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30. Mai 2025

Die Frontlinie im Portfolio

Der Umgang mit Rüstungsanlagen sorgt für Diskussionen – öffentlichkeitswirksam bei Publikumsfonds und diskreter in den Gremien zahlreicher großer Kapitalanleger. Manche wollen ihr Portfolio aufrüsten, andere eröffnen ein Sperrfeuer, um Wertpapiere des Defence-Sektors fernzuhalten. Debattiert wird auf der ethischen Ebene, gedacht wird aber auch an die Performance.

Die Aufrüstung kommt am ETF-Markt in großen Schritten voran: Immer mehr Rüstungsfonds ziehen immer mehr Anlegerkapital an. Vor kurzem vermeldete der Anbieter Han-ETF, dass der 2023 aufgelegte hauseigene Rüstungs-ETF die Marke von zwei Milliarden Euro geknackt habe, allein seit Jahresanfang 2025 betrugen die Mittelzuflüsse mehr als eine Milliarde Euro.

Die Verteidigung hat unlängst auch die nachhaltigen Publikumsfonds erreicht. So kündigten unter anderem die Fondsanbieter Allianz Global Investors (AGI) und DWS an, Rüstungsanlagen auch in verschiedene Artikel-8-Fonds aufzunehmen. Die DWS sah sich kurz darauf zu der Konkretisierung veranlasst, dass Fonds mit Nachhaltigkeitsbegriffen im Fondsnamen davon nicht betroffen seien.

Dabei dürfen rein regulatorisch betrachtet auch dezidierte ESG-Fonds in Aktien und Anleihen von Rüstungsherstellern investieren. Denn die neue europäische Esma-Namensleitlinie, die nun auch für bestehende Ucits-Fonds gilt, schreibt Anbietern zwar vor, bei Fonds mit Nachhaltigkeitsaspekten im Namen mindestens 80 Prozent der Anlagen entsprechend dem angegebenen Nachhaltigkeitsziel zu investieren. Im Umkehrschluss können sie 20 Prozent weitgehend frei allokieren – auch im militärischen Bereich.

Lediglich völkerrechtlich geächtete Waffen, wie Streubomben, chemische und biologische Waffen bleiben demnach verboten. Das deutsche ESG-Zielmarktkonzept, in dem noch vor rund drei Jahren die Verbände der Kreditwirtschaft, der Zertifikateverband und der BVI vereinbart hatten, dass als nachhaltig vertriebene Fonds nicht in Unternehmen investieren dürfen, bei denen mehr als zehn Prozent des Umsatzes auf Rüstungsgüter entfallen, ist zum Jahresende an die Esma-Regelung angepasst worden.

Der Umgang mit Rüstung beschäftigt auch institutionelle Anleger, und das über nationale Grenzen hinaus. Sehr deutliche Positionen bezieht der Vorstandsvorsitzende des größten niederländischen Pensionsfonds ABP, Harmen van Wijnen. „Die Investition in unsere gemeinsame Sicherheit ist für uns als Pensionskasse notwendig. Sie ist entscheidend für die Bewahrung unserer Freiheit, unseres Wohlstands“, schreibt van Wijnen auf Linkedin. In der Diskussion würden die Begriffe „nachhaltig“ und „sicher“ teilweise gegenübergestellt, dabei sei das eine nicht ohne das andere denkbar: „Sicherheit ist eine Voraussetzung. Ein sicheres Europa ist die Voraussetzung für eine gute Rendite unserer Investitionen“, so der ABP-Chef. Er schlägt vor, Investitionen nicht nur nach den Gesichtspunkten Umwelt, Soziales und Unternehmensführung zu prüfen, sondern auch nach der Sicherheit zu fragen. Investitionen in Sicherheit umfassen seiner Meinung nach auch Immobilien in Form von Kasernen oder die physische und digitale europäische Infrastruktur. ABP verwaltet die Pensionsanlagen für niederländische öffentliche Bedienstete einschließlich Militärangehöriger.

