Traditionelle Anlagen
10. November 2022

Die Renaissance des Rentendirektbestands

Der Zins ist zurück und Volatilitäten sowie Korrelationen sind hoch: Das macht den Rentendirektbestand wieder attraktiv. ­Bezüglich Risikomanagement, ESG-Anforderungen und Regulierung stellen sich für Anleger jedoch neue Aufgaben.

Die Zins-Zeitenwende verleiht der Kapitalanlage Retro-Chic. „Bei den Investoren ist die Tendenz zu erkennen, den Direktbestand wieder aufzubauen“, sagt Raphael Schwartze, Investment Manager bei Faros Consulting. Der Hauptgrund für den Wiedereinstieg in den Rentendirektbestand liegt auf der Hand. „Auslöser dafür, den Direktbestand wieder aufzustocken, sind die gestiegenen ­Renditen“, erläutert Schwartze. Sein Kollege Dr. Harald Eggerstedt sieht den Wiedereinstieg fast schon als Zwangsläufigkeit – und der dürfte zu einem Favoritenwechsel in der Anlegerschaft führen. „Wenn sich wie nun mit Investment-Grade-Anleihen bei mittleren Laufzeiten wieder Renditen von drei bis vier Prozent erzielen ­lassen, kann man nicht widerstehen, den Rentendirektbestand ­wieder aufzustocken“, erklärt Dr. Harald Eggerstedt, Berater bei ­Faros Consulting. Eggerstedt erwartet, dass diese Renaissance der ­Rentendirektanlage zum Teil zu Lasten von niedrig-rentierlichen Private Assets gehen wird. „Mit Immobilien lassen sich in guten Lagen kaum drei Prozent verdienen.“

Grundvoraussetzung dafür, die Direktanlage wieder aufzupäppeln, ist natürlich, mit dieser wieder auskömmliche Renditen erzielen zu können. Wie der Verband deutscher Pfandbriefbanken (VDP) in ­einem vierteljährlichen Bulletin mitteilt, verdoppelte sich von ­Jahresanfang bis Mitte Mai der Aufschlag für ungedeckte Senior Preferred Bonds deutscher Banken auf etwa 70 Basispunkte. Auch für Emittenten änderten sich die Finanzierungs­bedingungen. ­Lagen die Renditen je nach Laufzeit zur Jahreswende unter beziehungsweise nahe Null, notierten sie Mitte Mai um bis zu 150 ­Basispunkte höher. Langlaufende Pfandbriefe rentierten Mitte Mai wieder bei knapp zwei Prozent. Ein Trost für die Emittenten: Die Zinsänderung stärkte laut dem VDP die ­Nachfrageseite „durch die Rückkehr traditioneller Buy-and-Hold-Anleger wie zum Beispiel Versicherungen und ­Pensionsfonds“. Mittlerweile haben sich die Renditen noch deutlich ausgeweitet. Am 11. Oktober rentierte ein bis 2039 laufender Pfandbrief der ING-Diba mit 3,5 Prozent und für fünf Jahre Hypovereinsbank erhalten Anleger 3,1 Prozent.

Der Renditeanstieg liegt vor allem an den gestiegenen Zinsen und der Inflation. Zum höheren Zinslevel trugen aber auch die Emittenten bei, indem sie mehr „Material“ auf den Markt brachten. So schrieb die LBBW noch zum Schuldscheinmarkt im Jahr 2021, dass bei den Unternehmen hohe Cash-­Bestände und eine vorsichtige Investitionspolitik zu ­Zurückhaltung bei der Finanzierungsaktivität führte. Mitte 2022 konstatierte die­ Bank, dass der krisenbedingt ­erhöhte Liquiditätsbedarf vieler Unternehmen zu einer hohen ­Kreditnachfrage führte. Auch am Schuldscheinmarkt sei in Deutschland im ersten Halbjahr 2022 ein hohes Aktivitätsniveau zu ­verzeichnen gewesen. Konkrete ­Zahlen zur DACH-Region ­liefert Refinitiv: Demnach stieg das Emissionsvolumen von 6,79 Milliarden Euro im ersten Halbjahr 2021 um 135 Prozent auf 15,98 Milliarden Euro in den ersten sechs Monaten dieses Jahres. Bei Pfandbriefen ähnelt sich die Entwicklung. Laut dem VDP erreichte der Absatz liquider Benchmark-Emissionen bereits Mitte Mai das Niveau des gesamten Vorjahres. Ein höheres Aufkommen als 19,5 Milliarden Euro gab es zu diesem Jahreszeitpunkt zuletzt 2011.

