Pensionskassen
13. April 2023

ALM-Strategien für den Run-off

Die Lebensdauer institutioneller Kapitalsammelstellen ist theoretisch unbegrenzt. Doch die Realität ist eine andere angesichts von „Run-offs“ bei Versicherungen und Pensionskassen. Sie müssen ihre Asset-Allokation auf ihr bevorstehendes Ende ausrichten. Wie sie dabei vorgehen, lesen Sie hier.

In den vergangenen Jahren haben mehrere deutsche Lebens­versicherer ihr Geschäft für neue Kunden geschlossen. Stattdessen wickeln sie den Bestand ab, bis der letzte Kunden ausgeschieden ist. Manchmal verkaufen sie die Bestände aber auch an Unternehmen, die auf die Fortführung der Verträge spezialisiert sind: Im deutschen Markt spielt dieser externe Run-off geschlossener Versicherungsbestände eine wichtige Rolle. Das betonte Dr. Frank Grund während einer Rede beim „SZ-Versicherungstag“ im Februar. Wie der Exekutivdirektor Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht der Bafin darin zum Beispiel ausführte, sichern Run-off-Plattformen ihre Zinsrisiken durch liquide Anlagen ab. „Und über illiquide ­Anlagen streben sie dann einen Zusatzertrag an. Zum Beispiel über Private Debt.“

Was Grund nicht ansprach, ist, dass Run-off-Plattformen alle kurzfristig auf der Verpflichtungsseite anfallenden Auszahlungen mit den Cashflows aus Kapitalanlagen eins zu eins abbilden. In der ­Regel erfolgt ein solches Cashflow Matching auf Sicht der nächsten drei bis fünf Jahre. In der längeren Frist streben die Run-off-­Spezialisten ein Durations-Matching zwischen ihren Zahlungspflichten, die sich trotz Run-offs noch über Jahrzehnte erstrecken können, und den Kapitalanlagen an. Dafür kaufen sie zum Beispiel Staatsanleihen. Denn sie sind in der Regel die einzige Anlageform, mit der sich die hohe Duration auf der Passivseite einigermaßen abgleichen lässt. Andere Anleihen und illiquide Anlagen kommen in diesem Zusammenhang eher seltener infrage, weil ihre Laufzeit nicht an die der ­langfristigen Staatsanleihen heranreicht. Dennoch sind sie – ­sofern sie planbare Cashflows abwerfen – ebenfalls geeignet. Ebenfalls ­unerwähnt blieb in der Rede von Frank Grund, dass Private-Debt-Anlagen häufig variabel verzinst werden. In Zeiten steigender ­Zinsen ist das für Geldgeber lukrativ. Aber es ­entsteht eine Durations-Lücke.

Asset-Allokation geschlossener Pensionskassen

Pensionskassen sind gemäß Paragraf 232 Versicherungsaufsichtsgesetz „Lebensversicherer, die wegfallendes Erwerbseinkommen versichern“. Sie haben ihre Kapitalanlagen nach dem Grundsatz der unternehmerischen Vorsicht anzulegen. Für ihr Sicherungs­vermögen bestehen darüber hinaus die Vorschriften der Anlage­verordnung, die unter anderem neben einem Anlagekatalog ­detaillierte quantitative Vorschriften zur Mischung und Streuung einschließlich der Anlagen bei Trägerunternehmen enthalten.

Die Struktur der Kapitalanlagen geschlossener Pensionskassen folgt ­eigenen Regeln. Und die Rahmendaten sind hier von Kasse zu ­Kasse individuell. „Man muss Pensionskassen immer im Einzelfall betrachten“, sagt Dr. Holger Schalk. Er arbeitet im Insurance ­Consulting von WTW und erläutert: „Wenn eine Pensionskasse geschlossen ist, bedeutet das nicht, dass sie in spätestens 30 oder 40 Jahren abgewickelt sein wird.“ Der ­Prozess kann deutlich länger dauern, wenn die Mitglieder noch mitten im Berufsleben stehen und auch ihre im Todesfall anspruchsberechtigten Hinterblie­benen weit vom eigenen Lebensende entfernt sind.

