Alternative Anlagen
26. Juni 2017

Wer Schuldistrikten Geld leiht, muss zunächst die Schulbank drücken

Es gibt viele Möglichkeiten, den Markt für US-Kommunalanleihen zu kartografieren. Mal erkundet man ihn unter steuerlichen Gesichtspunkten, mal dröselt man ihn von der Emittentenseite her auf. Ein anderes Mal betrachtet man ihn anhand seiner Renditequellen.

Institutionelle Investoren sind stets und ständig und zunehmend verzweifelt auf der Suche nach zinstragenden Anlagen, die diversifizierend auf bestehende Portfolien wirken und eine Rendite abwerfen, die diese Bezeichnung auch verdient. Und wenn sich ihre Anlagen an den Verbindlichkeiten orientieren, sind die Profianleger auch gegenüber zinstragenden Papiere nicht abgeneigt, die mit einer überdurchschnittlichen Duration punkten. Diese drei Kerneigenschaften vereint die Anlageklasse der US-Kommunalanleihen oder, wie die Angelsachsen sagen, der Municipal Bonds, die manche salopp auch als „Munis“ ­bezeichnen. Im Rahmen der Jahreskonferenz 2017 fand eine Themensession statt, bei der Anbieter und Investoren ihre Erfahrungen schilderten.

Eine fragmentierte Anlageklasse
Zum Einstieg machte Peter Becker, Investment Director bei Wellington Management, die Besucher mit der Anlageklasse und ihren ­Facetten vertraut und weihte sie so in die Refinanzierung von US-Gebietskörperschaften ein. Der Markt für US-Kommunalanleihen ist gigantisch. Sein ausstehendes Volumen beläuft sich auf etwa 3,7 ­Billionen US-Dollar. Zum Vergleich: Alle US-Unternehmensanleihen zusammengenommen sind 8,2 Billionen US-Dollar schwer. Aber es geht noch mehr: Mit 8,8 Billionen US-Dollar ist das Volumen ­ausstehender hypothekenbesicherter Wertpapiere (Mortgage Backed Securities, MBS) noch etwas größer. Getoppt wird das Dreiergespann nur von ­einem ganz besonderen Emittenten: Vom United States ­Department of the Treasury mit seinen 13,3 Billionen US-Dollar ausstehenden US-Treasuries.

Der Munis-Markt ist aus Emittentensicht das blanke Gegenteil ­dessen. Ihm gehören mehr als 100.000 Schuldner an, darunter zuvorderst die Bundesstaaten. Aber auch Städte und einzelne Schuldistrikte können sich über die entsprechenden Anleihen refinanzieren. Daneben ­zählen selbst Behörden sowie weitere Anbieter öffentlicher Dienstleistungen zur Emittentenseite. Die Einnahmen fließen typischer­weise in die ­Finanzierung der allgemeinen operativen Steuerung der Behörde und von Projekten, allen voran Verkehr, Krankenhäuser, ­Universitäten. Aber auch Versorgungssysteme, wie etwa Vorhaben rund um Wasser- und Abwassersysteme, werden mit Hilfe von ­Kommunalanleihen ­finanziert, erläuterte Peter Becker.

Vor dem Hintergrund der heterogenen Emittentenstruktur wies der Referent darauf hin, dass der Markt für US-Kommunalanleihen durch drei Eigenschaften gekennzeichnet ist: Er ist äußerst fragmentiert und divers – laut Becker gibt es rund eine Million unterschiedliche Anleihen und damit ein Vielfaches der rund 50.000 existierenden US Corporate Bonds. Der Municipal-Bonds-Markt weist über alle Emis­sionen hinweg mit neun bis zehn Jahren eine vergleichsweise lange Duration auf, was insbesondere für Investoren ein interessanter ­Aspekt ist, wenn es darum geht, weit in der Zukunft liegende Verbindlichkeiten mit entsprechend langen Anleihen zu untermauern.

