31. Januar 2012

Teil II des ETF-Roundtable-Gesprächs

„Regulatoren sehen die Risiken nicht nur bei ETFs.“

Gordon Rose: Wie wir gerade besprochen haben, hat 2011 eine große Diskussion um physische versus synthetische Replikation stattgefunden. Die Abflüsseinsbesondere aus synthetischen Produkten im zweiten Halbjahr mögen hauptsächlich auf Anlegerentscheidungen zurückzuführen sein. Die Frage ist, glauben Sie, dass es in den nächsten drei, sechs Monaten so weitergeht? Oder wird sich das Anlegerverhalten ändern?
Klein: Ich denke, dass dieses Jahr wieder ein sehr gutes Jahr für ETFs wird Wir erwarten ein Marktwachstum in Europa in der Größenordnung von 15%. Die Volatilität ist wieder zurückgekommen. Das heißt, die Risikobereitschaft der Anleger steigt wieder langsam. Das ETF-Wachstum wird auch durch die ESMA-Regulierung unterstützt. Damit lassen wir die Diskussionen um ETF-Konstruktionen hinter uns. Denn die Aussage der ESMA ist eindeutig: Es wird keine speziellen Regelungen für ETFs geben. Insbesondere die neue Transparenz des Tracking Errors hilft Anlegern, die Replizierungstechniken miteinander vergleichen. Was synthetische ETF-Anbieter schon seit langem umsetzen, wird jetzt von allen replizierenden Fonds verlangt. Unter den UCITS-Regeln sind die Risiken von beiden ETF-Strukturen gleich, deshalb werden die Abflüsse sich legen, auch weil wir nicht mehr in so einer Paniksituation sind wie vielleicht im August, September oder Oktober. Letztendlich entspannen sich doch die Märkte langsam. Und natürlich werden dann die Anleger auch wieder Risikoklassen kaufen, die stark gelitten haben. Das wird nicht in den ersten drei Quartalen passieren, aber trotzdem werden irgendwann auch Emerging Markets und auch die Euro-Staatsanleihen wieder irgendwann zurückkommen.
Klee: Gehen wir mal davon aus, dass wir 2012 keine sich zuspitzende Bankenkrise haben werden und dass sich die Märkte etwas beruhigen. Das ist unsere Grundaussage. Natürlich gibt es ein großes Tail Risk, aber wir gehen nicht davon aus, dass es eintritt. Dann wird die ETF-Industrie insgesamt profitieren, und die Unterscheidung zwischen physischen und Swap-basierten ETFs wird weniger relevant. Das haben wir auch schon nach 2008 gesehen, dass insgesamt die Produktqualität und die Servicequalität, vielleicht auch der Brand ein entscheidendes Abgrenzungskriterium ist, aber nicht mehr dieses schablonenartige Unterscheiden nach der Herstellungsmethode.
Michalik: ETFs werden gestärkt aus dieser Diskussion herausgehen. Das sieht man auch am Verlauf der Diskussion mit den Regulierungsbehörden. Das war am Anfang nur eine Diskussion um die Risiken von synthetischen ETFs. Als die Aufseher dann verstanden haben, dass es auch Risiken in physischen ETFs gibt, zum Beispiel über die Wertpapierleihe, hat sich die Diskussion aus der ETF-Industrie herausbewegt. Sie betrifft jetzt die UCITS-Ebene. Heute wird über Frage diskutiert, inwiefern diese Risiken auch bei normalen Fonds wirken. Welche Derivate setzt zum Beispiel  ein Garantie-Fonds ein? In welchem Ausmaß verleihen aktive Fonds Wertpapiere? 2011 war eine ETF-Diskussion, 2012 wird eine UCITS-Diskussion. Wenn Äpfel mit Äpfeln vergleichen werden sollen, dann muss die gesamte Fondsindustrie sich ganz schön anstrengen, um die Standards der ETF-Industrie zu erfüllen. Und dementsprechend glaube ich schon, dass die ETFs aus der Sache gestärkt rausgehen werden. Sicherlich wird es kleine Adjustierungen geben müssen, vielleicht auch, um noch  transparenter zu werden. Aber alle drei, die wir hier sitzen, sind die Letzten, die uns bezüglich Innovation oder ähnlichen Themen hinten anstellen, sondern wir wollen es ja nach vorne treiben. Wir wollen ja noch besseren Service bieten.
Masarwah: Frau Dr. Herkströter, wo sehen Sie die Diskussion in diesem Jahr, was macht die regulatorische Ebene?
