Deutschlands Chefbankenaufseher will Bürokratie kappen
Deutsche Banken beklagen die übermäßige Regulierung. Wo er jetzt Prioritäten setzen will, erklärte Nikolas Speer nun in Berlin.
Die Komplexität in der Regulierung von Banken in Europa ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen. Und die Erfüllung der regulatorischen Anforderungen kostet die Institute viel Zeit. Darauf wies Nikolas Speer, Exekutivdirektor im Geschäftsbereich Bankenaufsicht bei der Bafin, vergangene Woche in seiner Rede anlässlich der Fachtagung Risikomanagement des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands (DSGV) hin.
Exemplarisch für die gestiegenen Regulierungsanforderungen nannte der seit April 2025 amtierende Exekutivdirektor die CRR-Verordnung sowie die Richtlinie über Eigenkapitalanforderungen (Capital Requirements Directive, CRD). Außerdem sprach er von zahlreichen technischen Regulierungsstandards und Leitlinien der Europäischen Bankenaufsicht, EBA.
„In Gesprächen höre ich es oft auch ganz direkt“, merkte Speer an, der in der Vergangenheit selbst aktiv als Banker tätig gewesen ist. „Einige von Ihnen sagen mir, dass sie viel zu viel Zeit damit verbringen, regulatorische Anforderungen zu erfüllen. Zeit, die Sie vom ‚echten‘ Risikomanagement abhält. Uns bei der Aufsicht ist klar, dass bei kleinen Instituten ganz erheblich Kapazität für die Erfüllung regulatorischer Anforderungen gebunden ist. Sie haben im Verhältnis zu ihrer Größe höhere regulatorische Kosten als global aufgestellte Banken. Was hier immer noch fehlt, ist Verhältnismäßigkeit!“ Deutschlands oberster Bankenaufseher erklärte, dass die Bafin dazu beitragen wolle, das zu ändern.
In Deutschland gibt es eine Vielzahl kleiner und mittelgroßer Banken
Hintergrund ist die Besonderheit des deutschen Finanzsystems, das im europäischen Vergleich durch eine Vielzahl kleiner und mittelgroßer Banken geprägt ist. „Rein zahlenmäßig sind rund zwei Drittel der Banken der SSM-Länder in Deutschland“, erklärte Speer mit Blick auf den einheitlichen Aufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism, SSM), der Teil der europäischen Bankenaufsicht ist. „Die Dinge sind also in Deutschland ziemlich anders als in den meisten anderen Ländern der Eurozone. Diese zahlreichen kleineren Institute, darunter auch die Sparkassen, sind wichtige Partner für den international angesehenen deutschen Mittelstand. Mit ihrer regionalen Struktur sind sie nah dran an ihren Kundinnen und Kunden. Sie vergeben Kredite für Investitionen und prüfen, ob Geschäftsmodelle auch morgen noch tragfähig sind.“
Speer zufolge haben allein die Sparkassen im vergangenen Jahr Kreditzusagen mit einem Volumen von 143 Milliarden Euro gemacht. Das sei ein ordentliches Plus gegenüber dem Vorjahr. „Mit fast 500 Unternehmen, davon 348 Sparkassen, fast 15.000 Geschäftsstellen, rund 290.000 Beschäftigte und mit einem Geschäftsvolumen von 3.420 Milliarden Euro – ist die Sparkassen-Finanzgruppe einer der größten Finanzdienstleister in Europa“, erklärte der Exekutivdirektor Bankenaufsicht anlässlich der DSGV-Fachtagung Risikomanagement am 12. November 2025 in Berlin. „Sie macht mehr als ein Viertel der Institute aus, die wir in Deutschland bei der Bafin beaufsichtigen; und erstaunliche 17 Prozent aller Institute in der Eurozone. Die Sparkassen sind wichtig für unser Finanzsystem. Und damit selbstverständlich auch wichtig für uns bei der Bafin.“
Die Bankenaufseher arbeiten laut Speer schon seit längerem an einer einfacheren, proportionaleren und risikoorientierteren Regulierung und Aufsicht. Das sei auch ein Schwerpunkt der Arbeit in den nächsten Jahren. „Das Ziel lautet: Wir setzen uns für Komplexitätsreduktion sowie Proportionalität ein und agieren risikoorientierter. Wir machen das auf nationaler, aber auch auf europäischer und globaler Ebene. Und zwar aktiv!“ Dabei geht es insbesondere um den Abbau von Bürokratie.
