Bund für die Leben, aber auch für Sach, Kranken – und die Kapitalanlage

Christof Kessler (rechts) und Anton Buchhart erläutern im Gespräch mit Patrick Eisele, wie aus Barmenia und Goam die BGAM wurde und was aus dem Asset Management wird. Fotografin: Caroline Gerst.
Vor einem Jahr wurde ein nicht alltägliches Projekt erfolgreich abgeschlossen: Mit der Barmenia und der Gothaer schlossen sich zwei Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit zu einer der zehn größten Versicherungen in Deutschland zusammen. Die Fusion zur Barmenia-Gothaer führt zu Änderungen für Mitarbeiter, Kapitalanlage und Asset Manager. Nun lassen sich Größenvorteile realisieren, für manches Nischeninvestment bestehen aber Größennachteile. Diese Limitationen liegen für Christof Kessler und Anton Buchhart aber weniger am internen Wachstum als an den externen Rahmenbedingungen.
Christof Kessler und Anton Buchhart erläutern im Gespräch mit Patrick Eisele, wie aus Barmenia und Goam die BGAM wurde und was aus dem Asset Management wird.
Herr Kessler, Herr Dr. Buchhart, Sie sind beide seit Jahrzehnten in der Branche. Hatte Geopolitik jemals einen so großen Einfluss und war Kapitalanlage jemals so
anspruchsvoll?
Christof Kessler: Da das Gedächtnis der Branche nicht gerade hervorragend ist, ist das aktuelle Umfeld immer das anspruchsvollste. Es mag derzeit viele politische Themen geben, aber es gab auch früher viele Konflikte. Letztendlich sind für die Märkte aber die Fundamentaldaten entscheidend. Fundamentale Daten geben mehr Orientierung als politische Themen.
Aber mit Donald Trump steht doch die Weltordnung vor dem Zerfall?
Kessler: Man sollte sich davor hüten, immer alles auf eine Sondersituation zu schieben. Die vorherige Bundesregierung hat unser schlechtes Wachstum mit den USA und deren Zollpolitik begründet. Man macht es sich zu einfach, wenn man das niedrige Wachstum in Deutschland mit äußeren Umständen begründet.
Dr. Anton Buchhart: Die Wachstumsschwäche ist ein Dauerproblem in weiten Teilen der westlichen Industrienationen. Mal war es die Finanzkrise, mal der Brexit, mal die Eurokrise, dann Covid – aber wenn mal nichts war, ist das Wachstum auch nicht angesprungen. Offensichtlich liegt das Grundproblem woanders.
Kessler: Es sind strukturelle und nicht konjunkturelle Themen. Darum werden auch die beschlossenen Infrastruktur- und die Rüstungs-Milliarden nichts ändern, wenn es nicht zu strukturellen Änderungen kommt. Wir sind für unser eigenes Wachstum selbst zuständig und dürfen dieses nicht andauernd als US-abhängig betrachten. Wir gehen aufgeregt auf der Stelle. Dagegen geht Kanada, das als direkter Nachbar viel stärker von den Entwicklungen in den USA betroffen ist, unaufgeregt vorwärts.
Buchhart: Grundsätzlich ist die Strategische Asset-Allokation für unsere Konzernunternehmen langfristig ausgelegt. Sie muss Verpflichtungen abdecken, die 25 bis 30 Jahre oder bis zum Todesfall laufen. Da muss es egal sein, was Herr Trump gerade erzählt. Aber auch wenn wir grundsätzlich ein breit diversifiziertes Portfolio wollen, mag es zugegebenermaßen derzeit nicht der optimale Zeitpunkt sein, den USA ein Übergewicht zu geben.
Was bedeutet denn ein Infrastrukturpaket in diesen Dimensionen für Kapitalanleger: Sorge um das deutsche Rating? Ärger, dass es um staatliche und nicht um private Gelder geht?
Kessler: Mit dem Infrastrukturpaket steigt die Verschuldung. Aber solange Deutschland die Zinslast tragen kann, ist bei den Ratingagenturen die AAA-Bonitätsnote nicht gefährdet. Eines dieser strukturellen Themen ist aber, warum der Staat sich nicht auf die Vorgabe der Rahmenrichtlinien beschränkt und die private Wirtschaft beispielsweise die Brücken saniert. Fast überall in Europa gibt es Mautstraßen und privatisierte Zugverbindungen. Es kann doch nicht sein, dass wir über die Bahn schimpfen, aber glauben, dass es der Staat richten soll.
