Recht, Steuer & IT
16. Dezember 2011

Doppelte Beitragspflicht vor dem Richter

Bei der privaten Weiterführung von Verträgen werden Direktversicherung und Pensionskasse von der Sozial­versicherung unterschiedlich behandelt. Die bAV-Träger dringen auf eine Klärung. Die Klage eines Rentners des
Gegenseitigkeitsversicherers BVV könnte Bewegung in die Sache bringen.

Vor etwa einem Jahr legte sich das Bundesverfassungsgericht (BVG) fest: Bei Direktversicherungen, die von einem Arbeitnehmer nach einem Versicherungsnehmerwechsel bis zum Leistungsfall ­privat weitergeführt werden, bleibt der privat finanzierte Anteil an der späteren Leistung aus der Direktversicherung in der Kranken- und Pflegeversicherung beitragsfrei (Beschluss vom 28. September 2010, A­z: 1 BvR 1660/08). Damit soll verhindert werden, dass zweimal ­Krankenversicherungsbeiträge zu entrichten sind. Das war die gute Nachricht. Die schlechte lautet: Das BVG ließ die Frage offen, ob ­seine Entscheidung auch für Leistungen aus Pensionskassen- und ­Pensionsfondsverträgen gilt.

Diese Situation nutzt der Spitzenverband der gesetzlichen ­Krankenversicherungen aus. Die Begründung des BVG lasse „keine rechtlich ausreichend stabile ­Aussage zu“, ob ­neben Leistungen aus der Direktversicherung zusätzlich auch ­Leistungen einer Pensionskasse von der Entscheidung erfasst werden, hieß es in einem ­Schreiben des Verbandes. „Hierzu bedarf es nach unserer Einschätzung weiterer Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auf der Grundlage der ­nunmehr vom BVG ­skizzierten Ausrichtung“, war zu ­lesen.

Die Krankenkassen haben offensichtlich kein besonders ­großes Interesse daran, dass schnell ein höchstrichterliches Urteil ­zustande kommt, das auf alle vergleichbaren Fälle angewandt werden kann. Eine Chance, diese Hängepartie zügig zu beenden, wurde Mitte ­Januar  vertan. Am 12. Januar­ dieses Jahres sollte das Bundessozial­gericht den Fall, über den die Verfassungsrichter urteilten, endgültig entscheiden. Doch die Parteien verglichen sich. Daher konnten sich die Richter nicht zur Tragweite der ­verfassungsrechtlichen Entscheidung äußern. Seitdem schlagen sich die Pensionskassen mit diesem 
Dilemma und den Anfragen verärgerter Rentenempfänger herum. 

Doch es bahnt sich allmählich eine Klärung an. Ein Rentner des BVV Versicherungsverein des Bankgewerbes a. G., der seine Pensions­kassenversorgung privat fortgeführt hatte, zog vor das ­Frankfurter Sozial­gericht. Das bestätigte auf Nachfrage von portfolio institutionell Marco Herrmann, LL.M., Leiter Strategie, Recht und Kommunikation des 1909 gegründeten BVV in Berlin. Der Versicherungs­verein auf ­­Gegenseitigkeit, der als Zahlstelle immer wieder Anfragen ­verärgerter Rentner ­erhält, will die Angelegenheit endlich geklärt haben. Aus diesem­ Grund steht der BVV seinem ­Mitglied mit fachlicher Hilfe in dem ­Prozess zur ­Seite und sieht ­Anzeichen, dass die Pensionskasse ­künftig in gleicher Weise ­behandelt werden könnte wie die ­Direktversicherung. „Als ­entscheidendes ­Kriterium für die ­Beitragspflicht zur ­Kranken­versicherung der ­Rentner gilt, ob mit der privaten Fortführung der institutionelle Rahmen des Betriebsrentenrechts verlassen wird. Aus unserer Sicht ist diese ­Bedingung in dem vorliegenden Fall ­erfüllt“, stellt Marco Herrmann fest. Auch Michael Karst, Leiter Legal/Tax von Towers Watson Deutschland glaubt, dass dieses strukturelle Argument vor Gericht entsprechend­ gewürdigt wird: „Das Bundessozialgericht hat sich bis 2010 die Sache vergleichsweise­ einfach gemacht. Was einmal ­betriebliche Alters­versorgung ist, bleibt immer betriebliche ­Alters­versorgung, lautete die bisherige Argumentation. Die ­Bundes­verfassungsrichter sahen zwar auch einen großen Bedarf an ­typisierender Betrachtung, zogen aber eine Grenze, ab der der ­Regelungsbereich der bAV verlassen wird. Übernimmt der ­Arbeit­nehmer den Versicherungsvertrag, gerät er so nahe an eine ­private Versicherung heran, dass eine Weiterbehandlung als bAV nicht mehr infrage kommt.“ Karst denkt, dass die Ungleichbehandlung von Direktversicherung und Pensionskasse ­angesichts ­dieser ­Argumentation vor Gericht keinen Bestand haben dürfte. 