Rentnerüberhang nicht nur bei Peugeot

Bereits seit 20 Jahren ist die Pensionskasse Peugeot Deutschland VVaG für Neuzugänge dicht. In der Bafin-Pensionskassenstatistik liegt die 1971 gegründete Firmenpensionskasse mit einer Bilanzsumme von rund 50,5 Millionen Euro (Stand: 2020) im unteren Viertel auf Platz 111 von insgesamt 135 Einrichtungen. Die Kasse ist nicht nur klein, sondern weist auch einen erheblichen Rentner­überhang auf. Ihren 276 Anwärtern stehen in der ­Statistik 876 Ruheständler gegenüber. Auf jeden Anwärter kommen damit knapp 3,2 Rentner. Eine ähnlich hohe (und noch höhere) Quote gibt es unter den 111 größten Pensionskassen acht Mal. Bei den 68 Kassen in der unteren Hälfte der Statistik gibt es viel mehr Kassen, bei denen der Anteil der Rentner deutlich über dem der Anwärter liegt.

Doch das muss aus Sicht der Bafin, die um die Stabilität der ­Einrichtungen besorgt ist, kein Problem sein. Zum Beispiel, wenn die jeweilige bAV-Einrichtung über ein vermietetes Immobilienportfolio verfügt, das im Laufe vieler Jahre an Wert gewonnen hat und auch nach Abzug von Aufwendungen zur energetischen ­Sanierung sehr gut planbare Cashflows abwirft.

Luxusproblem der Überdeckung

Die Finanzaufsicht achtet akribisch darauf, dass das Sicherungsvermögen der Kassen ihre versicherungstechnischen Verpflichtungen (Stichwort: „Bedeckungsquote“) übertrifft. „Wenn die Vermögenswerte extrem ­gewachsen sind, haben diese Kassen eine sehr hohe Überdeckung“, sagt Dr. Oliver Dichter, Leiter des Geschäftsbereichs für Anlage­strategien bei PPCmetrics in der Schweiz. „Solche Kassen können die Wertschwankungsreserve, die sie haben, risikoreich anlegen. Das ermöglicht es ihnen, neben der nahezu perfekten Absicherung der Rentenzahlungen noch Anlagen zu tätigen, um eine Zusatz­rendite zu generieren. Damit könnten dann Rentenerhöhungen ­finanziert werden oder einmalige Zusatzzahlungen.“

Nach Angaben von Oliver Kunkel, Partner bei PPCmetrics, gibt es auch in der Schweiz geschlossene Pensionskassen mit nur noch wenigen aktiven Versicherten. Das seien aber nicht sehr viele. „Die meisten Kassen haben einen Rentneranteil zwischen 20 und 40 Prozent. Darin spiegelt sich zum Teil auch die Bevölkerungsstruktur in der Schweiz wider“, sagt Kunkel. „Je mehr aktive Arbeitnehmer sich in einer Pensionskasse befinden, umso einfacher ist es, ­eine mögliche Unterdeckung auszufinanzieren. Sei es durch ­eine geringere Verzinsung für die Aktiven oder im Extremfall mit Sanierungsbeiträgen von den Arbeitgebern oder von den Aktiven.“

Nachhaltigkeit der Ertragskraft

Wenn Pensionskassen geschlossen werden, sinkt die Zahl der ­Beitragszahler kontinuierlich. Rückläufige Beitragseinnahmen müssen dann durch Erträge aus Kapitalanlagen ersetzt werden. Vor dieser Herausforderung steht die Pensionskasse für die Angestellten der Barmer Ersatzkasse. Dort wurde das Neugeschäft 1988 ­eingestellt. Bei der Nummer 26 unter den deutschen Pensions­kassen mit einer Bilanzsumme von rund 1,9 Milliarden Euro ­stehen 4.150 Anwärtern 6.005 Rentner gegenüber. Doch schon jetzt übertreffen die laufenden Rentenzahlungen die laufenden Beitrags­einnahmen deutlich. Ab dem Jahr 2034 wird die Pensionskasse – aufgrund des fehlenden Neugeschäfts – voraussichtlich überhaupt keine Beiträge mehr einnehmen.

In der Schweiz gibt es einige geschlossene Pensionskassen mit nur noch wenigen aktiven Versicherten, sagt Oliver Kunkel vom Berater PPCmetrics in Zürich.
In der Schweiz gibt es einige geschlossene Pensionskassen mit nur noch wenigen aktiven Versicherten, sagt Oliver Kunkel vom Berater PPCmetrics in Zürich.

