Recht, Steuer & IT
20. Dezember 2011

Die Kernübel der heutigen Schuldensituation

In der freien Wirtschaft hat es ein Kreditnehmer ohne aussagekräftige Bilanz, Kostendisziplin und Sicherheiten­vergabe schwer. Staaten können sich hingegen auch so finanzieren. Ein Plädoyer für mehr Transparenz und bilanzielle Führung bei staatlichen Schuldnern.

Die Wurzel der heutigen Finanzkrise liegt in dem Umstand, dass über 90 Prozent des Bond-Marktes ohne Sicherheiten in Bilanzen ­investiert ist, die kaum nachvollziehbar sind. Der Löwenanteil fällt auf Staaten, staatsnahe Gebilde und große Finanzinstitute. Ein bedeutender Teil dieser Schuldner hat in den vergangenen zehn Jahren – der Phase des immer billiger werdenden Kapitals – der Bilanzausdehnung zu wenig oder keinen Wert beigemessen. Für Investoren in Wert­papiere dieser Schuldner war der Glaube an das „Too big to fail“ und  „Countries don‘t go out of business“ die einzige wirkliche Sicherheit, hier und da vielleicht noch ergänzt um die Einschätzung einer ­bekannten Rating-Agentur. Untermauert wird die Sicherheit durch aufsichtsrechtliche Regularien, die für Investoren wie europäische Versicherer und Banken zwar für Aktien und Immobilien die Bildung von Rücklagen vorsehen, nicht ­jedoch für Staatsanleihen von Schuldnern aus der Eurozone. Dies erweist sich im Nachhinein als trügerisch­ und gigantisches Subventionsprogramm des öffentlichen Sektors. Nach dem partiellen Schuldenausfall Griechenlands ist es nach unserem­ Dafürhalten ­heute mehr denn je unerlässlich, dass Investoren­ sich künftig als mündige Unternehmer verstehen, die für ihre Kredite reale ­Sicherheiten, mehr Disziplin in der Bewirtschaftung und eine bessere Transparenz von (Staats-)Bilanzen einfordern, anstatt wie bisher­ auf das Urteil von Rating-Agenturen und die Nachsichtigkeit des Staates­ und seiner Aufsichtsbehörden im Notfall zu vertrauen.

_Mangelnde Disziplin des Staates

Im Mittelpunkt der Diskussion zur Bewältigung der Schuldenkrise­ ­stehen makroökonomische und politische Optionen. Dabei geraten die eigentlichen Kernübel aus dem Blickfeld: eine ineffiziente Bewirtschaftung des Staatskapitals bei gleichzeitig nicht nachvollziehbaren Bilanzen. Investoren müssen prüfen können, wofür das passivseitig zur Verfügung gestellte Kapital aktivseitig verwendet wird. Sie müssen­ sich ein klares Bild über die finanziellen Verhältnisse des Gläubigers machen. So logisch und sinnvoll dies in der Theorie klingt, so schwierig­ ist die Umsetzung und Prüfung von staatlichen Bilanzen. Die Art, wie staatliche Bilanzen heute geführt werden, erlauben es weder dem ­Investor noch dem Politiker noch dem Beamten, sich einen Überblick zu verschaffen. Die bilanzielle Transparenz, wie sie der Investor und das Management – mit Ausnahme vielleicht von globalen Finanz­konzernen – bei börsennotierten Unternehmen gewohnt ist, fehlt bei staatlichen Rechnungen.