Steigert KI Produktivität und Wachstum?
Buchhart: Grundsätzlich steigern technologische Fortschritte die Produktivität. Auch wieder ein strukturelles Thema ist aber, dass die Entwicklung von KI kaum bei uns in Deutschland und Europa stattfindet.
Und können Versicherer KI finanzieren?
Kessler: Wir haben unsere Venture Capital Commitments hochgefahren und investieren über diese auch in KI. Es stellt sich aber die Standortfrage, ob es in Deutschland auch interessante Zielobjekte gibt. Hier werden die Targets mit Bürokratie, Vorschriften und Steuern so ermüdet, dass sie lieber auswandern. Spätestens zum Börsengang erfolgt deren Schritt in die USA.
Ist Solvency II auch ein Hemmschuh?
Buchhart: Nein. Unter Solvency II können wir flexibel entscheiden, wie wir Ressourcen für Kapitalmarktrisiken einsetzen. Die Regulierung schränkt uns nicht übermäßig ein, begrenzt Investments aber auf ein „vernünftiges Maß“. Klar ist, dass Venture Capital gewisse Investitionsrisiken birgt. Risiken bestehen aber auch bei öffentlicher Infrastruktur – siehe die rückwirkende Senkung der Einspeisevergütung für Strom beispielsweise in Spanien oder Italien. Hierzulande will die neue Regierung, dass die Durchleitung von Strom billiger wird. Sinken die Netzpreise, sinkt der Ertrag für diejenigen, die in Netze investiert haben.
Kessler: Das sind aber nicht wir. Wir wollen uns nicht davon abhängig machen, welches Netzentgelt der Staat festlegt. Wir haben in die Produktion von Erneuerbarer Energie investiert.
In Ihrem Haus gab es auch ein „strukturelles“ Thema: die Fusion von Barmenia und Gothaer. Wo lagen die Herausforderungen? Bei Assets, People, Systemen, Unternehmenskultur oder Anlagephilosophien?
Kessler: Überall. Es stimmt beispielsweise nicht, dass wir als Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit sowieso eine gleiche Kultur haben. Die Kulturen waren aber zumindest kompatibel. Trotzdem ist der Zusammenschluss auch in der Kapitalanlage extrem gut gelungen. Dazu hat auch beigetragen, dass Anton und ich uns schon 2017 im „Rentenwerk“ …
… der gemeinsamen Initiative für ein Sozialpartnermodell …
Kessler: … gut kennengelernt haben. Fusioniert haben die beiden Vereine. Eine strukturelle Herausforderung war für das Asset Management, dass es bei der Barmenia keine separate Finanzdienstleitungsorganisation wie die Gothaer Asset Management, kurz Goam, gab. Die Mitarbeitenden in der Kapitalanlage der Barmenia hatten teilweise Arbeitsverträge mit jeder der drei Versicherungseinheiten nach Versicherungstarif.
Buchhart: Dass es zumindest bei der Gothaer einen separaten Dienstleister gab, war für den Zusammenschluss hilfreich. Schließlich musste das Asset Management vom ersten Tag an funktionieren. Mit einem Asset Management Outsourcing an einen Dienstleister konnten die Risikoträger das Kapitalanlage-Thema relativ schnell erledigen. Es brauchte keine Gründungen, Genehmigungen und die Entwicklung von Strukturen. Im Prinzip hat der Dienstleister Barmenia-Gothaer Asset Management AG, BGAM, eben nur neue Kunden bekommen.
Was hat sich für die Mitarbeiter verändert?
Kessler: Diese unterschiedlichen Organisationsformen führten dazu, dass die Mitarbeitenden der Barmenia nicht so streng regulatorisch funktionsgetrennt wie die Goam-Mitarbeitenden agierten. In der Goam waren Mittel- und Backoffice vom Frontoffice getrennt. In der Barmenia konnte man dagegen eine Investmentidee selbst umsetzen, das Risikolevel festlegen und das Investment setteln. In der neuen BGAM ist dafür eine strenge organisatorische Trennung regulatorisch vorgegeben.