Damit gewinnt die Nachhaltigkeit der Ertragskraft der Kapitalanlagen „eine besondere Bedeutung“, erläutert die bAV-Einrichtung. Dem Asset-Liability-Management – also der Steuerung der Bedeckung der versicherungstechnischen Verpflichtungen durch das Sicherungsvermögen – kommt hier ­eine große Bedeutung zu. ALM-Spezialist Holger Schalk von WTW sagt: „Wenn eine Kasse cashflow-negativ ist und nur noch eine ­begrenzte Zeit vor sich hat, müssen die Cashflows auf der Kapitalanlageseite berechenbarer, sicherer und einfach planbarer sein.“ Die Netto-Cashflows der Passivseite müssen also durch sichere Cashflows auf der Aktivseite bedeckt werden.

Praxisfall Barmer Pensionskasse

Doch was heißt das für die Kapitalanlagestruktur? Kontinuität und Berechenbarkeit der Erträge sind bei der Barmer-PK wichtiger als die Maximierung der Rendite. Sie verfolgt daher das Ziel, ein Portfolio mit „Absolute-Return“-Charakter aufzubauen, welches in ­jedem Marktumfeld mit hoher Sicherheit stetige Cashflows und ­eine Rendite oberhalb der betriebsnotwendigen Mindestver­zinsung erzielt.

Den Anlageschwerpunkt bilden Festverzinsliche. Weitere Säulen des Portfolios sind Immobilien, Infrastruktur und Senior Loans. Auch Holger Schalk von WTW betont, dass sichere Cashflows zur Bedeckung laufender Rentenverpflichtungen nicht nur aus sicheren Bonds mit Investment Grade stammen müssen. Planbare Cashflows gebe es auch im illiquiden Bereich, etwa bei ­vermieteten Wohn- und Gewerbeimmobilien. „Das kann auch ein vollständig versicherter Windpark sein, der seit beispielsweise fünf Jahren am Netz ist. Hier kennt man die Winderträge, man weiß, welche Schwankungen einen erwarten. Und weiß, wann das Repowering ansteht“, so Schalk.

Der Windpark sei zwar auch eine riskante Kapitalanlage. „Aber ich weiß relativ sicher, was an ­Cashflow ankommt.“ Die Lenker geschlossener Kassen müssen ­ihre Kapitalanlagen also einzeln betrachten und sich fragen, was man an sicheren Cashflows generieren kann. Und was der ­Pensionskasse zur Verfügung steht, um die passivseitigen Netto-Cashflows zu bedecken. „Und das würde man als ersten Ansatz ­rollen“, so Schalk weiter. Damit solle sichergestellt werden, dass die Kasse in den nächsten 15 bis 20 Jahren immer sicher aufgestellt ist und keine Probleme auf der Liquiditätsseite bekommt.

20 Jahre reines Cashflow-Matching sind meist genug

Viel länger als 20 Jahre reines Cashflow-Matching muss eine Pensionskasse eher selten betreiben. „Aber es kommt natürlich auf die Risikokapitalausstattung an“, warnt Schalk. Diese ermittelt man, indem man den Status der Pensionskasse im Rahmen einer ALM-Projektion zu einem Stichtag ökonomisch bestimmt. Dabei werden Liquiditätsströme der Passivseite sichtbar. Und es lassen sich die Anforderungen für die Kapitalanlage bestimmen. Bevor eine Kasse sich Gedanken über höher rentierliche Kapitalanlagen machen kann, muss sie also sicherstellen, dass sie die Rentenzahlungen überhaupt leisten kann. Schalk: „Oberstes Ziel einer Pensionskasse ist es, ihre Rentenzahlungen sicher zu bedecken. Das bedeutet, ich muss mit sehr sicheren Cashflows dieser Verpflichtung nachkommen. Wenn dann noch etwas übrigbleibt, dann kann ich auch – und das ist ja auch im Sinne der Versicherten – versuchen, Zusatzrendite zu erwirtschaften.“

Dr. Holger Schalk von WTW
Die Lenker geschlossener Pensionskassen müssen ihre Kapitalanlagen auf die mit ihnen erzielbaren Cashflows abklopfen, sagt Dr. Holger Schalk von WTW.

