Investoren
5. Dezember 2022

Chancen in der Krise

Fast jeder zweite deutsche Großanleger liegt mit seinem Portfolio in diesem Jahr mehr als zehn Prozent im Minus. Doch in der Krise gibt es gerade bei den liquiden Assets auch Anlagechancen, wie aktuelle Konferenzen mit prominenter Besetzung verdeutlichen.

Institutionelle Investoren erleben derzeit ein Wechselbad der Gefühle. Diesen Eindruck vermittelte die Konferenz „Investment Fokus 2023“ der Fondsgesellschaft Lupus Alpha Anfang ovember in Frankfurt am Main. Denn nachdem die Kurse an den Aktien- und Anleihemärkten in diesem Jahr bereits erheblich gefallen sind, fragen sich nun viele, ob das neue Jahr besser laufen wird. Die Mehrheit (63 Prozent) der etwa 250 Besucher – institutionelle Anleger, die insgesamt Vermögen in Höhe von rund 460 Milliarden Euro verwalten, geht davon aus, dass ihr Aktienportfolio im kommenden Jahr mehr als fünf Prozent Rendite erzielen wird. Das hat eine Ted-Umfrage während der Konferenz ergeben. Gleichzeitig sind 57 Prozent überzeugt, dass Europa langfristig wirtschaftlich geschwächt aus der Krise kommt. Und noch ein anderer Belastungsfaktor sitzt den Konferenzbesuchern im Nacken: 44 Prozent gaben bei einer Umfrage im Saal an, im Portfolio in diesem Jahr mehr als zehn Prozent im Minus zu liegen.

Vor diesem Hintergrund kam ein pragmatischer Vortrag, wie der von Richard Gröttheim, gerade zur rechten Zeit. Gröttheim ist Vorstandschef des 2000 gegründeten siebten schwedischen Pensionsfonds (AP7). Somit bestimmte er die Entwicklung des Fonds von Anfang an mit und lotste ihn durch die Krisen der vergangenen zwei Dekaden. Inzwischen verwaltet Gröttheims 40-köpfiges Team etwa 83 Milliarden Euro und geht dabei äußerst effizient vor.

Was viele nicht wissen: Das übergeordnete „Såfa-Fondsportfolio“ von AP7 ist eine Mischung aus einem Aktien- und einem Rentenfonds. Mehr als fünf Millionen Schweden und damit etwa die Hälfte aller infrage kommenden Sparer haben ihre sogenannte Prämienrente, die Teil der ersten Rentensäule Schwedens ist, im AP7-Såfa-Fondsportfolio angelegt. Das ist ein großer Erfolg für den staatlichen Pensionsfonds, der im Kern ein simples und leicht nachzuahmendes Anlagekonzept verfolgt, indem er sich im sogenannten Basisportfolio kurzerhand an der Zusammensetzung des MSCI All Country World Index orientiert. Sobald Indexanbieter MSCI Veränderungen in der Zusammensetzung vornimmt, ahmt AP7 diese automatisch nach.

Doch die Strategie der Skandinavier ist damit nicht am Limit. „Wir können auch Short gehen. Dafür haben wir aber externe Manager. Dafür zahlen wir auch Gebühren“, führte der Vorstandschef aus. Sein Rat: „Wenn Sie darüber nachdenken, jetzt noch Aktien zu verkaufen: Dafür ist es zu spät! Und wenn Sie der Meinung sind, dass Ihr Portfolio zu konzentriert ist, sollten Sie global investieren, um Risiken zu kompensieren.“

Milliardenfonds mit Minigebühren

Apropos Fees: Die Verwaltungsgebühren im Aktienfonds konnte Gröttheim binnen zehn Jahren von 50 auf spärliche fünf Basispunkte senken, im Rentenfonds liegen sie bei lediglich vier Basispunkten! Der Rendite hat das nicht geschadet. Im Gegenteil: Seit dem Start vor 22 Jahren hat der staatliche Pensionsfonds besser abgeschnitten als der Durchschnitt der rund 800 Fonds, die den schwedischen Rentensparern ebenfalls zur Verfügung stehen. In seinem Vortrag wies der AP7-Chef wiederholt darauf hin, dass sein Pensionsfonds ein langfristig ausgerichteter institutioneller Anleger sei. „Mit unseren Investments müssen wir Rücksicht auf künftige Generationen nehmen“, sagte Gröttheim und hob hervor, dass ESG-Ziele innerhalb der Kapitalanlage einen hohen Stellwert einnehmen. „Wir wollen nachhaltig investieren, dabei aber auch eine hohe Anlageperformance erzielen und somit gute Pensionszahlungen ermöglichen.“

