Die Chorus-Gruppe ist seit 2006 auf Erneuerbare Energien und seit dem Inkrafttreten der AIFM-Richtlinie im ­Juli 2013 auf institutionelle Investoren fokussiert. Für diese ermittelt ­Chorus nun auch den Value at Risk. Für das Konfidenzniveau werden dabei 95 Prozent angenommen. Perspektivisch – also wenn der durch das EEG verursachte Prüfungszeitdruck bis Jahresende nachlässt – ist auch die Entwicklung eines Conditional Value at Risk zur Berechnung des Verlusts außerhalb des Konfidenzniveaus angedacht. 

VaR-Argumente: Downside-Maß und Normalverteilung
Kritisiert wird am Value at Risk, dass ohne Conditional-Value-at-Risk-Berechnungen die extremen Tail-Risiken unbeachtet bleiben. Bei der Adaption dieser Kennzahl aus liquiden Handelsbeständen auf Wind- und Solarparks ist neben dem Downside-Risikomaß-Charakter aber positiv zu vermerken, dass die Annahme einer Normalverteilung bei der Sonneneinstrahlung, aber auch ­langfristig beim Windauf­kommen – anders als auf den Kapitalmärkten – der Realität entspricht. „Die Normalverteilungsannahme ist gerechtfertigt“, ­erklärt Helmut Horst, Leiter Risikomanagement bei Chorus. „Der Wind kann zu 50 Prozent über und zu 50 Prozent unter der Erwartung liegen. Über die Laufzeit nähert man sich immer stärker an die Erwartung an.“ Je ­breiter das Portfolio, desto schneller die ­Annäherung. Ein Tail-Risiko besteht nicht, da das Windaufkommen nicht weniger als null sein kann. Falls jemand als Worst Case für den Mittelwert Windstärken von null annimmt, entsteht eine absolut rechtsschiefe Verteilung.

Als Parameter gehen in die Value-at-Risk-Berechnungen aber nicht nur das Windaufkommen ein. Weitere Input-Größen sind Anlagen­verfügbarkeit, Marktstrompreis-Steigerung, Inflationsrate, ­Betriebskosten, Anschlusszinssatz und die Renditeerwartung. Außen vor bleibt allerdings das regulatorische Risiko einer rückwirkenden Kürzung. Die Quantifizierung dieses Risikos fällt schwer. Zudem hat Chorus diese Problematik zumindest gedanklich in der Strategie ­berücksichtigt. „Dort, wo gekürzt wurde, waren Renditen zu schön, um wahr zu sein. Heute sind die Margen und damit das Kürzungs­potenzial des Regulators sowie damit wiederum die Fallhöhe für den Investor viel geringer“, erklärt Peter Heidecker, der hieraus auch ­seine Konsequenzen für die Produktauswahl zieht: „Ein Angebot für den Kauf einer alten Solaranlage, die noch über 40 Cent Einspeisever­gütung aufweist, würde ich ablehnen.“

Kritischer als um die Normalverteilungsannahme – ­normalerweise als Schwäche des Value at Risk weit oben genannt – ist es um die freie Handelbarkeit von Renewables-Parks bestellt. Schließlich wird der ­Value at Risk auf Tagesbasis berechnet, ein Windpark aber nicht ­täglich gehandelt. Chorus behilft sich pragmatisch mit einer Division: Der Asset Manager nutzt – aus Mangels an historischen Daten – Monte-­Carlo-Simulationen zur Ermittlung eines möglichen Verkaufspreises nach einem Jahr und teilt diesen durch 365 Tage. Dann werden die Monte-Carlo-Ergebnisse auf ihre Normalverteilung geprüft. In einer Beispielrechnung ergibt sich nach 100.000 Simulationsdurchläufen für die Einjahresperiode in 95.000 Fällen beziehungsweise einem Konfidenz­intervall von 95 Prozent auf das eingesetzte ­Eigenkapital ein Rückfluss von mehr als 86,15 Prozent. Der ­Value at Risk liegt damit bei 13,85 Prozent. Geteilt durch 365 beträgt der Value at Risk dann auf Tagesbasis 0,038 Prozent. Dies liegt deutlich unter­ dem Value at Risk für Einzelaktien und auch für Aktien­indizes.  

