Pension Management
26. September 2022

Die Geschichte von der verschwundenen Arbeitgeber-Haftung

Ein früherer Bankangestellter bekommt weniger Betriebsrente, weil der BVV den Garantiezins abgesenkt hatte, als er noch Anwärter war. Er wendet sich an seinen früheren Arbeitgeber, doch der entzieht sich seiner Subsidiärhaftung. Ein merkwürdiges Urteil lässt die Hoffnung des Betriebsrentners ins Leere laufen.

Betriebsrenten gelten als sinnvolle und sichere Zusatzvorsorge für das Alter. Dafür wird dem Arbeitgeber eine große Verantwortung auferlegt. Bedient er sich einer externen Versorgungseinrichtung, so steht er dennoch für die Erfüllung der von ihm zugesagten Leistungen ein, verlangt das Gesetz (Paragraf 1 Absatz 1 Satz 3 BetrAVG). Doch grau ist manchmal alle Theorie, wie der Fall von Wolfgang Müller (Name von der Redaktion geändert) zeigt.

Müller diente zeitlebens nur zwei Arbeitgebern – ab 1973 der Deutschen Bank und ab 2003 dann IBM, als die Bank ihre IT-Abteilung dorthin ausgelagert hatte. Bei IBM blieb Müller bis zu seinem Ruhestand. IBM war auch in die betriebliche Altersversorgung (bAV) eingetreten, die für Müller von der Bank bei der größten deutschen Pensionskasse (BVV) organisiert wurde. Die Bank machte ihm die früher übliche Leistungszusage, denn die BoLZ gibt es erst seit 1999 und die BZML seit 2002. Als er schließlich seine erste Betriebsrente ausgezahlt bekam, fehlten ihm gegenüber der ursprünglichen Zusage monatlich 23,65 Euro.

Auf Nachfrage beschied ihm der BVV, dass dies der Kürzung der Rentenfaktoren zum 1. Januar 2017 geschuldet ist. Zur Erinnerung: Die Mitgliederversammlung des BVV beschloss 2016 mit großer Mehrheit der angeschlossenen Arbeitgeber und der Arbeitnehmer-Vertreter, den Garantiezins für die Beiträge von 4,0 auf 2,75 Prozent zu senken, da sich die ursprünglichen Garantien wegen des anhaltenden Niedrigzinses nicht mehr nachhaltig erwirtschaften ließen. Diese Absenkung wurde von der Aufsichtsbehörde Bafin genehmigt und durch Satzungsänderung der Kasse umgesetzt. Der BVV informierte die Arbeitgeber, auch IBM, darüber, dass sich die Leistungen dadurch ab 2017 um rund 24 Prozent verringern würden. Um dies vollständig auszugleichen, sei ein zusätzlicher Beitrag in Höhe von 31,61 Prozent des bisherigen Beitrags nötig gewesen.

IBM lässt Rentenlücke stehen, Betriebsrat kapituliert

Die meisten Großbanken haben diesen Zusatzbeitrag entrichtet, nicht jedoch die IBM-Chefetage. Dabei holte der Konzernbetriebsrat noch im Herbst 2016 ein Gutachten bei den beratenden Aktuaren Rüss, Dr. Zimmermann und Partner ein. Es kommt zu dem Schluss, dass „Mitarbeiter einen Anspruch auf höhere Beitragszahlung gegen ihren Arbeitgeber geltend machen können, wenn auf der Ebene der Regelungen des Versorgungsträgers das Verhältnis von Beitrag und Leistung verschlechtert wird“. Der Konzernbetriebsrat schaffte es nicht, eine Vereinbarung für den nötigen Zusatzbeitrag auszuhandeln. Daher schrieb man den Kollegen, dass ihr Arbeitgeber im Versorgungsfall zwar für das erteilte Versorgungsversprechen einzustehen habe, die IBM-Führung sich aber weigere, zusätzlichen Beitrag ab 2017 zu zahlen. Es bliebe „nur der individualrechtliche Klageweg“. „Bei einem Streitwert, der sich in Müllers Fall am 36-fachen der offenen Rente von knapp 24 Euro pro Monat bemisst und damit unter 1.000 Euro bleibt, wird sich schwerlich ein Rechtsanwalt finden, der die Interessen des einzelnen Betriebsrentners vertreten will“, kritisiert Christian Guse, ein auf bAV spezialisierter Rechtsanwalt aus Hamburg.

Da vermutlich über 1.000 Leute von der Leistungskürzung beim BVV und dem unterbliebenen IBM-Zusatzbeitrag betroffen sind, böte sich eine „Seniorengemeinschaft der Ehemaligen bei IBM an, denn eine Sammelklage ist nach der Zivilprozessordnung in Deutschland nicht vorgesehen“, meint Guse. Doch Betriebsrentner Müller winkt ab: „Für die meisten Kollegen, mit denen ich gesprochen habe, sind das Peanuts, die wollen nichts unternehmen.“

Das spielt IBM natürlich in die Karten. „Es ist nicht die feine Art, wenn ein Großkonzern sich scheinbar darauf verlässt, dass die von der Kürzung Betroffenen schon nichts unternehmen werden“, urteilt Guse. Er mahnt, dass der Konzern endlich seiner Pflicht nachkommen soll, „denn die Arbeitgeberhaftung kann sich ja nicht in Luft auflösen“. Doch genau das scheint praktisch der Fall zu sein. Zunächst wendete sich Müller an den BVV und bat um Aufklärung. Dort sah man sich nicht zuständig für höhere Rentenansprüche. Daher schrieb Müller an IBM als zuständigem Arbeitgeber zum Zeitpunkt der BVV-Leistungskürzung, und verlangte, die monatliche Rente um besagte rund 24 Euro aufzustocken.