Rückkehr der Zinsen erfreut Investoren

Der AP7-Chef zeigte sich überzeugt davon, dass Aktien auch in Zukunft langfristig gut performen werden. Und es seien gute Nachrichten, dass die Zinsen nun wieder steigen und man zu normalen Zinsniveaus zurückkehre. Der schwedische Anlageprofi schnitt damit ein Thema an, dass auch deutsche Investoren mit Interesse beobachten, zum Beispiel Melanie Kümmel, Vorstandsvorsitzende der seit Januar 2020 am Markt tätigen TK Pensionsfonds AG. Bei der Techniker Krankenkasse (TK), der größten Krankenkasse in Deutschland, ist Kümmel seit über 20 Jahren für die Kapitalanlage verantwortlich. Mit ihrem fünfköpfigen Team managt sie in Hamburg mehrere Anlagetöpfe und Assets im Wert von elf Milliarden Euro. „Wenn wir auf unseren Pensionsfonds blicken, dann ist dieser sehr global diversifiziert und bildet nahezu alle Anlageklassen ab.“ Gleichwohl konstatierte die Expertin, „dass wir ein negatives Vorzeichen haben“. Kaum ein Anleger könne sich aus dieser Lage in diesem Jahr befreien. Kümmel ließ jedoch anklingen, dass im Portfolio künftig wieder mehr Anleihen enthalten sein werden. „Grundsätzlich bieten sich in diesem Umfeld trotz höherer Inflation aktuell auf der Zinsseite durchaus Chancen“, sagte sie und betonte: „Wir bekommen wieder einen Zins. Und das geht über die gesamte Zinsstrukturkurve, vom Geldmarkt, wo wir alle in den letzten Jahren Negativzinsen zahlen mussten, bis hin zu europäischen Unternehmensanleihen.“ So verwies Kümmel auf den Investment-Grade-Bereich, der über vier Prozent Rendite böte.

Union Investment managt Risiken in Mainz

Allokation und Nachhaltigkeit waren auch die großen Diskussionsthemen in der Investorenrunde auf der 17. Risikomanagement-Konferenz von Union Investment in Mainz fünf Tage später. Drittes Diskussionsthema – an dem für den Veranstalter kein Weg vorbeiführt und welches auch der bisherige Jahresverlauf gebietet – war Risikomanagement. Dr. Anton Buchhart, der seine Berufslaufbahn vor etwa 20 Jahren startete und heute Bereichsleiter Kapitalanlage bei der Barmenia ist, sagte: „Ich habe nun schon mehrere 100-Jahres- Ereignisse erlebt und auch 2022 ist ein sehr herausforderndes Jahr.“

Völlig überraschend war der gleichzeitige Einbruch von Aktien und Anleihen für Buchhart jedoch nicht. „Die Korrelationen waren schon länger positiv.“ Das wirkte lange Zeit ebenfalls positiv – aber nicht mehr in diesem Jahr. Auf einen längerfristig denkenden Investor wie die Barmenia werde 2022 aber keine großen Auswirkungen auf die Allokation haben. „Im Wesentlichen bleiben die Portfolios, wie sie sind.“ Implikationen hat dieses Jahr aber für das Risikomanagement. Buchhart: „2022 wird ein Standard-Stressszenario werden.“ Bei den dem Bayer-Konzern zuzurechnenden Altersvorsorgeeinrichtungen hat man einen ähnlichen Blick auf das diesjährige Anlagejahr. „Strategische Änderungen geschehen bei uns evolutionär“, berichtete Dr. Stefan Nellshen aus der Praxis eines ebenfalls langfristigen Anlegers. Taktisch kam es jedoch zu Eingriffen. So griff man wegen des Kriegs in der Ukraine ab dem Frühjahr zu Kurssicherungen bei börsennotierten Renten. Aktieninvestments unterliegen ohnehin verschiedenen Kurssicherungsstrategien „Dadurch konnten wir im Rahmen der vorab definierten Verlustbudgets bleiben“, so Nellshen. Konsequenzen zieht man in Leverkusen aber auch für das Risikomanagement. „Mich sorgt die Volatilität“, sagte Nellshen auch mit Blick auf die Trägerunternehmen. „Deshalb werden wir unter Umständen in Zukunft noch mehr auf Risikobudgetierungen und Sicherungsstrategien achten müssen.“