Denkbar ist aber, dass die ALM-Studie ergibt, dass die für sicheren Anlagen erzielbaren Erträge gerade so ausreichen, den eigenen Rechnungszins zu erwirtschaften. In dem Fall ist also kein Risikokapital für Anlagen in höher rentierliche Assets frei. Wobei man diese Aussage auch nicht verallgemeinern sollte. Denn die meisten Pensionskassen in Deutschland haben ein Trägerunternehmen im Hintergrund. Und dort wird am Ende entschieden.

Schalk: „Seit ­einigen Jahren findet die Diskussion auf der Strategieebene nicht mehr nur mit den Kassen statt, sondern mit den Kassen und den Trägern. Damit ist auch eine klare Erwartungshaltung der Träger verknüpft: Was macht meine Kasse eigentlich und welche Risiken gehe ich mit ihr ein?“ Schalk erinnert daran, dass die Nachschussverpflichtung beim Trägerunternehmen bleibt. Gibt es hingegen keinen solventen Träger, der der Kasse notfalls unter die Arme greifen kann, engt sich der Spielraum für die Kasse ein. „Dann steht die Frage im Raum, ob sie sich überhaupt riskante Kapitalanlagen leisten kann“, kommentiert Schalk. In einem solchen Fall sei das Thema Cashflow-Matching noch bedeutsamer.

Einfache Anlagen sind gefragt

Pensionskassen sollten versuchen, möglichst einfache Anlagestrukturen einzurichten. Oliver Kunkel von PPCmetrics warnt vor dem Aufbau „behäbiger Tanker“. Wichtig sei in jedem Fall, die Komplexität zu senken. Kassen mit nur noch begrenzter Lebensdauer rät er beispielsweise, die Zahl ihrer KVGen zu minimieren und auch bei den relevanten Anlagekategorien kürzerzutreten. Statt zum Beispiel das Geld auf ein Dutzend und mehr Anlage­kategorien zu verteilen, sollte man den Fokus auf die wichtigsten Blöcke richten: „Das sind Anleihen in Euro, Anleihen Welt, Aktien in Euro, Aktien Welt und vielleicht noch die eine oder zwei andere Kategorien.“ Durch das Raster fallen sollten Anlagen mit komplexeren Strukturen. Auch das senke die Kosten ohne die Rendite zu schmälern.

Tobias Bockholt, Head of Investments Germany bei WTW, rückt im Run-off-Kontext den Rentendirektbestand ins Blickfeld. Er sagt: „Wenn eine Pensionskasse nur noch zehn Jahre Zeit hat, wird sie vermutlich sehr stark im Direktbestand unterwegs sein.“ Dann ­seien Aspekte wie eine Investmentarchitektur mit KVG kein ­Thema mehr. Und die Komplexität sinkt. „Im Idealfall habe ich noch zehn Bonds im Portfolio, von ­denen jedes Jahr einer ausläuft und im Prinzip die geplanten ­Cashflows deckt. Dazu brauche ich eine ­Depotbank. Punkt.“ Die Effizienz sollte man also frühzeitig ­adressieren, rät auch er, und zwar nicht nur im Run-off, sondern als Kapitalsammelstelle generell. Bockholts Kollege Holger Schalk rundet das Thema mit seinem eigenen Blick auf den Direkt­bestand ab. Und er stellt fest, dass dieser für Pensionseinrichtungen wieder wichtiger wird. Zurückzuführen sei der Trend auf die HGB-Präferierung von Direktbeständen, weil diese dann nicht abschreibungsgefährdet seien. Nachdem viele Kassen ihren Direktbestand herunter­gefahren hätten, rechnet Schalk nun mit deren Wiederaufbau. „Wir sehen ein Revival des Direktbestands“, so der Experte.

Für Neuzugänge geschlossene Pensionskassen und Versicher­ungen müssen besonders umsichtig sein, wenn es um die Zusammensetzung ihrer Kapitalanlagen geht. Dafür kommen aber nicht ­immer nur Festverzinsliche infrage. Für eine auf Rosen gebettete ­Pensionskasse ergibt sich hingegen das Luxusproblem, das Ver­mögen im Zeitablauf zu liquidieren und den Erlös fair auf die ­Begünstigten zu verteilen. Aber das ist ein anderes Thema.

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