Investoren
27. Juni 2025

Das magische Dreieck der SGB-IV-Anleger

Dass Krankenkassen kränkeln, liegt vor allem am Gesundheitssystem und nicht (mehr) am Kapitalmarkt. Dieser bietet seit dem Zinsanstieg auch sicherheitsorientierten Anlegern eine ausreichend große Multi-Fixed-Income-Spielwiese, auf der auskömmliche Renditen wachsen. Für Anleihen spricht auch die sinkende Sicherungsobergrenze für Termingelder.

Zehnjährige Bunds rentieren mit über 2,5 Prozent, Pfandbriefe mit über drei Prozent – seit dem Zinsanstieg gestaltet sich die Situation auf der Anlageseite für Krankenkassen als typische Fixed-Income-Investoren derzeit durchaus erträglich. Es gibt wieder Renditen und Zinssenkungen stehen in Aussicht. Wenig erfreulich fallen für Krankenkassen aber die sonstigen finanziellen Rahmenbedingungen aus. Rücklagen im Rückwärtsgang und ein Mangel an Planbarkeit erschweren die Kapitalanlage und damit auch die finanzielle Gesundheit von Krankenkassen. Getroffen wurden und werden die Stand Jahresanfang 94 gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland vor allem von pandemiebedingten Sonderbelastungen sowie grundsätzlich steigenden Kosten im Gesundheitswesen.

Das gesamte Anlagevolumen der Krankenkassen beziffert die LBBW Asset Management mit 70 bis 100 Milliarden Euro. Während große Einrichtungen mehrstellige Milliardenbeträge verwalten, liege das Anlagevolumen bei kleineren Krankenkassen oft unter 500 Millionen Euro. Der Median dürfte nach Schätzung des Asset Managers im mittleren dreistelligen Millionenbereich liegen.

Ende des vergangenen Jahres informierte der GKV-Spitzenverband, dass bei mehr als der Hälfte der Krankenkassen die Rücklagen unter der gesetzlichen Mindesthöhe liegen. Die Schuld liege bei der Politik, die es versäumt habe, die Strukturen zu reformieren. Stattdessen habe der Staat die Rücklagen der Krankenkassen „abgeräumt“, um die laufenden Ausgaben zu finanzieren. „Seit rund zehn Jahren erleben wir Gesundheitsminister, die zwar gut darin sind, über neue Gesetze die Ausgaben zu steigern, es aber versäumen, die Stabilität der Beitragssätze in den Blick zu nehmen“, monierte Dr. Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, in einem Zeitungsinterview. „Insbesondere die letzten drei Gesundheitsminister haben die Kosten einfach laufen lassen und so getan, als sei genug Geld da. Dies hat erkennbar nicht funktioniert und das Ergebnis jetzt kommt keinesfalls überraschend.“

Dagegen umso mehr überraschend sind für Krankenkassen rückwirkende Zahlungen an den Gesundheitsfonds oder dessen verspätete Auszahlungen. Dies stellt das Liquiditätsmanagement der Krankenkassen vor große Herausforderungen. Für das Management der Liquidität verschärfend hinzu kommen teurere Medikamente und höhere Energiekosten.

Krankenkassen werden selbst zur Kasse gebeten

Für die Zukunft ist bislang auch keine Besserung in Sicht. Laut den Verbänden der Krankenkassen drohen für das laufende Jahr hohe Ausgabensteigerungen. Erst zu Beginn dieses Jahres hätten fast alle Krankenkassen ihre Zusatzbeitragssätze zum Teil deutlich erhöhen müssen, um die stark gestiegenen Ausgaben in der GKV zu kompensieren. Diese werden laut GKV-Schätzerkreis gegenüber 2024 um weitere 21 auf 341 Milliarden Euro im Jahr 2025 ansteigen. Kritisch wäre für die Krankenkassen auch ein Anstieg der Arbeitslosenquote, da nur Erwerbstätige Einzahler sind.

