Recht, Steuer & IT
22. April 2024

Auch Projektentwickler sehen Chancen in der Krise

Die Krise in der Immobilienwirtschaft reißt zunehmend mehr Projektentwickler in die Tiefe und setzt deren Geldgeber unter Druck. Dabei ergeben sich auch Chancen. So mancher Akteur steht an der Seitenlinie bereit für den Einstieg.

Der Bau von Mehrfamilienhäusern, Bürotürmen und Shopping-Centern ist für viele Menschen in der Immobilienwirtschaft eine Aufgabe, der sie sich mit Leidenschaft widmen. Das trifft auf Architekten ebenso zu wie auf wagemutige Projektentwickler und die vielen Handwerker, die in ihren Gewerken Immobilien zum Leben erwecken. Seit Beginn der Zinswende vor zwei Jahren muss man die Leidenschaft der Menschen, die rund um die Immobilienwirtschaft ihr Auskommen suchen, mit anderen Augen sehen. Denn seit Sommer 2023 rollt eine bis dahin kaum vorstellbare Insolvenzwelle durch die Projektentwicklerlandschaft in Deutschland.

„Die Projektentwickler sind immer der Seismograph der Immobilienwirtschaft“, sagt Torsten Hollstein, Geschäftsführer der CR Investment Management, ein auf sogenannte Workout- und Turnaround-Situationen spezialisierter Transaktionsberater und Asset Manager. Und die Erschütterungen, die man hier verspürt, finden sich in allen Nutzungsarten wieder.

Stefan Dölker, Rechtsanwalt und Managing Partner der Silverton Group mit Hauptsitz in Frankfurt am Main, macht deutlich, wie komplex die Situation ist: „Wir kommen von einem sehr hohen Preisniveau für Wohn- und Gewerbeobjekte. Dieses war in vielen Fällen getrieben durch günstiges Geld und der Hoffnung, dass die Preise noch weiter steigen. Seit 24 Monaten erleben wir aus Projektentwicklersicht jedoch den perfekten Sturm.“ Dölker und seine Kollegen beraten Banken, Investoren und andere Darlehensgeber bei der Analyse ihrer Kreditengagements oder auch beim Verkauf oder Kauf von Darlehen und Immobilien. Außerdem bewertet Silverton Bestandsimmobilien sowie Projektentwicklungen und entwickelt Businesspläne und Strategien für die Finanzierungsseite.

Projektentwickler im Epizentrum

Im Gespräch mit unserer Redaktion streift Stefan Dölker zunächst die Inflation, steigende Baukosten und die Zinswende, bevor er tiefer in die komplexe Materie eintaucht: Weil die Finanzierungskosten in die Höhe geschossen sind, lassen sich beim Verkauf eines fertigen Projekts nicht mehr die Preise erzielen, mit denen die Projektierer und deren Geldgeber ursprünglich kalkuliert hatten. Für Unternehmen mit dünner Eigenkapitaldecke kann das das schnelle Aus bedeuten.

Hinzu kommt im wohnwirtschaftlichen Bereich, dass Privatkunden kaum noch vorhanden sind. „Im Bürobereich ist das Thema Homeoffice von erheblicher Bedeutung für die gegenwärtige Lage“, wie Finanzierungsexperte Dölker verdeutlicht. Er sagt, es gebe viele Bürogebäude, die den sich verändernden Arbeitsgewohnheiten ebenso wenig entsprechen wie den zunehmend anspruchsvollen ESG-Standards. Für sie interessierten sich deshalb kaum noch Mieter. Das macht die Objekte abseits der gefragten Innenstadtlagen für institutionelle Immobilienkäufer uninteressant. „Der einzige Parameter, der sich nach den früheren Annahmen in vielen Fällen bewahrheitet hat, sind die Mieten: Sie sind in vielen Fällen gestiegen. Aber sie können die anderen Risiken nicht auffangen.“

Der Immobilienkauf per Forward Deal war weit verbreitet

Die geschilderten Probleme belasten die gesamte Immobilienwirtschaft. „Um erfolgreich zu sein, müssen Projektentwickler den Entwicklungsprozess in jedem Fall aufmerksam organisieren. Sie sind aber auch bestrebt, ihre Produkte je nach Projekt und Risikoappetit vorzeitig oder am Ende des Projektes zu veräußern“, sagt Torsten Hollstein von CR Investment Management (CR).