Bei Euro-Staatsanleihen bieten Anfang Oktober zehn Jahre ­laufende Schuldtitel aus Rumänien eine Rendite von etwas acht Prozent und für zehn Jahre Italien gibt es etwa 4,5 Prozent. Beide Staaten haben ein Rating von Baa3. Bislang nötigte die Renditenot die ­Anleger zu längeren Laufzeiten und niedrigeren Bonitäten. Für Harald Eggerstedt empfiehlt es sich nunmehr, insbesondere den mittleren Laufzeitenbereich zu allokieren. „Bei Laufzeiten von fünf Jahren bleibt man flexibel. Die Extra-Rendite, die längere ­Laufzeiten bieten, lohnt zurzeit kaum.“ Da bei höheren Bonitäten die Anlagemöglichkeiten rar sind, werde es jedoch fast schon zwangsläufig weiterhin auf das BBB-Segment hinauslaufen, so der Fixed-­Income-Experte. „Mittlerweile hat der halbe Markt ein BBB.“

Mit guter Bonität über drei Prozent

Doch auch mit besseren Bonitäten lassen sich auskömmliche ­Renditen erwirtschaften – und ein Musterportfolio der Apo-Bank, die seit 1999 für ihre Kunden Direktbestände managt, sucht lieber höhere Bonitäten und längere Durationen. Für diese Musterallokation, welche ein durchschnittliches Rating von A1 und eine Laufzeit von 12,7 Jahren aufweist, rechneten die Portfoliomanager der Bank aktuell eine Rendite von immerhin 3,2 Prozent aus – und kommen damit auf einen Wert, der der Zielrendite vieler institutioneller ­Anleger entspricht. Das Volumen der von der Apo-Bank betreuten Assets under Management im Direktbestandsmanagement beläuft sich derzeit auf 2,1 Milliarden Euro. Bei den Apo-Kunden setzen sich diese zu 90 Prozent aus Renten und zu zehn Prozent aus ­Aktien zusammen. Laut Apo stiegen die entsprechenden Quoten der Anleger dieses Jahr – zumindest bei denjenigen Kapitalsammelstellen, die bis zuletzt an der Direktanlage festhielten. Manche haben jedoch in der langen Zinsnotphase ihre Direktanlage mehr oder weniger abgebaut und dürften diese kaum wieder aufbauen.

Sächsische Ärzte und Tierärzte halten 38 Prozent in Renten

So geben zum Beispiel die Berliner Ärzteversorgung, das Versorgungswerk der Architektenkammer Berlin und die Tierärzteversorgung Mecklenburg-Vorpommern Ende 2021 ihre Direktanlagen mit unter einem Prozent an. Allerdings gibt es noch kleine Quoten für Buy-and-Maintain-Anleihen. Dagegen ist und bleibt der Renten­direktbestand bei der Sächsischen Ärzteversorgung (SÄV) ein zentraler Baustein der Kapitalanlagetätigkeit. Ende 2021 belief sich der Anteil der Rentendirektanlagen am gesamten Anlagevolumen auf rund 38 Prozent. Wie das in Dresden ansässige Versorgungswerk gegenüber portfolio institutionell aber mitteilt, ging es im ­Management des Renten-Bausteins im Laufe der Jahre nicht ohne Anpassungen: In der Anfangsphase der Niedrigzinsperiode konnte sich die SÄV noch mit längeren Laufzeiten sowie Zugeständnissen bei Bonitäten sowie dem Einsatz von derivativen Strukturen wie Callables behelfen. „Diese Anlagestrategie im Rentendirektbestand war jedoch irgendwann nicht mehr zielführend, da die zu erzielenden Erträge keine adäquate Kompensation für die einzugehenden Risiken mehr boten“, teilt die Altersvorsorgeeinrichtung mit. ­„Unser Versorgungswerk setzte daher in den vergangenen Jahren vermehrt auf den Ausbau eines hochwertigen Hypothekenfinanzierungsgeschäftes mit niedrigen Beleihungsausläufen. Parallel wurden zudem Opportunitäten in Stressphasen des Marktes genutzt, um auch klassische Anleihen, zum Beispiel aus dem Corporate-­Bereich, beizumischen.“ Opportunitäten für Neuanlagen taten sich nicht zuletzt im laufenden Jahr auf. Die dafür nötige Liquidität stammt aus Mitgliedsbeiträgen und Fälligkeiten. Allokiert wurde dann, wie in der Vergangenheit, sowohl rendite- als auch risiko­orientiert: „Die Neuanlagen verteilen sich dabei sowohl auf ­Anlagen mit höheren Renditen des Unternehmensanleihe-Sektors, als auch auf besonders risikoarme Titel wie Pfandbriefe“, so die SÄV.