Herkströter: Ich kann Herrn Michalik nur zustimmen. Ich glaube, dass wir bislang eine UCITS-Diskussion hatten, die exemplarisch bei ETFs ausgetragen wurde, weil da zum Beispiel der Einsatz von Swaps oder der Einsatz der Wertpapierleihe plas-tisch dargestellt werden konnte. Natürlich sehen wir seit der Eligible-Assets-Directive Fondskonstruktionen, die zur Zeit der Verabschiedung von MiFID 1 noch nicht möglich waren. Der Regulator stellt sich seit dem Fall Lehman viel stärker die grundlegende Frage, welche Produkte für den Privatanleger nicht geeignet sind. Oder nur geeignet sind nach einer umfassenden Aufklärung. In der Diskussion wird leider etwas Grundlegendes durcheinandergebracht Komplexität sollte nicht mit Risiko verwechselt werden. Das Risiko, das der Anleger am Ende trägt, kann bei hochkomplexen Produkten letztlich sehr, sehr gering sein. Und umgekehrt kann das Risiko bei einfachsten Produkten sehr hoch sein. Sie haben recht, diese Frage stellt sich für alle UCITS und, darüber hinaus, für alle Fonds; und sie stellt sich, wenn man die Papiere der ESMA liest, auch für andere Produkte, etwa Exchange-Traded-Notes. Die Regulatoren haben die Diskussion angeschoben, wie mit den Risiken umzugehen ist, und jetzt ist es wichtig, dass das mit Augenmaß erfolgt und richtig umgesetzt wird.
Michalik: Eben. Die Regulatoren sind zurückhaltender geworden und sehen die Risiken nicht mehr nur bei ETFs. Es hätte auch nicht sein können, dass man im Namen des Anlegerschutzes und der Transparenz ETFs nicht mehr an Privatanleger verkaufen darf, nur weil sie Wertpapierleihe betreiben oder Derivate einsetzen – und auf der anderen Seite normale Fonds diese Instrumente einsetzen dürfen wie bisher. Das hätte nicht zusammen gepasst. Es ist in der Diskussion einfach viel zu wenig hervorgehoben worden, dass ETFs von Anlegern gekauft und nicht an sie verkauft werden. Das ist ein ganz großer Unterschied zu herkömmlichen Fonds.
Klee: Und deswegen haben wir uns auch gemeinsam in der Diskussion mit den Regulierungsbehörden dafür eingesetzt, dass der Derivateeinsatz, die Wertpapierleihe ein Gesamt-Asset-Management-Thema sein und im Rahmen von UCITS adressiert werden muss. Es darf keine ETF-spezifische Regulierung geben, weil es dafür keinen logischen Ansatzpunkt gibt.
Masarwah: Nicht alles, was die Regulierungen und die Gesetzgeber machen, muss aus Sicht der Finanzindustrie logisch sein. Man könnte ja auch so argumentieren: Die Regulatoren stehen unter dem Druck, öffentlichkeitswirksam die Banken an die Kandare zu nehmen. Warum dann nicht ein kleines Marktsegment zum Sündenbock machen. Sie sind doch mit ihrem Marktanteil von 2,7 oder 2,8 % eine kleine Größe in der Vermögensverwaltung. Ganz plakativ gesagt, ihnen kann man schneller den Hahn abdrehen als vielleicht die 97, 98 Prozent zu regulieren. Die Asset-Management-Industrie war bisher immer die Saubermänner-Industrie, jetzt hat man Risiken verortet. Es wäre doch die bequeme Lösung für Regulatoren, sich die ETF-Branche vorzuknüpfen. 
Klee: Meines Erachtens würden sich die Regulierungsbehörden dadurch in einen inneren Widerspruch bringen. Die Anforderung der Kunden und auch der Regulierungsbehörden an die ETF-Industrie war und ist ja gerade, klare, transparente Pro-dukte zu schaffen. Das haben wir getan. Wir haben eine viel höhere Transparenz gezeigt, als es in jedem anderen Anlageprodukt der Fall ist, und jetzt würde man ja dieses Argument, umdrehen und sagen: Nachdem wir jetzt alles verstanden haben, müssen wir euch regulieren – und das, was wir nicht wissen, das regulieren wir nicht, denn da wollen wir ja erst gar nicht reinschauen.
Herkströter: Das dürfte nicht die Motivation der Regulierungsbehörden sein. Wenn man sich die Stellungnahmen und auch das neue Konsultationspapier der ESMA vom Montag durchliest, fallen zwar Begriffe wie Exchange-Traded-Funds und Structured UCITS. Die ESMA setzt aber nicht nur bei ETFs an, es wird auf die Produkte und die Mechanismen abgestellt, die unter anderem Wertpapierleihe betreiben. Es heißt, man wolle gewisse Grundsätze für die Sicherheiten aufstellen, weil der Sicherheiten-Korb wichtig ist. Das Ergebnis der Regulierung wird jeden einzelnen Fonds treffen. Die vermeintliche Gefahr, die die Regulierer bei ETFs sehen, liegt auch in der schnellen Handelbarkeit. ETFS sind börsennotiert und können Marktbewegungen auslösen, das ist die Angst der Regulatoren.
