Immobilien
22. August 2023

Vielen Büroimmobilien droht Überalterung

Colliers-Studie: 69 Prozent der Büroimmobilien an deutschen Top-Standorten könnten zu Stranded Assets werden. E von ESG im Mittelpunkt der Überlegungen, wobei Preisabschläge je nach Obsoleszenz zu erwarten sind.

Vielen Büroimmobilien an deutschen Top-7-Standorten droht die Überalterung. Wie eine neue Studie des Gewerbeimmobiliendienstleisters Colliers zeigt, könnten 69 Prozent der Büroimmobilien an den deutschen Top-7-Standorten künftig zu Stranded Assets werden, sofern Bestandshalter hier nicht rechtzeitig gegensteuern. Die Studie beleuchtet Obsoleszenzrisiken auf dem Büroimmobilienmarkt in Deutschland und stellt die dementsprechende Risiken unter anderem nach Baujahrs-Kategorien und Lagen dar.

Gut 95 Millionen Quadratmeter Bürofläche stehen demzufolge insgesamt an den deutschen Top-7-Standorten zur Verfügung. Mit einem Gesamtwert von rund einer halben Billion Euro –  durchschnittliche Mieten und Renditen zugrunde gelegt – haben Büroimmobilien damit einen festen Platz in den Portfolios institutioneller Immobilieninvestoren. Die Asset-Klasse befinde sich in einem starken Wandel, bedingt durch neue Arbeitsformen wie Homeoffice und New Work wie auch andererseits durch einen „enorm“ gestiegenen Druck durch ESG-Kriterien, so Colliers. Der Bericht untersucht vor allem die Auswirkungen des „E für Environmental“ in ESG.

Unwirtschaftlichkeit abhängig von Investitionsbedarf und Lage

Für die Studie hat Colliers eine Analyse nach den Dekarbonisierungspfaden des Carbon Risk Real Estate Monitors (CRREM) durchgeführt. Die Studie unterteilt zudem Büroimmobilien in drei Baujahreskategorien: vor 1995, zwischen 1995 bis 2009 und seit 2010. Außerdem werden Immobilien nach den Top-7-Standorten analysiert, also in Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, Köln, München und Stuttgart. Grundlage der Berechnung sind drei verschiedene Investitionsszenarien, in denen ermittelt wird, ab welchem Investitionsbedarf welcher Teil des Gebäudebestands unwirtschaftlich zu werden droht und somit von der Obsoleszenz betroffen wäre. Jedem Szenario liegt ein unterschiedliches Investitionsvolumen pro Gebäude zu Grunde, da variabel ist, wie viel CAPEX (Capital Expenditures) die Eigentümer der Büroimmobilien für Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen vorhalten beziehungsweise wieviel jeweils notwendig sind.

Gefährdet seien demnach tendenziell vor allem Gebäude in den Baujahresklassen bis 2009, welche in den Top-7-Standorten einen Anteil von insgesamt 81 Prozent am Büroflächenbestand haben. Zudem wurden laut Studie rund 56 Prozent des Büroflächenbestandes in den Top 7 vor 1995 fertiggestellt und sind somit mindestens 28 Jahre alt.

Je nach Höhe der notwendigen Investitionsausgaben von drei, fünf oder sieben Euro pro Quadratmeter und Monat sind den drei Investitionsszenarien zufolge bis zu acht, 44 oder 69 Prozent des Gesamtbestandes von einem Obsoleszenzrisiko betroffen. Das bedeutet, dass nur für rund acht Prozent (circa 8,0 Millionen Quadratmeter) des Büroflächenbestandes entsprechende CAPEX nicht wirtschaftlich wären. Für einen wesentlichen Teil des Bestandes von etwa 44 Prozent (circa 41,7 Millionen Quadratmeter) wären Investitionsausgaben von fünf Euro pro Quadratmeter pro Monat nicht wirtschaftlich. Der letzte bedeutende Effekt ist bei CAPEX in Höhe von sieben Euro pro Quadratmeter pro Monat ersichtlich, welche sich für rund 69 Prozent (circa 66,0 Millionen Quadratmeter) des Gesamtbestandes nicht rechnen würden. Der von einer Obsoleszenz ungefährdete Bestand würde sich demnach auf 29,4 Millionen Quadratmeter reduzieren.