Deutsche institutionelle Investoren halten sich mit so deutlichen Aussagen eher zurück. Doch viele von ihnen haben schon vor Jahren reagiert. Die Leitlinien habe man unmittelbar nach dem russischen Angriff auf die Ukraine aktualisiert, erfuhr portfolio institutionell von einem deutschen Versicherer. In der Folge wurden die zuvor ausgeschlossenen Investitionen in Rüstungsunternehmen der EU und der USA wieder zugelassen, sofern auf diese keine weiteren Ausschlusskriterien zutreffen. In Publikumsfonds seien dagegen Firmen mit einem Umsatz konventioneller Waffenproduktion von mehr als zehn Prozent generell ausgeschlossen. Damit würden wohl auch die zuletzt für bis zu 20 Prozent Rüstungshersteller geöffneten Artikel-8-Fonds ausscheiden.

Beim GDV beobachtet man keine grundlegenden Veränderungen der Anlagepolitik der Versicherer. Allerdings unterstütze die deutsche Versicherungswirtschaft die politischen Ziele zur Erhöhung der Verteidigungsfähigkeit und Resilienz in Deutschland und Europa. Zuletzt hatte Anfang März die EU-Kommission ihren rund 800 Milliarden Euro schweren ReArm-Europe-Plan vorgestellt. Auch die neue Bundesregierung plant bekanntlich, die Investitionen in die Verteidigungsfähigkeit deutlich auszubauen. Für mehr private Investitionen in die Rüstungsindustrie wäre es laut dem Versicherungsverband hilfreich, wenn die Staaten verbindliche und langfristige Beschaffungsverträge mit der Rüstungsindustrie abschließen. „Einen besonderen Beitrag können die Versicherer als langfristige Investoren zudem bei der Erstellung beziehungsweise Finanzierung kritischer Verteidigungsinfrastrukturen in Deutschland und Europa leisten“, so ein GDV-Sprecher.

Weitgehend unverändert haben die kirchlichen Einrichtungen ihre Anlagerichtlinien gelassen: So sind etwa bei der Kirchlichen Zusatzversorgungskasse des Verbandes der Diözesen Deutschlands (KZVK) kontroverse Waffen grundsätzlich ausgeschlossen. „Zudem schließen wir Unternehmen aus, deren Umsatz signifikant auf Rüstungsgütern basiert“, heißt es dort. Selbstverständlich würden die Ausschlusskriterien in regelmäßigen Abständen und vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftspolitischer Debatten überprüft. Auch den Ausbruch des Ukraine-Kriegs hatte die KZVK zum Anlass genommen, die Angemessenheit der Wertmaßstäbe zu hinterfragen und eventuelle Anpassungen mit den Gremien intensiv zu diskutieren. „Entscheidend für unsere Bewertung bleibt jedoch unsere Funktion als Altersversorgungseinrichtung für Mitarbeitende der katholischen Kirche“, so eine KZVK-Sprecherin. Daher haben man sich letztlich gegen umfassende Anpassungen entschieden. Auch im Hinblick auf Artikel-8-Fonds verweist man auf die eigenen Leitlinien, die im Einklang mit den Wertmaßstäben der katholischen Kirche entwickelt wurden. „Auch ein nach Artikel 8 klassifizierter Fonds würde an diesen Maßstäben gemessen. Ein Verstoß gegen unsere ethisch-nachhaltigen Kriterien würde daher auch dazu führen, dass in den Fonds nicht investiert wird“, erklärte die Sprecherin.

Das Lager der Asset Manager ist in der Rüstungsfrage geteilt. „Ein robuster Verteidigungssektor ist notwendig, um die Mittel für nationale und regionale Sicherheitspolitiken bereitzustellen und die wirtschaftliche und soziale Stabilität zu unterstützen“, heißt es bei AGI. Die Beteiligung des privaten Sektors sei für die Erfüllung der Sicherheitsbedürfnisse von entscheidender Bedeutung. Philippe Zaouati, Anlagechef des zu Natixis gehörenden Asset Managers Mirova, argumentiert ähnlich wie ABP-Chef Harmen van Wijnen: „Die Prinzipien des nachhaltigen Investierens sollen dafür sorgen, dass Kapital in wirtschaftliche Aktivitäten mit positiven Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft (ESG) gelenkt wird“, so Zaouati. Historisch sei die Rüstungsindustrie von diesem Ansatz ausgeschlossen worden: Der russische Angriff habe aber deutlich gemacht, dass der europäischen Finanzindustrie ein klarer und transparenter Investitionsrahmen fehle, der auch Lösungen zur Verteidigung und Friedenssicherung unterstützen würde. „In einem geopolitischen Kontext, der von zunehmenden Spannungen und Bedrohungen der Souveränität von Demokratien geprägt ist, ist das ein Problem“, so Zaouati. Für ihn ist der Schutz der Bevölkerung und demokratischer Institutionen die Voraussetzung schlechthin, ohne die eine Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft Makulatur ist.