„Die Richter verlangen im Fall der Direktversicherung, dass der Arbeitnehmer in die bisherige Versicherungsnehmerstellung des ­Arbeitgebers eintritt“, setzt Marco Herrmann die Erläuterung fort. „Bei der BVV Pensionskasse gelten sowohl der Arbeitgeber als auch der ­Arbeitnehmer als Versicherungsnehmer. Sie gehören als Mitglieder­ dem Versicherungsverein an. Laut Versicherungsaufsichtsgesetz ­bedingen sich Mitgliedschaft und Versicherungsnehmereigenschaft gegenseitig“, erläutert er weiter. Also komme es bei der Pensions­kasse nicht darauf an, dass der Arbeitnehmer bei privater Fortführung in die Versicherungsnehmerstellung rückt, da er diese schon innehabe.

„Lediglich der Arbeitgeber muss diese Position verlassen, damit der Arbeitnehmer zum alleinigen Versicherungsnehmer wird“, fügt Herrmann hinzu. Dafür erfüllt der BVV die Voraussetzungen. Die Vergabe einer neuen Versicherungsnummer durch den ­Versorgungsträger hatte das Landessozialgericht Baden-Württemberg in einem Urteil vom 1. März 2011 noch einmal explizit als Merkmal der ­Herauslösung einer Direktversicherung aus dem institutionellen ­Rahmen der betrieblichen Altersversorgung genannt (Az: L 11 KR 2421/09). Diese Argumentation greift aber nur bei ­Direkt­versicherung und Pensionskasse. Auf den Pensionsfonds lässt sich die typisierende Abgrenzung nach Meinung von Michael Karst nicht übertragen. „Bei einem Pensionsfonds kann ein Arbeitnehmer ja nicht wie bei einer Direktversicherung oder Pensionskasse ­Versicherungsnehmer ­werden.“ 

_Für Freude ist es noch zu früh

Doch die Pensionskassen dürfen hoffen. „In der ersten Instanz vor dem Sozialgericht erhielt der Kläger bereits einstweiligen ­Rechtsschutz“, erklärt Rechtsanwalt Maik Röhl, LL.M., der beim BVV das Verfahren begleitet. „Das Gericht verneinte im einstweiligen ­Verfahren vorläufig eine Pflicht zur Abführung von Beiträgen an die Kranken­versicherung der Rentner.“ Es bestehe damit die Möglichkeit, dass die Richter im Hauptsacheverfahren ähnlich entscheiden. „Wenn es beim Gericht nicht zumindest Zweifel an der Rechtmäßigkeit der ­Beitragspflicht gegeben hätte, wäre die Abführung der Beiträge nicht vorläufig ausgesetzt worden“, ergänzt Röhl. Voreilige Freude ist ­dennoch fehl am Platze. „Die Kranken­versicherungsträger werden sich nur einer höchstrichterlichen ­Entscheidung beugen. Das ­Verfahren geht mit großer Wahrscheinlichkeit durch alle Instanzen. Währenddessen können einige Jahre ins Land ziehen“, dämpft Herrmann die Erwartungen. In diesem ­Zusammenhang taucht die Frage nach der Verjährung auf. Der GKV-Spitzenverband hatte im Dezember 2010 gegen­über dem Gesamt­verband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) klargestellt, wie damit umgegangen werden soll: Für die Rückerstattung gilt die vierjährige Verjährungsfrist nach Paragraf 27 SGB IV. Es sei denn, die ­betroffenen Rentner legen in Kenntnis der anhängigen Musterprozesse ebenfalls Widerspruch ­gegen den Beitrags­bescheid ein. Durch das Rechtsmittel wird zwar die Ver­jährung unterbrochen, die Beiträge müssen jedoch zunächst ­gezahlt werden. Allerdings hatte der Spitzenverband 2004 in einem ähn­lichen Zusammenhang erklärt, dass seine Mitglieder auf die ­Einrede der Verjährung verzichten sollten. Daraus könnte nach ­Ansicht von BVV-Mann Marco Herrmann ein gewisser Vertrauenstatbestand ­erwachsen sein. 

_Mehrfacher Arbeitgeberwechsel und Brüche

Die private Fortführung von Verträgen aus der betrieblichen ­Altersversorgung wird noch zunehmen, weil die Erwerbsbiografien vieler Arbeitnehmer mittlerweile durch einen mehrfachen Arbeitgeber­wechsel und durch Brüche gekennzeichnet sind. Dadurch ergibt sich häufiger die ­Veranlassung, in den Pausen zwischen zwei Arbeitsverhältnissen ­Beiträge aus der eigenen Tasche zu bezahlen und einen ­Versicherungsnehmerwechsel durchzuführen. Das ­erschwert aber ­zugleich die Vertragsverwaltung, weil später ­ausgerechnet werden muss, welcher Leistungsanteil nicht ­beitragspflichtig ist.

„Ein neueres Urteil des Bundessozialgerichts liefert allerdings ­eine beherrschbare Methodik für die Abgrenzung“, erklärt Karst. „­Danach müssen die Versorgungsträger die gesamte Ablaufleistung in Relation zu den Prämien, die jeweils als bAV-Vertrag und als privat ­fortgeführter Vertrag gezahlt worden sind, aufteilen.“ Es darf somit ein einfache, pauschalisiertes Verfahren angewandt werden, dem eine prämienanteilige Betrachtung zugrunde liegt. „Die Ermittlung des konkreten Zuwachses, den die einzelnen Prämien bewirken, wäre deutlich komplexer. Frühere Beiträge führen schließlich zu einem ­höheren Zinsertrag als die Beiträge kurz vor Rentenbeginn“, sagt ­Michael Karst.

portfolio institutionell 16.12.2011

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