Aus Investorensicht sind aber nicht nur die attraktiveren Renditen ein Argument pro Rentendirektbestand. Für den Schritt zurück in die Zukunft sprechen auch die gestiegenen Korrelationen und ­Volatilitäten. „Die Anleihemärkte sind außer Rand und Band“, konstatierte Dr. Hanno Kühn auf der Veranstaltung Apo Institutionell in Düsseldorf im September. Exemplarisch verwies der Chief ­Investment Officer der Apo-Bank auf die Volatilität der ­Bundesanleihe. „Das sind derzeit historisch nie gesehene Bewegungen.“ Eine Frage, die sich in einem solch hoch korrelierten und volatilen Umfeld mehr denn je stellt: Was nun, Investor? Der Rat von Kühn: „Anleger müssen mehr Mühen auf sich nehmen. Sie müssen mehr an die Ränder gehen, mehr HGB-Bewertungen ­nutzen, mehr in Private Markets investieren – und mehr in der ­Direktanlage unterwegs sein.“ Im derzeitigen Umfeld erlaubt aber auch die Rentendirektanlage kein Buy-and-hold. Die Anforderungen sind nun höher. Dies liegt einmal an den Inflationswächtern: „Um Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen, werden die Zentral­banken eher mehr als zu wenig tun“, so Kühn. Das spricht zwar ­gegen Fixed Income allgemein, aber für die in der Direktanlage notwendigen Buy-and-Maintain-Ansätze. Gestiegen sind die Anforderungen aber nicht nur bezüglich von Wertschwankungen, ­sondern auch bezüglich eines dauerhaften Wertverfalls. „Bonitätsthemen werden an Bedeutung gewinnen“, blickt Kühn in die ­Zukunft. Ähnlich sieht es Raphael Schwartze von Faros: „Wegen der gestiegenen ­Ausfallwahrscheinlichkeiten braucht es heute für die Direktanlage mehr Risikomanagement.“

Konkreter zum Management der Rentendirektanlage äußerten sich auf dem Apo-Bank-Event Mirko Engels, Leiter ­Institutionelle ­Kunden, und Timo Steinbusch, Leiter Portfoliomanagement. ­Engels empfahl in seiner Präsentation zunächst, dieses Jahr grundsätzlich den Fokus mehr auf die Assets als auf die Liabilities zu richten. Zweite Empfehlung: die Rentendirektanlage. In Simula­tionsrechnungen zeige sich, so Engels, dass in volatilen Märkten zum Beispiel eine höhere Rentendirektanlagequote den Bewertungsdruck reduziert und sich vorteilhaft auf Nettoverzinsung und Deckungsgrad verpflichtungsorientierter Anleger auswirken kann. Zudem bietet die Rentendirektanlage gut kalkulierbare Cashflows.
„Die Rentendirektanlage war Old School“, so Timo Steinbusch. „Über drei Jahre gab es mit Renten keine auskömmlichen Renditen und darum wurde die Rentendirektanlage abgesenkt und Immobilien und Alternatives aufgebaut. Aber Totgeglaubte leben länger!“ Allerdings müsse die Direktanlage heute anders gelebt werden. „Die Rentendirektanlage erlebt bereits eine gewisse Renaissance, auch wenn die Rahmenbedingungen sich verändert haben und deutlich anspruchsvoller geworden sind“, bestätigt Steinbusch. Für ein Direktanlageportfolio sei heute nicht nur eine gute Mischung und Streuung nach Emittenten, Laufzeiten, Rangigkeiten und ­Ländern erforderlich. Ferner seien die Bestände „unterwegs“ mittels professionellem Scoring und ESG-Auswertung fortlaufend zu überwachen und zu analysieren, womit Steinbusch den Wechsel von einem Buy-and-hold zu einem Buy-and-Maintain beschreibt. ­Zudem warnt Steinbusch mit Blick auf mögliche Bail-ins: „Oft ­besteht eine hohe Konzentration in unbesicherten Banktiteln.“

