Versicherungen
19. Mai 2017

Versicherungsbranche: Eine zweite Insurtech-Welle mit mehr Expertise rollt an

Insurtechs haben die Versicherungswirtschaft aufgeschreckt und verändert. Vielen stehen jedoch harte Zeiten bevor. Die Spreu wird sich vom Weizen trennen. Eine Studie zur Insurtech-Szene.

Die erste Welle der Insurtech-Bewegung hat in der Versicherungsbranche für keine echte Disruption gesorgt. Das ist jedoch kein Grund zum Aufatmen für traditionelle Versicherungsunternehmen. Denn eine zweite Welle steht bevor. Und dieses Mal scheint die Insurtech-Bewegung mit erfolgsversprechenderen Ansätzen aufzuwarten. Zu diesem Urteil kommen Oliver Wyman und Policen Direkt in einer gemeinsamen Studie über die weltweite Insurtech-Szene, in der mehr als 1.000 Start-ups zu finden sind. Von diesen seien zwar längst nicht alle strategisch gut positioniert. Allerdings sollte sich die europäische Versicherungsbranche nicht zu sicher fühlen. „Es ist eine reine Frage der Zeit, bis Unternehmen wie Zhong An die europäischen Märkte bearbeiten“, sagte Dietmar Kottmann, Insurance-Partner bei Oliver Wyman.
Wer sich nun fragt, wer Zhong An ist, dem erklärt Oliver Wyman, dass es sich hier um einen echten Riesen handelt. Mehr als 450 Millionen Kunden gewann der Online-Versicherer aus Shanghai nach eigenen Angaben, seit er 2013 startete. Bestens ausgestattet mit umgerechnet 930 Millionen Dollar Investorengeld sei das Insurtech bereit zum Sprung von China in den Weltmarkt. An einem einzigen Tag im November 2016 habe der Low-Cost-Anbieter 210 Millionen Policen verkauft – mehr als mancher Traditionsversicherer in einem Jahrzehnt. Mächtige Investoren von Ping An über Alibaba bis hin zu Tencent stehen laut Oliver Wyman hinter Zhong An. Der Börsengang sei bereits geplant. Zudem kopiere Zhong An die erfolgreiche Strategie von Amazon: Wie Amazon Web Services weltweit führende Cloud-Lösungen anbietet, vermarktet Zhong An Technologies spezifische digitale Versicherungslösungen. Ein Geschäftsmodell, das sich einfacher internationalisieren lässt als der Versicherungsvertrieb. „Häufig treiben Investoren die Internationalisierung“, so Kottmann.
Das Rennen um den weltweiten Versicherungsmarkt scheint laut Oliver Wyman eröffnet. Insurtechs greifen an mit IT-Know-how entlang der gesamten Wertschöpfungskette – vom Angebot über den Vertrieb bis zum Betrieb. „Während die meisten Versicherungsunternehmen Insurtech-Aktivitäten in der Vergangenheit zunächst außer Acht ließen, sitzen Insurtech-Gründer heute längst auf Panel-Diskussionen wie selbstverständlich neben CEOs großer Traditionsanbieter“, sagte Nikolai Dördrechter, Geschäftsführer von Policen Direkt und Co-Autor der Studie. Seines Erachtens unterschätzt heute kaum noch jemand die Insurtechs. Die Frage sei: Wo überschätzen sie sich selbst?
Spreu trennt sich vom Weizen: schwierige Zeiten für Insurtechs
Die Gemeinschaftsstudie kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Spreu vom Weizen trennen wird. Eine Konsolidierung steht bevor. „Auf einige Insurtechs kommen schwierige Zeiten zu“, sagte Kottmann. Gerade in bereits überbesetzten Geschäftsfeldern, die häufig in den Bereichen Angebot und Vertrieb anzutreffen sind, sei eine Bereinigung unvermeidlich. „In der heutigen ersten Welle traten auch Start-ups an, die kaum über Branchenwissen verfügten“, so Kottmann. Das räche sich jetzt. Auch einige Investoren irrten mit der Annahme, es ließen sich ähnlich wie im disruptiven E-Commerce einfach Nachfrageströme unterbrechen und umleiten. „Dieser Ansatz läuft im Versicherungsgeschäft meist ins Leere. Denn es existieren nur sehr wenige Gebiete, in denen Kunden aktiv nach einer Absicherung suchen“, erklärte Kottmann. Und weiter: „Es gilt vielmehr, das latente Kundenbedürfnis an die Oberfläche zu holen. Doch diese Kunst beherrschen erst wenige.“
Die Studienautoren sind überzeugt, dass eine zweite Welle erheblich besser aufgestellter Insurtechs kommen wird. Diese verfügen dann über mehr Branchenwissen und intelligentere Ansätze.  Dördrechter geht davon aus, dass gerade europäische Insurtechs in vorhandene Lücken stoßen werden. Eine kritische Rolle spielen die Investoren. „Es wird spannend zu beobachten sein, wie sie auf die ersten Ausfälle reagieren. Und inwieweit sie bereit sind, die bevorstehenden teureren Finanzierungsrunden mitzugehen“, so Dördrechter. Das Zögern der Geldgeber sei bereits spürbar, wenn zweistellige Millionenbeträge aufgerufen werden. Solche Nagelproben stehen den meisten Insurtechs noch bevor. Und sie verändern das Auftreten. „Wir beobachten, dass die Angriffslust vieler Insurtechs einem Kooperationswillen mit dem Establishment weicht“, sagte Dördrechter.
Um zu einer realistischen Einschätzung der Chancen und Risiken zu kommen, haben die Studienautoren 19 Geschäftssegmente in Marktgröße und Erfolgsaussichten bewertet und mit der Aktivität der Insurtechs verglichen. „Es zeigt sich ein deutliches Ungleichgewicht zwischen investiertem Wagniskapital und vorhandenem Potenzial“, sagte Kottmann. Auch mit Blick auf den europäischen Markt würden derzeit attraktive Chancen liegengelassen. „Besonders stark sind europäische Insurtechs beim Angebot von situativen und Community-basierten Produkten. Dabei sind beide Felder nicht sonderlich gewinnträchtig“, führte Kottmann aus. Das ebenfalls in Europa beliebte Modell der Preisvergleichswebseiten besitze zwar mittlere Attraktivität, sei aber mit Platzhirschen wie Check 24 zumindest in Deutschland schon besetzt.
Während zwei Drittel des weltweiten Prämienpotenzials in den USA und Westeuropa schlummern, finden die Insurtechs der Analyse zufolge erst selten den Weg über Landesgrenzen. „Viele Insurtechs sind noch reine Länderspieler. Die Aktivitäten beginnen sinnvollerweise dort, wo die Gründer die lokalen Gegebenheiten und die Regulierung kennen, um sich nicht zu verzetteln“, sagte Dördrechter. „Der Versicherungsmarkt ist zudem so groß, dass ein Insurtech auch in einer Nische zu einem Erfolg werden kann“, fügte er hinzu.
Die vollständige Studie „InsurTech caught on the Radar – Hype or the next Frontier?“ finden Siehier.
portfolio institutionell newsflash 19.05.2017/Kerstin Bendix
 

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