Ein wesentliches Marktmerkmal besteht darin, dass rund 90 Prozent der ausstehenden US-Kommunalanleihen beziehungsweise die daraus resultierenden Kuponzahlungen für Anleger, die der US-Einkommensteuer unterliegen, steuerbefreit sind. Ob eine Anleihe steuer­befreit ist oder nicht, hängt von der Verwendung des Emissions­erlöses ab. Wenig überraschend sind US-Anleger in erster Linie an eben jenen steuerbefreiten Anleihen interessiert, was dort die Renditen im Vergleich zu den steuerpflichtigen Pendants stärker nach unten drückt.

Jetzt das große Aber: Das steuerpflichtige und höher rentier­liche Segment umfasst ein bescheideneres Volumen von rund 400 ­Milliarden US-Dollar. 40 Prozent davon entfallen auf ­sogenannte Build America Bonds (BAB). Das sind Anleihen, die unmittelbar nach der Finanzkrise in den Jahren 2009 und 2010 aufgelegt wurden. Die Regierung verfolgte damals wie heute das Ziel, Investitionen in die ­Infrastruktur zu fördern. Die so begebenen Anleihen werden bis ­heute im Markt gehandelt, wobei der Handel recht illiquide ist, da die meisten Investoren die Zinstitel bis zum Verfall halten.

Eine andere Möglichkeit der Marktcharakterisierung leitet sich daraus ab, aus welcher Quelle der Schuldendienst geleistet wird. Hier unterscheidet man zwischen „Revenue Bonds“ und „General Obligation Bonds“ („GOs“). Während die individuell besicherten Revenue Bonds den Markt mit einem Anteil von etwa 70 Prozent dominieren und ­ihre Erlöse in Verkehrsprojekte und Schulen ­fließen, sind General Obligation Bonds durch die gesamte Steuerkraft (full faith and credit) der Regierungsbehörde besichert, die die Anleihe ­begibt. Aber die ­augenscheinlich endlose Steuerkraft muss nicht ­heißen, dass man als Investor ruhig schlafen kann. Definitionsgemäß ist der Emittent zwar verpflichtet, seine Steuerhoheit so einzusetzen, wie das für die ­vollständige und pünktliche Bedienung seiner Verbindlichkeiten ­erforderlich ist. Ob er am Ende des Tages aber auch ­dazu bereit ist, steht auf einem anderen Blatt.

In seinem Vortrag ging Peter Becker auch auf Insolvenzfälle von ­Städten wie Detroit oder Territorien wie Orange County in Kalifornien oder Puerto Rico ein, die dem Image der Anlageklasse wie Pech ­anhaften. Gleichwohl lassen sich aus Fällen wie diesen keine ­Pauschal­aussagen für das gesamte Rentensegment treffen. Vielmehr hat die Anlageklasse eine recht weiße Weste: Im Vergleich mit dem Markt für ­Unternehmensanleihen zeichneten sich Revenue Bonds beziehungsweise General Obligation Bonds im Zeitraum von 1970 bis 2015 durch außerordentlich niedrige Ausfallquoten aus. Die ­kumulative Fünf-Jahres-Ausfallquote lag im Betrachtungszeitraum bei Unter­nehmensanleihen bis hinunter in das Rating-Segment Baa bei rund 1,7 Prozent, während Revenue Bonds mit einer Ausfallquote von ­marginalen 0,25 Prozent noch am schlechtesten unter allen US-Kommunalanleihen abschnitten.

Zum Schluss seines Vortrags ­erläuterte Peter Becker, dass Municipal Bonds für Versicherungs­unternehmen besonders interessant sein können. Grund dafür ist die vorteilhafte Unterlegung mit Eigen­kapital unter dem Aufsichtsregime Solvency II. Gesprächen mit Kunden aus dem Versicherungsbereich konnte Becker entnehmen, dass General Obligation Bonds als Staatsanleihen eingestuft werden können, also im Standardmodell der Aufsicht bis dato keine Eigenkapitalunter­legung erfordern. Revenue Bonds wiederum können unter bestimmten ­Umständen als „Infrastruktur“ qualifizieren. So ließe sich die ­Unterlegung der Investments mit Eigenkapital je nach Laufzeit und Rating („Spreadrisiko“) im Vergleich zu Unternehmensanleihen zwar nicht ganz aus dem Weg räumen aber zumindest reduzieren.

