Alternative Anlagen
16. April 2021

Die heiße Kartoffel

Anfang Februar standen Hedgefonds im Fokus der Öffentlichkeit, als in Social-Media-Foren organisierte Kleinanleger Melvin Capital mit den eigenen Waffen zu schlagen versuchte. Zu den Auswirkungen dieses Events auf das Anlagesegment und die ­Kapitalmärkte.

Die Kurskapriolen von Gamestop schlugen auch alten Hasen aufs Gemüt. „Wir sind ziemlich nah an einen Marktunfall herange­kommen“, so Mohamed El-Erian, Chief Economic Adviser bei der Allianz, zu CNBC. „Fragen Sie sich selbst: Warum sammelt Robinhood so viel Geld ein?“ Erinnerungen wurden wach an den LTCM-Fonds, dessen Schieflage 1998 massiv das Finanzsystem bedrohte. Laut Ivan Mlinaric, Geschäftsführer Quant Capital Management, waren die Vorfälle um Gamestop nur ein besonders drastisches Symptom extrem großer Fragilität der Märkte. „Die Tatsache, dass Sie aufgrund eines Short Squeeze plötzlich ein systemisches Risiko haben, dürfte eigentlich nicht sein. Nicht aufgrund einer einzigen Aktie, egal wie stark gehebelt diese gehandelt wird. Dass technische Effekte das System kollabieren lassen können, das darf nicht sein.“ Er verweist darauf, dass sich im Gegensatz zu anderen Baustellen, bei denen sich womöglich Blasen aufgebaut haben, bei Gamestop niemand Illusionen bezüglich der fundamentalen Werte gemacht hat. „Die Begründung war: Ich reite den Short Squeeze.“ Seine ­Interpretation beziehen sich denn auch nicht auf Gamestop im ­Besonderen, sondern dass im Markt generell etwas passiert. 25 ­Prozent der Dollar-Geldmenge M2 wurden in 2020 geschaffen, ­extreme Kursschwankungen bei Bitcoin und Tesla, Extreme auch bei den Marktmeinungen. „Es passiert etwas, das sich durch die etablierten Modelle nur noch schwer abbilden lässt. Es ist eine Zeit des Umbruchs, eine Zeit zunehmender Fragilität“, konstatiert er.

Andere Marktteilnehmer sendeten beruhigendere Signale. Barclays etwa argumentierte, dass das von den Turbulenzen um Gamestop betroffene Marktvolumen nur 40 Milliarden Dollar betrage und somit nur einen kleinen Teil des ausstehenden Volumens von Shorts in Höhe von 800 Milliarden Dollar darstelle. Die Ansteckungs­gefahr durch solche und ähnliche Vorfälle hält auch Marcus Storr, Head of Alternative Investments bei Feri, für beschränkt. „Wie kann eine Krise entstehen? Nur dadurch, dass Marktteilnehmer zu Handlungen gezwungen sind oder natürlich durch Leverage.“ Der einzige direkte Spillover könne hier sein, dass Hedgefonds Long-Positionen verkaufen müssen, um Liquidität zur Bedeckung der Short-Positionen zu erhalten. „Contagion ist hier beschränkt.“