Buchhart: Die Barmenia-Mitarbeitenden mussten sich von einer Versicherungstarifwelt auf eine Finanzdienstleisterwelt umstellen. Das musste man schon gut erklärend begleiten. Wir konnten den Kolleginnen und Kollegen aber auch Chancen aufzeigen. Führungspositionen und Funktionswechsel sind in einer spezialisierten größeren Organisation leichter zu erlangen.
War bei den Mitarbeitern viel Überzeugungsarbeit zu leisten?
Kessler: Wir – insbesondere ich – haben darauf bestanden, dass die Wuppertaler Mitarbeitenden im Front Office zwei Tage in der Woche in Köln sind. Das hat nicht nur Freude ausgelöst. Meine Überzeugung ist aber, dass man nur im direkten Austausch Vertrauen zueinander aufbauen kann. Videokonferenzen reichen nicht. Und es hat funktioniert: Unsere monatlichen internen Befragungen haben ergeben, dass die Mitarbeitenden die Zusammenarbeit zu 100 Prozent als positiv bewerten. Dieses Miteinander hilft, aus den verschiedenen Lösungen, die die beiden Versicherungen in den Zusammenschluss eingebracht haben, die jeweils beste auszuwählen.
Buchhart: Genau das war für den Zusammenschluss ein großer Erfolgsfaktor: Man hat sich alles gemeinsam angeschaut und dann waren die Mitarbeitenden auf beiden Seiten bereit, die jeweilige Best-Practice-Lösung zu akzeptieren. Es gab kein Beharren auf der eigenen Lösung oder Widerstände. Ergänzend noch zu der von Christof erwähnten Zufriedenheit. Zu dieser trägt sicher auch bei, dass die Mitarbeitenden – abgesehen von Präsenztagen – nun entscheiden können, ob sie lieber in Köln oder Wuppertal arbeiten möchten. Dass beide Standorte nur 38 Kilometer Luftlinie auseinanderliegen, fördert ebenfalls das Miteinander.
Wie viele Mitarbeiter waren es zuvor, wie viele sind es nun?
Buchhart: In der BGAM arbeiten etwa 90 Kollegen in Vollzeit – und damit ungefähr so viele wie zuvor bei Barmenia und Goam gemeinsam. Bei der Barmenia zählten zuvor auch die Immobilienexperten, die die eigenen Bestände bewirtschaften und sich um die Hypothekendarlehen kümmern, zur Kapitalanlage. Diese Kollegen sind nun im COO-Ressort beziehungsweise im Ressort Leben. Ansonsten hat im Asset Management eins plus eins personell fast genau zwei ergeben. Neueinstellungen wird es erstmal weniger geben, was aber auch daran liegt, dass wir steigende Anforderungen zuvorderst über Digitalisierung lösen wollen.
Was ist nun in der IT-Landschaft Best Practice?
Buchhart: Wenig überraschend war bei beiden Versicherern im Front Office Bloomberg im Einsatz. Das ist auch künftig der Fall. Im Middle- und Backoffice haben wir uns dafür entschieden, verschiedene interne Teilsysteme zusammenzufügen. In der Zukunft wird es aber beispielsweise nur noch eine Schnittstelle in die Solvency-Systeme und ein Buchhaltungssystem geben. Für die liquiden Assets nutzte die Barmenia SAP, die Gothaer First von Fact. Als gemeinsame künftige Lösung fiel die Entscheidung auf First. Die Alternative wäre eine komplette externe Lösung gewesen. Für die illiquide Anlagewelt nutzen wir nun Qplix. Dieses System war zuvor ebenfalls bei der Gothaer im Einsatz. Die Barmenia hatte die Datenhaltung für alternative Assets fast komplett ausgelagert. Jetzt können wir insourcen.
Die Barmenia hatte keine Best-Practice-Lösung?
Buchhart: Doch! Von der Barmenia kommt eine zentrale Datenbank, die wir für das Reporting nutzen. Die Systeme First und Qplix liefern ihre Daten an diese zentrale Datenbank und die spuckt dann integrierte Reports aus.
Kessler: Diese Oracle-Datenbank mit SAS-Programmierfläche ist sehr hilfreich und ein echter qualitativer Fortschritt.
Auch ein Kosten-Fortschritt?