Dabei gehe es weniger um die großen Rüstungskonzerne, die ohnehin gut kapitalisiert seien. Für kleine und mittlere Unternehmen (KMU), nicht börsennotierte Unternehmen und Tech-Start-ups sehe das aber ganz anders aus. „Diese Unternehmen spielen jedoch eine Schlüsselrolle bei der Innovation und Entwicklung dualer Technologien, die sowohl zivilen als auch militärischen Zwecken dienen“, ist Zaouati überzeugt. „Nachhaltiges Finanzwesen darf kein Hindernis, sondern kann und muss ein Hebel sein, um eine verantwortungsvolle Finanzierung der Verteidigung zu strukturieren“, fordert er. Es gehe nicht darum, ökologische Transformation und Souveränität gegeneinander auszuspielen, sondern einen ausgewogenen Ansatz zu entwickeln, der den heutigen Realitäten Rechnung trage.

Sehr skeptisch ist man dagegen bei Triodos Asset Management: Triodos-Chefin Hadewych Kuiper plädiert dafür, dass die Rüstungsfinanzierung Sache der Regierungen bleibt. „Es liegt in der Verantwortung unserer Regierungen, uns vor Bedrohungen zu schützen und zu verteidigen“, betont sie. Die Regierungen hätten dann auch die Kontrolle darüber, was nach einer Krise mit den verbleibenden Rüstungsgütern geschehen solle. Dies sei von entscheidender Bedeutung: Sie müsste den Willen des Volkes umsetzen und bei ihren Entscheidungen genau überprüft werden. Denn die Waffen, die von Regierungen gekauft werden, werden durch Schulden und Steuern finanziert. „Diese Finanzstruktur bietet einen weiteren Anreiz, Konflikte schnell und friedlich zu beenden“, so Kuiper.

Wenn private Investoren in Waffenhersteller investieren, könne das die Spielregeln ändern, warnt die Triodos-Chefin: „Wir können die offensichtliche Tatsache nicht ignorieren, dass es das Geschäftsmodell dieser Unternehmen und ihrer Investoren ist, von solchen Konflikten zu profitieren.“ Anlegern hätten zudem kaum Transparenz darüber, welche Arten von Waffen hergestellt oder gegen wen sie eingesetzt würden. Insbesondere der Markt für Gebrauchtwaffen sei völlig undurchsichtig: „Es wäre äußerst leichtsinnig von Investoren, Pensionsfonds oder Banken, hierzu Annahmen zu treffen“, warnt Kuiper.

Mirova-Anlagechef Zaouati kann sich auch „European Defence Bonds“ vorstellen, deren Mittel in Projekte mit hoher strategischer und technologischer Bedeutung für die europäische Souveränität fließen würden. „Die Entwicklung und die zunehmende Bedeutung von Green Bonds haben gezeigt, dass es möglich ist, Kapital in bestimmte Aktivitäten zu lenken und dabei einen strengen Rahmen für die Mittelzuweisung und die Überwachung der Auswirkungen zu gewährleisten“, so der Mirova-Anlagechef. Der Vorschlag zu solchen Anleihen wurde unter anderem von der früheren Bundesregierung zurückgewiesen, die eine Finanzierung über den europäischen Haushalt präferierte. Bislang gibt es kaum Anzeichen, dass sich diese Haltung unter der neuen Bundesregierung ändern wird.

Nach Einschätzung von Markus Grünewald, Research-Leiter der ESG-Rating-Agentur Ethi-Finance, haben die meisten Publikumsfondskunden von Ethi-Finance Rüstung streng ausgeschlossen: „Neben dem Komplettausschluss von kontroversen Waffen werden auch konventionelle Waffen und strategische Rüstungsgüter meist komplett oder mit niedrigen Umsatzschwellen ausgeschlossen“, so Grünewald. Aber auch im Segment der institutionellen Kunden, zuvorderst bei kirchlichen Investoren und Stiftungen, beobachtet er derzeit keinen Kurswechsel.