Aktiv statt passiv
Anknüpfend an den Vortrag von Peter Becker strich Greg Ortman von der Capital Group heraus, worauf Anleger bei der Auswahl von ­Managern achten sollten, wenn sie sich im Bereich Municipal Bonds engagieren. Dazu betonte er eingangs seiner Präsentation, dass es praktisch unmöglich sei, passiv zu investieren. Grund: Der relevante Bloomberg Barclays Municipal Index zählt stolze 50.388 Emittenten, beim kleineren Bloomberg Barclays Taxable Municipal Index sind es immerhin 4.580 Emittenten. Die schiere Anzahl mache es so schwer, die Indizes zu replizieren, zumal nicht jede US-Kommunalanleihe täglich gehandelt werde und man es außerdem mit relativ kleinen Emissionen zu tun habe. Im Markt für US-Kommunalanleihen ­müsse man demnach aktiv agieren.

In Anlehnung an seinen Vorredner wies auch Greg Ortman darauf hin, dass ein Engagement in Municipal Bonds mit ­erheblichem Research-Aufwand verbunden ist. Genauso wie bei Unternehmensanleihen müsse man sich mit der Bonität der Emittenten auseinandersetzen und sich ein Bild von deren Zahlungsfähigkeit und der Besicherung der Zins­papiere machen. Mit dem ­Unterschied, dass der Einsatz bei Munis möglicherweise über Jahre hinaus gebunden ist.

Um die Komplexität zu veranschaulichen, hatte der US-Amerikaner ein anschauliches Beispiel mit nach Berlin gebracht: Der Chicago O’Hare Airport emittiert sowohl steuerbefreite als auch nicht-steuerbefreite Municipal Bonds. Um zu entscheiden, ob ein Investment sinnvoll ist, müsse man sich beispielsweise mit den Geschäftsplänen von Fluglinien beschäftigen und Fragen wie diese beantworten: ­Inwiefern besteht Nachfrage nach effizienteren Flugzeugen? Welche Flugrouten bieten das größte Wachstumspotenzial? Außerdem müsse man analysieren, welche Flughäfen davon profitieren, wenn der Flugverkehr in den nächsten Jahren weiter zunimmt.

Deutsche Investoren signalisieren Interesse

Im Anschluss an die Präsentationen fand eine an die Vorträge angelehnte Gesprächsrunde statt. Moderator Paul Wessling gelang es, den Bogen in die deutsche Kapitalanlagepraxis zu spannen. Zu Beginn der Gesprächsrunde stellte er Bfinance-Berater Mathias Neidert vor, der sich seit knapp zwei Jahren intensiv mit dem Markt für US-Kommunalanleihen beschäftigt. Neidert erläuterte, Bfinance habe ersten ­deutschen Investoren aus dem Bereich der Pensionsfonds bei der ­Selektion von Managern zur Seite gestanden, mehrere deutsche Versicherungsgesellschaften hätten in jüngster Zeit Interesse am Markt für US-Kommunalanleihen bekundet.

Lutz Horstick nahm den Faden seiner Vorredner auf und erörterte weitere Aspekte, die für Munis sprechen. Er ist bei der Ärzteversorgung Westfalen-Lippe (ÄVWL), einem berufsständischen Versorgungswerk mit rund 12,5 Milliarden Euro Assets under Management, verantwortlich für Wertpapiere und Darlehen und damit für ein breites Spektrum, unter das auch Municipal Bonds fallen. Im Hinblick auf die Präsentationen von Wellington und Capital Group zog Lutz Horstick Parallelen zu seinem Tagesgeschäft, indem er darauf hinwies, dass die ÄVWL ihrerseits ebenfalls sehr aktiv ist im Bereich von Infrastrukturinvestments. Außerdem sei man derzeit mit einem relativ hohen US-Dollar-Exposure unterwegs. US-Kommunalanleihen stehen bei der Ärzteversorgung immer wieder auf der Tagesordnung.