Kessler: Absolut. Aufgrund unserer gemeinsamen größeren Bestände können wir besser skalieren. Zunächst einmal müssen wir aber in die gemeinsame Infrastruktur investieren. Sowas neu aufzusetzen, gibt es nicht für umsonst.
Wo liegen im Asset Management Größenvorteile?
Kessler: Bei manchen Drittanbietern – die sich jetzt von uns größere Tickets erhoffen können – stehen uns nun Türen offen, die vorher geschlossen waren. Auch auf der Personalseite haben wir als Top-10-Asset-Manager in der Versicherungsbranche eine größere Sichtbarkeit. Die Qualität der Bewerbungen hat mich positiv überrascht.
Wie verändert sich mit der Fusion das Drittanbieter-Spektrum? Bekommen nun weniger Asset Manager mehr Geld? Oder stehen die Zeichen auf Insourcing?
Buchhart: Festgestellt haben wir zu Beginn, dass unsere Überschneidungen bei Asset Managern und sonstigen Dienstleistern geringer waren, als man hätte vermuten können. Somit haben wir derzeit zu viele externe Portfoliomanager, zu viele Service Provider, also zu viele Prozesse und Schnittstellen. Wir müssen die Komplexität, sprich auch die Anzahl dieser Anbieter, zügig reduzieren. Behalten wollen wir – wenig überraschend – die Häuser mit der besten Performance und die, mit denen wir am besten zusammenarbeiten können. Ebenfalls wenig überraschend dürfte sein, dass wir in unserer neuen Größenordnung mehr insourcen. Beispielsweise hatte die Barmenia Währungssicherungen oder Corporate Credits extern managen lassen. Wir machen das nun aber intern.
Was unterscheidet den Zusammenschluss zur Barmenia-Gothaer von vorherigen Fusionen in der Finanzbranche?
Buchhart: Jeder Zusammenschluss ist anders gelagert. Viele Fusionen sind kostengetrieben. Zuvorderst ist unser Zusammenschluss aber eine Wachstumsgeschichte, da sich die Geschäftsfelder kaum überschneiden. Hier kommen zum einen Firmen- und Privatkundengeschäft zusammen und zum anderen Leben- sowie Sach- und Krankengeschäft. Die Geschäftsfelder der beiden Fusionspartner sind komplementär und ergänzen sich sehr gut.
Viel zu bereinigen gibt es nicht. Aber natürlich ist für uns Fixkostendegression auch ein Thema. Gemeinsam können wir es uns leisten, zunächst einmal in Asset Management und IT zu investieren. Diese Beträge verteilen sich nun aber auf ein größeres Gesamtvolumen und längere Zeiträume. Wir haben keinen intensiven Kostendruck und das Gebührensenkungspotential ist im Asset Management bei Depotbanken und KVGen bereits ziemlich ausgereizt. Asset Management war schon immer eine Kostendisziplin, die wir weiter gemeinsam fortführen.
Aktienmanager ereilte Ende 2023 die Hiobsbotschaft, dass die Gothaer auf Aktien verzichtet. Gibt es nun eine Freudenbotschaft zu verkünden?
Kessler: Dieser Beschluss war damals zuvorderst der Liquidität geschuldet. Unser Exposure war gesichert und praktisch handelte es sich um eine Dividendenstrategie mit Sicherungsnetz. Als die Zinsen wieder stiegen und das Niveau von Dividendenrenditen erreichten, haben wir es vorgezogen, diese Liquidität für die Versicherungstechnik zu nutzen. Ob wir bei diesem Bewertungsniveau zu Aktien zurückkehren? Diese Frage überlasse ich gern meinen Nachfolgern.
Aber könnte die Liquidität von Aktien eines Tages nicht auch nützlich sein?
Buchhart: Wir hatten eine sehr ähnliche gesicherte Aktienstrategie, die ungefähr dem Risiko von Unternehmensanleihen entsprach. Heute rentieren aber BBB-Credits in etwa auf dem Niveau der Dividendenrendite von Aktien und bei Bonds spart man sich die Absicherungskosten. Mit dem Auslaufen der Ankaufsprogramme der Notenbanken hat sich der Anleihemarkt wieder normalisiert, auch was dessen Liquidität betrifft. Zu beachten ist auch, dass Aktien zwar liquide sind, aber unter Umständen dann auf einem Niveau notieren, bei dem es sehr teuer sein kann, mit Aktien Liquidität zu schaffen. Bei Aktien hängt die Höhe der Liquidität eben auch von der Höhe der Kurse ab.