Ohne Zweifel sehr langfristig – sozusagen lang-langfristig – kann der dritte Investor auf der Union-Bühne agieren: Dr. Stefan Fritz, Geschäftsführer im Stiftungszentrum der Erzdiözese München und Freising. Trotzdem griff man dieses Jahr in die Anlage ein. „Unsere Russland-Positionen in den Emerging Markets-Anleihemandaten haben wir am 24. Februar glattgestellt.“ Rückschlüsse aus den Kapitalmarktentwicklungen zog Fritz auch für das Risikomanagement: „Künftig werden wir mehr in Szenarien denken.“ Grund hierfür sei, dass man Vergangenheitswerten geringere Aussagekraft beimesse als früher.

Das verstärkte Denken in Volatilitäten und geringeres Vertrauen in historische Daten spiegeln sich auch in der Markteinschätzung von Union Investment wider. Die Union rief auf der Konferenz das Ende der Stabilität aus. Die seit Mitte der 80er-Jahre gegebene Zeit der Great Moderation sei vorbei. Nun bewege man sich im Regime der Great Transformation. Dabei greift der Asset Manager den Transformations-Begriff Karl Polanyis auf, der für einen tiefgreifenden Wandel der westlichen Gesellschaftsordnung steht. Dem widersprachen die Investoren nicht, verbanden den Begriff aber eher mit Nachhaltigkeit. Stefan Fritz verwies wegen des realen Vermögenserhalts auf den Sachwerte-Trend – und hier auf Immobilien und Erneuerbare Energien. Allerdings sei die Transformation gerade beim direkten Immobilienbestand nicht einfach, da hier teilweise ein Konflikt zwischen ökologischer und sozialer Transformation bestehe. „Die Transformation in eine lebenswerte Welt ist insbesondere für kirchliche Investoren ein Thema. Wir können aber unsere Immobilien nicht auf den ökologisch besten Stand bringen – und dann ohne Weiteres die entstandenen Kosten auf die Mieten umlegen.“

Mit großen Investitionen zu transformieren ist auch die Infrastruktur. Dies sieht Anton Buchhart überaus optimistisch: „Die Transformation der Energieinfrastruktur sowie die Verbesserung der Kommunikationsinfrastruktur mit der Verlegung von Glasfasern wird eine Erfolgsstory für Staaten und Investoren werden und schöne Renditen ergeben. Zudem ist auch der Inflationsschutz interessant.“ Attraktiv sei zudem für risikoaverse Investitionen, dass man sich auch mit Fremdkapital beteiligen könne. Fremdkapital sei ebenso in liquider Form renditetechnisch wieder interessanter geworden. Nach wie vor interessant seien aber auch – zumindest für Fritz und Buchhart – Aktien. Fritz: „Wir trauen der Aktienseite zu, sich von 2022 in absehbarer Zeit wieder zu erholen.“ Buchhart: „Aktien bieten langfristig die besten Renditen.“ Aktien seien die Asset-Klasse, in der auch künftig Risikomanagement sehr gefragt sein werde. Buchhart: „Wir haben Aktien, sichern aber immer mal wieder ab.“ 2022 war zweifellos schwierig und speziell – hat aber auch positive Seiten: liquide Assets sind nun attraktiver und für das Risikomanagement gab es neue Impulse. Diese wird man noch brauchen.

Autoren: und

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