Speer machte in seiner Rede deutlich, dass eine komplexe EU-Regulierung kleine Institute nicht in die Knie zwingen dürfe. „Deshalb haben wir gemeinsam mit der Deutschen Bundesbank einen Vorschlag für ein Kleinbankenregime gemacht. Für eine proportionalere Regulierung und Aufsicht. Und zwar EU-weit.“
Der Ansatz zielt darauf ab, die komplexen risikobasierten Kapitalanforderungen durch die einfachere Verschuldungsquote, die Leverage Ratio, zu ersetzen. „Entscheidend ist: Als alleinige Kapitalanforderung läge die Leverage Ratio deutlich über dem Basel-III-Mindestwert von drei Prozent. So stellen wir sicher, dass trotz Vereinfachung genügend Kapital vorhanden bleibt, um mögliche Verluste aufzufangen. Und: Die meisten Liquiditätsanforderungen würden weiterhin gelten.“
Kleinbankenregime für die EU
Im Blickfeld hat die Bafin hierbei die kleinen Institute. „Mit einem regionalen Fokus, einem einfachen Geschäftsmodell und keiner Systemrelevanz“, so Speer, der anmerkte, dass eine Teilnahme freiwillig wäre. „Wir als Aufsicht behielten uns jedoch das letzte Wort vor, wer mitmachen dürfte. Wir schätzen, dass etwa 1.000 Banken grundsätzlich in Frage kämen. Viele von ihnen sind heute schon stärker kapitalisiert, als es die Regulierung verlangt.“ Entscheidend sei, dass für kleine Institute Erleichterungen kommen – und dass das System dabei stabil bleibt.
Solche Kleinbankenregime sind außerhalb der EU bereits etabliert. Es gibt sie Speer zufolge bereits in der Schweiz, im Vereinigten Königreich und auch in den USA. „Aber für die EU – und gerade für Deutschland mit seinem besonderen Bankenmarkt – käme unser Vorschlag einem Befreiungsschlag gleich“, wie er in Berlin anmerkte.
Zugleich räumte Speer ein, dass er nicht sagen könne, ob das Kleinbankenregime am Ende komme. „Aber eines kann man meiner Ansicht nach schon jetzt erkennen: Wir haben mitgeholfen, die Diskussion voranzubringen.“
Bafin überarbeitet Mindestanforderungen an das Risikomanagement
Anhand von zwei Beispielen führte Speer aus, wie die Bafin im Rahmen der bisherigen Regulierung an einer proportionalen und risikoorientierten Aufsicht arbeitet. „Wir sind gerade mittendrin, die MaRisk, also die Mindestanforderungen an das Risikomanagement, zu überarbeiten.“ Dabei gebe es einen Leitgedanken. Er sehe vor, die Komplexität rauszunehmen und die Proportionalität zu stärken. „Für weniger Komplexität nehmen wir beispielsweise Dopplungen raus. Dopplungen, die durch die teilweise Übernahme von EBA-Leitlinien in der MaRisk entstanden sind“, erklärte der oberste Bankenaufseher in Deutschland. Außerdem vermeiden wir eine übermäßige Detailtiefe. Wir wollen die Anforderungen weniger granular formulieren und stärker in Form von Prinzipien. Wir verzichten auch auf Vorgaben, die selbstverständlich und in der Praxis ohnehin gelebter Standard sind.
Anschließend kam Speer auf ein weiteres Beispiel aus der Verwaltungspraxis zu sprechen: den LSI-Stresstest, einen Test zur Überprüfung der Widerstandsfähigkeit kleiner und mittelgroßer Banken (Less Significant Institutions, LSI) gegenüber widrigen wirtschaftlichen Entwicklungen. „Den vereinfachen wir.“
Bafin und Bundesbank seien dazu bereits im Austausch mit der Kreditwirtschaft. „In der Aufsichtsmitteilung vom November haben wir dazu bereits Erleichterungen für kleine Institute aufgeführt. Zum Beispiel die Möglichkeit, auf inverse Stresstests zu verzichten, eine rollierende Aktualisierung nur einmal pro Quartal und die Nutzung von Standardszenarien der Verbunddienstleister – normativ wie ökonomisch. Für sehr kleine Institute haben wir festgelegt, dass sie nur einen risikoarten-übergreifenden Stresstest machen müssen.“ Auch für wesentliche Risiken sei jeweils nur ein Stresstest nötig.