Die eigentliche Gefahr für die Finanzstabilität lag woanders. Wer dies verstehen will, findet eine gute Zusammenfassung in einem Brief des vom CFA Institute gegründeten System Risk Council (SRC). In diesem beschreiben sie, was die ungewöhnlich hohe Zahl an Trades mit Clearing-Häusern und Dealer Brokern machte. So konnten viele Trades erst verzögert ausgeführt werden. Viele Käufe waren nicht vorfinanziert, was bedeute, dass die Anleger für den Zeitraum von zwei Tagen bis zur Abrechnung gehebelt waren. Eine ähnliche Rolle spielte Leverage bei den Hedgefonds: „Einige dieser Short-Positionen scheinen gehebelt gewesen zu sein, so dass eine teilweise gehebelte Käufergemeinschaft gegen gehebelte Verkäufer antrat. Als der Aktienkurs in die Höhe schoss, werden die Prime-Broker der Leerverkäufer mehr Sicherheiten verlangt haben, was den Druck in dem Maße erhöhte, in dem die Händler mit Short-­Positionen sich absicherten oder ausstiegen. Mit dem Anstieg des Aktienkurses und der damit verbundenen Hebelwirkung beendete jemand – das Clearinghaus, da seine eigenen Engagements zunahmen – effektiv das Gamestop-Spektakel.“ So forderte die Clearingstelle für die Abwicklung von US-Aktien (NSCC) am 28. Januar Kollateral von Robinhood, dem Broker, über den viele Kleinanleger ihre Trades tätigten. Dieser nahm nicht nur neues Kapital von Investoren auf, um die Margin Calls zu erfüllen, sondern ließ temporär keine Käufe der Gamestop-Aktie seitens Privatanleger mehr zu.

Aus Sicht des SRC sollten Collateral Requirements von Clearing-Häusern sowie die Kapitalanforderungen von Broker-Dealern ­untersucht werden. „Auch wenn die jüngsten Turbulenzen am ­Aktienmarkt keine direkte Bedrohung für die Stabilität darstellten, müssen die Behörden aus einer hässlichen Episode lernen, die ein Gerangel um Kollateral, die Schließung von Positionen und die Unterbrechung von Dienstleistungen beinhaltete“, so SRC-Chairman Paul Tucker, früherer Deputy Governor der Bank of England. „Der Kongress sollte sicherstellen, dass die unerledigte Arbeit zum Wiederaufbau der Widerstandsfähigkeit des Finanzsystems wieder aufgenommen wird.“ Eine Debatte um eine regulatorische Antwort auf die Vorfälle stand schnell im Raum. Die SEC und das Justizministerium führen Untersuchungen, um den Vorwurf der Marktmanipulation bezüglich der Vorfälle Ende Januar zu untersuchen – bezeichnenderweise gegen die Kleinanleger, welche sich gerade unter dem weitverbreiteten Eindruck der Dominanz der Hedgefonds und der Wall Street insgesamt über die Main Street ­zusammengefunden hatten. Doch auch die Entscheidung von Robinhood, Trades der Gamestop-Aktie in der heißen Phase auszusetzen, rief viel öffent­liche Kritik hervor. Der Eindruck, der bei vielen bleiben wird, ist, dass Finanzmärkte doch nicht so offen und unhierarchisch für alle zugänglich sind, wie die Finanzindustrie dies immer signalisiert – zumal die selbstbezeichnete Speerspitze der Kleinanleger, Robinhood, offensichtlich in Interessenskonflikte mit Hedgefonds und Broker-Dealern verstrickt ist.

Wie außergewöhnlich die Vorfälle waren, zeigen Zahlen, welche Sven Lehmann, Fondsmanager bei HQ Trust, zusammengetragen hat: So rangierte Gamestop im Januar und Februar 2021 auf Platz 7 der am meisten gehandelten Unternehmen des Russell 3000. Setzt man das gehandelte Volumen und der Börsenwert ins Verhältnis, so ergibt sich bei Gamestop und AMC ein Wert von über 30 – so oft wechselte theoretisch das komplette Unternehmen den Besitzer. Das Fazit von Lehmann: „Mit den Schlaftabletten von André ­Kostolany hat das nichts mehr zu tun – es geht eher darum, die ­heiße Kartoffel noch schnell weiterzureichen.“