Eine größere Verbreitung des Value at Risk steht im Infrastrukturbereich noch aus – auch wenn ein Bankhintergrund gegeben ist. Kein Thema ist dieser zum Beispiel bei der HSH Nordbank im Kreditgeschäft. Die HSH ist als Bank zwar prinzipiell mit dem Value at Risk vertraut, trotzdem spielt dieser in dem für die Landesbank wichtigen ­Finanzierungsgeschäft im Energiebereich für Wind- und ­Solarprojekte und im Infrastrukturbereich, der Eisenbahn und Schienenverkehrsfahrzeuge mit einschließt, keine Rolle. Als Fremdkapitalgeber ­begnügt sich die HSH Nordbank mit der Auseinandersetzung mit den aus Sicht der Bank risikorelevanten Parametern, wie der Volatilität des Windaufkommens und der Solareinstrahlung oder technischen ­Risiken. Nachfragen nach Value-at-Risk-Berechnungen seitens der ­eigenkapitalgebenden Sponsoren hat es laut der Landesbank bislang auch noch nicht ­gegeben. Dies liege daran, dass die HSH Nordbank nicht als Asset Manager auftritt, sondern nur als finanzierendes Kredit­institut.

Auch bei First Private ist das Kundensegment „Sparkassen“ stark vertreten. First Private ist eine unabhängige Asset-Management-­Boutique und bietet über die Kooperation mit dem Schweizer Berater Recap auch Investments in Erneuerbare Energien an. „Von Bestandskunden aus dem Sparkassenlager, nicht jedoch seitens Versicherungen, gab es durchaus Nachfragen nach Value-at-Risk-Berechnungen“, berichtet Geschäftsführer Richard Zellmann. „Wir berechnen diese Kennzahl allerdings ungern.“ Zellmann äußert ­Zweifel an der ­Sinnhaftigkeit solcher Berechnungen und würde diese, analog zum Beipackzettel von Medikamenten, nur mit einem ­Hinweis auf die ­Risiken und Nebenwirkungen erstellen. Für eine valide Value-at-Risk-Messung, also durch die Veränderung von Marktpreisen ­entstehende Risiken, sei aufgrund der nur jährlichen oder halbjährlichen Bewertungen die Datenmenge unzureichend. Fürs Risiko­management ­erfolgen bei First Private dagegen Sensitivitäts- und ­Szenarioanalysen bezüglich wesentlicher Einfluss­faktoren, wie ­beispielsweise Strom­produktion, Finanzierungsrisiken oder ­Inflation.

Zudem wurde zur Unterstützung der Sparkassen ­zusammen mit ­Roland Eller ein Neuer-Produkte-Prozess-Leitfaden zur Umsetzung von Investments in Wind- und Solarparks erstellt. „So wird dem ­Treasurer unter anderem die aufsichtsrechtliche Einordnung des Windfonds und die ­Aufnahme in sein bestehendes Portfolio deutlich vereinfacht. Zudem erstellen wir nach Bedarf ein GroMiKV-Reporting (Großkredit- und Millionenkreditverordnung), so dass ein Investment auch hier kompatibel ist. Weiter gab es Rückfragen nach monatlichen Reportings über Einzelprojekte und in aggregierter Form, so dass ein zeitnahes Controlling des Soll-Ist-Vergleichs ­ermöglicht wird“, ­berichtet Zellmann.

„Man sollte den Value at Risk für Renewables nicht unkritisch übernehmen, aber sich damit zu beschäftigen verbessert in ­jedem Fall das Risikogefühl“, wirbt Heidecker für die kennziffern­mäßige Quantifizierung von Solar- und Windparks. „Wenn die Investoren zum Beispiel sehen, dass die Renditeschwankungen im Jahr plus/minus zehn Prozent und auf zehn Jahre bei nur noch plus/­minus vier Prozent liegen,­ ist dies eine hilfreiche Erkenntnis für die Risiken von Erneuerbare-Energie-Anlagen.“

Vereinzelt lassen also zumindest einige Banken und Sparkassen ein Interesse am Value at Risk für ihre Renewables-Anlagen ­erkennen. Zur Verbesserung des ­Risikoverständnisses sind entsprechende ­Kalkulationen, sofern die Value-at-Risk-Schwachstellen hinterfragt werden, auch eine nützliche Übung. Keine Motivation für diese Kennzahl entwuchs jedoch – auch nicht bei VAG-Anlegern – laut Chorus und HSH Nordbank aus dem Aufsichtsrecht. Dies war vor etwa fünf Jahren bezüglich Private ­Equity noch anders. Damals wurde nämlich die Eigenmittel-Unterlegungsquote von 49 Prozent im Solvency-II-Standardmodell bekannt. Diese ­Quote leitete die Aufsicht aus dem LPX-50-Index ab, der sich aus an der ­Börse gelisteten Private-Equity-Unternehmen zusammensetzt, das Risiko von ungelisteten Beteiligungsfonds jedoch überzeichnet. ­

