Pensionskassen
14. Mai 2020

Der Stotterstart des Sozialpartnermodells

Neue Informationen zum Sozialpartnermodell fließen nur ­spärlich. Vor allem, weil sich die Gewerkschaften mit der Kapitalanlage ­ohne Garantien schwertun. Der Börsenrutsch und grundsätzliche Kritik von Verdi an den Arbeitgebern machen die Sache nicht leichter. Das erste Pilotmodell soll nun bis zum Sommer kommen.

Eines ist klar: Der Trend geht hin zu höheren Risiken statt ­Garantien in der Altersvorsorge. Dazu würde auch das Sozialpartnermodell (SPM) gut passen, auf dessen Durchbruch viele Marktakteure ­hoffen. Das hatte sich auch bei den Themen der bAV-Handelsblatt-Tagung in Berlin widergespiegelt, die wegen des Corona-Virus auf Mitte November verschoben wurde. Dort hätte das SPM breiten Raum eingenommen. Hätte, hätte, Fahrradkette! Da solche Veranstaltungen für unbestimmte Zeit auf Eis gelegt wurden, fragte ­portfolio institutionell direkt bei einigen Experten nach, was es zur Umsetzung des SPM, also der reinen Beitragszusage, Neues gibt.

Hinter den Kulissen wird intensiv diskutiert und verhandelt, ­bestätigt Rechtsanwalt Marco Arteaga, Partner der Kanzlei DLA ­Piper UK LLP. Zu verkünden gebe es aber im Moment kaum etwas, ­sagte der geistige Vater des SPM. „Das Thema muss einfach noch weiter reifen.“ Dabei sind bereits über zwei Jahre seit Verabschiedung des Betriebsrenten-Stärkungsgesetzes (BRSG) vergangen. „Es braucht zeitnah einen Piloten, der die Leistungsfähigkeit des SPM beweist“, hatte Lars Golatka, Bereichsvorstand bAV der Zurich Gruppe Deutschland und CEO Deutscher Pensionsfonds, schon im ­November 2019 gesagt (siehe portfolio institutionell, November, Seite 30f.) Golatka ist auch verantwortlich für das gemeinsam mit der Talanx aufgebaute Konsortium „Die Deutsche Betriebsrente“.
Im November schien es mit dem Piloten tatsächlich ernst zu ­werden. Bei Talanx war ein Haustarifvertrag für die rund 12.000 ­inländischen Beschäftigten des Versicherers in Arbeit, den die ­Gewerkschaft Verdi und der Konzern aushandeln und zum 1. ­Januar 2020 umsetzen wollten – durch „Die Deutsche Betriebsrente“. Das war offensichtlich zu optimistisch gedacht. Denn der Pilot ist ­bisher immer noch nicht durchgestartet. „Talanx befindet sich in guten, konstruktiven Gesprächen mit Verdi und ist zuversichtlich, dass der Haustarifvertrag bald abgeschlossen wird“, gab Talanx-­Vorstand Fabian von Löbbecke Mitte März zu Protokoll. Während der Arbeitgeber Talanx schon im November vom Abschluss träumte, stieg Verdi erst einmal in die Grundsatzdiskussion ein.

Kein Wunder: Das SPM ist absolutes Neuland, bei dem für die ­Arbeitnehmer viel auf dem Spiel steht. Gehen die Kapitalanlage-Hoffnungen der Anbieter nicht auf, fällt das den Gewerkschaften auf die Füße. Zur Erinnerung: Beim SPM sind Mindest- oder ­Garantieleistungen verboten. Für die Kapitalanlage wird ein ­Ertragsziel festgelegt. Hinzu kommt ein Risikopuffer, der Schwankungen glätten soll. Dazu soll der Tarifvertrag einen zusätzlichen Sicherungsbeitrag des Arbeitgebers vorsehen. Die Anlageerträge werden bis zur Höhe des „vorsichtigen Zinses“ in das zugeordnete Vermögen eingebracht, der darüber hinaus gehende Ertrag geht in den Puffer der Anwartschaftsphase. In der Rentenphase dient ­dieser Puffer dazu, eine möglichst stabile Rente zu erzielen.