IT- und Cybersicherheit waren Teil der Rede
In seiner Rede ging Speer auch auf Risiken ein, mit denen Banken im Kerngeschäft konfrontiert sind. Im Fokus steht hier beispielsweise die IT- und Cybersicherheit. „Wir analysieren laufend die Risiken für die Stabilität des Finanzsystems.“ Fast alle Umfragen bestätigen es: die Bedrohung durch Cyberrisiken steigt, so Speer. Fast ein Fünftel aller globalen Cyber-Vorfälle der vergangenen zwanzig Jahre habe Unternehmen des Finanzsektors betroffen. „Der Schaden beläuft sich laut Internationalem Währungsfonds (IWF) seit 2004 auf fast 12 Milliarden US-Dollar. Dabei stieg die Zahl der Vorfälle stetig – vor allem die von Cyber-Attacken.“
Kriminelle Akteure gingen immer professioneller und schneller vor, so Speer. „Diesem Wettlauf müssen wir uns entschlossen stellen. Wir beschäftigen uns bei der Aufsicht intensiv damit. Es gibt Risiken, die können wir messen und mit Kapital unterlegen. Mit den Methoden sind wir alle bestens vertraut. Aber beim Thema Cyber haben wir eine dynamische Situation. Kapitalregeln bringen uns nur begrenzt weiter. ‚Risk-Return‘ Überlegungen wie im Kreditrisiko sind hier kaum seriös anzustellen.“ Speer warnte, dass schwerwiegende Vorfälle nicht nur für einzelne Institute gravierende Auswirkungen haben, sondern schnell systemischen Charakter bekommen und enorme volkswirtschaftliche Schäden anrichten könnten.
„Alles steht und fällt hier mit einem guten Risikomanagement.“
NPL-Quote ist noch moderat
In seiner Rede bei der DSGV-Fachtagung Risikomanagement thematisierte Speer auch das Kreditrisiko der Institute und hier insbesondere das Risiko notleidender Kredite (Non-performing loans, NPL). Dieses sehe „im Durchschnitt – noch – ganz gut aus. Die NPL-Quote ist noch vergleichsweise moderat. Ich wäre allerdings kein guter Aufseher, wenn ich Ihnen nicht mitgeben würde, dass die NPL-Quote bei der aktuellen wirtschaftlichen Lage jederzeit schnell steigen kann.“
Die anwesenden Banker rief Speer dazu auf, vorbereitet zu sein. „Sie sollten in Ihren Kundenportfolien stets im Voraus überlegen, welche Auswirkungen wirtschaftliche Probleme – von Unternehmen oder Personen – haben könnten. Wir wissen natürlich, dass es auch im Sparkassenlager einzelne Ausnahmen und Ausreißer bei den Sparkassen gab. Fälle, in denen Schwachstellen beim Managen von Kreditrisiken offensichtlich wurden. Fälle, in denen Ihre internen Kontrollen nicht effektiv wirkten.“
Das Verhalten der Sparer verändert sich
Außerdem kam Speer auf das Thema Liquiditätsrisiken zu sprechen. Zwar betonte er, dass entsprechende Risiken in den vergangenen Jahren bei den Sparkassen kaum ein Sorgentreiber gewesen seien. Zurückzuführen sei das einerseits auf die Liquiditätsausgleichsfunktion im Verbund, andererseits auf die Treue der Privatkundinnen und -kunden. Ihre Einlagen blieben trotz geringer Verzinsung weitgehend stabil. „Sie können sich glücklich schätzen, dass es noch so ist. Wir beobachten allerdings auch ein zunehmend geändertes Kundenverhalten – gerade der jüngeren Bank-Kundinnen und Kunden“, betonte Speer. „Und wir rechnen damit, dass das noch sehr stark zunehmen wird. Sich vor diesem Hintergrund mit Ihrem Kundenangebot und Ihren Geschäftsmodellen im Hinblick auf die Zukunftsfähigkeit zu beschäftigen, ist essenziell – nicht zuletzt im Sinne eines längerfristigen Risikomanagements.“
Autoren: Tobias BürgerSchlagworte: Bafin | Banken | Risikomanagement
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