Diese eher regellos anmutenden Rahmenbedingungen treffen auf sehr reglementierte Vorschriften zur Kapitalanlage. Letzteres betrifft insbesondere die Rendite. Das Leitbild für die Asset Allocation von Krankenkassen findet sich in Paragraf 80, SGB IV. Darin ist festgelegt, dass ein Verlust „ausgeschlossen“ erscheinen und der Ertrag allenfalls „angemessen“ auszufallen habe. Die Liquidität soll „ausreichend“ sein. „Die Kapitalanlage von SGB-IV-Anlegern ist auf eine hohe Sicherheit, auf Liquidität und auf einen angemessenen Ertrag ausgerichtet. In der Negativzinsphase war auch ein negativer Ertrag aus Sicht der Aufsicht angemessen“, erklärt Hayri Ulucan, Leiter Institutional Asset Management bei Donner & Reuschel. Das Haus ist nach eigenen Angaben seit fast 15 Jahren für SGB-IV-Anleger tätig. „Anders als bei Altersvorsorgeeinrichtungen gibt es kein Renditeziel. Geld ist für Krankenkassen ein Mittel zum Zweck.“

Für Anleger, für die die Sicherheit und nicht die Ertragsoptimierung im Fokus steht, sind Festgelder das natürliche Habitat. Um auch den Liquiditätsansprüchen Genüge zu tun, hilft es, die Termingelder zu staffeln. Umgesetzt hat eine solche Strategie die HKK Handelskrankenkasse. „Wir hatten ein komplett rollierendes Verfahren, bei dem jeden Monat Gelder zurückkamen. Das war sowohl für Termingelder als auch für die variabel verzinsten Tagesgelder lukrativ“, blickt Christian Aselmann, Abteilungsleiter Finanzen der HKK, im Interview auf den beiden folgenden Seiten zurück. Allerdings sind Termin- und Tagesgelder nicht zuletzt vom Leitzinsniveau abhängig. Ein Beispiel hierfür ist der Fonds „Euro Floating Rate Notes“, ein SGB-IV-konformer Euro-Anleihefonds mit sehr kurzer Zins-Duration von Berenberg. Dieser weist für die Jahre 2015 bis 2022 eine durchgehend negative Wertentwicklung von bis zu 0,72 Prozent auf. In 2023 erzielte der Fonds jedoch einen Wertzuwachs von 3,4 und im vergangenen Jahr von 4,0 Prozent.

Greensill hat Nachwirkung

Folgenreich für Krankenversicherer beziehungsweise für Termingeldanleger waren auch die Pleiten von Maple Bank und Greensill. Zwar wurden die häufig Termingelder abschließenden SGB-IV-Anleger vom Einlagensicherungsfonds – anders als die kommunalen Anleger – entschädigt, als Reaktion reformierten die Privatbanken 2021 jedoch ihre freiwillige Einlagensicherung. Bis 2030 reduziert sich die Sicherungsobergrenze von 50 auf zehn Millionen Euro. Zwar gibt es – zumindest noch – keine Änderungen an der Einlagensicherung in den Sicherungssystemen bei Sparkassen und genossenschaftlichen Banken. Wenn der Liquiditätsbedarf jedoch nicht mehr wirklich planbar ist, erscheinen auch zeitliche Staffelungen als wenig passend.

Somit ist es geboten, sich über Alternativen zu Termingeldern Gedanken zu machen. Hayri Ulucan rät dazu, das Liquiditätsmanagement weiterzuentwickeln, sprich weniger Bankeinlagen zu nutzen und mehr in liquide Wertpapieranlagen zu gehen. Dieser Ratschlag ist nicht ganz uneigennützig, aber, mit Blick auf das veränderte Vermögensrecht und schrumpfende Einlagensicherungen der Privatbanken sowie die nun außerhalb von bekannten Mustern verlaufenden Zahlungsströme des Gesundheitsfonds durchaus sinnvoll. Dies auch, weil die Rendite liquider Anleihen mit illiquiden Bankeinlagen mithalten kann. Laut dem Portal Tagesgeldvergleich.net liegt für Termingelder der Durchschnitts-Zinssatz verschiedener Banken über verschiedene Laufzeiten hinweg bei etwa zwei Prozent. Zwei Prozent sind – auch bei hoher Sicherheit – mit Anleihen möglich. Zwar fallen manche Festgeldangebote deutlich überdurchschnittlich aus, nicht nur betont sicherheitsbewusste Anleger könnten diese Offerten aber auch als verdächtig überdurchschnittlich einstufen.

