Immobilien
4. November 2016

Eine neue Zeitrechnung im europäischen Immobilienmarkt

Der anstehende Brexit heizt die deutschen Immobilienpreise weiter an. Investoren gehen lieber auf Nummer sicher und sind zu erheblichen Abschlägen bei der Rendite bereit. Das einstige Immobilien-Mekka London stürzt ab.

Die Preise auf dem deutschen Immobilienmarkt sind hoch. Doch damit ist der Höhepunkt noch nicht erreicht. Der Brexit wird die Immobilienpreise 2017 hierzulande so stark anheizen wie nirgendwo sonst in Europa. Zu diesem Ergebnis kommt die neue „Emerging Trends in Real Estate“-Studie, für die PWC und das Urban Land Institute (ULI) rund 800 Branchenmanager weltweit befragt haben, davon 19 beziehungsweise 18 Prozent in Großbritannien und Deutschland. Demnach liegen aus Investorensicht mittlerweile vier der fünf attraktivsten europäischen Immobilienstandorte in Deutschland, und zwar Berlin, Hamburg, Frankfurt und München. Dagegen stürzt das langjährige Immobilien-Mekka London auf Platz 27 unter 30 untersuchten europäischen Städten ab. 
„Mit dem bevorstehenden Austritt Großbritanniens aus der EU beginnt eine neue Zeitrechnung auf dem europäischen Immobilienmarkt“, sagt Susanne Eickermann-Riepe, Partnerin und German Real Estate Leader bei PWC. Alles spreche dafür, dass Deutschland als die wirtschaftlich stabilste große Volkswirtschaft im Euroraum davon in besonderem Maße profitieren wird. „Wir beobachten momentan sogar, dass Investorengelder, die eigentlich für den britischen Markt eingeworben wurden, stattdessen nun in deutsche Städte fließen“,  Eickermann-Riepe. 
Wie die Studie zeigt, glauben 92 Prozent der Umfrageteilnehmer, dass der Brexit negative Folgen für den britischen Immobiliensektor hat. Dagegen rechnen nur 21 Prozent mit nachteiligen Auswirkungen auf den kontinentaleuropäischen Markt. Nach Einschätzung von PWC dürften besonders Städte wie Berlin profitieren. Die Befragten brachten die deutsche Hauptstadt mit Attributen wie „jung“, „angesagt“ oder „rasant wachsend“ in Verbindung. Den größten Sprung nach vorn machte jedoch Frankfurt. Während Berlin und Hamburg bereits im vergangenen Jahr die beiden Topplätze belegt hatten, habe sich die Main-Metropole fast sensationell von Rang 14 auf Rang drei vorgeschoben. Das liegt laut PWC daran, dass für die deutsche Finanzhauptstadt nicht nur das „Safe Haven“-Argument spricht, sondern dass sie zugleich so unmittelbar wie keine andere Stadt vom britischen EU-Austritt profitieren könnte. Denn: Für den Fall eines „harten Brexits“ spekulieren manche Investoren darauf, dass Banken und Finanz-Startups („Fintechs“) große Kapazitäten von London nach Frankfurt verlegen. Allerdings: Angesichts eines Büroleerstands von nach wie vor fast zwölf Prozent teilen nicht alle Investoren die momentane Frankfurt-Euphorie. 
Die Unsicherheit ist groß wie nie 
Doch der Brexit ist nicht die einzige Kraft, die auf den europäischen Real-Estate-Sektor wirkt. Noch stärker treiben laut PWC viele Investoren die großen geopolitischen Themen um wie zum Beispiel die Flüchtlingskrise und die Furcht vor weiteren Terroranschlägen. Hinzu kommen das Verfassungsreferendum in Italien und die Neuauflage der österreichischen Präsidentschaftswahl, bevor 2017 die Bundestagswahl in Deutschland, die niederländische Parlamentswahl und die Kür eines neuen französischen Staatsoberhaupts auf der Agenda stehen. Befragt nach ihren größten Sorgen, nannten 89 Prozent der Investoren entsprechend auch die „internationale politische Instabilität“. Zwei Drittel der Befragten gehen davon aus, dass sich die Lage in den nächsten drei bis fünf Jahren weiter verschlechtern wird. Nur zehn Prozent rechnen mit einer Verbesserung. „Diese Grundstimmung trägt dazu bei, dass der deutsche Markt für immer mehr Real-Estate-Investoren ein natürliches Anlageziel darstellt. Schließlich gilt Deutschland in fast allen denkbaren Szenarien als sicherer Hafen – selbst dann noch, wenn die Eurozone wider Erwarten auseinanderbrechen sollte“, sagt Jürgen Fenk, Mitglied des Vorstands, Helaba Landesbank Hessen-Thüringen und Chairman des ULI Germany.
Überteuerte 1A-Lagen finden Käufer
Die erhoffte Sicherheit kostet. Diese zu bezahlen, dazu sind viele Investoren bereit. Sie akzeptieren immer höhere Preise und damit weitere Abschläge bei der Verzinsung. So stimmten sechs von zehn Befragten der Aussage zu, dass die 1A-Lagen in Europa schon jetzt überteuert seien. Dem widersprachen nur 13 Prozent. 
Angesichts dessen ist es für PWC nur passend, dass im kommenden Jahr nur noch 38 Prozent der Investoren eine Rendite von zehn Prozent und mehr anstreben. Knapp jeder zweite gibt sich mit fünf bis zehn Prozent zufrieden, während jeder sechste sogar eine Verzinsung von weniger als fünf Prozent für ausreichend hält. Zwei Drittel der Befragten teilten folgerichtig die Ansicht, dass Toprenditen im europäischen Immobilienmarkt nur noch sehr schwierig zu erreichen sind. Anders sahen das gerade einmal 16 Prozent. 
Dass es mit den Renditen auch im nächsten Jahr weiter bergabgehen wird, davon sind 35 Prozent der befragten Investoren überzeugt. Nur 16 Prozent erwarten das Gegenteil. „In manchen Toplagen liegt die Verzinsung schon jetzt bei nur mehr drei bis vier Prozent“, erläutert Eickermann-Riepe. „Früher wären Investoren in vergleichbaren Situationen vielleicht auf B- oder C-Lagen ausgewichen. Heute hingegen geht man lieber auf Nummer sicher und nimmt die magere Verzinsung zähneknirschend in Kauf“, fügt sie hinzu. 
portfolio institutionell newsflash 04.11.2016/Kerstin Bendix 
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