In der Niedrigzinsphase hatten zahlreiche institutionelle Investoren noch nicht gebaute Immobilien per Forward Deal gekauft (zum Beispiel die Barmenia, die Kreissparkasse Böblingen, die Bayerische Ärzteversorgung, die Versicherungskammer und die Allianz). Das war damals für beide Seiten sinnvoll. Der Investor sicherte sich eine Liegenschaft, die seinen Wünschen in einer definierten Kaufpreisspanne entsprach, wodurch auch der Projektentwickler kalkulieren und zugleich neue Vorhaben in Angriff nehmen konnte. Häufig kümmert sich der Entwickler bei Forward Deals auch um die Vermietung der neuen Gebäude.

Torsten Hollstein, CR Investment Management

 

Aufgrund steigender Baupreise rechnen sich manche Forward Deals nun nicht mehr. Dann muss nachverhandelt werden. Auf die Investoren kommen also steigende Kosten zu. Im schlimmsten Fall tritt der Käufer vom Kauf zurück, zahlt dafür eine Vertragsstrafe und lässt den Entwickler mit seinem Projekt in der Luft hängen. „Die Krise, die wir im Bereich der Projektentwickler haben, ist eine Folge davon, dass der Markt an fast allen Stellen – und man kann die verschiedenen Arten der Projektentwickler durchgehen – zum Stillstand gekommen ist“, sagt Torsten Hollstein, der mit seinem Team versucht, komplexe oder notleidende Portfolios so zu gestalten, dass deren Wert steigt.

CR soll Immobilien der Alpha Real Estate zu Geld machen

Aktuell arbeitet CR daran, den Immobilienbestand der in der Insolvenz befindlichen Alpha-Real-Estate-Gruppe zu veräußern. Die Gruppe hatte Mehrfamilienhäuser gekauft mit dem Ziel, die Objekte aufzuteilen und einzeln an Kapitalanleger zu vertreiben und energetisch zu sanieren. Im Dezember 2023 haben die Alpha Real Estate Holding GmbH und ihre 13 Gesellschaften beim Amtsgericht Mannheim jeweils einen Antrag auf Insolvenz in Eigenverwaltung gestellt.

Bei einer Insolvenz in Eigenverwaltung behält die Geschäftsführung das Heft des Handelns in der Hand und übt während der Sanierung die Verfügungsgewalt über das Unternehmen aus. Anders als bei der Regelinsolvenz heißt in der Eigenverwaltung der Insolvenzverwalter „Sachwalter“. Er beaufsichtigt und genehmigt die Handlungen der Geschäftsführung, die von insolvenzerfahrenen und vom Gericht genehmigten Beratern betreut wird. (Hintergrundinformationen über die Aufgaben eines Sachwalters in der Eigenverwaltung finden Sie zum Beispiel bei CMS Deutschland und White & Case.)

Die Zweckgesellschaften der Alpha Real Estate wurden von unterschiedlichen Finanzierungskonsortien finanziert, was im Rahmen der Sanierung die Komplexität erhöht. CR führt ein strukturiertes Bieterverfahren durch. Das soll den erzielbaren Verkaufserlös des Alpha-Real-Estate-Portfolios maximieren. „Es gibt sehr großes Interesse an den Bestandsobjekten“, lautet Hollsteins Botschaft. Zugleich vermutet der Experte, dass es im Moment wohl kaum eine Versicherung gibt, die selbst direkt Immobilien kauft. „Aber das haben sie in der Vergangenheit ja auch nicht unbedingt getan. Wir denken, es sind Bieter dabei, die auch weiterhin mit dem Geld von deutschen institutionellen Investoren – das heißt Versicherungen und Pensionskassen – tätig sind und einkaufen“, so Hollstein mit Blick auf das anstehende Bieterverfahren.

Zahlreiche Insolvenzen in kurzer Zeit

Weithin sichtbare Probleme gibt es seit einiger Zeit bei ins Stocken geratenen Bauvorhaben – und Projektentwicklern, denen das Wasser bis zum Hals steht. Eine Auswahl: Im August vergangenen Jahres kam es binnen kurzer Zeit zu einer Reihe von Insolvenzen, zum Beispiel bei der Firma Euroboden. „Unser Marktumfeld hat sich drastisch verändert und für uns als Projektentwickler haben sich wesentliche Parameter verschlechtert“, wie Geschäftsführer Martin Moll wenige Wochen zuvor erklärte.

