„Der ESG-Hype ist vorbei“

Samuel Drempetic von der Steyler Ethik Bank: Der Volkswirt leitet dort die Abteilung Ethik und Nachhaltigkeit. Ferner ist er für Strategie und Portfoliomanagement zuständig. Bild: Ulf Büschleb.
Die nachhaltige Kapitalanlage entwickelt sich weiter. Das liegt zum Beispiel an den Lockerungsplänen der Europäischen Union, die die Berichtspflichten für Unternehmen reduzieren will. Die Panelisten auf der Jahreskonferenz versprechen sich davon deutlich mehr Akzeptanz in der Wirtschaft.
„Jetzt erst recht“: Auf der Jahreskonferenz gab es auch in diesem Jahr wieder eine spannende Podiumsdiskussion zum Thema Nachhaltigkeit. Hier standen zunächst die brandaktuellen Regulierungspläne der Europäischen Union im Fokus, mit denen die Vorschriften zur Nachhaltigkeitsberichterstattung um zwei Jahre verschoben werden sollen. Die Verschiebung ist Teil des „Omnibus I“-Pakets, das die EU-Kommission am 26. Februar 2025 vorgestellt hat. Sie soll den Unternehmen im Anwenderkreis der Corporate Sustainability Reporting Directive und der Corporate Sustainability Due Diligence Directive mehr Zeit zur Vorbereitung geben.
Moderatorin Wiebke Merbeth (Partnerin bei Deloitte Consulting) begrüßte auf dem Panel unter anderem Dr. Samuel Drempetic von der Steyler Ethik Bank. Der Volkswirt leitet dort die Abteilung Ethik und Nachhaltigkeit. Ferner ist er für Strategie und Portfoliomanagement zuständig. Drempetic und die Bank selbst sind für Leser von portfolio institutionell keine Unbekannten. Denn die 1964 gegründete Bank wurde im vergangenen und in diesem Jahr bei den Awards ausgezeichnet.
Ein anderer Investor, der sich intensiv mit Nachhaltigkeit beschäftigt und offen darüber spricht, ist Daniel Wolbert. Der frühere Leiter der Kapitalanlagen des kirchlichen Verka-Verbunds steuert seit Oktober 2024 die Assets im Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Berlin. Weitere Teilnehmer der Podiumsdiskussion waren Carlo Funk (Global Head Sustainable Investing Strategy und EMEA Head Sustainable Investing bei State Street Global Advisors), Marie Niemczyk (Head of ESG, Client Portfolio Management bei Candriam) und Dr. Andreas Steinert. Der Jurist leitet das ESG-Business bei Amundi Deutschland.
„Da wendet sich das Blatt ganz klar“
„Nachhaltigkeit im Frühling 2025. Wir haben selten einen kräftigeren Gegenwind gehabt in dem Thema, so wie wir ihn jetzt spüren“, bekräftigte Wiebke Merbeth, um die Auftaktfrage an Marie Niemczyk einzuleiten: „Wo stehen wir und in welcher Phase würdest Du uns beschreiben?“ In Sachen Regulierung gebe es einen Trend zur Lockerung, entgegnete die ESG-Spezialistin von Candriam. „Da wendet sich das Blatt ganz klar.“
Die Entlastungen bei der Berichterstattung führen allerdings dazu, dass Investoren weniger Daten zur Verfügung stünden und es weniger Daten-Homogenität gebe, fuhr Marie Niemczyk fort. In den USA sehe man einen ähnlichen Trend wie in Europa; etwa mit weniger Regulatorik in Sachen Diversität und in Bezug auf Klimaziele. Als nachhaltiger Anleger müsse man sich die Frage stellen, ob und wie man diese Entwicklung überwinden könne oder ob das möglicherweise ein Signal für das Ende von nachhaltigem Investieren sei, so Niemczyk.
Zugleich machte die Expertin aber deutlich, dass professionelle Investoren mit Hilfe von fundamentalem ESG-Research auch weiterhin in der Lage seien, „entsprechende Opportunitäten und Risiken im Portfolio abzubilden“. Ja, es gebe Gegenwind. Aber die wissenschaftliche Grundlage für das nachhaltige Investieren ändere sich nicht. Es gehe immer noch darum, Risiken zu mindern und Opportunitäten zu erkennen.
Die Frage nach dem Warum
Daran anknüpfend gab Carlo Funk zu bedenken, dass sich mehr und mehr Investoren die Frage nach dem Warum stellen würden. Sie argumentierten ungefähr so: „Ich bin ein Kapitalgeber und möchte Klimaziele in meinem Portfolio abbilden. Aber warum mache ich das eigentlich? Möchte ich finanzielle Opportunitäten herausfinden und daran finanziell teilhaben? Oder möchte ich eventuell einen Impact haben? Oder ist es eine Mischung aus beidem?“
Ein gewisser Gegenwind, so argumentierte der Panelist von State Street Global Advisors, sei nicht ungesund. Schließlich sei so manche Entscheidung im Nachhaltigkeitsbereich in der Vergangenheit von Investoren getroffen worden, ohne den für Anlageentscheidungen eigentlich unerlässlichen Blick auf den Markt und seine Kennzahlen vorzunehmen, wie Funk kritisierte. Er sprach von einer „Klaviatur von Nuancen“, die der Markt herauskitzele.