Doch die Personalabteilung antwortete ihm Ende Juni 2022 kühl: „Laut unserem System waren Sie in der B&TS beschäftigt, diese wurde im letzten Jahr aus dem IBM-Konzern abgespalten und firmiert nun als Kyndryl B&TS. Damit ist Kyndryl Ihr Ansprechpartner.“ Kein weiteres Wort der Erklärung, warum man seinerzeit die gebotene Beitragserhöhung unterlassen und damit die bAV-Ansprüche geschmälert hatte. Und auch jetzt kein Angebot, wie man die Leistungskürzung nachträglich reparieren will. Die Abfuhr von IBM wundert Guse. „Bei einer Abspaltung tritt das neue Unternehmen in die aktiven Arbeitsverhältnisse mit allen Rechten und Pflichten auch zur bAV ein, aber das gilt nur für die Aktiven. „Wenn Herr Müller bei Abspaltung schon ausgeschieden war, bleibt die Ausfallhaftung bei IBM“, meint der Anwalt mit Verweis auf Paragraf 613a BGB.

bAV-Anwalt Christian Guse: „Letztlich steht der Arbeitgeber für die Erfüllung der von ihm zugesagten bAV-Leistungen ein. So will es das Gesetz.“

Müller hoffte derweil auf bessere Kunde von Kyndryl. Die Personalabteilung dort bestätigte ihm zwar, dass gegenüber Kyndryl ein direkt zugesagter Versorgungsanspruch auf Zahlung einer bAV besteht. Was die monatliche Rentenlücke von knapp 24 Euro betrifft, „bedauern wir, Ihrem Anliegen nicht abhelfen zu können“, so das Schreiben. Kyndryl verweist auf ein Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt/Main vom Februar 2022, das in einem anderen Kyndryl-Fall entschieden hatte: Aufgrund der vom BVV satzungsgemäß vorgenommenen Absenkung des Garantiezinses besteht keine Einstandspflicht des Arbeitgebers (Az.: 7 Ca 5585/21). „Diese Argumentation gilt für Ihren Fall entsprechend“, so Kyndryl. Und schon ist die Subsidiärhaftung des früheren Arbeitgebers verschwunden.

Das erstinstanzliche Urteil ist inzwischen rechtskräftig. Schaut man es sich näher an, so gibt es tatsächlich zahlreiche Parallelen zu Müllers Fall. Auch hier ging das Arbeitsverhältnis eines Ex-Mitarbeiters der Deutschen Bank auf IBM und später auf Kyndryl über. Auch hier kam durch die Leistungskürzung des BVV rund 23 Euro weniger Monatsrente heraus als zugesagt. Auch hier berief sich der Rentner auf die Einstandspflicht seines 2017 zuständigen Arbeitgebers.

Doch vergeblich. Eine Nachzahlung wäre laut Gericht nur gerechtfertigt, wenn vertraglich der Garantiezins in Höhe von vier Prozent zugesichert worden wäre. „Dies ist jedoch nicht der Fall“, so der Richter. Laut Arbeitsvertrag sei der Arbeitgeber nur verpflichtet gewesen, den heutigen Rentner beim BVV zu versichern. Das Gericht beschäftigte sich aber gar nicht mit dem eigentlichen Problem – der Subsidiärhaftung des Arbeitgebers, der in beiden Fällen spätestens ab 2017 Zusatzbeitrag für die Aktiven hätte zahlen sollen oder im Versorgungsfall für die Kürzung einstehen muss. „Letztlich steht der Arbeitgeber für die Erfüllung der von ihm zugesagten Leistungen ein. So will es das Gesetz“, sagt Guse. Dass sich das Gericht darüber keine weiteren Gedanken machte, verwundert den Anwalt. „Aber erstinstanzliche Gerichte haben mitunter nur überschaubares Wissen zur bAV“, weiß Guse aus Erfahrung.

Bei der Gewerkschaft Verdi kennt man das Problem mit IBM. Das Drücken vor der Subsidiärhaftung sei streng genommen rechtswidrig, so ein Gewerkschaftssekretär. Es liefen aber noch einige Musterklagen. Die Aba zeigt dagegen klare Kante: „Grundsätzlich besteht eine Einstandspflicht des Arbeitgebers beim Eintritt eines Versorgungsfalls“, sagt Geschäftsführer Klaus Stiefermann. Pensionskassen könnten nach dem VAG die ursprünglich vereinbarte Verzinsung für die Zukunft zwar reduzieren, „aber auf die jeweiligen Versorgungszusagen des ursprünglichen Arbeitsgebers hat ein solcher Vorgang keine Auswirkungen“. Der Arbeitgeber sei grundsätzlich verpflichtet, die Einbußen selbst auszugleichen. „Davon geht auch das Bundesarbeitsgericht (BAG) aus, denn Leistungsreduzierungen eines externen Versorgungsträgers wirken sich regelmäßig nicht im arbeitsrechtlichen Grundverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer aus“, so Stiefermann. Das BAG hatte bereits 1995 in diesem Sinne entschieden (Az.: 3 AZR 282/94). Auch darum verwundert das Urteil des Frankfurter Arbeitsgerichts.

IBM bleibt dennoch scheinbar hart. Auf Nachfrage gab es bis Redaktionsschluss keine Antwort. Man will die Subsidiärhaftung offenbar weiter aussitzen, solange Betroffene das in Relation zur geringen Rentennachzahlung hohe Rechtskostenrisiko scheuen.

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