Michalik: Das würde ich jetzt nicht so stehen lassen.
Herkströter: Doch, das schwingt bei den Aufsehern durchaus mit. Die Möglichkeit, mit ETFs, schnell in den Markt zu gehen und auch wieder heraus, kann Marktbewe-gungen verursachen, die man nach Meinung der Regulatoren sonst vielleicht nicht hätte.
Masarwah: Sie heben auf den so genannten Blitz-Crash in den USA im Mai 2010 ab.
Herkströter: Genau. Aber das ändert nichts daran, dass die nächsten Schritte der Regulierungsbehörden und MiFID 2 strukturierte und derivative Fonds insgesamt betreffen werden.
Rose: Was halten Sie von der These , dass zu viel Transparenz auch schaden kann? Ist die Transparenz grenzenlos? Sollte man wirklich das Komplette Produkt durchleuchten, oder sollte man irgendwann aufhören, zu tief reinzuschauen, weil es dann keinen Nutzen mehr für Anleger bringt?
Klee: Diese Frage haben wir auch intern diskutiert. Es ist kein Problem, jederzeit komplette, tägliche Transparenz herzustellen, aber die Frage ist, ob man dadurch den Kunden wirklich besser informiert. Vielleicht gibt es irgendwo eine schwer erklärbare Tagesbewegung, die man dann erklären muss, obwohl es sich nur um eine technische Angelegenheit handelt. Wir müssen Informationen auch in einer Art und Weise zur Verfügung stellen, dass die Transparenz auch wirklich verstanden werden kann und den Kunden dann zu einer besseren Entscheidung heranführt. Transparenz alleine ist nicht die Lösung, wenn Investoren am Ende des Tages die Komplexität nicht mehr verstehen können.
Michalik: Also, ich finde, dass tägliche Transparenz bei börsengehandelten Produkten, bei denen Risiken sich aus dem täglichen Handel und der täglichen Bewertung ergeben, vorhanden sein muss. Meiner Ansicht nach, bringt es mir nichts zu sagen:  An 364 Tage habe ich das eine Instrument im ETF, und wenn ich an einem Tag ein anderes hinzunehme, dann brauche ich darüber nicht zu informieren. Wenn wir über Investment-Produkte sprechen, die besichert sind, dann muss tägliche Transparenz sein, weil sonst das tägliche Risiko-Management keinen Sinn macht.
Klein: Technisch gesehen sind wir am Limit angelangt. Also mehr als täglich transparent kann man ja nicht sein. 
Herkströter: Es geht um die Tiefe.
Rose: Richtig.
Herkströter: Dass Transparenz jeden Tag gegeben sein muss ist das eine. Das andere ist: Was muss der Anleger wissen? Wenn ich ein Auto kaufe, dann sollte ich wissen, wie lange der Bremsweg ist. Muss ich deswegen aber die Funktionsweise der Scheibenbremse verstehen? Nicht zwingend. Wichtig ist, dass der Anleger weiß, was er verlieren kann. Muss er den Swap-Vertrag im Detail verstehen, um selber die Risikoanalyse vorzunehmen? Es reicht zu wissen, wie das Ausfallrisiko des Kontrahenten ausfällt und was im Collateral-Basket enthalten ist und wie diese Absicherung funktioniert.
Klein: Man muss da auch differenzieren, wer das Produkt kauft. Wir haben eine breite Anlegerschicht, vom Privatanleger bis zum hochprofessionellen Institutionellen. Was der eine wissen will, interessiert den anderen nicht. Man muss auf die verschiedenen Informationsbedürfnisse antworten. Und ich glaube, das haben wir als ETF-Industrie vorgelebt. Die meisten Swap-ETF-Anbieter haben das theoretische Kontrahenten-Risiko von 10% eliminiert, unser Ziel ist es, dieses Risiko auf täglicher Basis auf null zu reduzieren.
Klee: Ich glaube, wir haben uns selber hier auch ein Stück weit in diese Situation gebracht, weil wir unsere Transparenz-Diskussion mit Zielrichtung institutioneller Kunde öffentlich geführt haben. Das ist von den Privatanlegern und den Regulie-rungsbehörden ganz anders aufgenommen worden.
Herkströter: Und dadurch entsteht natürlich auch Verwirrung. Aber bei aller Trans-parenz: Wenn Anbieter versuchen, Privatanlegern zu erklären, was ein Swap ist und dann in ihren Marketing-Unterlagen mit Fachbegriffen wie Swap-Kontrahentenrisiko argumentieren, dann dürfte das kein durchschnittlicher Anleger verstehen. Institutionelle haben ihre Rechtsabteilungen.
 Hierfinden Sie den dritten Teil der Gesprächsrunde ("Sowohl das Swap-basierte als auch das Wertpapierleihe-basierte Modell fahren bei vernünftiger Handhabung juristisch relativ wenig Risiko").
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