Zur konkreten Ausgestaltung der Kapitalanlage im Talanx-SPM könne man derzeit nichts sagen, weil das Gegenstand der ­Verhandlungen ist, heißt es bei der Talanx. Man habe aber bei der Umsetzung im Konsortium „Die Deutsche Betriebsrente“ bewusst ein ­Bausteinprinzip gewählt, um auf die Wünsche der ­Sozialpartner einzugehen – „das gilt grundsätzlich auch für die Kapitalanlage“, betont Golatka. Im kapitalmarktbasierten Pensionsfonds lasse sich die Allokation so gestalten, wie es aus Rendite-, Kosten- und Sicherheitsaspekten sinnvoll ist. Der Fonds von „Die Deutsche Betriebsrente“ sei nun mit 100 Millionen Euro dotiert. „Dadurch kann schon der erste Euro im jeweiligen Tarifvertrag professionell und kostengünstig angelegt werden“, verspricht Golatka. Die interne Kostenersparnis durch den Skaleneffekt gebe man 1 zu 1 an die ­Arbeitnehmer weiter. Die Sozialpartner erhielten zudem die Möglichkeit, selbst die Sicherungsmechanismen auszugestalten.

Die Gewerkschaft Verdi hat kurz nach der abgesagten bAV-­Handelsblatt-Tagung gegenüber portfolio institutionell erklärt, ­worauf es für sie beim SPM ankommt. Der Verdi-Bundesvorstand hatte bereits im Februar 2018 empfohlen, „in anstehenden Tarifrunden die bAV im Rahmen des BRSG zum Thema zu machen und insbesondere in Bereichen, in denen es noch keine Betriebsrenten gibt, die Umsetzung einer arbeitgeberfinanzierten bAV ­anzustreben. In Tarifbereichen, in denen es bereits eine arbeitgeberfinanzierte bAV gibt, ist zu prüfen, inwieweit der neue bAV-Förderbetrag ­nutzbar gemacht werden kann“, erinnerte Andrea Kocsis, stellvertretende Verdi-Vorsitzende. Auf dem Verdi-Bundeskongresses im September war im Leitantrag Alterssicherung beschlossen worden, dass die Gewerkschaft sich dafür einsetzt, die gesetzliche Rentenversicherung – ergänzt um bAV – als eine lebensstandard­sichernde Alterssicherung zu gewährleisten. „Im Interesse der ­Mitglieder will Verdi insbesondere die arbeitgeberfinanzierte bAV stärken“, ergänzte Judith Kerschbaumer, Leiterin des Bereichs ­Sozialpolitik der Verdi-Bundesverwaltung. Dazu nehme man die Chancen des SPM wahr, sofern sie den Verdi-Rahmenregelungen entsprechen. Grundsätzlich wolle man nur mit Einrichtungen zusammenarbeiten, ­deren Träger den eigenen Beschäftigten eine attraktive bAV anbieten. Weiter müssten sich Arbeitgeber neben einem angemessenen Sicherungsbeitrag als Kompensation für ihre entfallende Haftung mit einem substanziellen Betrag an der bAV beteiligen, der nicht nur die Weitergabe der SV-Ersparnis bei Entgeltumwandlung umfasst. „Zudem wird Verdi keine Ablösung oder Verschlechterung bereits bestehender Zusagen durch das SPM hinnehmen“, stellte Kocsis klar. Weiterhin müssten die Finanzanlagen ökologischen, ethischen und sozialen Nachhaltigkeitskriterien entsprechen.

„Erste Erfahrungen zeigen jedoch, dass es den meisten Arbeit­gebern am Willen fehlt, ihren Beschäftigten eine bessere Ein­kommenssituation im Alter zu organisieren“, berichtete Kerschbaumer. „Sind sie bereit, mit uns über die Möglichkeiten der bAV zu verhandeln, soll dies regelmäßig nicht zu höheren Kosten ­führen“, kritisierte Kerschbaumer. Dabei sei Verdi bisher die erste und einzige Gewerkschaft, die Verhandlungen zu einem SPM ­aufgenommen hat. „Wir sind zuversichtlich, diese ersten Verhandlungen noch vor der Sommerpause 2020 erfolgreich abschließen zu können“, erklärte Kocsis.