Ein VaR für PE: Solvency II als Geburtshelfer
Damals stellten die damalige CAM und Capital Dynamics Value-at-Risk-Berechnungen für Private Equity vor. Diese sollten Versicherungen helfen, ein internes Modell, das Private-­Equity-Risiken realistischer widerspiegelt, mit entsprechend geringerem Eigenmittel­aufwand genehmigt zu bekommen. Allgemein hat sich inzwischen aber bei den meisten Versicherungen die Meinung ­durchgesetzt, dass der Aufwand den Nutzen eines internen Modells überwiegt. Zur VaR-Berechnung standen bei CAM Monte-Carlo-Simulationen im Vordergrund. Zum heutigen Entwicklungsstand und der Bedeutung der Value-­at-Risk-Berechnungen möchte die Deutsche Bank, wo die CAM über Sal. Oppenheim schlussendlich gelandet ist, keine Angaben ­machen. Der Ansatz von Capital Dynamics basiert auf historischen Portfoliozusammenstellungen, Stressszenarien können aber ebenfalls in Risikomanagementüberlegungen eingepflegt werden. „Treiber für Value-at-Risk-Berechnungen waren Solvency II beziehungsweise Versicherungen“, berichtet Ivan Herger, Managing Director bei ­Capital Dynamics. Daraufhin entwickelte Capital Dynamics mit einer großen Versicherung mit Daten von Thomson Financial Venture Economics auf Quartalsbasis einen Index für die Value-at-Risk-Berechnung. Dieser sei bei der Versicherung heute intern im Einsatz.

„Eine interessante Erkenntnis dieser ­Berechnungen ist, dass der Value at Risk seinen niedrigsten Wert ab einer Diversifikation von 20 bis 30 Fonds erreicht. Darüber hinaus entstehen nur noch geringe ­Risikoreduzierungen“, erklärt Philippe Jost, dessen Fokus bei Capital Dynamics auf Portfolio- und Risiko­management liegt. Da es in der vergangenen Dekade zu zwei großen Krisen kam, halten Herger und Jost trotz der notorischen Daten­probleme bei Private Equity die Verwendung von historischen Daten für sinnvoll. „Um die Robustheit von Private-Equity-Portfolios zu verbessern, haben wir uns für Weiterentwicklungen aber primär auf Monte-Carlo-Methoden gestützt“, so Jost. Bezüglich der heutigen Verwendung können Jost und Herger nur über ein eher unregelmäßiges Interesse berichten. Dies zeigt sich beispielsweise dann, wenn ein ­Investor die Risiken verschiedener ­Asset-Klassen miteinander ­vergleichen möchte und hierfür bei ­Capital Dynamics nach entsprechenden ­Daten und Berechnungen anklopft.

„Für das heutige Denken in ­Risikoprojektionen und Risikobudgets machen Value-at-Risk-Berechnungen aber durchaus Sinn. Zu ­institutionellen Investoren passt auch, dass der Value at Risk immer auf ­Jahresbasis berechnet wird“, erklärt Ivan Herger. „Unsere Kunden wollen wissen, ob sie ihre ­Liabilities im Worst Case noch bedienen können.“ Herger fügt dem Plädoyer hinzu, dass Investoren, die mehr Risiko vertragen ­können, ein niedrigeres Konfidenzniveau wählen.  

Abschließend stellt sich die Frage, inwiefern sich Value-at-Risk-Berechnungen für Infrastruktur und Private Equity unterscheiden. Die bei Infrastruktur ausgeprägtere Risikoaversion und Prognose­fähigkeit sind Argumente dafür, den Value at Risk eher für diese ­Asset-Klasse als für Private Equity zu nutzen. Zudem ist bei ­Infrastruktur eine Unterlegung mit 49 Prozent noch weniger ­nachvollziehbar als für Private Equity. Zumindest bei den Renewables ist auch eine Normalverteilung gegeben. Für den ­Private-Equity-VaR spricht beispielsweise die zumindest vergleichsweise gute Datenverfügbarkeit. Ivan Herger hält allerdings solche ­Abwägungen für einen falschen Ansatz: „Entscheidend ist nicht die Struktur des Investments, sondern die Anwendung des ­Value at Risks!“

Vergleichbarkeit und das Gesamtportfolio als künftige Treiber
Die Anwendung des Value at Risks könnte an Fahrt gewinnen, wenn sich einmal der Rauch um die großen Solvency-II-Punkte gelegt hat und mehr Zeit für die Beschäftigung mit dem VaR-Thema für die Nischensegmente Infrastruktur und Private Equity besteht. Das ­größte Anwendungspotenzial liegt aber in der Vergleichbarkeit von Asset-Klassen und in der Berechnung eines ­Value at Risks für das ­Gesamtportfolio. Für beide Anwendungen muss der Value at Risk eben auch für die einzelnen Asset-Klassen berechnet werden. Schlussendlich kann der Value at Risk aber immer nur eine ergänzende ­Berechnung für das Risikomanagement sein.

Von Patrick Eisele

portfolio institutionell, Ausgabe 6/2014

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