Julian Arnold, Fixed-Income-Experte der LBBW Asset Management, urteilt zu Festgeldern: „Die Renditen sind niedrig, die Flexibilität ist eingeschränkt – und es fehlt der Zugang zu marktbasierten Chancen, wie sie etwa über Anleihefonds mit hoher Bonität erreichbar sind.“ Diese Chancen wollen Anleger nach Einschätzung des Vermögensverwalters der Landesbank auch nutzen. „Nach unserer Lesart der regulatorischen Vorgaben und auf Basis der Bedürfnisse und Erwartungen der Kunden ist eine angemessene Verzinsung des eingesetzten Kapitals ein zentrales Ziel – im Einklang mit den übergeordneten Kriterien Sicherheit und Liquidität.“

Festgeld oder Multi Fixed Income

SGB-IV-Portfoliomanager fahren in der Regel eine Multi-Fixed-Income-Strategie. „Wir nutzen bei den Rücklagen Staatsanleihen, staatsnahe Papiere, Pfandbriefe sowie Unternehmensanleihen und achten darauf, welches Segment auf der Zinskurve aktuell wie interessant ist“, so Hayri Ulucan. Aktuell übt Donner & Reuschel bei Unternehmensanleihen etwas Zurückhaltung. „Aufgrund der Liquidität von Unternehmensanleihen sind wir derzeit mit exponierten Positionierungen vorsichtig. Bei der Bonität bevorzugen wir A-Ratings gegenüber BBB-Ratings.“

Die LBBW Asset Management ist mit einem Fondskonzept für SGB-Anleger im gleichen Universum unterwegs – allerdings etwas offensiver. „Ein wichtiger Fondsbestandteil sind renditestarke Unternehmensanleihen solider Kapitalmarktunternehmen. Wir nutzen dabei, auch antizyklisch, Marktchancen“, so Arnold, der als Beispiel anführt, dass man Anfang April, als sich die Credit Spreads im Zuge der US-Zollpolitik temporär ausweiteten, genutzt habe, um während der Investitionsphase eine Corporate-Quote von rund 50 Prozent des Fondsvolumens aufzubauen. Die andere Hälfte des Portfolios setzt sich aus Staatsanleihen, staatsnahen Anleihen und Covered Bonds zusammen. Die gewichtete Marktrendite liegt bei knapp drei Prozent. Zum Vergleich: Donner & Reuschel beziffert die laufende Rendite aktuell mit 2,5 bis drei Prozent. Ausnahmesituationen ausgenommen, stuft Arnold die Liquidität von Corporates als gut bis sehr gut ein. Mit Blick auf die Sicherheitsanforderungen liege der Fokus auf Ratings von A und BBB+. „Diese Segmente sind aktuell – auch im historischen Vergleich – besonders attraktiv. Dagegen sind Anleihen mit einem Rating von BBB- aus unserer Sicht aufgrund ungewöhnlich geringer Spread-Aufschläge historisch teuer“, so Arnold. Zudem sei man wegen des Fallen-Angel-Risikos bei Anleihen mit BBB- generell eher zurückhaltend.

In der Theorie lässt sich Rendite auch am langen Ende einer steilen Zinskurve finden. Eine solche Strategie passt jedoch nicht zur Praxis eines Anlegers mit hohen Liquiditätsansprüchen. Denn so wie bei Aktien die Liquidität auch eine Frage der Bewertung darstellt, die bei entsprechendem Niveau und Ein- und Ausstiegszeitpunkt dazu führt, dass die Liquiditätsbeschaffung sehr verlustreich sein kann, so kann ein hohes Durationsrisiko bei steigenden Zinsen zu einer teuren Liquiditätsbeschaffung führen. Die LBBW Asset Management fährt nach eigenen Angaben moderate Restlaufzeiten von typischerweise bis zu zehn Jahren, bei neutraler Strategischer Asset Allocation von drei bis fünf Jahren. Donner & Reuschel geht ebenfalls nicht extrem lang. „Beim langen Ende der Kurve sind wir vorsichtig. In einem leichten Übergewicht in Duration sehen wir aber einen Mehrwert“, sagt Ulucan. Für eine maximal mittlere Duration – vor allem bei flacher Zinskurve – spricht auch, dass steigende Medikamentenpreise und Energiekosten ein Problem darstellen.