Bei den zu klärenden Details spielt Verdi auf das per Tarifvertrag auszuhandelnde Finanzvolumen an und auf die Frage, wer was ­finanziert. Daneben sei Grundlegendes, wie die ­„Anschlussfähigkeit“ für weitere Sozialpartner (um Skaleneffekte zu erreichen), ebenso zu klären, wie die Anwendung von Sterbetafeln, der Auf- und ­Abbau kollektiver Puffer, die Kapitalanlage, die Verrentung und ­Anpassung der Renten sowie die Sicherstellung der gesetzlich geforderten „Durchführung und Steuerung“ bei wachsendem Sozialpartner-Kreis. „Nicht hilfreich ist dabei die neuerliche Debatte um obligatorische, allein von den Beschäftigten zu finanzierende und selten zu Ende gedachten Zwangssparmodelle“, kritisierte Kocsis.

Damit liegt die Latte für die Arbeitgeber ziemlich hoch. Was die Nachhaltigkeitskriterien betrifft, sieht sich „Die Deutsche Betriebsrente“ gut aufgestellt: Man sei konsequent nach sozial-gesellschaftlichen Aspekten und an der Qualität der Governance ausgerichtet. „Neben den ökonomischen Gesichtspunkten setzen wir auch ESG-Kriterien konsequent um, und zwar in allen Asset-Klassen“, so ­Golatka. Der Anspruch lautet: Mehr Rente für Deutschland. Das SPM erlaube eine wesentlich höhere Beteiligung der Begünstigten am globalen Produktivvermögen, sagt auch Christof Quiring, ­Leiter Investment- und Pensionslösungen Fidelity International. Dadurch könnten selbst in Zeiten „japanischer Verhältnisse“ Renditen ­erzielt werden, die einen realen Vermögenszuwachs erzeugen. „Das ­Zielrentenportfolio sollte einen hohen Diversifizierungsgrad aufweisen, einen Schwerpunkt bei Produktivvermögen haben, global ausgerichtet sein, aktiv und dynamisch gemanagt werden“, so die Empfehlung des Experten. Die Volatilität werde schon durch den Anlagemix selbst abgemildert. Quiring wies im März auf einen oft unterschätzten Vorteil der bAV hin. Der Arbeitgeber löst das „Risiko­paradoxon“ für die Arbeitnehmer auf: Sie sehen auf der ­einen Seite das Risiko der Altersarmut, gewichten auf der anderen Seite die Eigenschaften Garantien und Sicherheit aber am ­stärksten. Die Rendite steht laut einer Fidelity-Umfrage unter 1.000 Arbeit­nehmern nur für 14 Prozent an erster Stelle, so Quiring. Damit ­unterschätze die Mehrheit den direkten Einfluss der Kapitalmarktrenditen auf ihren Konsum im Ruhestand. „Es sind ­Anlagestrategien gefragt, die den Ansparzeitraum durch eine dynamische, global ausgerichtete Vermögenszusammensetzung optimal nutzen“, so sein Fazit. Man darf gespannt sein, ob dies die Gewerkschaften überzeugt. Die sind bekanntlich eher kapitalmarktfern eingestellt und dürften durch die Corona-Krise noch vorsichtiger sein. Die Vermögensallokation des Fonds der „Deutsche Betriebsrente“ fährt eine Aktienquote von 50 Prozent.

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Eine Antwort zu „Der Stotterstart des Sozialpartnermodells

  1. Eine echt unglaubliche Überfrachtung solcher Verhandlung von Seiten der Gewerkschaften mit Forderungen – so langsam wird klar, warum es bisher noch nicht zu irgend einem – nicht mal einem hausgemachten – Abschluss diesbezüglich kam.

    Dabei sollte eigentlich klar sein, dass beim Verzicht auf Garantien allein schon der Arbeitnehmer besser fährt, auch schon ohne zusätzliche, unrealistische Forderungen an den Beitrag der Arbeitgeber…

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