Kessler: Unser Portfolio ist auch ohne Aktien nicht illiquide. In Alternative Fixed Income sind wir beispielsweise in niederländische Hypothekendarlehen und Handelsforderungen investiert. Aus beiden Asset-Klassen, bei denen es sich übrigens keinesfalls um Nischen handelt, kommt man hinreichend schnell raus. Deren Liquidität haben wir auch schon genutzt.
Buchhart: Es kommt aber wirklich selten vor, dass man schnell Liquidität braucht. Die monatlichen Zu- und Abflüsse aus Beiträgen und Wertpapieren sind transparent und zusammen mit den Risikoträgern machen wir eine detaillierte Liquiditätsplanung.
Welche Duration wird die Barmenia-Gothaer fahren?
Buchhart: Die BGAM berät dazu – wie auch zur Strategischen Asset Allocation – die einzelnen Risikoträger. Die verschiedenen Anlagestrategien hängen von den jeweiligen Verpflichtungen, Solvency-Risikotragfähigkeit oder Schwankungstoleranz ab und fallen unterschiedlich aus. Die Duration hängt nicht von unserer Zinsmeinung ab, sondern von der Verpflichtungsseite. Mit Blick auf Solvency und HGB sollten die Laufzeiten von Aktiv- und Passivseite nicht weit auseinanderliegen.
Auch vom Zinsniveau her betrachtet, macht es wieder Sinn lang anzulegen. Aufgabe der BGAM ist es dann, zwischen den Anleihesegmenten abzuwägen und die verabschiedete Asset-Allokation bestmöglich umzusetzen. Bei der SAA zeichnet sich ab, dass der Immobilienanteil etwas sinken wird und wir stärker in risikoarme Anleihen investieren. Kürzlich haben wir nach Jahren sogar wieder Bundesanleihen gekauft.
Beide Versicherer waren recht nachhaltig unterwegs, allerdings mit etwas unterschiedlichen Ausrichtungen. Gibt es nun eine ESG-Philosophie?
Buchhart: Da lagen wir nicht weit auseinander. Bei der Gothaer stand etwas mehr das E im Vordergrund, bei der Barmenia das S. Das G war selbstverständlich für beide Häuser wichtig. Die gemeinsame ESG-Strategie für die Kapitalanlage ist auch schon konzipiert und verabschiedet. Diese weist keine großen Unterschiede zu den beiden bisherigen ESG-Strategien auf.
Die Barmenia hat bei Schroders Capital ein 100-Millionen-Multi-Private-Assets-Portfolio für Impacts. Das mag zu einem 20-Milliarden-Investor passen. Passt Multi Asset aber auch für einen 50-Milliarden-Investor?
Buchhart: Ob nun gemischte oder spezialisierte Portfolios ist für mich weniger eine Frage der Größe, sondern des Investmentansatzes. Das Geld ist investiert und wir fahren das Mandat zumindest zunächst einmal weiter. Tendenziell wird, vorausgesetzt die Asset Allocation der Risikoträger bleibt unverändert, die Mandatsgröße wachsen.
Gothaer und Barmenia waren auch in Nischen unterwegs. Sind diese nun zu klein?
Kessler: Die Gothaer finanziert beispielsweise Kindergärten und Pflegeheime. Es fiel aber sehr schwer, das Geld zu allokieren. Wie bereits gesagt, ist es mangels Angebots schwierig, private Gelder in öffentliche Infrastruktur zu investieren. Wegen der Regulierung ist es sehr schwierig, Lizenzen für Pflegeheime zu bekommen und obendrein hat noch jedes Bundesland eigene Bauvorschriften. Jetzt noch mehr in diesen Nischen machen zu wollen, erscheint wenig erfolgversprechend. In unserer Strategischen Asset-Allokation finden sich diese Nischen nicht. Die sind Teil der Anlageklasse Real Estate.
Buchhart: Pflegeheime haben wir in den Portfolios der Barmenia. So ein spezielles Thema aufzubauen hat wirklich gedauert. Jetzt gilt es abzuwägen, welche Nischen wir auslaufen lassen und welche absolut betrachtet etwas größer werden. Das wiederum hängt von der künftigen Asset Allocation und dem Investmentangebot ab. Es muss möglich sein, eine gewisse Größenordnung zu erreichen. Ansonsten wird das Portfolio zu kleinteilig und zu komplex.