Consultant Mathias Neidert ging im Anschluss daran auf die recht ­hohe Duration von ­Munis ein, die insbesondere bei Versorgungs­werken ein Argument in der Wertpapierselektion darstellt. Aber auch als sophistizierter ­Anleger brauche man die Hilfe externer Berater, denn die Materie sei sehr komplex.

„Municipals Bonds sind hierzulande noch nicht sehr weit verbreitet“, betonte Neidert ohne die ­Rendite aus den Augen zu verlieren. Während man für hochwertige Staatsanleihen in der Bundes­republik praktisch keine nennenswerte Verzinsung mehr ­erziele, ­könne man das bei US-Kommunalanleihen auch heute noch. Wobei die Kreditqualität ähnlich gut ist wie bei ­europäischen Staatsanleihen, die Rendite aber darüber liegt. „Ich möchte betonen, dass man heute als Investor kaum noch Möglich­keiten vorfindet, Anlagen mit langer ­Duration in ein Portfolio zu integrieren. Zumal Staats­anleihen nichts mehr abwerfen. Zwar gibt es auch noch ­Unternehmensanleihen, aber hier warne ich vor einer zu starken Konzentration von Corporate-Credit-Risiken, wenn man die Duration ­erhöhen möchte.“ Der ­Berater von Bfinance hält US-Kommunal­anleihen insbesondere dann für ­interessant, wenn man ein bestehendes US-Credit-Portfolio diversi­fizieren möchte. „Und das ist auch der Hauptgrund, warum deutsche Investoren sich mit dieser Anlage­klasse befassen.“

Zahl der Pleiten nimmt zu
Paul Wessling wies anschließend darauf hin, dass öffentlich-recht­liche Gebietskörperschaften in der Bundesrepublik nicht insolvenz­fähig sind. In den USA sei das anders. Greg Ortman erläuterte, dass auch die Regierungen der US-Bundesstaaten offiziell nicht die ­Insolvenz erklären können. Im Gegensatz dazu können allerdings die lokalen Regierungen Insolvenz beantragen. Und damit müsse man auch rechnen. Schuld sei häufig die Höhe der Pensionsverpflichtungen.

Das Problem sei sehr groß und es verschlimmere sich. „Lassen Sie es mich so ausdrücken: Der größte Posten im Budget einer Kommune ist nicht der für die laufenden Kosten, sondern der für die ­Pensionszahlungen. Ich gehe davon aus, dass wir in den USA weitere Zahlungsausfälle im Bereich der lokalen Regierungen sehen werden. Was ich dazu noch ergänzen möchte ist, dass die Recovery Rates ­künftig unterhalb dessen liegen werden, was wir in der Vergangenheit gesehen haben. Vor diesem Hintergrund sind wir sehr vorsichtig im Bereich der General Obligation Bonds. Im Gegensatz dazu mögen wir Revenue Bonds sehr, wie sie beispielsweise mit Mautstraßen verknüpft sind“, unterstrich Greg Ortman von der Capital Group.

Zum Abschluss nahm Peter Becker den Ball auf: „Man kann bei ­Revenue Bonds dem Cashflow anhand von Stresstests und Szenario­anlysen auf den Grund ­gehen. So bekommt man ein gutes Gefühl ­dafür, wann die Einnahmeströme nicht reichen, um die Revenue Bonds zu bedienen. So können Sie beispielsweise kalkulieren, wie ­viele Autos eine Mautstraße oder eine Mautbrücke passieren müssen, die Sie finanzieren.“ Das sei eine viel systematischere Betrachtungsweise als bei den General Obliga­tion Bonds, bei denen es am Ende des Tages darum geht, ob die zuständige Emittentin den in sie gesetzten Vertrauensvorschuss, den „full faith and credit“, auch verdient – oder ob sie im Ernstfall den Schutz des Insolvenzrechts sucht.

Von Tobias Bürger

portfolio institutionell, Ausgabe 05/2017

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