Die Turbulenzen trafen eine Asset-Klasse, welche im vergangenen Jahr durch die Marktturbulenzen bereits etwas ausgeblutet war. 25 Milliarden Euro zogen Investoren in Deutschland im vergangenen Jahr laut der jüngsten Absolute-Return-Studie von Lupus Alpha ab, wodurch das verwaltete Vermögen um 9,1 Prozent auf 249 Milliarden Euro zurückging. Untersucht wurden dabei in Deutschland zum Vertrieb zugelassene aktiv gemanagte Strategien im Ucits-Mantel. Zuflüsse verzeichneten allein tendenziell risikoärmere Strategien (Alternatives Credit Focus) und Relative-Value-Ansätze sowie Strategien, die von größeren Marktbewegungen profitieren (Global Macro, Event Driven). Der Abzug sei etwas vorschnell ­gekommen, urteilt Lupus Alpha, selbst ein Manager von Liquid-Alternatives. Schließlich sei auf Jahressicht sogar ein positives Ergebnis von durchschnittlich 1,34 Prozent über alle Strategien hinweg eingefahren worden. Im Vergleich mit den unregulierten Hedgefonds, welche ähnliche Strategien fahren, schnitten die Ucits-­Produkte jedoch deutlich schlechter ab. Mit 6,81 Prozent über­trafen Hedgefonds selbst die Performance des MSCI World knapp.

Doch hat die Hedgefonds-Industrie die Vorfälle um Gamestop ­irritiert? „Nicht im Geringsten“, so Marcus Storr, Head of Alternative Investments bei Feri. Es habe zwei bis drei Hedgefonds gegeben, die ihre Hausaufgaben nicht gemacht und enorme Verluste eingefahren haben. Mit Hausaufgaben meint Storr vor allem ein angemessenes Risikomanagement. „Es verbietet sich eigentlich, in ­illiquideren Aktien Shorts einzugehen“, so Storr. Denn sonst ­könne das passieren, was Melvin Capital und anderen zum Verhängnis ­wurde: Man kommt selbst aus der Short-Position nicht mehr ­heraus und sorgt durch das Eindecken der Short-Positionen noch zusätzlich dafür, dass sich die eigene Lage verschlechtert. Auch ­deshalb müsse man bei Short-Positionen noch weit stärker diversifizieren als bei Long-Positionen. Der eigentliche Grund liege dabei darin, dass notleidende Unternehmen – zumal wenn diese durch den Verkauf von Assets kurzfristig Cash-Bestände aufbauen – Ziel von Übernahmeangeboten werden können, welche dann den Aktien­kurs durch die Gewährung einer Prämie nach oben treiben. Diese Regeln wurden von den betroffenen Hedgefonds offenbar missachtet. Dagegen standen auch (andere) Hedgefonds auf der Gewinnerseite, weil diese sich rechtzeitig positioniert haben und so von dem Short Squeeze profitieren konnten. „In der Breite hat es die Hedgefonds-Industrie null getroffen“, so Storrs Einschätzung.

Dementsprechend habe es in der Industrie auch wenig Veränderungen gegeben. „Viele Manager verfolgen nun diese Plattformen, setzen beispielsweise Analysten oder einen Praktikanten darauf an. Und vermeiden in der Folge die dort diskutierten Aktien.“ Überhaupt seien für Kleinanleger Short Squeezes nur bei recht kleinen Aktien überhaupt im Bereich des Möglichen. Dieser zusätzliche Check scheint tatsächlich zur Norm zu werden. So sagte Carson Block, der Gründer des Hedgefonds Muddy Waters, dem Magazin Institutional Investors, er habe das Reddit-Forum gecheckt, bevor er einen Report zu XL Fleet, ein von Muddy Waters in der Folge geshortetes Unternehmen, veröffentlichte. „Wir haben überprüft, um zu sehen, dass [XL Fleet] nicht einer dieser Reddit-Favoriten war. Wenn sich ein Reddit-Mob bildet und man nicht in der Lage ist, schnell aus dem Weg zu gehen, ist das ein großes Problem.“ Wem man aus dem Weg gehen könnte, es aber offenbar immer noch gar nicht will, ist die Gamestop-Aktie. Diese stieg nach ­heftigem Kursverfall Anfang Februar von knapp 32 Euro am 19. ­Februar 2021 bis zum 10. März wieder auf stolze 264 Euro.

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