„Nachhaltigkeit wächst. Wir sehen das sowohl in der Realwirtschaft als auch in Flow-Daten des letzten Jahres“, erklärte Andreas Steinert von Amundi und hob damit einen weiteren Aspekt in der aktuellen Weiterentwicklung hervor. Steinert machte seine Aussage an mehreren Beispielen fest, etwa daran, dass in Erneuerbare Energien weltweit ungefähr doppelt so viel investiert werde wie in fossile Energieträger.
Auch die technologischen Fortschritte seien immens, wie der Panelist mit Blick auf die stetig sinkenden Preise für Batteriespeicher, die bei der Energiewende von herausragender Bedeutung sind, herausarbeitete. „Wir können auch über andere Technologien sprechen. Der Pessimismus dominiert zwar die Überschriften. Aber im Hintergrund passiert unglaublich viel Positives“, konstatierte Steinert.
Man müsse aber auch verstehen, dass der nachhaltige Markt vor allem ein europäischer Markt sei, erklärte Steinert mit Blick auf die Mittelflüsse. „Über 80 Prozent der nachhaltigen Fonds und Assets liegen in Europa. Das heißt, der Gegenwind, der uns in den USA entgegenschlägt, ist ein Nebenkriegsschauplatz, der relativ wenig Bedeutung hat.“ Zusammenfassend sagte der Vertreter von Amundi bei diesem Gesprächspunkt, dass Nachhaltigkeit wachse. Und er glaube nicht, dass dieser Trend durch die regulatorischen Gegenmaßnahmen stark gefährdet werde.
Und wenn man über den Tellerrand schaue, sehe man, dass beispielsweise in Asien die Regulatorik, was Nachhaltigkeit betrifft, zunehme. „China, Hongkong, Singapur – überall sehen wir Green Bonds und alle möglichen Prinzipien, die dort ebenfalls aufgesetzt werden. Zwar nicht in derselben Stringenz wie in Europa. Aber es passiert. Asien folgt zu einem gewissen Grad Europa.“ Und mit Blick auf die Regulierung in der EU lobte Andreas Steinert, dass es gut sei, dass man nun von einer Maximalregulierung wegkomme – hin zu einer „Regulierung mit Augenmaß“. Er erwartet, dass dadurch die Akzeptanz in der Realwirtschaft steige. Überzogene Berichtspflichten hatten dort einen gewaltigen Gegenwind erzeugt.
Nachhaltigkeit wird als Instrument für Risikomanagement wahrgenommen
Daniel Wolbert vom Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Berlin setzte ein Ausrufezeichen in der Debatte, indem er betonte: „Der ESG-Hype ist vorbei. Nachhaltigkeit in der Kapitalanlage ist auf einem Niveau angelangt, wo mehr Inhalte zählen.“ Der Leiter Kapitalanlage machte deutlich, dass von Investoren längst nicht mehr alles gekauft werde, wo „Nachhaltigkeit“ draufstehe. Das sei eine positive Entwicklung. Nachhaltigkeit werde mehr und mehr als Instrument für Risikomanagement wahrgenommen. Wolbert rief die anwesenden Investoren im Sall dazu auf, sich intensiver mit inhaltlichen Fragestellungen auseinanderzusetzen und diese vermehrt in Stresstests und ALM-Studien einfließen zu lassen.
Die Steyler Ethik Bank betrachtet sich als kleinen Player im großen Feld der Nachhaltigkeit. Er gehe nicht davon aus, betonte Drempetic, „dass diejenigen, die von Nachhaltigkeit überzeugt sind, aufgrund geopolitischer Lagen davon stark abweichen werden“. Mit Blick auf die EU-Pläne (Stichwort „Omnibus“) gab er zu bedenken, „dass wohl niemand von dem Hin und Her begeistert ist. Das macht natürlich die strategische Planung schwierig“. Zugleich merkte Drempetic an, dass in den Rahmenbedingungen Kosteneffekte kaum eine Rolle spielten. „Wir haben einen CO₂-Preis. Aber wo ist der Preis für Biodiversität, für Diversität et cetera? Diese brauchen wir, damit die Lenkungswirkung stattfindet.“
Autoren: Tobias BürgerSchlagworte: ESG-Berichtspflichten | Klimarisiken | Nachhaltigkeit/ESG-konformes Investieren
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