Risikomanagement und ESG-Anforderungen

Die Bafin-Anforderungen an ein Credit-Risikomanagement und die ESG-Anforderungen schränken ein wichtiges Argument für den Rentendirektbestand zumindest etwas ein: „Auch der Rentendirektbestand ist nicht umsonst“, erklärt Eggerstedt. Ohne ­Ausgaben geht es nicht und diese müssen entweder für Mitarbeiter, Informationssysteme, Rating-, Reporting-Dienstleister oder für ­einen Buy-and-Maintain-Manager erfolgen. Zu Risikomanagement, ESG-Fragen und nötigen Dienstleistern hat sich auch die Sächsische Ärzteversorgung nicht nur Gedanken gemacht. So sei aufgrund der aktuellen Marktlage die engmaschige Prüfung der Bestandstitel noch intensiviert worden. „Dabei geht die SÄV unterschiedlichen Fragestellungen nach, zum Beispiel auch, wie sich steigende Energiepreise und ein deutlich verändertes Zinsniveau auf Unternehmenskonzepte auswirken und ob aus Investorensicht Eingriffe möglich und notwendig sind.“ Zudem hat das ­Versorgungswerk Ende des vergangenen Jahres im Rahmen des ­Risikomanagements und der Umsetzung einer ­organisationsweiten Nachhaltigkeitsstrategie auch im Rentendirektbestand einen „ESG-Prüfprozess“ aufgesetzt. „Dessen Hauptziel besteht darin, ­Nachhaltigkeitsrisiken von Emittenten frühzeitig zu erkennen und in die Investitionsentscheidung einfließen zu lassen. Durch den ­Bezug eines dezidierten Nachhaltigkeits-Researchs war es der SÄV möglich, auch in einem Umfeld mit erhöhtem Transaktionsaufkommen schnelle Investmententscheidungen zu treffen.“

Bail-ins, also Gläubigerbeteiligungen, sind wie Haftungskaskaden Kinder der Finanzkrise und kommen bei Bankenabwicklungen zum Tragen. Als Reaktion auf 2008 sollen ausfallgefährdete Banken ohne Beteiligung des Steuerzahlers geordnet abgewickelt werden können. Dies führt dazu, dass Anteilsinhaber und Gläubiger von Banken im Falle ­einer Abwicklung an deren Verlusten beteiligt werden können. Laut Deutscher Bank kann die Abwicklungsbehörde Forderungen gegen die Bank entweder teilweise oder vollständig herabschreiben oder in Eigenkapital umwandeln. In diesem Fall wird für die Geldgeber die Haftungsreihenfolge ­relevant. An ­fünfter Stelle werden die unbesicherten, nicht-nachrangigen und nicht strukturierten Schuldtitel („senior non-preferred“) herangezogen – zumindest unter drei Voraussetzungen: Sie müssen seit dem 21. Juli 2018 begeben und ein Hinweis auf den niedrigeren Rang ­gegenüber den sonstigen unbesicherten, nicht-nachrangigen ­Verbindlichkeiten („senior preferred“) muss gegeben worden sein. ­Drittens muss die Laufzeit mindestens ein Jahr betragen.

Die Schlechterstellung von Gläubigern blieb bei der SÄV nicht ­ohne Reaktion. Zwar nutzt das Versorgungswerk weiter alle Asset-Klassen. Die Bedeutung von bankenemittierten Anlage­optionen ging jedoch deutlich zurück. Insbesondere vor dem ­Hintergrund der ­geänderten Haftungskaskade beziehungsweise des Banken­abwicklungs­regimes stellte sich die Einrichtung ­konservativer auf. So seien ­interne Limite deutlich unterhalb der aufsichtsrechtlichen Möglichkeiten definiert worden. Von großer Relevanz in der Praxis ­waren die Bail-in-Regeln ­mangels Event bislang nicht. „Die Banken sind heute auch nicht mehr so stark auf die Emission von bail-in-­fähigen Schuldtiteln ­angewiesen“, so Harald Eggerstedt. Die Banken hätten nun mehr Eigenkapitalpuffer und seien viel stabiler. Bei nachrangigen ­„Financials“ sollten die Anleger darum derzeit mehr die Verzins­ungsrisiken aus Verlängerungsoptionen wie bei Tier-2-Papieren als die Bonitätsrisiken wie bei Cocos im Auge haben.

Zu erwarten ist, dass der Direktbestand vielfältiger sein wird, flexibler gehandhabt wird und dabei auch mehr Dienstleister zum ­Zuge kommen. Steinbusch rät dazu, zur Steuerung Opportunitäten bei Zeichnungen oder auf dem Sekundärmarkt zu nutzen. Nicht ganz selbstlos, aber mit guter Begründung, empfiehlt Steinbusch auch, die Größenvorteile eines Partners zu nutzen: „Emittenten wie ­kanadische Provinzen fordern für Privat-Platzierungen Mindestzeichnungsvolumina von 20 bis 50 Millionen Euro. Ein Partner kann die Losgrößen-Transformationsfunktion übernehmen.“ Steuerungsfunktion hat nicht zuletzt eine Benchmark. Der Vorschlag der Apo-Bank: 35 Prozent Staat, 30 Prozent gedeckte Ware, 15 ­Prozent Corporates und je zehn Prozent Banken und Nachränge.

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