In Schieflagen gerieten unter anderem auch Gesellschaften der Project-Gruppe aus Nürnberg, der Gerch Group sowie der Interboden-Unternehmensgruppe. Der familiengeführte Immobilien-Projektentwickler hatte das Holzhybrid-Bürogebäude „The Cradle“ in Düsseldorf entwickelt und war damit einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden. Interboden befindet sich seit Anfang Februar mit mehreren Gesellschaften in Insolvenzverfahren. Hinter allen diesen Firmen stehen Bauvorhaben, bei denen nun geklärt werden muss, ob und wie sie durchfinanziert und zu Ende gebaut werden können.

Generell sei das Interesse an vermieteten Immobilien viel größer als an steckengebliebenen Projektentwicklungen, die zusätzliche Risiken aufweisen, sagt Torsten Hollstein. Erschwerend hinzu kommt, dass ein geplantes Bürohaus infolge der schlechten Publicity rund um die Insolvenz der Projektgesellschaft gewerbliche Mietinteressenten abschrecken kann. Wenn diese deshalb abspringen, schmälert das den Wert der Projektentwicklung zusätzlich und verschärft so die Krise der Projektierer und ihrer Geldgeber.

Darlehensgeber, die mit der Krise am Bau konfrontiert sind, sind längst nicht nur klassische Banken. Auch Pensionskassen und Versicherungen haben direkte Kredite gegeben – etwa in Form von Schuldscheindarlehen. Darlehensnehmer sind häufig die Projektgesellschaften selbst. In der Vergangenheit haben aber auch regelmäßig die den Projektgesellschaften übergeordneten Muttergesellschaften auf Holding-Ebene Darlehen aufgenommen und das Kapital als Eigenkapital-ähnliche Instrumente in die Projektgesellschaften eingebracht. „In vielen Fällen sind diese Holding-Darlehen, die als Eigenkapitalersatz zum Beispiel bei der Projektentwicklung gedient haben, mittlerweile aus dem Geld“, sagt Stefan Dölker von der Silverton Group. Denn die Werte der Projekte sind deutlich zurückgegangen.

Projektentwicklungen sind in unterschiedlichsten Phasen steckengeblieben

Die Insolvenzwelle bei Projektentwicklern stellt die Fremdkapitalgeber, egal ob klassische Kreditinstitute oder andere Finanzierer, vor große Herausforderungen, sagt Michael Gail, Head of Acquisitions und Sales von Silverton, da dort das Know-how zur Fertigstellung von in schwieriges Fahrwasser geratener Bauvorhaben nicht immer in ausreichender Kapazität vorhanden sei. Projektentwicklungen seien in unterschiedlichsten Phasen steckengeblieben.

Die Palette erstrecke sich von Vorhaben auf der „grünen Wiese ohne Bebauungsplan“ bis hin zum halbfertigen Hotel, umreißt der Experte die Bandbreite. „In manchen Fällen macht es keinen Sinn, auch nur einen Euro in ein solches Projekt zu investieren, erklärt Michael Gails Kollege Stefan Dölker. Dann müsse ein harter Schnitt gemacht werden – ein Ende mit Schrecken, statt Schrecken ohne Ende. Manchmal könne es aber sinnvoll sein, noch etwas mehr Geld in die Hand zu nehmen, um einen Meilenstein zu erreichen, der das Projekt wertvoller macht.

Deutlich wird das am Beispiel eines fiktiven Vorhabens, das kurz vor der Baugenehmigungsreife steht. Denn in einem solchen Fall sind es nur noch wenige Schritte bis zur Baugenehmigung. „Wenn eine Projektentwicklung eine Baugenehmigung hat, hat sie einen ganz anderen Wert, als wenn es nur Bauerwartungsland ist“, so Dölker. Laut dem Experten sei das eine typische Situation. Meilensteine, die in greifbarer Nähe liegen, sollte man mit dem Insolvenzverwalter diskutieren. Wenn das in einem zeitlich überschaubaren Rahmen vor sich gehe, sei der Insolvenzverwalter in vielen Fällen auch geneigt, so etwas mitzutragen, sagt Dölker. Sein Rat: „Man muss aktiv werden. Dann kann man auch Werte sichern.“