Staatliche Rechnungen sind in der Regel nach nationalen Grundsätzen geführt. Eine Konsolidierung ist nicht üblich, ebenso wenig eine­ unabhängige Revision der Rechnung. Aussagefähige Geschäftsberichte für den Kapitalmarkt werden in aller Regel nicht verfasst. Oft wird willentlich nur die Erfolgsrechnung „abgesegnet", nicht aber die Bilanz. Offene, aber noch nicht eingetroffene Verbindlichkeiten, wie zum Beispiel Garantien, Leistungsversprechen und Bürgschaften, werden in der Regel nicht ausgewiesen. Die Verbindungen und gegenseitigen finanziellen Abhängigkeiten zwischen den einzelnen staat­lichen Institutionen, föderativen Einheiten und Regiebetrieben sind oft nicht nachvollziehbar. Die Assets­ werden im Allgemeinen nicht nach dem Grundsatz „True and fair“ bewertet. Die meisten Aktiven werden komplett abgeschrieben. Oft wird nur ein kleiner Vermögensteil als Finanzvermögen, zu Marktwerten bilanziert, in den Büchern festgehalten. Es bestehen kaum Mechanismen, die Betriebsnotwendig­keit des gebundenen Kapitals zu überprüfen. Und es bestehen keine Anreize, um sich systematisch von nicht betriebsnotwendigen Anlagen­ zu trennen. Bei Neuinvestitionen, zum Beispiel Investitionen in neue Schulgebäude, sind kaum Prozesse zur systematischen Evaluierung alternativer Eigentümer bekannt. Bei vielen Politikern und Beamten ist immer noch der Glaube verankert, dass man nur eine Leistung ­erbringen kann, wenn man die „Produktionsanlagen“ auch besitzt. Es ist nicht üblich, Assets objektspezifisch, wie in jedem Industrie­konzern der Fall, in einem „Anlagespiegel“ zu erfassen und zu ­bewerten. Die Kosten der Kapitalbindung werden nicht ausgewiesen und in den meisten Fällen auch nicht ermittelt. Anreize, das Kapital effizient einzusetzen, sind nicht üblich; entsprechende Rechenschaftsberichte sind nicht bekannt. Die Ausdehnung des Kapitalstocks ­(Capital Expenditures) erfolgt deshalb auch kaum nach wirtschaft­lichen, plausibilisierbaren Kriterien. Wenn ein Staat oder eine staat­liche Subeinheit finanz­iell Schlagseite bekommt, erfolgt in der Regel Hilfe von anderen staatlichen Einheiten ohne entsprechenden Rückgriff auf das Finanzvermögen der angeschlagenen Einheit, obschon es da als nicht betriebs­notwendig deklariert wurde. 

_Auf dem Stand der 70er Jahre

Die staatliche Bilanzführung ist weder für einen Outsider noch für einen Insider so ausgelegt, dass es die nötigen Informationen vermittelt, um darauf abgestützt qualitativ hochwertige Anlageentscheidungen­ fällen zu können. Sie bewegt sich qualitativ etwa dort, wo sich die Bilanz­führung der Industrie in den 70er Jahren befunden hat. Erst im Zuge des Shareholder-Value-Managements hat die Betriebswirtschaft einen tieferen Blick in die Bilanz der Unternehmen gefordert und die Führungskräfte zu einem sorgsameren Umgang mit dem Kapital ­motiviert. Investoren könnten heute jedenfalls allein auf Basis einer Bilanz­analyse kaum einem Staat ihr Geld anvertrauen. Ob dieser ­Zustand in einem aufgeklärten Wirtschaftssystem langfristig beibehalten werden und überleben kann, ist allerdings äußerst fraglich. 

Streng genommen ist aus kaufmännischer Sicht eine Erfolgsrechnung qualitativ minderwertig, ganz unabhängig davon, ob es sich um ein Unternehmen oder einen Staat handelt, wenn eine Organisation wiederkehrend Verluste schreibt und keine positiven Cashflows gener­iert werden. Es müsste das Ziel eines Staates sein, wie auch jedes Unter­nehmens, nachhaltig Ertragsüberschüsse zu produzieren, denn jeder Verlust geht zulasten des Eigenkapitals und damit zu Lasten der Substanz – auch beim Staat. Es kann mehrere Gründe geben, weshalb eine Organisation Verluste schreibt. In der Regel stimmen aber ­Umsatz und Kosten nicht überein. Das heißt, die Kosten sind relativ zum erzielten Umsatz zu hoch. Da die meisten Staaten immer wieder regelmäßig Verluste schreiben, ist es für einen potenziellen Investor zwingend notwendig, und wenn er blanko Kredit geben sollte, erst recht, die Ursachen der Verluste zu ergründen. Staaten sollten aber auch mehr und mehr dazu übergehen, „Geschäftsberichte“ für den ­Investor zu verfassen und dabei die operativen Fortschritte und ­Miss­erfolge bei „Umsatzsteigerungen“ und Kosteneinsparungen zu ­kommentieren. 