Regional betrachtet bieten die Vereinigten Staaten oder Großbritannien Potenzial für höhere Renditen. Zu beachten ist jedoch das Wechselkursrisiko. „SGB-IV-Anleger dürfen nur in Euro anlegen und müssen ein Investment in Fremdwährungen absichern. Aktuell sehen wir in währungsbesicherten Staatsanleihen keinen Mehrwert. Bei amerikanischen und britischen Unternehmensanleihen sieht das wiederum anders aus“, erklärt Ulucan. Was zum Wechselkursrisiko noch hinzukommt, ist das Reputationsrisiko. „Einem SGB-Anleger dankt niemand die höhere Rendite beispielsweise einer mexikanischen Unternehmensanleihe. Alle machen ihn aber dafür verantwortlich, wenn eine solche Anleihe ausfällt. Zumal Europa ausreichend große Anlagemöglichkeiten bietet.“

Sieben Prozent aus Siebenbürgen

Zu europäischen Opportunitäten zählen – allerdings schon seit längerem – rumänische Staatsanleihen. Für 15 Jahre Rumänien, geratet mit BBB-, gibt es (Ende Mai) für eine Staatsanleihe satte sieben Prozent und für sieben Jahre etwa sechs Prozent. Rumänische Euro-Staatsanleihen sind Teil des Investmentuniversums des SGB-Fonds der LBBW AM. Aktuell hält der Asset Manager ein mehrstufiges Downgrade für bereits vollständig eingepreist. „Vor diesem Hintergrund schließen wir ein Investment im moderateren Laufzeitbereich als Beimischung nicht aus – unter Berücksichtigung des Gesamtportfolios und der aktuellen Marktbewertung“, so Arnold. Dagegen erinnert Ulucan: „Das persönliche Risiko hat keine Upside.“

SGB IV und ESG

Aller Sorgen und Nöte zum Trotz – oder gerade deshalb – beschäftigen sich auch Krankenkassen mit nachhaltigen Kapitalanlagen.Regulatorisch gibt es keine konkreten ESG-Vorgaben“, berichtet Ulucan. „ESG wird sehr unterschiedlich umgesetzt. Manche schließen – für eine Krankenkasse besonders passend – Alkohol und Tabak aus, manche orientieren sich am norwegischen Staatsfonds.“ Wenn eine Krankenkasse ihre Anlagen nachhaltig bewirtschafte, dann erkenne man den Gesundheitsgedanken. Auf die Idee, aus Gesundheitsgründen Süßwarenhersteller, Coca-Cola und Pepsi auszuschließen, sei aber noch keine Krankenkasse gekommen. Die Einschätzung von Ulucan trifft auf jeden Fall auf die HKK zu. „Als Sozialversicherung betonen wir die soziale Komponente und das soll sich auch in der Kapitalanlage spiegeln. Klassisch schließen wir Sektoren wie Alkohol, Tabak, Waffen oder Kohle aus. Weiter legen wir härtere Kriterien bezüglich Menschenrechte, Arbeitsschutz, Kinderarbeit oder Sozialleistungen an“, so Christian Aselmann im Interview.

Multi-Fixed-Income bietet für SGB-Anleger genug Stellschrauben, um ein Portfolio an die eigenen Anforderungen bezüglich Liquidität, Sicherheit und Rendite anzupassen. Für ein diversifiziertes Sondervermögen ist nicht zuletzt im Vergleich zum Klumpenrisiko von Termingeldern bei Häusern wie Greensill oder Maple auch die Sicherheit ein gutes Argument. Vielleicht kann ein sicherheitsbewusstes Anleiheportfolio sogar helfen, den staatlichen Reformbemühungen den richtigen Weg zu weisen: nämlich, wenn man hin und wieder erwähnt, dass man ein großer Investor in Bundesanleihen ist.

Autoren:

Schlagworte:

In Verbindung stehende Artikel:

Schreiben Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert