Strategien
16. Dezember 2025

Die Energiefrage als interdisziplinärer Diskurs

Die Energiewende ist eine interdisziplinäre und internationale Aufgabe. Ökonomie, Ökologie und soziale Aspekte sind in Einklang zu bringen. Diese Herausforderung betrifft die Politik sowie die Wirtschaft, und aber auch die Kirchen. Darüber debattierte ein großer runder Tisch im Rahmen der dritten Ö3-Veranstaltung.

Katholiken und Protestanten treten sowohl für die Bewahrung der Schöpfung als auch für Menschenwürde, Nächstenliebe sowie Zusammenhalt ein und das Klima ist ein Gemeingut. Für Energie bedeutet dies, dass sie nicht nur klimaneutral, sondern auch bezahlbar sein muss sowie ebenfalls die Belange des globalen Südens zu berücksichtigen hat. Als Schlüssel der Transformation kann somit die Gemeinwohleffizienz gesehen werden – und diese wiederum war das Thema der dritten Mainzer Veranstaltung von Ö3 – Ökumenisch, Ökologisch, Ökonomisch.

Hinter Ö3 stehen die Referentin für Weltkirche, Gerechtigkeit und Frieden im Bischöflichen Ordinariat Mainz, Dr. Eva Baillie, und Reinhard Liebing, Geschäftsführer der Sustainable Investing Trust Steuerberatungsgesellschaft, sowie portfolio institutionell. „Der Gemeinwohl-Gedanke wird von vielen als zentraler und wegweisender Gedanke der Enzyklika Laudato Si‘ gesehen – mich überzeugt das. Für Christinnen und Christen, die vor globalen und komplexen Herausforderungen stehen, kann er ein hilfreiches Konzept für konkretes Handeln sein: Es sollte nicht um Partikularinteressen gehen, sondern das Wohl aller sollte bei Entscheidungen mitbedacht werden“, so Baillie. Gemeinsam mit der Akademie des Bistums organisierte sie im September und Oktober 2025 eine Reihe, die sich mit den gesellschaftlichen und kirchlichen Wirkungen und Handlungsfeldern zum 10-jährigen Jubiläum von Laudato Si‘ beschäftigte.

Energiewende und Gemeinwohleffizienz – und wie man diese zusammenbringt: Ein Thema u.a. für Reinhard Liebing (2. von rechts). Bild: portfolio institutionell

„Ö3-Opener“ Martin Schneider, Professor für Moraltheologie und Christliche Sozialethik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, erläuterte, dass die Energiefrage als interdisziplinärer Diskurs schon Teil der jüngeren Kirchengeschichte und der älteren Menschheitsgeschichte war. In der Enzyklika „Laudato Si“ konstatierte Papst Franziskus: „Niemals haben wir unser gemeinsames Haus so schlecht behandelt und verletzt wie in den letzten beiden Jahrhunderten.“ Franziskus stellt, so Schneider, einen „Zeitenwandel“ fest, „der von einer umfassenden anthropologischen und sozio-ökologischen Krise gekennzeichnet ist“. Es müsse nun darum gehen, zitiert Schneider, „das Modell globaler Entwicklung in eine andere Richtung zu lenken und den Fortschritt neu zu definieren“.

Bezüglich der Menschheitsgeschichte erinnerte Schneider, dass schon die Steinzeitmenschen für Wärme und Nahrungszubereitung CO₂ freisetzten. Dazu verweist der Moraltheologe auf die „Prometheus“-Publikation des Philosophen Peter Sloterdijk: „Doch wo Bäume sich vormals nur je einmal verbrennen ließen, verschoben sich die Gewichte der Faktoren Arbeit und Feuer mit der Entdeckung unterirdischer Lagerstätten von Kohle und Öl. Die moderne Menschheit kann als ein Kollektiv von Brandstiftern gelten, die an die unterirdischen Wälder und Moore Feuer legen.“

Ein Exkurs in die Moderne, in der die Menschheit nicht mehr Brandstifter, sondern Klimaschützer sein will, aber mit Ökonomie und sozialen Fragen konfrontiert wird: Die EU hat sich Klimaneutralität bis 2050 zum Ziel gesetzt. Die Bundesrepublik ist mit dem Zieljahr 2045 etwas ehrgeiziger. Ob aber alle Staaten bei ihren Klimazielen ehrgeizig genug sind? So ermahnen 2.000 europäische Naturwissenschaftler die Staats- und Regierungschefs der EU in einem offenen Brief, am Etappenziel für 2040, die Emissionen in den nächsten 15 Jahren um 90 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken, festzuhalten und sich nicht von der Wissenschaft und dem Pariser Klimaziel zu entfernen.

Das Überschreiten kritischer Kipppunkte könnte Europas Zukunft gefährden. Zudem biete dieses Ziel bei richtiger Umsetzung auch wirtschaftliche Chancen – etwa deutlich günstigere Stromrechnungen, neue Jobs und Einsparungen für fossile Importe im Milliardenbereich, zitiert N-TV aus dem Brief. Wirtschaftswissenschaftler wie Professor Hans-Werner Sinn sehen dagegen die Ökonomie durch die Energiewende gefährdet. Sinn auf der Jahreskonferenz von portfolio institutionell: „Wir machen unsere Autoindustrie aus Klimagründen kaputt – ohne überhaupt etwas für das Klima zu bewirken. Und warum sollten andere Länder uns nachmachen, wie wir unsere Industrie kaputt machen?“

Soziologen wiederum – aber nicht nur diese – betonen, dass die ökologische Transformation die zentrale soziale Frage ist. Tatsächlich werde aber die ökologische Transformation als Projekt der Wohlhabenden gegen den (bescheidenen) Wohlstand der Vielen bewertet. Insbesondere Entwicklungsländer würden billige (fossile) Energien benötigen, um sich zu entwickeln – so wie Europa und die Vereinigten Staaten seit der Industrialisierung. Nicht zuletzt schätzen China und Indien günstiges Öl und Gas aus Russland.

Und damit zurück zu Ö3 und zu Martin Schneider, der für eine Leitbild-Transformation warb, die den Gemeingüter-Gedanken verfolgt. Schließlich sind Klima und Umwelt gemeinschaftliche, kollektive Güter. Für deren Gebrauch muss für Schneider gelten: „Die soziale Daseinsvorsorge darf nicht unterschritten werden. Aber die ökologische Grenze des Nutzbaren darf nicht überschritten werden.“ Was die Gemeingüter schützen kann, sind für Schneider CO₂-Speicher wie Wälder und Moore sowie Energiespeicher wie Batterien und Wasserstoff. Die Zukunftsaufgabe für Schneider: Speicherkapazitäten aufbauen. Speicher sind übrigens im alttestamentarischen Traum des Pharaos von sieben fetten und sieben dürren Kühen auch theologisch fundiert.

Mit der Investierbarkeit von Batteriespeicher beschäftigt sich die Volksbank Mittelhessen und deren Abteilungsleiter Beteiligungsmanagement und Ökosysteme, Kristoffer Schröder. Grund hierfür ist, dass die Volksbank nicht nur seit längerem Kreditgeber für regionale Renewables-Projekte ist, sondern auch Eigenkapital für Entwicklungen gibt. Ziel der Volksbank ist, 150 Millionen Euro an eigenem Geld schwerpunktmäßig in Deutschland und am liebsten in Hessen in Erneuerbare Energien zu investieren.

