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23. April 2013

Weidmann: Versicherer besser vor Schieflagen im Staatshaushalt abschirmen

Mit klaren Worten hat sich Dr. Jens Weidmann immer gegen den unbegrenzten Anleihenkauf der EZB gestellt. Gehör fand er damit nicht. Mit portfolio sprach der Bundesbankpräsident und diesjährige Gewinner des portfolio-Leserpreises über die Schuldenkrise, Basel III, Solvency II und Paradigmenwechsel.

Herr Weidmann, die Staatsanleihenkäufe der EZB haben sich mit Blick auf die gesunkenen Renditen von Peripherieanleihen als erfolgreich erwiesen. Ist die Verschuldungskrise damit nun gelöst oder nur aufgeschoben?
Niemand bestreitet, dass Notenbanken mit der Ankündigung potenziell unbegrenzter Anleihekäufe die Märkte kurzfristig beeinflussen können. Aber die Notenbanken können die Krise nicht lösen. Die Überschuldung der öffentlichen Haushalte und mangelnde Wettbewerbsfähigkeit sind strukturelle Probleme, die nur mit Strukturreformen zu überwinden sind. Der Eindruck, alles sei wieder in Ordnung, nur weil sich die Lage an den Finanzmärkten etwas entspannt hat, ist nicht nur falsch, er ist auch schädlich. Denn er senkt den Handlungsdruck, die weiterhin bestehenden Probleme aufzuarbeiten.
Gottfried Heller, enger Mitarbeiter von André Kostolany, sagte: „Die soziale Marktwirtschaft ist ein Erfolgsmodell. Dabei sind mit dem Kartellgesetz und der Unabhängigkeit der Notenbank zwei wesentliche Elemente in dieses System eingeführt worden. Die unabhängigen Mitglieder der Zentralbank sind die kleinen Diktatoren innerhalb einer nicht perfekten Demokratie. Anders als Politiker, die wiedergewählt werden wollen, hat sie die Macht und Möglichkeit, auch unpopuläre Entscheidungen zu treffen.“ Was ist Ihre Einschätzung hierzu?
Unabhängige Zentralbanken sind der beste Garant für stabile Preise, das belegen sowohl theoretische Erkenntnisse als auch historische Erfahrungen. Dies rechtfertigt die Unabhängigkeit der Notenbanken in der Demokratie. Aber diese Unabhängigkeit ist nicht nur ein Privileg, sie ist auch eine Verpflichtung, unser Mandat „Preisstabilität“ eng auszulegen. Wenn die Notenbanken hingegen Maßnahmen ergreifen, die in das Feld der Finanzpolitik hineinreichen, kann schnell die Frage aufkommen, ob die Unabhängigkeit der Zentralbank noch angemessen ist. Joseph Stiglitz hat sich ja bereits in diese Richtung geäußert. Die richtige Antwort ist aber, sich als Notenbank auf das Hauptziel „Preisstabilität“ zu besinnen und die Politik an ihre Aufgaben zu erinnern.
Können Solvency II und Basel III im Niedrigzinsumfeld überhaupt funktionieren?
Angesichts der aktuell nicht einfachen Marktbedingungen, zum Beispiel der Niedrigzinsphase, fällt es Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen sicher schwerer, die mit Basel III und Solvency II verbundenen erhöhten Eigenkapitalanforderungen allein durch die Einbehaltung von Gewinnen zu erfüllen. Aber der Kredit- und Versicherungswirtschaft stehen hierfür ja eine Reihe weiterer möglicher Bilanzmaßnahmen zur Verfügung, und die vorgesehenen Übergangszeiträume sind ausreichend lang. Daneben haben die aktuellen Ereignisse der Staatsschuldenkrise aber gezeigt, dass Banken wie Versicherer besser vor den Auswirkungen von Schieflagen im Staatshaushalt abgeschirmt werden müssen. Basel III und Solvency II leisten hierzu bereits einen wichtigen Beitrag. Banken müssen darüber hinaus aber stärker darin gezügelt werden, sich übermäßig staatlichen Solvenzrisiken auszusetzen. Dazu muss Basel III durch weitere regulatorische Maßnahmen flankiert werden. Zwei sind mir besonders wichtig, und beide zielen letztlich darauf ab, Forderungen an den Staat nicht länger gegenüber anderen bilanziellen Aktiva zu privilegieren: Erstens sollten Banken Staatsanleihen oder Kredite an den Staat entsprechend deren Risiko mit Eigenkapital unterlegen. Zweitens sollte es eine Obergrenze, eine Art Großkredit-beschränkung, für das Engagement von Banken gegenüber einzelnen staatlichen Schuldnern geben.
Welchen Einfluss hat Ihres Erachtens die Regierungswahl in Italien auf die Verschuldungskrise und den Euro?
Wenn in Italien politische Akteure über eine Umkehr der Reformen oder sogar über einen Austritt aus dem Währungsraum diskutieren und in der Folge die Zinsen für italienische Staatsanleihen steigen, dann kann und darf dies kein Grund für Interventionen des Eurosystems sein. Damit die Währungsunion eine Stabilitätsunion bleibt, wurde in den Verträgen festgeschrieben: Jedes Land trägt für sich selbst die Verantwortung. Die Bürger und die Regierung entscheiden über die Wirtschafts- und Finanzpolitik des Landes und müssen deren Folgen tragen.  Eine umfassende gemeinsame Haftung oder die Finanzierung durch die Notenbank sind deshalb vertraglich ausgeschlossen.

Erkennen Sie einen echten Paradigmenwechsel in Politik, Gesellschaft oder Wirtschaft, der aus Ihrer Sicht noch zu wenig diskutiert wird?
Die Krise hat das Vertrauen der Menschen in die Fähigkeit der Marktwirtschaft erschüttert, Wohlstand für alle zu schaffen. Fragen der Verteilung von Einkommen und Vermögen sind damit wieder stärker in den Vordergrund gerückt. Aber diese Gerechtigkeitsdebatte hat noch eine weitere Dimension: Entscheidend für das allgemeine Gefühl, es ginge derzeit nicht gerecht zu, ist meines Erachtens der Eindruck, marktwirtschaftliche Spielregeln gelten nicht für alle. So ist das Haftungsprinzip „Wer den Nutzen hat, muss auch den Schaden tragen“ konstitutiv für eine Marktwirtschaft. Vielen Menschen scheint es aber so, als hätten den Nutzen einige wenige, während den Schaden vor allem die Steuerzahler tragen – egal, ob es um die Rettung einzelner Banken oder ganzer Staaten geht. Ein zentrales Anliegen für die Politik sollte daher sein, dem Haftungsprinzip wieder mehr Geltung zu verschaffen – sowohl im Finanzsystem, aber auch unter den Mitgliedsstaaten der Währungsunion. Entsprechende Reformen sind nicht nur ökonomisch sinnvoll, sie sind auch ein Gebot der Gerechtigkeit und stärken das Vertrauen in unsere Wirtschaftsordnung.
portolio institutionell newsflash 22.04.2013/pe 

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