Bei vielen Staaten – vor allem solchen des Südens und Ostens – beginnen die Probleme schon bei einfachen Dingen wie dem Top-Line-Management, also dem Umsatzmanagement. Zugegeben, oft können Kaufkraft, Potenzial und Leistungskraft der lokalen Wirtschaft nicht mit jenen der großen Industrienationen des Nordens mithalten. ­Umso mehr schiene es zweckmäßig, das Augenmerk weit mehr auf das Top-Line-Management zu richten. Bei jedem Investor müssten jedenfalls­ die Alarmlampen angehen, wenn nur ein Bruchteil der Bürger ­Steuern bezahlt, viele Unternehmen die Mehrwertsteuer nicht einkassieren und schon gar nicht abliefern, Gebühren nicht eingetrieben und ­Leistungen subventioniert oder gratis abgegeben werden, die einen Preis haben könnten, oder ein Debitoren- und Delkredere­management inexistent sind. Organisationen, die ihren Umsatz nicht im Griff ­haben, sollten auf Blankobasis kein Kapital erhalten, weder als Staat noch als Unternehmen. Gestern nicht, heute nicht und auch morgen nicht. 

Viele Staaten haben zwar ihre Top-Line mehr oder weniger im Griff, zeichnen sich aber nicht durch Budgetdisziplin, sprich Erfolgsrechnungsdisziplin, aus. Das Ausgeben fällt eben einfacher als das Einnehmen. Es ist eine Tatsache, dass viele staatliche Einheiten ineffizient arbeiten, mit zu viel Personal und einer zu teuren Infrastruktur. Oft sind die bezahlten Saläre höher als in der Privatwirtschaft, vor allem­ bei weniger qualifizierten Jobs. Zudem werden Subventionen und Unterstützungszahlungen geleistet, die man sich gar nicht mehr leisten dürfte. Das sollte Anlass genug sein, auch bereits ausgegebene Kosten immer wieder zu hinterfragen und revolvierend Einsparungen vorzunehmen. 

Besonders problematisch wird es kostenseitig, wenn die staatliche Erfolgsrechnung zum Selbstbedienungsladen wird. Das ist der Fall, wenn Einkaufsprozesse auf dem Papier definiert und gesetzlich ver­ankert sind, aber nicht umgesetzt und von korrupten Politikern oder Beamten­ umgangen werden. Dasselbe gilt für Unterstützungszahlungen, wenn die Auszahlungsprozesse missbraucht werden und Renten zum Beispiel für schon längst tote Kühe, wenn sie wirklich einmal ­gelebt haben, oder für verstorbene Menschen ausbezahlt werden. ­Einer derartigen Organisation sollte man sein Geld nicht einmal auf gedeckter­ Basis überlassen. Man kann in einem solchen­ Fall auch der Besicherung nicht vertrauen. Ein externer Investor­ sollte regelmäßig die Fähigkeit des Staates, Kosten einzusparen, überprüfen. Staaten sollten deshalb regelmäßig über ihre­ operativen Fortschritte Rechenschaft ablegen müssen. Staaten müssten eigentlich alles daransetzen, so viel eigene Kapitalmarkttransparenz zu schaffen wie nur möglich.

_Die nächsten Schritte

Wir erachten es als wenig zielführend und erfolgversprechend, statt die Probleme an der Wurzel zu packen die entstandenen Schulden „top-down“ über Schuldenschnitt, Steuererhöhungen und/oder Weginflationierung zu reduzieren. Alle haben davon gewusst, dass gewisse­ Staaten nicht nur ein Budgetproblem, sondern ein fundamentales Problem bei der Umsetzung von Recht und Ordnung haben. Dennoch aber haben sie ihnen zu mehr oder weniger Risk Free Rate Geld blanko geliehen. Alle haben von der fehlenden Transparenz der staatlichen Bilanzen gewusst und, obschon wir in einer aufgeklärten Gesellschaft leben, sich lieber auf ein „bequemes“ Urteil von Rating-Agenturen abgestützt und blind von Regularien leiten lassen, anstatt sich auch als Investor unternehmerisch verantwortungsvoll zu verhalten.­ In einem unmittelbar nächsten Schritt wären deshalb von jedem Staat und staatsähnlichen Gebilde, die den Kapitalmarkt beanspruchen, aussagekräftige, nachvollziehbare Geschäftsberichte zu ­verlangen, die über Bilanz- und Erfolgsrechnung ähnlich wie bei jedem­ börsennotierten Unternehmen detailliert Auskunft zu geben­ vermögen.­ Nicht betriebsnotwendige Vermögen sollen abgebaut und zur Reduktion der Schulden verwendet werden. 

portfolio institutionell, 16.12.2011

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