Letztlich sei es aber die Aufgabe jedes nachhaltigen Investors, als Datennutzer Ausschlussgründe und -grenzen individuell festzulegen. Im Fall von Rüstungsgütern sieht Grünewald dabei vielfältige Möglichkeiten: nur kontroverse Waffen, zusätzlich konventionelle Waffen, strategische Komponenten sowie weitere Rüstungsgüter – jeweils mit unterschiedlichen Umsatzschwellen. Dass die veränderte geopolitische Lage Anlass zu Überlegungen ist, einen Teil des Geldes auch in Rüstung zu investieren, ist für ihn klar. Die Frage sei aber, ob das unter der Überschrift „Nachhaltigkeit“ geschieht. „Als ESG-Rating-Agentur würden wir Waffenproduzenten nicht ausdrücklich als Ziel für verantwortungsvolle Investitionen und nachhaltige Finanzen nennen“, sagt Grünewald und fährt fort: „Auch wenn Frieden ein SDG und ein absolut wünschenswerter Zustand ist: Es gibt eine Reihe von Argumenten gegen die Nachhaltigkeit von Rüstungsgütern.“

Dazu zähle etwa die Kontrolle über die endgültige Verwendung von Waffen nach dem Verkauf. „Deshalb gibt es auch eine Reihe von Nachhaltigkeits-Rahmenwerken wie die Pariser Klimaziele, die EU-Taxonomie als Katalog umweltbezogener Wirtschaftsaktivitäten, kirchliche Leitfäden oder das naturwissenschaftliche Konzept planetarer Belastungsgrenzen, die Waffen als nicht-nachhaltig ansehen“, so Grünewald. Die von positiven Beiträgen sprechenden UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) würden ja zudem deren Reduzierung fordern, trotz oder gerade wegen der Einbeziehung von Frieden in das SDG-Ziel Nummer 16. Die differenzierte Informationserhebung zu Unternehmen in Bezug auf Rüstung sieht er als durchaus machbar. Involvements in kontroverse Waffen, konventionelle Waffen, strategische Komponenten sowie „weitere Rüstungsgüter“ – jeweils mit unterschiedlichen Umsatzschwellen – können auf Basis verfügbarer Unternehmensinformationen oder über Sekundärresearch recherchiert werden.

Auch Roland Kölsch, Hauptverantwortlicher des FNG-Siegels, sieht Waffen- und Rüstungsanlagen nicht als Teil einer nachhaltigen Anlagelösung: „Der nachhaltige Zweck Frieden heiligt noch lange nicht das zerstörerische Mittel“, so Kölsch. Seiner Meinung nach ist das Nachhaltigkeitsargument zum Teil vorgeschoben, denn im Grund gehe es oft um Performance. „Das Performance-Argument erwähnen die Anbieter nach außen hin natürlich nicht, dabei spielt es sicher eine enorme Rolle.“ Das Problem: Portfoliomanager, die mit Ausschlüssen gegen eine traditionelle Benchmark managen, tun sich schwer, wenn Rüstungsaktien wie Hensoldt und Rheinmetall durch die Decke gehen. Das gelte umso mehr in einer Marktphase, in der Renewables gerade nicht so gut laufen. „Die Fondsmanager müssen nach jedem Performance-Grashalm angeln“, so Kölsch. Er vermutet: Wenn die Rüstungsaktien nicht so extrem zugelegt hätten, hätte niemand nach der Aufnahme in Nachhaltigkeitsfonds gerufen.

Die Debatte zur Aufnahme von Waffen in die EU-Taxonomie hält Kölsch für sehr gefährlich. Sie widerspreche – ähnlich der Debatte um Nuklearenergie – der Vorgabe an die Taxonomiefähigkeit, nicht zugleich andere Umwelt-Ziele zu schädigen nach dem „Do no significant harm“-Prinzip. „Wenn die EU das nun auch bei Waffen macht, wird es irgendwann beliebig“, so Kölsch. Eine Konsultation unter den Nutzern des FNG-Siegels, darunter Versicherer, Stiftungen, Pensionskassen und unabhängige Finanzberatern zeigte, dass die Investoren die Ausschlusskriterien im Siegel befürworten. „Das gilt für den Ausschluss von Waffen und Rüstung offenbar gerade auch, weil die Trennlinien am Markt zunehmend verschwimmen“, so Kölsch.

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