Stuttgart und Köln mit älterem Bestand

Stuttgart und Köln weisen dabei einen älteren Flächenbestand auf, während er in Berlin vergleichsweise am jüngsten ist. Grundsätzlich gilt auch: Die Lage einer Büroimmobilie ist ein wesentlicher Faktor für ihr Alterungsrisiko. Im weitreichendsten Szenario etwa sind selbst 50 Prozent des Bestandes in den CBD-Lagen von Überalterung betroffen. 83 Prozent der Bürogebäude in Neben- und Außenlagen haben bei Mietpreiserhöhungen wenig Spielraum und können umfangreiche Sanierungen wirtschaftlich kaum rechtfertigen.

Vom Aufschlag zum Abschlag

Matthias Leube, CEO & Head of Capital Markets bei Colliers in Deutschland, sagt: „ESG ist eine essenzielle Voraussetzung für Immobilieninvestitionen und wird nicht mehr mit Preisaufschlägen versehen werden. Stattdessen wird es zu erheblichen Wertverlusten von Immobilien kommen, wenn entsprechende Anpassungsmaßnahmen nicht vorgenommen werden.“

Bestandshalter nachhaltiger Gebäude profitieren

Und Andreas Trumpp, Head of Market Intelligence & Foresight bei Colliers in Deutschland, erklärt: „Unter Druck geraten vor allem Bestandshalter älterer Immobilien. Zur wirtschaftlichen Einordnung: Im Falle des zweiten Szenarios, also einem gefährdeten Büroflächenbestand von bis zu 41,7 Millionen Quadratmetern, wären Büroimmobilien im Gesamtwert von bis zu rund 173 Milliarden Euro betroffen. Bestandshalter mit nachhaltigeren Immobilien können hingegen perspektivisch stark profitieren. Denn die Mietpreise in ihren Objekten werden steigen, sobald der Flächenabgang veralteter und somit nicht mehr marktfähiger Gebäude zu einer Angebotsknappheit an vermietbaren Büroflächen führt. Einschränkend gilt, dass ein Obsoleszenzrisiko resultierend aus der Unwirtschaftlichkeit eines Refurbishments nicht zwingend bedeutet, dass die Umsetzung von Sanierungsmaßnahmen nicht trotzdem sinnvoll ist, um den Wertverlust der Immobilie zu minimieren.“

Gefragt sind auch Manage-to-Green-Ansätze

Durch die drohende Überalterung von Büroimmobilien können sich auch Chancen für Marktteilnehmer ergeben, gibt Colliers zu Bedenken. Risikoaffinere Value-Add-Investoren und Projektentwickler haben zum Beispiel die Möglichkeit, Objekte zu attraktiven Preisen zu erwerben und mit Spezialwissen zu sanieren. Solche „Manage-to-Green“-Ansätze seien schon heute immer häufiger am Markt zu beobachten.

Matthias Leube: „Im Wesentlichen stehen für von der Veralterung bedrohte Bürogebäude drei Handlungsoptionen zur Verfügung: Eine Aufwertung durch Modernisierung, eine Revitalisierung durch umfangreiche Sanierung oder eine Umnutzung der Flächen. Als letzter Ausweg dienen Abriss und Neubau. Diese Option wird jedoch zunehmend unpopulär, weil die CO2-Bilanz solcher Vorhaben sehr negativ ist. Selbst beim Neubau eines Netto-Null-Gebäudes kann es Jahrzehnte dauern, bis positive Effekte bei der CO2-Bilanz verzeichnet werden.“

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