Was wird aus den Macadamianüssen?
Kessler: In Australien geben wir Geld, um auf einer ehemaligen Zuckerrohrplantage Macadamianüsse anzubauen. Das ist ein Impact Investment, das wir auch beibehalten wollen. Natürlich sind für uns auch Kindergärten und Pflegeheime Impact Investments. Aber da stellt die Regulierung wirklich ein Hemmnis dar. Bei der Gothaer gab es den Beschluss, jährlich 200 Millionen Euro für Impact Investments zu geben. Als Barmenia-Gothaer haben wir dieses Commitment auf 300 Millionen Euro erhöht. Wir wollen da weiter innovativ sein und Wege gehen, die noch nicht von allen gegangen wurden. Wenn uns dann andere folgen, vergrößert sich die Wirkung.
Wie waren die bisherigen Erfahrungen mit Impact Investments?
Kessler: Gut! Die J-Curve dieser Investments ist kürzer als befürchtet, was wiederum gut für die Rendite ist. Das ist wichtig, weil ein Impact Investment ohne Rendite keine Follower haben wird. Erfreulich für die Eigenkapitalrentabilität ist auch, dass wir die Solvenz-Belastung von 49 in Richtung 25 Prozent bringen konnten. Wenn wir beispielsweise die Biodiversität fördern wollen, dann wird der Grund und Boden und nicht die jeweilige Technologie mit Eigenkapital unterlegt. Aber wie gesagt, fällt es schwer, das Geld in diesen Nischen unterzubringen. Das liegt auch daran, dass wir in einem Fonds eigentlich nicht der dominante Investor sein wollen. Ein Grund hierfür ist, dass es sich in der Regel um Boutiquen ohne aussagekräftigen Track Record handelt.
Sie waren beide für Sal. Oppenheim tätig. War das – auch wegen der illustren Führungsriege – nicht viel spannender als ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit?
Buchhart: Ich kam über die Gen Re zu Sal. Oppenheim und war nur kurz dort, als es schon dem Ende zu ging. Ein großes berufliches Erlebnis war es nicht, es hat mir aber geholfen, eine gewisse Gelassenheit zu entwickeln. Der Zusammenschluss hier war definitiv spannender und prägender. Unsere beruflichen Stationen bei Sal. Oppenheim haben sich dort nur ein paar Monate überschnitten, wir hatten aber keine Berührungspunkte.
Kessler: Spannend war bei Sal. Oppenheim, in der weltweiten Fixed-Income-Welt unterwegs gewesen zu sein. Bei der Barmenia-Gothaer ist es aber viel interessanter, weil man ein ganzes Unternehmen mitmanagen darf, man Teil des Gesamtergebnisses ist. Das ist etwas anderes als ein Fondsmanager, der mit einem bestimmten Tracking Error ein Alpha erwirtschaften will …
Was war marktseitig die prägendste Erfahrung?
Buchhart: Das war die Global Financial Crisis. Da war der Markt in seinen Grundfesten erschüttert und Bundeskanzlerin und Bundesfinanzminister mussten erklären, dass das Geld bei den Banken sicher ist. Prägend war auch 2022, als der Risikoausgleich zwischen Anleihen und Aktien nicht mehr funktioniert hat.
Kessler: Für mich war es die TMT Bubble. Wie unkritisch die Marktteilnehmer in diese Krise hineingelaufen sind. Es hat mich wirklich mitgenommen und frustriert, wie alles bisherige Wissen beiseite gewischt wurde, um zu rechtfertigen, dass Technologie, Medien und Telekommunikation ins Unendliche wachsen können. Das war für mich völlig irrational. Aber ich bin ja von der Ausbildung her auch Mathematiker und nicht Ökonom.
Ihre berufliche Laufbahn endet zur Jahresmitte. Was gibt es noch mitzuteilen?
Kessler: Eine solche Blase wie TMT ist wieder möglich. Mich erinnert die KI-Diskussion an die Jahrtausendwende.
Autoren: Patrick EiseleSchlagworte: Asset Management | Impact Investing | Investoreninterview | Solvency II
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