Krise der Projektentwickler: Licht am Ende des Tunnels

Sind wir noch mittendrin in der Insolvenzwelle bei Projektentwicklern oder sehen wir allmählich Licht am Ende des Tunnels? Torsten Hollstein geht davon aus, dass es im Laufe dieses Jahres weitere Insolvenzen unter Projektentwicklern geben wird – auch bei Bestandshaltern, wenn Refinanzierungen anstehen. Das werde nach dem Wohnbereich in diesem Jahr auf den Office-Bereich übergehen. „Andererseits gibt es aber auch wieder eine Belebung des Marktes in diesem Jahr“, wie Hollstein. „Erzwungene Trans­aktionen werden Preise setzen, die allen Orientierung geben. Und damit wird der Markt wieder anspringen.“

Dr. Helmut Matthey, bis Ende 2021 Vorstandssprecher der Evangelische Ruhegehaltskasse in Darmstadt und seither als Berater institutioneller Investoren tätig, bezeichnet die Immobilienlandschaft derzeit als irrational. Es gebe äußerst interessante, erstklassige Immobilien zu höchst attraktiven Preisen, sagt der Jurist und Fachbeirat der Immobilienkonferenz Investment Expo. „Doch niemand kauft.“

Matthey verfügt über einen hervorragenden Überblick in allen Nutzungsarten. Ein Beispiel, auf das Matthey im Gespräch mit portfolio institutionell hinweist, betrifft einen Neubau auf der Südwestseite des Mannheimer Hauptbahnhofs; der Rhein ist einen Steinwurf entfernt. Es gibt an diesem besten Büro-Standort in Mannheim eine Reihe von Neubauten, die unter anderem an Versicherungen und WP-Gesellschaften vermietet sind.

Dr. Helmut Matthey bezeichnet die Immobilienlandschaft derzeit als irrational.

Das gemischt genutzte Gebäude, bei dem Helmut Matthey ins Schwärmen gerät und das neben Büroflächen, ein Hotel und eine kleinere Gastronomiefläche beherbergt, wurde von der in Schieflage geratenen Adler-Gruppe entwickelt. Matthey: „Dieses voll vermietete Objekt hätte vor zwei Jahren mindestens das 26-Fache der Jahresmiete gekostet, wenn man es kurz vor Fertigstellung vom Projektentwickler übernommen hätte.“

Mit anderen Worten, es gab noch letzte Projektentwicklungs- und Vermietungsrisiken. Matthey: „Für den Faktor 26 hätte das damals problemlos eine große Versicherung oder ein größeres Versorgungswerk, sofern es die finanziellen Kapazitäten dafür gehabt hätte, gekauft!“ Doch nach der Zinswende war das Interesse daran mau.

Fondsgrund macht den Deal

Gekauft hat das Objekt schließlich die eigentümergeführte Investment- und Asset-Management-Gesellschaft Fondsgrund aus Hamburg – zum Faktor 16,5. Matthey sieht in dieser Transaktion ein Beispiel dafür, dass wir uns in einer Marktphase befinden, in der man Chancen ergreifen sollte. Viele trauten sich allerdings nicht, die sich bietenden Kaufgelegenheiten zu deutlich günstigeren Konditionen wahrzunehmen. Das mag daran liegen, dass sie vor drei, vier Jahren viel zu teuer gekauft haben, vermutet der Experte.

Manch einer wittert gerade jetzt seine Chance. Mehrere Marktakteure, die wir für diese Geschichte befragt haben, sagen Family Offices Kaufinteresse nach. Auf der Lauer liegen auch Bestandshalter. Und auch mancher Projektentwickler, der über das nötige Kapital verfügt, ergreift jetzt die Gelegenheit, Bauvorhaben zu den neuen Konditionen einzusammeln. So sucht etwa die Becken-Gruppe aus Hamburg, ein inhabergeführtes Immobilien- und Investmentunternehmen, laut einem aktuellen Ankaufprofil Büro- und Wohnprojektentwicklungen. Auch Torsten Hollstein ist davon überzeugt, dass es Interessenten gibt: „Geld ist an der Seitenlinie vorhanden, um investiert zu werden.“ Hinderlich sei aber, dass es bislang kaum Orientierung gebe, was die aktuellen Immobilienwerte betrifft. Diese Preisfindung findet gerade statt.

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