Hinter diesen Finanzierungen steckt, wie Schröder ausführt, der Gemeinwohlgedanke beziehungsweise der grundsätzliche Gedanke, wozu es eine (Volks-)Bank braucht. „Gerade eine Genossenschaftsbank kann dort zum Gemeinwohl beitragen, wo die Mitglieder einer Gesellschaft allein nicht weiterkommen. Dies gilt insbesondere für Immobilien, Erneuerbare Energien und das Gesundheitswesen.“

Dabei geht es bei den Grünstrom-Projekten nicht nur um Ökologie: „Zwar wollen viele Erneuerbare Energien – aber nicht vor der eigenen Haustür. Um diese Akzeptanz zu schaffen, muss vor Ort Überzeugungsarbeit geleistet werden.“ Eine Möglichkeit sei, neben der gesetzlich vorgeschriebenen Beteiligung der Gemeinde, dieser auch Energiepark-Anteile anzubieten. Hilfreich ist auch, lokale Projektierer zu wählen. Selbstredend müssen die Projekte ökonomisch Sinn machen. Schröder: „Wir haben über 200.000 genossenschaftliche Mitglieder und diese haben einen Renditeanspruch.“

Noch mehr als in Mittelhessen liegt aber der Schlüssel für eine erfolgreiche globale Transformation ob seines Bevölkerungswachstums, mit dem eine Infrastruktur mitwachsen muss, im globalen Süden. Dort führt der Weg zum ökologischen Fortschritt noch viel mehr über Ökonomie und sozialen Wohlstand. „Afrikaner haben andere Sorgen als unsere Klimaziele. Sie suchen Arbeit“, erklärt Ulrich Rieger vom Africa First Network, hinter dem auch der Familienunternehmer Martin Schoeller steht. Für Arbeitsplätze braucht es Investitionen und Privatwirtschaft. „Der deutsche Mittelstand wäre der beste Partner für Afrika“, so Rieger.

Cromwell Kebenei betont die Bedeutung der Governance und empfiehlt, über gleichgesinnte Organisationen vor Ort zu gehen. Bild: portfolio institutionell

 

Doch damit europäisches Geld nach Afrika geht – und das Geld reicher Afrikaner auch auf dem eigenen Kontinent investiert wird – braucht es Profite und Rechtssicherheit. „Wir arbeiten an einer Governance für Investoren“, so Cromwell Kebenei, ein Software-Unternehmer aus Kenia. Wichtig sei für Afrika-Investoren, über Organisationen vor Ort zu gehen, die ebenfalls an einer Transformation interessiert sind, und nicht über die Regierung, die nur das Geld wolle.

Als Beispiel einer nachhaltigen Transformation, die zur Gemeinwohleffizienz beiträgt, nennt Kebenei eine automatisiert gesteuerte Wasserleitung. Diese erspare es den Menschen, Wasserkanister über 20 Kilometer schleppen zu müssen, und helfe Krankheiten wie Cholera einzudämmen sowie Wasser effizienter zu nutzen. Eine Möglichkeit, Gemeinwohl, Profite, Sicherheit und Ökologie zusammenzubringen, bietet Microfinance. Michael Zink, Invest in Visions, teilt mit, dass man in der Region Subsahara Darlehen für Erneuerbare Energien vergebe, die mit sieben bis acht Prozent verzinst und mit den dort eingesetzten PV-Anlagen besichert werden.

Deutlich wurde auf der Ö3-Veranstaltung, dass Klimaziele allein nicht ausreichend sind. „Es braucht stabile regulatorische Rahmenbedingungen, die marktwirtschaftliche Umsetzungen ermöglichen. Angesichts knapper öffentlicher Kassen müssen Effizienzpotentiale bei der Energiewende genutzt werden, um die Akzeptanz abzusichern. Privat finanzierte Energiespeicher sind hierfür ein gutes Beispiel“, betonte Reinhard Liebing. Auch die Ökumene sei sinnvoll, um die Kräfte für die Transformation zu bündeln.

Was es ansonsten noch braucht, schrieb Franziskus in Laudato Si: „Das Problem ist, dass wir noch nicht über die Kultur verfügen, die es braucht, um dieser Krise entgegenzutreten. Es ist notwendig, leaderships zu bilden, die Wege aufzeigen, indem sie versuchen, die Bedürfnisse der gegenwärtigen Generationen unter Einbeziehung aller zu berücksichtigen, ohne die kommenden Generationen zu beeinträchtigen.“

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